Samstag, 6. Oktober 2018
Negative-Space-Preise Filmfest Hamburg 2018
Der Werner-Hochbaum-Preis für den besten Film geht an:
  • „Die feurigen Schwestern“ (Albertina Carri)

© Berlin Collection
Der Eberhard-Schroeder-Preis für die beste Regie geht an:
  • Damien Chazelle („First Man“)

© Universal Pictures International
Der Ulrike-Ottinger-Preis für das Gesamtkunstwerk geht an:
  • Yolande Zauberman & Menachem Lang („M“)

© Indie Sales
Der Richard-Fleischer-Preis für neue Perspektiven auf das Weltkino geht an:
  • Avner Faingulernt („In the Desert – A Documentary Diptych: Omar’s Dream“)

© Skene - Border Films
Der Rod-Taylor-Preis für den besten Darsteller geht an:
  • Moshe Folkenflick („Geula“)

© Transfax Film Production
Der Ludivine-Sagnier-Preis für die beste Darstellerin geht an:
  • Luise Heyer („Das schönste Paar“)

© One Two Films
Der Brigitte-Lahaie-Preis für Sinnlichkeit geht an:
  • Antonella Costa („Dry Martina“)

© Film Factory
Der Amy-Nicholson-Preis für Kickass Cinema geht an:
  • „Der Unschuldige“ (Simon Jaquemet)

© Augenschein Filmproduktion
Der Jan-Harlan-Preis für den besten Dokumentarfilm geht an:
  • „Nice Girls Don’t Stay for Breakfast“ (Bruce Weber)

© Little Bear Inc.
Zehn Filmfest-Hamburg-Lieblingsfilme 2018 (alphabetisch):

* DOGMAN (Matteo Garrone)
* DIE FEURIGEN SCHWESTERN (Albertina Carri)
* THE FAVOURITE (Yorgos Lanthimos)
* FIRST MAN (Damien Chazelle)
* GEULA (Yossi Madmoni & Boaz Yehonatan Yaacov)
* IN THE DESERT – A DOCUMENTARY DIPTYCH: OMAR'S DREAM (Avner Faingulent)
* M (Yolande Zauberman)
* NICE GIRLS DON'T STAY FOR BREAKFAST (Bruce Weber)
* DAS SCHÖNSTE PAAR (Sven Taddicken)
* DER UNSCHULDIGE (Simon Jaquemet)

Link: - Negative-Space-Preise 2017

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Mittwoch, 12. September 2018
Jamie Lee Curtis' Halloween-Comeback eröffnet Filmfest Hamburg inoffiziell

Jamie Got a Gun | © Universal Pictures International Germany GmbH
Das Filmfest Hamburg hat sein komplettes Programm für Ende September veröffentlicht. Umso länger man stöbert, umso spannendere Werke findet man.

Der Eröffnungsfilm des Filmfest Hamburg ist das isländische Werk „Gegen den Strom“, das eine Frau zeigt, die für die Umwelt und mit der Adoption eines ukrainischen Kindes kämpft. Mehr Nächstenliebe und Weltverbesserung gehen nicht. Aber sind wir doch mal ehrlich: Noch ein bisschen größer ist die Vorfreude auf David Gordon Greens Fortsetzung von „Halloween“, die alle anderen Fortsetzungen ignoriert und direkt an das Carpenter-Original anschließt. Für die Premiere in Hamburg ist der Superstar Jamie Lee Curtis angesagt. Ein Name, der alles mit Leichtigkeit wegwischt, was heutzutage als Hollywood gehandelt wird: Das Kind von Janet Leigh und Tony Curtis, das dem Slashergenre das Final Girl gestiftet hat; das für Arnold Schwarzenegger in „True Lies“ Tango tanzte und mit Stacy Keach durch den australischen Outback in „Truck Driver“ trampte; die Powerfrau in „Die Glücksritter“, „Perfect“, „Blue Steel“ und „Ein Fisch namens Wanda“. Das ist echte Hollywood-Prominenz.

Das Filmfest, das vom 27. September bis zum 6. Oktober läuft und 138 Filme aus 57 Ländern zeigt, mag ein eher unscheinbares Programm der Herbstfestivals vorgelegt haben. Umso länger man sich aber damit beschäftigt, umso mehr Entdeckungen macht man. Klar, große Highlights werden Yorgos Lanthimos' „The Favourite“ und der Oscar-Frontrunner „Roma“ von Alfonso Cuarón sein, die kurz nach ihren Weltpremieren von Venedig bereits in der Hansestadt laufen. Was für ein Luxus, „Roma“ nicht auf einem Netflix-Laptop sehen zu müssen! Aber es gibt auch sehr viel von Carlo Chatrians letztem Locarno-Programm in Hamburg zu entdecken, bevor er als neuer Berlinale-Chef reüssiert: Zum Beispiel „A Land Imagined“, der den Goldenen Leoparden gewonnen hat; aber auch die israelische Dokumentation „M“ von Yolande Zauberman oder Dominga Sotomayor Castillos umfeierten chilenischen Film „Too Late to Die Young“ oder den kanadischen Coming-of-Age-Geheimtipp „Genesis“.
Der beste deutsche Film im Programm
Interessant ist, dass die neu eingeführte deutsche Sektion Große Freiheit erstmal „nur“ mit sechs Filmen startet. Da wird es die Jury leicht haben, einen Sieger zu küren. Der spannendsten Eintrag dürfte dabei der frisch aus Toronto rübergeholte Film „Das schönste Paar“ von Sven Taddicken sein. Der Regisseur ist sowieso in der deutschen Filmszene recht unterschätzt. Schon sein Debütfilm „Mein Bruder, der Vampir“, der Julia Jentsch entdeckte, war ein kleiner großer Wurf. „Gleißendes Glück“ mit Ulrich Tukur und Martina Gedeck vor zwei Jahren war vom Wagnis und der Offenheit der Schauspieler in ihren kaputten Existenzen gleich gar nicht mehr richtig zu greifen.

