Freitag, 20. Januar 2017
Berlinale-Programm quillt über vor Verheißung

"Hao ji le" © Internationale Filmfestspiele Berlin
Das Überangebot der Berlinale 2017 wird offensichtlich, wenn der Blick über die drei neuen Wettbewerbsfilme, aber vor allem die Nebenreihen des Festivals schweift. Ein chinesischer Zeichentrick und das neue Serien-Projekt von Marvin Kren stehen im Fokus.

Man kommt gar nicht mehr hinterher. Die Veröffentlichungsfrequenz von Programmdetails hat sich in den vergangenen Tagen schwindelerregend erhöht. Es geht auf die Schlussgerade. Gerade so ist es noch möglich, sich bei jedem neuen Titelaustoß ein, zwei Filme zu notieren, die es auf der Berlinale auf jeden Fall zu sehen gilt.

Ich lag mit meiner Ahnung richtig, dass das noch nicht alles war, was Dieter Kosslick im Wettbewerb aufbieten wollte. Drei Ergänzungen sind heute abschließend hinzugekommen. Auf den ersten Blick erscheinen sie unspektakulär zu sein: Ein chinesischer Zeichentrick, ein neuer Catherine-Deneuve-Film und ein Star-Ensemble für den Roten Teppich mit einem Schauspieler als Regisseur.
"Einen schönen Tag noch" auf Chinesisch
Aber gerade der chinesische Zeichentrick hat es mir angetan, obwohl ich bislang nur ein einziges Bild (siehe oben) kenne. "Hao ji le", der den deutschen Titel "Einen schönen Tag noch" trägt und - soweit ich weiß - noch keinen internationalen Verleihtitel, geschweige denn einen IMDb-Eintrag besitzt, zieht mich magisch an. Zeichentrickfilme im Berlinale-Wettbewerb sind selten. Ich erinnere mich spontan vorerst nur an Hayao Miyazakis Meisterwerk "Spirited Away". Was mich aber für Liu Jians Werk sofort einnimmt, ist der Zeichenstil. Als ob Ralph Bakshi wieder auf die Filmbühne zurückgekehrt wäre. Kunstvoll und doch realistisch und dabei sofort in die Erwachsenenwelt zu verorten. Liu Jians Debüt "Piercing I" gibt es übrigens bei YouTube ansehen.

Bei Catherine-Deneuve-Filmen auf der Berlinale habe ich dagegen so meine Vorbehalte. "Ein Kuss von Béatrice" könnte eventuell auch nur eingeladen worden sein, damit die Grande Dame vorbeischaut. Wenn man pessimistisch herangeht. Im besten Fall gilt es, die ersten Bewegtbilder und die Inhaltsangabe abzuwarten. Und "Final Portrait" von Stanley Tucci sieht schon sehr nach Wettbewerbsleiche aus, siehe den stargespickten Cast mit Geoffrey Rush, Armie Hammer, Clémence Poésy, Tony Shalhoub und Sylvie Testud. Aber wer weiß.
James Gray in da house
Deutlich spannender ist da die internationale Premiere von James Grays neuem Film "The Lost City of Z". Charlie Hunnam ("Sons of Anarchy") spielt einen britischen Offizier, der sich im südamerikanischen Dschungel auf Entdeckungsreise begibt. Der amerikanische Auteur Gray, den die Franzosen feiern, wandelt hier offensichtlich auf den Spuren von Werner Herzogs "Aguirre", "Fitzcarraldo" und "Cobra Verde".

Die Weltpremiere war im Herbst auf dem New York Festival. Gesehen haben den Film aber wenige. Die ihn gesehen haben, fanden ihn dafür außergewöhnlich. Todd McCarthy schrieb eine hymnische Besprechung im Hollywood Reporter. Das wird auf jeden Fall ein Highlight der Berlinale 2017 in der Special-Reihe, die immer für die ein oder andere Entdeckung gut ist. Die mexikanische Dokumentation "Devil's Freedom" über den Drogenkrieg im Land hat ein Filmstill, bei dem es einem eiskalt den Rücken runter läuft. Der ist auch vorgemerkt.
Anregende Serien-Weltpremieren
Die Serienabteilung sieht spannend aus: Ich bin großer Fan von Marvin Kren. Stichwort "Rammbock", "Blutgletscher" und ganz besonders "Mordkommission Berlin 1". Kren ist ein wahnsinniges Genre-Talent. Die Berlinale zeigt seine TV-Serie "4 Blocks", die im Frühjahr auf TNT Serie laufen soll. Die Serie erzählt in sechs Episoden eine Geschichte um Freundschaft und Familie, Verrat und Schuld im Milieu eines arabischen Clans in Berlin-Neukölln.

Dazu gibt es das neue Serien-Projekt des "Unsere Mütter, unsere Väter"-Regisseurs Philipp Kadelbach, "SS-GB". Die Serie basiert auf dem Roman eines meiner liebsten britischen Agentenbuch-Autoren, nämlich Len Deighton ("Game, Set & Match"-Trilogie). Das scheint ein ähnlich konterfaktisches Geschichtsprojekt zu sein wie "The Man in the High Castle". Auch eine Serie von Oliver Hirschbiegel mit Tom Schilling, "Der gleiche Himmel", schlägt hier auf. Woher soll man die Zeit nehmen, das alles zu sehen. Ganz zu schweigen von den drei internationalen Serien aus Dänemark, den USA und Frankreich, bei denen ich mich zu schlecht auskenne, um sie richtig einschätzen zu können. Die Verkündung des Serien-Programms schreit geradezu nach einer Einschätzung vom Moviepiloten Matthias Hopf.

Aber wer will, kann auch durch die Filmgeschichte surfen, eine restaurierte Fassung von "Terminator 2" auf der Leinwand in der Classics-Reihe genießen oder "Night of the Living Dead" wiedersehen, der offensichtlich Dario Argentos "Suspiria" ausgestochen hat. Durch das Programm des Panorama, deren Spielfilme ja erst noch veröffentlicht werden, heißt es, sich regelrecht durchzufräsen. Zu viele Titel und Länder. Romuald Karmakars Doku "Denk ich an Deutschland in der Nacht" über die Elektromusik-Szene bleibt da vielleicht im Augenwinkel noch hängen. Das Forum wiederum ist eine ganz eigene, gestrenge Welt. Da bräuchte es die meiste Orientierung. Umso schmerzlicher werden Lukas Foersters Empfehlungen vorab fehlen. Ich hoffe auf Sundance, die erste Duftmarke des Jahres und die bald veröffentlichten Inhaltsangaben.

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