Sonntag, 18. Februar 2018
Von Hunden und Katzen

„Isle of Dogs“ | © 2018 Twentieth Century Fox
Die ersten Highlights der Berlinale sind die emotionale Stop-Motion-Achterbahnfahrt „Isle of Dogs“ und die japanische Dokumentation „Inland Sea“ über das Geheimnis des Altwerdens.

In „Isle of Dogs“, dem Eröffnungsfilm der 68. Berlinale, schaut sich die amerikanische Austauschschülerin Tracy, die Greta Gerwig spricht, die Geschichte des japanischen Jungen Atari an. Sie hat dafür Skizzen, Zeitungsartikel und Landkarten an die Wand gepinnt. Während sie seine abenteuerliche und bizarre Suche nach seinem Lieblingshund Spots nachvollzieht, wird ihr plötzlich klar, dass sie sich in Atari verliebt hat. Bei dem neuen Wes Anderson ist es mir ganz ähnlich gegangen. Neuverliebt müsste man sagen, denn seit „The Royal Tenenbaums“ bin ich Fan dieses eigensinnigen Erzählstils, der bereits in seinem famosen Debütfilm „Bottle Rocket“ angelegt war und sich auch durch schwächere Werke wie „The Darjeeling Limited“ und „The Life Aquatic“ zieht.

Bei „Isle of Dogs“ treffen Andersons Kapitelstruktur, die dysfunktionalen Familien und fehlenden Vaterfiguren, die statische Kameraeinstellung, die sich in Bewegung auflöst, die opulent-satirischen Details und die Liebe für Off-Kommentare zum zweiten Mal auf die Realität. Spielte „The Grand Budapest Hotel“ noch in der Republik Zubrowka, die deutlich an eine Mischung aus Donaumonarchie und Deutschem Reich vor dem Ersten Weltkrieg angelegt war, geht „Isle of Dogs“ noch einen Schritt weiter. Eine katzenliebende und hundehassende Führungsdynastie im Japan der nicht allzufernen Zukunft hat mit Hilfe von Propaganda und Manipulation alle Wauwaus des Landes auf eine einsame Insel verbannt. Nur der Ziehsohn des Oberfaschisten, nämlich Atari, kann die Hunde davor retten, dass sie nicht an den grassierenden Seuchen zwischen den Müllbergen elendig zugrunde gehen.
Manieren stoppen Weltuntergang
Von den ersten rhythmischen, dann immer dramatischer werdenden Trommelschlägen bis zum tränenreichen Schluss hat mich dieser meisterliche Stop-Motion-Anime gepackt. Akira Kurosawa und Hayao Miyazaki sollen Anderson dabei inspiriert haben. Er entwirft aber seine ganz eigene Dystopie. Es sind die Manieren und die Moral seiner Protagonisten, welche die Welt vor dem Untergang bewahren. Ich bin jetzt schon gespannt, wenn Anderson mit Italien unter Mussolini seine Trilogie über autokrate Systeme zuende bringen sollte.

Dem Eröffnungsfilm des eigenen Programms kommt eine besondere Verantwortung zu: Er setzt den Ton und die Erwartungshaltung für das, was noch kommen wird. Wenn die Eröffnung wie bei „Isle of Dogs“ geglückt ist, kann das einen durch ein ganzes Festival tragen – oder zumindest soweit, bis man letztlich merkt, dass der Rest des Programms ein Reinfall ist. Aber das scheint bei dieser Berlinale nicht der Fall zu sein.

„Inland Sea“ | © 2018 Laboratory X, Inc.
Arbeit und Struktur
Denn ein anderes Highlight des ersten Tages war die bewegende japanische Schwarzweiß-Dokumentation „Inland Sea“ von Kazuhiro Soda. Ein bisschen Ausdauer und Sitzfleisch braucht es bei zwei Stunden Laufzeit. Dafür weiht der Film den Zuschauer in das Geheimnis des Altwerdens ein. Wenn man den beiden über 90-jährigen Protagonisten im japanischen Fischerdorf Ushimado bei ihren alltäglichen Routinen beim Fischefangen und -verkaufen zuschaut, wird schlagartig klar: Die beste Medizin für den Körper ist es, den Kopf durch Arbeiten beschäftigt zu halten. So hat er gar keine Zeit für das Sterben.

An zwei meiner Lieblingsbücher der vergangenen Jahre musste ich dabei häufiger denken: „Arbeit und Struktur“ von Wolfgang Herrndorf über den berühmten Autor, dem sein Arzt bei der Diagnose des Gehirntumors mit auf den Weg gab, nicht mit dem Arbeiten aufzuhören. Außerdem erinnerten mich die detailliert und mit viel Liebe und Zuwendung geschilderten Arbeitsvorgänge auf dem Fischkutter in „Inland Sea“ an Michel Houellebecqs Buch „Karte und Gebiet“. Darin hält ein fiktiver Künstler auf seinen Gemälden die aussterbenden Handwerksberufe der Menschen fest.
Die Bitterkeit des ewigen Lebens
„Inland Sea“ verbindet diese beobachtende Hommage an das Handwerk und den Kampf gegen den Tod mit der bitteren Erkenntnis, dass so alt zu werden, auch viele Nachteile mit sich bringt: Der alte Fischer ist nahezu taub, er schimpft über die zusammengebrochenen Fischpreise für Rotbarsche, darüber, wie teuer heute Netze geworden seien. Auch gibt es kaum noch Angehörige, Freunde und Lebenspartner – alles, was einmal wichtig war, ist inzwischen verstorben. Wofür, fragt man sich, lohnt es sich dann noch, so lange am Leben zu bleiben? Zumal die alte Fischverkäuferin zwar quicklebendig erscheint, aber ein herzzerreißendes Schicksal mit sich herumschleppt, dass sie zu einer gepeinigten Seele auf Erden macht. Unter der freundlichen Oberfläche lauern die Abgründe, wenn der Dokumentarfilmer nur lange genug zuhört.

Trost spenden im Fischerdorf die herumstreunenden Katzen, die unter den Einheimischen Sympathisanten gefunden haben. Die kochen ihnen regelmäßig aus Fischabfällen und Reis ein Festmahl. Die Katzen danken es dem Fischerdorf und seinen Einwohnern mit ihrer Anwesenheit – und der für Katzen so typischen Gleichgültigkeit. Japan ist nicht nur in Wes Andersons Stop-Motion-Dystopie das Land der Katzen.

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