Jan Bonnys (Nicht-)NSU-Film „Wintermärchen“ aus Locarno wird dagegen schmerzlich vermisst. Wollte Bonny oder Hamburg nicht? Jedenfalls läuft das umstrittene Werk stattdessen Anfang Oktober auf dem Film Festival Cologne in der Made in NRW-Reihe. Dafür Freude über die Weltpremiere von Marcus H. Rosenmüllers Biopic „Trautmann“ mit David Kross in der Rolle des legendären deutschen Torhüters, der mit einem gebrochenen Genick für Manchester City auflief – und gleichzeitig zumindest ansatzweise Deutsche und Engländer nach dem Zweiten Weltkrieg miteinander versöhnte. Auch ein bisschen Lust ist vorhanden auf Alexander Kluges Kino-Comeback mit „Happy Lamento“, der wie eine 90-minütige Ausgabe seines Spartenprogramms für die Privatsender ausschaut.

Aber wenn wir schon bei Weltpremieren sind: Das Filmfest Hamburg ist eher ein Best-of-Festival, das wie ein Staubsauger die besten Werke anderer A-Festivals einsammelt. Nur: Letztlich wird man doch auch an den exklusiven Filmen gemessen. Da heißen die Werke dann „In Love and War“, eine spannende deutsch-dänische Co-Produktion mit Tom Wlaschiha und Ulrich Thomsen, die im Ersten Weltkrieg spielt. Weitere Weltpremieren sind „Der Trafikant“ mit Bruno Ganz als alternden Sigmund Freud nach dem deutschen Anschluss Österreichs, die Jussi-Adler-Olsen-Verfilmung „Verachtung“, die nach der Millennium-Trilogie ohne Lisbeth Salander klingt und die bestimmt spannende Rasmus-Gerlach-Doku „Sankt Paulis starke Frauen – Reeperbahner*innen“. Es gibt auch „Yuli“, den Film über einen kubanischen Balletttänzer, der aber nicht ganz oben auf der To-Watch-Liste steht.


Chilenischer Festivaltipp „Too Late to Die Young“
Paris oder Madrid – Hauptsache Italien
Wenn im vergangenen Jahr vor allem die französische Sektion Voilà fast durchgehend mit Highlights wie „Jeune femme“, „120 BPM“ und „L'amant double“ begeisterte, scheinen dieses Jahr die meisten Perlen in der Sektion Vitrina zu lauern, in der das spanischsprachige und lateinamerikanische Kino präsentiert wird. Neben dem heiß erwarteten und schon erwähnten Coming-of-Age-Film „Too Late to Die Young“ sind besonders „Die feurigen Schwestern“ vorgemerkt, denen schon ein gewisser cineastischer und freiherziger Ruf vorauseilt. Auch toll klingt „Dry Martina“ – wegen des Plots, aber gerade auch, weil der Debütfilm des Regisseurs „You Think You're the Prettiest, But You Are the Sluttiest“ heißt. Wer sich solche Arthouse-Titel leistet, muss dann auch abliefern.

Wer israelisches Kino und den israelisch-palästinensischen Konflikt spannend findet, wird auf dem Filmfest auf jeden Fall auch fündig: Episch mutet das Dokumentarprojekt „In the Desert – A Documentary Diptych“ an. Die eine Doku erzählt von einem palästinensischen Bauer, die andere Doku erzählt von einem israelischen Siedler ungefähr in der selben Region des Westjordanlandes. Die Filme des selben Regisseurs Avner Faingulernt werden direkt hintereinander gezeigt. Das Werk feierte seine Weltpremiere auf der Doc Aviv. Vergangenes Jahr konnte man in Hamburg mit dem fantastischen „The Cakemaker“ den israelischen Oscar-Beitrag entdecken. Dieses Jahr heißen weitere israelische Filme – neben der bestimmt empfehlenswerten Doku „M“ – „Outdoors“ und „Geula“.
Was aus Cannes läuft – und was nicht
Die gewichtigen Cannes-Filme „Leto“, „Loro“, „The Wild Pear Tree“, „The House That Jack Built“, „Dogman“, „Drei Gesichter“ und „The Image Book“ von Lean-Luc-Godard kann man hier natürlich auch einsammeln. Vermisst werden „Sorry Angel“, den Hamburg an das Filmfest Oldenburg verloren hat, „Knife + Heart“, „Long Day's Journey Into Night“ und „Sauvage“. Auch „Cold War“ läuft wie „Wintermärchen“ zuerst in Deutschland auf dem Film Festival Cologne. Da wächst wohl ein ernsthafter Filmfest-Konkurrent im Herbst heran. Aber man kann natürlich auch nicht alles haben. Ebenfalls interessant ist, dass aus dem deutschen Bereich weder Christian Alvarts Fitzek-Verfilmung „Abgeschnitten“ noch „25 km/h“ mit Bjarne Mädel und Lars Eidinger im Programm auftauchen.

Für die Hollywood-Junkies gibt es jenseits von „Halloween“ mit seinem nagelneuen Carpenter-Score den Venedig-Eröffnungsfilm „The First Man“, Paul Danos Sundance-Regiedebüt „Wildlife“, spannenderweise „A Simple Favor“ von „Brautalarm“-Regisseur Paul Feig mit Anna Kendrick und Blake Lively. Der Independent-Film „We the Animals“ soll toll sein. Hey, es gibt den neuen Frederick Wiseman („Monrovia, Indiana“). Ihr seht: Aus dem Empfehlen kommt man bei diesem Programm gar nicht mehr heraus. Es fühlt sich sehr wertig an. Und letztlich würde es sich wahrscheinlich schon lohnen, nach Hamburg zu kommen, nur um die Dokumentation „Nice Girls Don’t Stay for Breakfast“ über Robert Mitchum frisch vom Lido zu schauen.

