Montag, 26. Februar 2018
Warum Astrid Lindgren eine der besten Kinderbuchautorinnen aller Zeiten wurde

Die junge Astrid Lindgren (Alba August) | © Erik Molberg Hansen
Ein kommender europäischer Superstar ist auf der Berlinale durchgestartet: Die Dänin Alba August ist zum Niederknien gut im Astrid-Lindgren-Biopic „Becoming Astrid“.

In der schwedischen Ortschaft Vimmerby hat Familie Ericsson wieder einen angestrengten Sonntagmorgen in der Kirche hinter sich gebracht. Der Pfarrer warnte in seiner Predigt vor den Sünden der biblischen Städte Sodom und Gomorra. Auf dem verschneiten Nachhauseweg greift die älteste Tochter Astrid (Alba August) die Städte auf: Aus reinem Zeitvertreib erschafft sie für ihre Geschwister daraus eine fantasievolle Geschichte über zwei Völker. Eines, das zu jeder Tageszeit „Guten Morgen“ sagt, das andere, das immer Soda trinkt. Diese Astrid wird später heiraten, Astrid Lindgren heißen und einer der berühmtesten Kinderbuchautorinnen aller Zeiten werden. Aber in diesem Moment beweist Astrid Kreativität, um ihren Geschwistern die Langeweile zu vertreiben. Auch weil das schwedische „Guten Morgen“ sehr wie die Stadt Gomorra klingt. Das bringt ihr von der gestrengen Mutter Hanna (Maria Bonnevie) strafende Blicke und einen Rüffel ein. Das Talent allerdings ist offensichtlich. So verschafft Vater Samuel seiner Tochter eine Stelle als Schreibkraft bei der örtlichen Tageszeitung.

Das wundervolle Biopic „Becoming Astrid“ erzählt, wo die geheime Quelle für Astrid Lindgrens Kreativität und überbordende Fantasie liegt. Es ist weniger eine traumhafte Kindheit, aus der sich die Romane um Michel, Ronja Räubertochter, Pippi Langstrumpf und Karlsson vom Dach speist. Die Triebfeder ist eine missglückte Affäre mit dem älteren Zeitungschefredakteur Blomberg (Henrik Rafaelsen), der sie schwängert. Aus Rücksicht auf seinen Scheidungsprozess gibt sie ihr Neugeborenes weg nach Dänemark.

Astrid beim Tanztee | © Erik Molberg Hansen
Alba August: A Star Is Born
Der Film ist schlicht und klassisch erzählt – mit wunderschönem Score und prachtvollen Landschaften. Der dänische Shooting Star Alba August trägt ihn als junge Astrid Lindgren. Es ist aufregend, August dabei zuzusehen, wie sie die Szenerien beherrscht. Wie sie vom Mauerblümchen, das beim Tanztee nie ausgewählt wird, zur talentierten Journalistin wächst, die eine einfache Zugreise in den 1920er-Jahren zum sinnlichen Ereignis des Jahres hochschreiben kann. Wenn sie beim Tanztee von den Knaben ignoriert wird, weil es immer eine schönere Tanzpartnerin gibt, schnappt sie sich halt eine andere Sitzengelassene und tanzt mit ihr auf dem Parkett. Oder sie wirbelt ganz allein und stilvoll über die Tanzfläche, die anderen Paare ignorierend. Alles, was August als Astrid macht, macht sie mit Lust: Sich eine moderne Frisur nach einer deutschen Frauenzeitschrift schneiden zu lassen, die ersten Tippversuche auf der Schreibmaschine, die mit charmanten Tintenspuren auf der Stirn enden oder die Affäre mit dem in Scheidung lebenden Blomberg. Das Spannende an Augusts Performance ist wohl, dass man ihrer Figur beim Denken zuschauen kann und dass sie sich vollkommen für die Rolle hingibt. Sie spielt mit der berüchtigten Hans-Albers-Haltung: Platz da, jetzt komme ich. Aber sie spielt diese Haltung subtiler.

So viel Freiheit wird im protestantisch geprägten Schweden nach dem Ersten Weltkrieg jedoch perfide bestraft. Die Moral treibt Astrid zu einem folgenreichen Schritt: Damit Blomberg nach der ungeplanten Schwangerschaft keine Unannehmlichkeiten im Scheidungsprozess hat – er behauptet, er könne deswegen ins Gefängnis kommen –, gibt Astrid ihr Kind zu einer Leihmutter (Trine Dyrholm) nach Dänemark. Da beginnt das große Melodrama des Films, das einem das Herz zerreißt. Mit jedem Monat, in dem Astrid ihr Kind nicht zurückholen kann und es sich mehr von ihr entfremdet, wird klarer, wo die Kindergeschichten der Astrid Lindgren ihren Ausgangspunkt genommen haben. Es sind allesamt Geschichten, mit denen sie wieder das Herz ihres eigenen Kindes zurückerobern wollte. „Becoming Astrid“ ist auch so gut gelungen, weil sich der Film als Biopic auf eine kurze intensive Zeitspanne in Astrid Lindgrens Leben fokussiert, die relativ unbekannt für ihre treue Leserschaft ist und gleichzeitig viel von ihrer Biografie erklärt.

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