Sonntag, 12. Februar 2017
Berlinale 2017: Doku-Perle "Aus einem Jahr der Nichtereignisse"

Willi dreht seine Runde © joon film
Willi Detert ist einer der Stars der noch jungen 67. Berlinale. Der fast 90-Jährige ist der Protagonist der sehr sehenswerten Dokumentation "Aus einem Jahr der Nichtereignisse". Eine Filmkritik von Michael Müller

André Bazin, der Ziehvater der Cahiers du Cinema und Schutzheiliger der Nouvelle Vague, gesteht dem Medium Film eine ganz besondere Bedeutung zu. In seinem Buch "Was ist Film?" erklärt er, dass die Erfindung des Films nur die logische Weiterentwicklung des menschlichen Strebens sei, unsterblich zu werden. So wie schon die Höhlenmenschen mit ihren Wandzeichnungen einen bleibenden Eindruck auf dieser Erde hinterlassen wollten, sei der Film das Medium, was diesem Menschheitstraum im 20. Jahrhundert am nähesten gekommen sei.

Gummilatschen im Gartenmatsch. Eine vor Überforderung aufquietschende Gehhilfe, die Willi Detert mit Entschlossenheit durchs Unterholz treibt. Geht nicht, gibt's nicht. Der fast 90-Jährige, der allein auf seinem Bauernhof in Norddeutschland lebt, ist der Hauptdarsteller der Dokumentation "Aus einem Jahr der Nichtereignisse". Wenn Willi will, kommt er auf seinem Hof noch überall hin, selbst da, wo das Kamerateam bereits aufgegeben hat. Und allein ist er nicht wirklich. Hat er doch seine Tiere, vor allem die Katze Muschi und die Erinnerungen an ein langes Leben.
Ein Mann von Welt
Die beiden deutschen Regisseure Hans-Christian Schmid und Dietrich Brüggemann warten geduldig vor dem Arsenal-Kino, um auch noch Plätze zu erhaschen. Die Vorstellung im Forum ist nahezu ausverkauft. Auf der Leinwand ist Willi auf Englisch untertitelt. Das gibt den "Nichtereignissen" ein internationales Flair – und hilft auch beim Verstehen. Das ist nicht nur Willis Dialekt und seiner charmant schnoddrigen Art geschuldet, sondern auch den technischen Umständen, unter denen diese Dokumentation entstanden ist.

Später erzählen die beiden Filmemacher der Doku, Ann Carolin Renninger und René Frölke, warum sie unbedingt mit einer Kamera drehen mussten, die am Stück nur eine halbe Minute aufzeichnen kann. Sie erklären auch die Schwarzbilder und die Tonaussetzer. Aber eigentlich will man das gar nicht mehr wissen. Das grobkörnige, unscharfe Zeitdokument spricht für sich. Es hat Willi Detert verewigt; seine Alltagsroutinen; den Besuch eines Geburtstags mit Marzipantorte; den Gang zur Gefriertruhe; das Kraulen seiner Katze; die Kriegserinnerungen an Monte Cassino. "Aus einem Jahr der Nichtereignisse" dampft das Leben auf das Wesentliche runter. Es ist ein kontemplatives Highlight der diesjährigen Berlinale.

Link: - Lukas Foerster über Aus einem Jahr der Nichtereignisse

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