Der Filmblog Negative Space wird das Filmfest Hamburg berichtend begleiten. Das Festival zeigt vom 27. September bis 6. Oktober in seinem 26. Jahr 138 Filme aus 57 Ländern in zwölf Sektionen.

Links: - Programm 2018 | - Podcast 2017

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Sonntag, 2. September 2018
Venedig-Tipp: „Amanda“ (Mikhaël Hers)

Onkel und Nichte | © Nord-Quest Films
Jenseits der Wettbewerbs-Schwergewichte, die sowieso bald regulär im Kino laufen oder bei einem Streamingdienst verfügbar sind: Der französische Film „Amanda“ in der Orrizonte-Sektion in Venedig ist eine echte Entdeckung.

Dem Franzosen Mikhaël Hers ist ein wunderschöner Film über den Verlust gelungen. Das mag widersprüchlich klingen. Es entspricht aber seinen Schilderungen einer kleinen Patchwork-Familie in Paris, die ein Terroranschlag auseinanderreißt.

Die junge Lehrerin Sandrine (Ophélia Kolb) zieht ihre Tochter Amanda (Isaure Multrier) ohne Vater groß. Ihr 26-jähriger Bruder David (Vincent Lacoste) unterstützt sie dabei – so gut es geht. Und soweit es sein amouröses Leben als verkannter Künstler, der sich als eine Art Hausmeister für Touristenunterkünfte durchschlägt, zulässt. Denn er hat sich gerade in die gegenüber eingezogene Léna (Stacy Martin) verliebt.

Dem Leben eine spielerische Leichtigkeit abzugewinnen, gehört seit jeher zu den Qualitäten des französischen Films. Mikhaël Hers‘ Schilderungen des Alltags wohnt aber nochmal ein besonderer Zauber inne. Seien es Bruder und Schwester, die mit ihren klapprigen Fahrrädern ein kleines Wettrennen auf den Pariser Straßen hinlegen oder eine SMS, welche die Angebetete im genau richtigen Zeitpunkt erreicht, damit sie sich beim Joggen noch rechtzeitig umdrehen kann. Die Natürlichkeit der Szenen wird auch dadurch unterstützt, dass scheinbar nie Sets abgesperrt wurden und die Protagonisten durch den echten Straßenverkehr manövrieren oder einfach so mal schnell durch den Park gegangen sind. Potenzielle neue Affären mit der nächsten wohl verheirateten Facebook-Bekanntschaft werden hier einfach mal weggelacht.
Wächst an seinen Kleinigkeiten
Umso heftiger reißt ein blutiger Anschlag im Park das Familienglück aus diesem Traum. Die Realität, die Politik und der Terror holen sie ein – überholen die Familie gandenlos. Aus dem rohmer’schen Reigen wird ein Film über die Trauer. Der 26-jährige Vincent, der in den Tag hinein gelebt hat, ist auf einmal verantwortlich für das Kind seiner Schwester. Wie der Film dann diese Trauerarbeit nachzeichnet, wie er sie in Kleinigkeiten aus seinen Protagonisten herausbrechen lässt – etwa, wenn das Kind es einfach nicht wahrhaben kann, dass Vincent die Zahnbürste ihrer verstorbenen Mutter weggeschmissen hat –, macht „Amanda“ zu mehr als nur dem nächsten Feel-Good-Movie aus dem für seine Lebenslust so bewunderten Nachbarland.

Der Verlust wird immer eine offene Wunde bleiben, die niemals ganz geschlossen werden kann. Der Terrorakt hat die Welt verändert. Laute Geräusche erregen jetzt nicht mehr die Aufmerksamkeit, sondern lassen ängstlich zusammenzucken. Es ist auch nicht so, dass Vincent sofort seine neue Rolle versteht – oder auch ausfüllen kann. Wer könnte das schon? Er gibt sein Bestes. Ehrlicherweise spielt er aber aufgrund der ihn überfordernden Situation auch mit dem Gedanken, Amanda in ein Kinderheim zu geben.
Pubertierender Nachwuchsstar macht Sprung
Das ist eine ziemlich bewegender Moment, wenn er auf dem Pausenhof des Internats steht – um ihn herum lauter spielende Kinder – und dem Zuschauer bewusst wird, dass das alles kleine Menschen sind, die ohne Vater und Mutter aufwachsen müssen. Der Film beobachtet auch genau, wie die kleine Amanda den Verlust verarbeitet. Wie sagt man einem Kind so etwas überhaupt? Braucht sie einen Psychologen, Zeit für sich selbst, schnell neue Bezugspersonen, viel Aufmersamkeit? Wie kann man überhaupt in so jungen Jahren diesen Verlust ganz begreifen?

„Amanda“ feierte seine Weltpremiere am 31. August auf dem Venedig-Filmfestival in der wichtigen Nebensektion Orrizonte. Negative Space kann diese bittersüße Familiengeschichte über das Leben in der Trauer nur wärmstens empfehlen. Das ist eine echte Entdeckung, die in ihren besten Momenten mit Mia Hansen-Løves thematisch ähnlich gelagerten Film „Der Vater meiner Kinder“ mithalten kann. Hers hält würdevoll den Zustand des Schocks, der Verarbeitung und des wieder Mutfassens fest.

Der Cast besteht aus diversen wunderschönen sowie talentierten Schauspielern, allen voran Stacy Martin, die als junge Charlotte Gainsbourg in Lars von Triers „Nymphomaniac“ bekannt wurde. Richtig gehend begeistert hat aber die Transformation, die Vincent Lacoste seit seinem Durchbruch als schwerpubertierender Teenie in der auch empfehlenswerten Komödie „Jungs bleiben Jungs“ hingelegt hat.

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Mittwoch, 29. August 2018
Venedig-Ticker 2018

„A Star Is Born“ | © Warner Bros. Pictures
Neben Cannes und der Berlinale zählt das Festival von Venedig zu den bedeutendsten Filmfesten der Welt. Tatsächlich ist das älteste Festival der Geschichte in diesem Jahr auf dem Papier sogar das Maß aller Dinge. Absteigend aufgelistet finden sich hier deshalb die Venedig-Filme 2018 aus allen Wettbewerben, die mich persönlich am meisten interessieren. Die eigene Vorfreude wie auch das Kritiker-Feedback vor Ort sorgen für die Abstufungen, die ich mit Sternen von fünf bis zwei kenntlich mache. Der Ticker wird regelmäßig upgedatet. Das Festival läuft vom 29. August bis zum 8. September.

NEU: Luca Fassbinders „Suspiria“, der neue Lanthimos „The Favourite“, Cuaróns Mexiko-Rückkehr „Roma“, Oscar-Kandidat „A Star Is Born“

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★★★★★

„The Favourite“ (Yorgos Lanthimos)
Deutscher Kinostart: 03.01.2019

[Wettbewerb] Da braucht es eigentlich keine Kritiken im Vorfeld. Der Grieche Yorgos Lanthimos ist ein absoluter Lieblingsregisseur dieses Blogs. Mit „The Lobster“ hatte er bereits wieder zur alten Form zurückgefunden. Das erste Mal hat er jetzt das Drehbuch nicht selbst geschrieben. Emma Stone und Rachel Weisz spielen Hauptrollen. Nuff said. Ich schaue „The Favourite“ auf dem Filmfest Hamburg Anfang Oktober. Aber zumindest die hippe Jessica Kiang von The Playlist will ich zitieren: „And here is my bawdy and magnificent favourite, THE FAVOURITE, which could not be more my bag if it were monogrammed JK and contained nothing but old tissues and a lipstick I never wear.“

„Suspiria“ (Luca Guadagnino)
Deutscher Kinostart: 15.11.2018

[Wettbewerb] „Frustrierend“ ist nicht der richtige Ausdruck, um meinen Zustand als Festivalbeobachter zu beschreiben. Aber es fühlt sich doch sehr eigenartig an, die Reaktionen zu einem Wettbewerb in Venedig zu betrachten, wo die meisten Werke bereits „verkauft“ sind. Kein Cineast mit Verstand muss heiß gemacht werden auf ein „Suspiria“-Remake, das der „Call Me By Your Name“-Regisseur mit dem Gestus eines Rainer Werner Fassbinder gedreht hat. Man nimmt also schon die unterschiedlichen Meinungen wahr. Und fragt sich, ob diejenigen, die jetzt behaupten, Guadagninos Neuinterpretation sei besser als Dario Argentos Original, überhaupt Fans des 1977er-Films waren. Ich schaue dich streng an, Robbie Collin vom Daily Telegraph! Aber eigentlich lauten auch hier nur die Fragen: Wann und wo selbst sehen können?

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★★★★½

„Roma“ (Alfonso Cuarón)
Deutscher Kinostart: Netflix

[Wettbewerb] Da braucht es ehrlich gesagt auch keine Filmkritiken. Alfonso Cuarón hatte Carte blanche von Netflix und kehrt mit einem zweistündigen Schwarzweißfilm auf Spanisch in seine Heimat Mexiko zurück. Keine Stars. Der Hype und die Lust ist automatisch da. Hier lautet eher die Frage, ob man sich motivieren können wird, den Film in seinem kurzen Kinofenster auf der Leinwand zu erwischen.

„A Star Is Born“ (Bradley Cooper)
Deutscher Kinostart: 04.10.2018

[Außer Konkurrenz] Hollwood hat den Musical-Stoff von „A Star Is Born“ über einen Profi, der einem schüchternen Nachwuchstalent zum Durchbruch verhilft, immer wieder verfilmt. 1932 machte George Cukor den Anfang. Berühmter ist seine Klassiker-Version von 1954 mit Judy Garland. Es gibt die Geschichte auch mit Kris Kristofferson und Barbra Streisand in den 1970er-Jahren. Jetzt sind Bradley Cooper und Lady Gaga an der Reihe. „Der Film ist absolut brillant und könnte das ganze Festival aufmischen. Er ist ein unglaublicher Zuckerrausch aus tränenreicher Euphorie. Menschen glauben mir nicht, aber es stimmt“, sagt Guardian-Kritiker Peter Bradshaw vor dem Festival in einem kurzen Videocast.

„Lady Gaga electrifies in a Hollywood musical for the ages“, schreibt Robbie Collin vom Daily Telegraph und vergibt die Höchstwertung. Owen Gleiberman erlebt derweil seinen dritten Frühling bei Variety. Der alte Entertainment-Weekly-Recke farbuliert sich gekonnt zum Star unter den Trade-Press-Schreiberlingen: „It’s the fourth remake of the story, but this one has a look and vibe all its own — rapturous and swooning, but also delicate and intimate and luminous.“ Kritiker-Dandy Guy Lodge (Variety) schreibt auf Twitter: „Red-meat melodrama that raised the hairs on my arms exactly where it needed to.“ Stephanie Zacharek vom Time Magazine schreibt auf Twitter: A STAR IS BORN is a terrific modern melodrama.“

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★★★★

„The Sisters Brothers (Jacques Audiard)

[Wettbewerb] Meine französische Lieblings-Kritikerkoryphäe Michel Ciment hat dem Film die Höchstwertung gegeben.

„Sunset“ (László Nemes)

[Wettbewerb] Auch hier gab Michel Ciment die Höchstwertung. Ich kann mich nicht erinnern, dass er in einem internationalen Wettbewerb schon einmal bei vier Filmen fünf Sterne zückte: Roma, The Sisters Brothers, Sunset und The Ballad of Buster Scruggs.

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★★★


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Montag, 27. August 2018
Bully for Oscar? Welche deutschen Filme noch im Oscarrennen sind

Bully macht Geschichtsepos: „Ballon“ ist unter den letzten elf Kandidaten

Wer vertritt Deutschland ab Donnerstag bei den Oscars? Florian Henckel von Donnersmarck, Thomas Stuber, Christian Petzold, Bully Herbig oder die einzige Frau im Aufgebot?

Am Donnerstag wird bekannt gegeben, welcher Film Deutschland in der Kategorie „bester fremdsprachiger Film“ beim Oscar vertritt. Wer folgt auf Fatih Akins „Aus dem Nichts“, der es vergangenen Dezember immerhin auf die Shortlist der Academy Awards schaffte und einen Golden Globe gewann? Ein potenzieller Nachfolger wäre Florian Henckel von Donnersmarcks Comeback „Werk ohne Autor“, der im Wettbewerb von Venedig seine Weltpremiere feiert. Wenn er da nicht völlig verrissen wird, hat dieser Startplatz international die größte Strahlkraft. Der Venedig-Wettbewerb ist dieses Jahr mehr wert als Cannes.

Auch noch in der Vorauswahl dabei sind von der Berlinale das Romy-Schneider-Biopic „Drei Tage in Quiberon“, Thomas Stubers „In den Gängen“, „Das schweigende Klassenzimmer“ und Christian Petzolds „Transit“. Stubers meisterliche Großmarkt-Studie hätte den Vorteil, dass er international schon Anklang gefunden hat, wohingegen „Transit“ bei ausländischen Kritikern eher durchgefallen war. „Drei Tage in Quiberon“ war mit sieben Auszeichnungen der große Abräumer beim deutschen Filmpreis.

Weiter dabei unter den letzten elf Kandidaten und in der Verlosung ist der Filmfest-München-Eröffnungsfilm „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“, Robert Schwentkes „Der Hauptmann“, der seine Weltpremiere in Toronto feierte, „Die Unsichtbaren“ über die letzten Juden, die sich in den 1940er-Jahren in Berlin versteckten, das Roadmovie „Simpel“ und der internationale Animationsfilm „Teheran Taboo“.
Darf Bully Herbig ran?
Die größte Überraschung ist Michael Bully Herbigs neuer Film „Ballon“ über die Flucht zweier Familie aus der DDR in den Westen. Das ernste Geschichtsepos mit Schauspielern wie Friedrich Mücke, Karoline Schuch, Alicia von Rittberg und David Kross bei den Oscars dabei zu haben, wäre wohl Bullys großer Traum. Ein bisschen zu wünschen wäre es ihm ja, dass er nach einigen bizarren Fehlgriffen wie „Zettl“, „Buddy“ oder „Vier gegen die Bank“ zumindest wieder einen leidenschaftlichen Kinotraum auf die Leinwand hinbekommen hat.

Die Liste (elf Kandidaten):

* 3 TAGE IN QUIBERON (Emily Atef)
* BALLON (Michael Bully Herbig)
* DER HAUPTMANN (Robert Schwentke)
* IN DEN GÄNGEN (Thomas Stuber)
* MACKIE MESSER – DER DREIGROSCHENFILM (Joachim A. Lang)
* DAS SCHWEIGENDE KLASSENZIMMER (Lars Kraume)
* SIMPEL (Markus Goller)
* TEHERAN TABU (Ali Soozandeh)
* TRANSIT (Christian Petzold)
* DIE UNSICHTBAREN (Claus Räfle)
* WERK OHNE AUTOR (Florian Henckel von Donnersmarck)

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Lanthimos' „The Favourite“ läuft in Hamburg

Emma Stone in „The Favourite“ | © 2018 Twentieth Century Fox Film Corporation. All Rights Reserved.
So langsam werden die Karten für das Filmfest Hamburg aufgedeckt: Der isländische Eröffnungsfilm „Gegen den Strom“ steht, wird aber überstrahlt durch die Premiere von Yorgos Lanthimos' Film „The Favourite“.

Der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos und das Filmfest Hamburg führen eine innige Beziehung: Nachdem bereits „The Lobster“ und „The Killing of the Sacred Deer“ auf dem Festival in Deutschland gezeigt wurden, läuft sein neuestes Werk „The Favourite“ auch in der Hansestadt. „In seinem Historienfilm entspinnt Lanthimos ein dichtes Netz von Intrigen, Neid und Verrat am englischen Hof des 18. Jahrhunderts“, schreibt das Filmfest Hamburg, das vom 27. September bis 6. Oktober stattfindet. In den Hauptrollen zu sehen sind Olivia Colman, Emma Stone, Nicholas Hoult und Rachel Weisz.

Nach seiner Weltpremiere in Venedig ist „The Favourite“, der bereits als Oscarkandidat gehandelt wird und eines der heißesten Kinotickets des Herbstes ist, nur wenige Wochen danach in Hamburg zu sehen. Der Film läuft in der Sektion Kaleidoskop und kommt voraussichtlich am 3. Januar 2019 durch den Verleih Twentieth Century Fox deutschlandweit in die Kinos. Der erste Trailer erinnert an Kubricks „Barry Lyndon“, die scharfen Aristokratie-Satiren eines Jonathan Swift und die britischen Komödiengiganten Richard Lester und Ken Russell. Es ist das erste Drehbuch, das Lanthimos nicht selbst, sondern Deborah Davis und Tony McNamara geschrieben haben.
„Bella Martha“-Regisseurin in Hamburg
Auch sehr spannend ist der zweite Film, den das Filmfest Hamburg für die deutsche Sektion Große Freiheit bekannt gegeben hat: Nach Aline Chukwuedos Debütwerk „Ella & Nell“ ist Sandra Nettelbecks Komödie „Was uns nicht umbringt“, der in Locarno seine Weltpremiere auf der Piazza Grande feierte, der nächste Kandidat auf die 25.000 Euro Preisgeld. Der Film erzähle von „melancholischer Heiterkeit, Sinnkrisen und Herzensangelegenheiten in der Mitte des Lebens“. Die Hauptrollen spielen August Zirner, Johanna ter Steege und Barbara Auer. „Was uns nicht umbringt“ wird vom Verleih Alamode am 15. November in die deutschen Kinos gebracht.

Eröffnet wird das Filmfest am 27. September von dem isländischen Film „Gegen den Strom“. Der Film von Benedikt Erlingsson erzählt von einer Öko-Terroristin, die gleichzeitig einen Chor leitet und ein Kind aus der Ukraine adoptieren will. Das Drama hatte seine Weltpremiere bei der Woche der Kritik auf dem Filmfestival in Cannes.

Das Filmfest Hamburg findet vom 27. September bis 6. Oktober statt. Das komplette Programm wird am 11. September bekannt gegeben.

Links: - „Ella & Nell“| - Podcast 2017 | - Geheimtipp „Leto“

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Samstag, 25. August 2018
3sat zeigt vergessenes Käutner-Meisterwerk „Schwarzer Kies“

Helmut Wildt in „Schwarzer Kies“ | © ZDF, Gabriele Du Vinage
Der Sender 3sat setzt im September auf deutschsprachige Nachkriegsperlen wie den genialen Film noir „Schwarzer Kies“.

Im September präsentiert der Sender 3sat sieben Schätze aus dem deutschen, österreichischen und Schweizer Nachkriegskino. Das Highlight dürfte Helmut Käutners Film „Schwarzer Kies“ sein, der am 7. September um 22.25 Uhr ausgestrahlt wird. Das Meisterwerk über die dunklen Machenschaften eines Kiesfahrers im Hunsrück wurde im Jahr 2016 in der Retrospektive „Geliebt und verdrängt: Das Kino der jungen BRD von 1949 bis 1963“ auf dem Filmfestival in Locarno international wiederentdeckt. Das Deutsche Filmmuseum brachte diese epochale Filmschau dann nach Deutschland.

Zu den weiteren Werken, die 3sat programmiert hat, gehören Harald Brauns „Der gläserne Turm“ (09.09., 16.50 Uhr) nach dem Roman von Wolfgang Koeppen, die internationale Co-Produktion „Die Vier im Jeep“ mit Ralph Meeker (04.09., 22.35 Uhr), die im Jahr 1951 den Goldenen Bären in Berlin gewann, und Georg Wilhelm Pabsts Hitler-Film „Der letzte Akt“ (05.09., 22.25 Uhr). Alle Filme findet man auf der Seite von 3sat.

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Samstag, 11. August 2018
NSU-Film „Wintermärchen“ kontrovers in Locarno aufgenommen

Lars Eidinger (l.) in „Wintermärchen“ | © Heimatfilm
Bei Jan Bonnys neuem Film „Wintermärchen“ gehen die Meinungen im Wettbewerb von Locarno weit auseinander. Egal, ob negativ oder positiv – die Texte klingen nach einem spannenden Werk über die rechtsradikale Terrorzelle NSU.

Jan Bonnys Film „Wintermärchen“ ist der enzige deutsche Beitrag im internationalen Wettbewerb von Locarno. Er feierte seine Weltpremiere am Freitag, einen Tag, bevor das Festival zuende geht. Ein bisschen schade, könnte man denken, weil die spät gezeigten Werke auf Festivals nicht mehr das ganze Rampenlicht abbekommen. „Es gab keine Möglichkeit, den Film früher zu programmieren“, sagt Festivalchef Carlo Chatrian auf Twitter: „Der Regisseur musste sich beeilen, um ihn rechtzeitig für Locarno fertigzubekommen.“ Das mit heißer Nadel fertiggestrickte „Wintermärchen“ sorgt aber trotz des Termins für Aufregung.

Im Film geht es um Becky, Tommi und Maik, die eine rechtsradikale Terrorzelle gründen. In den Untergrund abgetaucht träumen sie von deutschlandweiter Bekanntheit. Es entspinnt sich eine komplexe Beziehung aus Liebe, Hass und Freundschaft, die zu Zerstörung und einer Serie von Gewaltverbrechen führt. Die Hauptrollen spielen Thomas Schubert, Ricarda Seifried und Jean-Luc Bubert. Regisseur Christian Schwochow („Bad Banks“) drehte über die gleiche Thematik im Jahr 2016 „Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“ als Teil der NSU-Trilogie der ARD. Fatih Akin widmete sich dem Thema im vergangenen Jahr mit seinem Golden Globe prämierten Film „Aus dem Nichts“.
„Ein unbedingt hässlicher Film“
Von großem Lob bis zum totalen Verriss ist unter den ersten Reaktionen zu „Wintermärchen“ in Locarno alles dabei. Das ist dann immer der seltene Fall, dass deutschsprachige Publikationen schneller arbeiten als die Trade Press. Hannah Pilarczyk schreibt zum Beispiel bei Spiegel Online, dass gegen Jan Bonnys neuen Film sogar der dauergefeierte argentinische 14-Stünder „La Flor“ verblasst: „Wintermärchen ist ein unbedingt hässlicher Film, ein grenzenlos hässlicher Film.“ Das meint die Kulturredakteurin als Kompliment. Ähnlich begeistert ist Frédéric Jaeger auf critic.de: „Mit brutaler Klarheit und faszinierender Lebhaftigkeit setzt uns Bonny diesem Gefüge aus, wirft uns in die banale Intimität der Gestörten.“

Kritischer betrachtet den Film die Schweizer Presse. Michael Sennhauser vom SRF schreibt zum Beispiel: „Mit der plakativen, pornografischen Reduktion erinnert Jan Bonnys Film an die schlechteren Fassbinder-Epigonen, auch wenn der Irrsinn der emotionalen Unlogik hin und wieder schlagend gefasst wird.“ Für ihn leistet das Werk inhaltlich nicht viel mehr, als das, was der Ärzte-Song „Schrei nach Liebe“ bereits 1993 getan hat. Noch härter ins Gericht geht mit „Wintermärchen“ die NZZ-Kritikerin Denise Bucher auf Twitter: „Wintermärchen ist der Tiefpunkt im Wettbewerb des Festival von Locarno. Das Drama dient dem Regisseur als Mittel, um sich selbst als Provokateur zu inszenieren. Die Auseinandersetzung mit Rassismus bleibt bloße Behauptung.“

Zusammenfassend lässt sich festhalten: „Wintermärchen“ von Jan Bonny hat die Kritiker nicht kalt gelassen. Gegensätzliche, leidenschaftlich vertretene Ansichten zu einem Film machen diesen letztlich nur interessanter. Bonnys TV-Film „Über Barbarossaplatz“ war bereits äußerst faszinierend gelungen. Die Weltvertriebsrechte an „Wintermärchen“ hat sich The Match Factory gesichert. Produziert wurde der Film von Bettina Brokemper von Heimatfilm („Wild“, „The House That Jack Built“). Der amerikanische Regisseur Sean Baker („The Florida Project“), der in der Jury für den Locarno-Wettbewerb saß, schreibt über „Wintermärchen“ bei Letterboxd: „Starke Regie, Schauspielleistungen und Kamera. Ich hoffe, dass der Film einen Verleih bekommt, weil er definitiv Diskussionen hervorrufen wird.“

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Freitag, 10. August 2018
Locarno 2018: „Trote“ (Xacio Baño)

María Vázquez in „Trote“ | © Frida Films
Der Spanier Xacio Baño erzählt in seinem Debütfilm „Trote“ atemberaubend schön vom tristen Alltag einer Familie, die wegen eines Schicksalsschlags auseinanderzubrechen droht. Vielleicht ist das aber für alle Beteiligte auch besser so.

Xacio Baños spanischer Debütfilm „Trote“ schildert in unfassbar atmosphärischen Bildern den Zerfall einer Familie in der Küstenregion Galicien nahe der Hafenstadt Vigo. Teil des Vergnügens und der inneren Spannung ist es dabei, selbst herauszufinden, wie die Personen zueinander stehen und was überhaupt passiert. So viel sei gesagt: Es gab einen Autounfall, bei dem die Mutter verstarb und sich die erwachsene Tochter Carme (fantastisch: María Vázquez) verletzte. Gleichzeitig steht das Rapa das Bestas an, ein jahrhundertealter galicischer Brauch, bei dem in der ersten Juliwoche die Wildpferde aus den Bergen hinabgetrieben, geschoren und markiert werden. Der Vater ist für das Erhitzen der Brandzeichen zuständig.

Das Werk feierte seine Weltpremiere am 8. August in der Sektion Concorso Cineasti del presente auf dem Filmfestival von Locarno. Regisseur Baño inszeniert sehr eigen und auch reif, hat bereits eine ausgeprägte Bildsprache. Das Fundament, von dem aus er erzählen will, ist noch relativ dünn. „Trote“, was übersetzt „Trab“ bedeutet, geht unter 83 Minuten. Aber wie er die angerissenen Biografien und Konflikte der Figuren erzählt, ist sehr kunstvoll und mit der Leichtigkeit eines erfahrenen Auteurs inszeniert. Bei ihm wird der Gang durch ein Kornfeld sinnlich erfahrbar, wenn er seine Protagonisten auf Hüfthöhe filmt. Die eine Hälfte des Bildes hängt im Feld, die andere Hälfte klebt an den Hüften seiner Figuren. Als ob er die Hand des Zuschauers über das Feld streicheln lässt.

Die verschrobene Familie ist wortkarg. Die Dialoge sind eigentlich die Blicke untereinander oder eben die fehlenden Blicke, wenn sie abgehackt miteinander reden. So wie die Zeit in diesem Dorf stehen geblieben ist, so brechen die alten Strukturen der Familie nur sehr langsam und unter lautem Ächzen und Stöhnen auf. Der 35-jährige Baño ist ein Regisseur, den es zu beobachten gilt. Er bringt eine erstaunliche visuelle Erzählgabe mit. Bei ihm haben Besäufnisse auf schlichten Dorffesten bereits einen existenzialistischen Anklang. Er bringt atemberaubende Schönheit und herzzereißende Tristheit gekonnt zusammen. „Trote“ ist ihm schon sehr sehenswert gelungen.

Link: - Empfehlung „Sophia Antipolis“ | - Chatrians Geschmack

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Donnerstag, 9. August 2018
Weitere Cannes-Schwergewichte auf dem Filmfest Hamburg

Der Filmtitel "Leto" heißt übersetzt "Sommer"

Der russische Überaschungserfolg in Cannes, "Leto", und das neue Werk von Jafar Panahi laufen auf dem Filmfest Hamburg.

Nachdem bereits die Filme "Dogman" und "The Wild Pear Tree" aus dem Cannes-Wettbewerb für das Filmfest Hamburg im September gemeldet wurden, gibt es jetzt Nachschub. Auch Kirill Serebrennikovs Cannes-Geheimtipp "Leto" kommt in die Hansestadt. Der Film fühle sich an wie Traumurlaub mit wundervollem Soundtrack, schreibt das Filmfest: "Auf bestechend charmante und unbeschwerte Weise nimmt der Film die Zuschauer mit in den Musik-Underground von Leningrad zu Beginn der 1980er-Jahre, in eine Welt, in der die unbändige Leidenschaft für Rock und Pop im Lebensmittelpunkt steht, in der der Schwarzmarkt um Platten von David Bowie und T-Rex boomt." Regisseur Serebrennikov steht seit dem 22. August 2017 unter Hausarrest in Russland. Den Film drehte er über Regieanweisungen per Skype.

Der zweite jetzt bekannt gegebene Film aus Cannes heißt "Three Faces" und ist von Jafar Panahi. Der hat Berufsverbot seit 2010, was den Iraner aber nicht davon abhält, regelmäßig neue Werke auf die Filmfestivals dieser Welt zu schmuggeln. "Der Film erzählt von drei iranischen Schauspielerinnen in unterschiedlichen Karrierephasen und den Schwierigkeiten, die sie haben, ihren Beruf auszuüben", schreibt das Filmfest. Weitere mögliche Kandidaten aus dem Wettbewerb von Cannes wären aufgrund ihrer deutschen Starttermine oder der Präferenz des Filmfests: "Sorry Angel", "Image Book", "Cold War" und "Knife + Heart".

Das Filmfest Hamburg findet vom 27. September bis 6. Oktober statt. Das komplette Programm wird am 11. September bekannt gegeben.

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Montag, 6. August 2018
Locarno 2018: „Sophia Antipolis“ (Virgil Vernier)

Lilith Grasmug in „Sophia Antipolis“| © Kazak Productions
Der französische Regie-Geheimtipp Virgil Vernier hat endlich einen neuen Film herausgebracht. Auf dem Filmfestival von Locarno erzählt er in „Sophia Antipolis“ poetisch-melancholisch vom Schicksal eines ermordeten Mädchens.

Beim Regisseur Virgil Vernier („Mercuriales“) stehen oft junge Frauen im Mittelpunkt des Geschehens. Gleichzeitig sind seine Werke melancholische, sehnsuchtsvolle Zustandsbeschreibungen einer französischen Gesellschaft, die sich in den Protagonisten spiegelt. In Verniers neuem Film „Sophia Antipolis“, der am 3. August seine Weltpremiere in Locarno gefeiert hat, ist die junge Frau, um die es geht, bereits tot. Ihre Leiche konnten die Polizisten in einem Bürogebäude des Technologieparks in der Nähe von Nizza nicht mal mehr auf die genaue Todesursache untersuchen. Denn es war nur verbrannte Asche zurückgeblieben.

In kreisförmigen, nicht sofort nachvollziehbaren Erzählbewegungen nähert sich Vernier dem Schicksal des Mädchens: Zuerst zeigt er scheinbar dokumentarische Aufnahmen von Frauen, denen ein Schönheitschirurg umgehend die Brüste vergrößern lassen soll. Denn die Ermordete, die den Namen Sophia trägt, war auch an solch einer Operation interessiert. In einer anderen Episode begegnet der Zuschauer einer mit 19 Jahren nach Frankreich ausgewanderten Vietnamesin. Über eine Beziehungsvermittlung geriet sie an einen deutlich älteren, gut situierten Freund, der aber verstarb. Jetzt thront sie in dem von ihm vererbten Apartment über der Stadt. Ihr leeres Leben beginnt sich zu füllen, als sie bei einer Art Sekte mitmacht, die das Ende der Welt voraussagt. Einen der schönsten Tage hat sie, als sie mit einem Gemeindemitglied von Tür zu Tür geht, fortwährend abgewiesen wird und am Abend gemeinsam ein Eis am Strand isst.
Aus Träumen wurden echte Alpträume
Vernier zeichnet diese Mini-Porträts pointiert, gibt uns kurze Schlaglichter auf das trübe Leben in diesem Ort, der mit seinem malerischen Strand und den zahlreichen Industriefirmen einmal als leuchtendes Beispiel des technischen Fortschritts gedacht war. Hier werden aus Träumen noch echte Alpträume.

Für den Zuschauer gibt es immer wieder kleine Hinweisbrocken zum möglichen Schicksal des toten Mädchens über die Biografien der Menschen, die auch im Technikpark Sophia Antipolis leben. Dabei ist es angenehmerweise immer recht schwer zu unterscheiden, was davon gespielt (wohl das meiste) oder in einem günstigen Moment aufgenommen wurde. Es gibt zum Beispiel eine bizarr faszinierende Präsentation von Schwerterkopien aus „Der Herr der Ringe“, die allein schon das Eintrittsgeld wert ist. Auch nimmt der Film den Zuschauer mit in eine Clique von gestählten Sicherheitsbeamten, die sich zu einer rücksichtslosen Bürgerwehr aufschwingen.

„Sophia Antipolis“ hat als Film einen starken Nachhall. In seinen Atmosphären und Bildern sagt er mehr über die Menschen und ihre emotionale Verfassung aus, als sie es in Dialogen selbst ausdrücken könnten. Seine Stimmungen sind so zerbrechlich wie seine Figuren. Das galt schon für den vor vier Jahren herausgekommenen „Mercuriales“, der von zwei Rezeptionistinnen in einem Pariser Vorort erzählte. Verniers Filme funktionieren eher wie Gedichte – wunderschöne, sehr sinnliche, zutiefst traurige Gedichte über das Scheitern des Menschen in der modernen Gesellschaft. Glück flackert hier immer nur ganz kurz auf und erlischt umso gnadenloser.

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