Montag, 18. Dezember 2017
Berlinale-Wettbewerb: Wieder die eigenen Talente im Fokus

„Figlia mia“ aka „Daughter of Mine“ | © Vivo film / Colorado Film / Match Factory Productions / Bord Cadre Films / Valerio Bispuri
Ja, Gus Van Sant kommt nach Sundance mit seinem neuen Werk und Hollywoodstars im Schlepptau auch nach Berlin. Beim ersten Stoß von Wettbewerbstiteln ist aber die Rückkehr zweier eigener Regietalente des Festivals die aufregendere Nachricht.

Zum Berlinale-Eröffnungsfilm „Isle of Dogs“ gesellen sich die nächsten sieben Filme des offiziellen Wettbewerbs. Den bekanntesten Namen hat der Amerikaner Gus Van Sant. Sein neues Werk „Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot“, das Negative Space vorhergesagt hat, feiert seine Weltpremiere im Januar in Sundance. Offenbar wird die filmische Qualität des Biopic über den US-Comickünstler John Callahan, der seit den 1970er-Jahren querschnittsgelähmt war, als so hoch bewertet, so dass das Nachspielen ertragen wird. Den Cast schmücken Namen wie Joaquin Phoenix, Rooney Mara, Jonah Hill, Jack Black und Udo Kier.

In den 2000er-Jahren besaß Van Sant ein Cannes-Abonnement: Die Krönung erfolgte im Jahr 2003, als der Ami mit „Elephant“ die Goldene Palme gewann. Mittlerweile ist die Liebe aber merklich abgekühlt. Es gibt auch eine interessante Berlinale-Historie: Beim Teddy gewann Van Sant einen seiner allerersten Preise. Sein Durchbruch kam 1989 mit „Drugstore Cowboy“. Seine letzten beiden Berlinale-Auftritte waren dagegen nett, jedoch vergessenswert: „Finding Forrester“ und „Promised Land“.

„Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot“ | © Amazon Studios / Scott Patrick Green
Ein Russe und eine Italienerin kehren zurück
Interessanter erscheinen die neuen Filme von Alexey German Jr. und Laura Bispuri. Beide hatten bereits ihre Momente im Wettbewerb der Berlinale, beide drehten sie Geheimtipps, denen der internationale Durchbruch nicht vergönnt war: Bei German Jr. war das „Under Electric Clouds“, bei Bispuri „Sworn Virgin“. Das sind echte Berlinale-Talente, Eigenkreationen, über die das Feuilleton erstmal kritisch die Nasenrücken kräuseln oder die Schultern zucken wird. Tatsächlich sind hier aber am ehesten Qualitätssprünge zu erwarten.

Zumal bei Bispuris „Daughter of Mine“ die enigmatische Alba Rohrwacher wieder eine der Hauptrollen spielen wird. Bei Rohrwacher („Land der Wunder“) ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie ein veritabler europäischer Superstar ist. Auf Sardinien geht es um ein Dreiecksverhältnis zwischen einem Kind, seiner biologischen und seiner Adoptiv-Mutter. Valeria Golina („Rain Man“, „Hot Shots!“) spielt die andere Hauptrolle. In Germans Film „Dovlatov“ geht es um einen berüchtigten russischen Schriftsteller, den der Regisseur von seinem Stellenwert für die russische Intelligenzia der 1970er-Jahre mit Muhammad Ali verglichen hat. Der Film wird nur vier Tage aus dem Leben des Schriftstellers und die Liebe zu seiner zweiten Ehefrau Yelena in den Mittelpunkt der Handlung stellen.

„In den Gängen“ | © Sommerhaus Filmproduktion / Anke Neugebauer
Wundertüte deutscher Film
Die beiden deutschen Wettbewerbsfilme „In den Gängen“ und „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ sind eine Wundertüte. Philip Gröning hatte es mit seinem letzten Film „Die Frau des Polizisten“ in den Wettbewerb von Venedig geschafft gehabt. Ob die Teilnahme in Berlin für ihn ein Schritt vor oder zurück sein wird, muss der Februar zeigen. Thomas Stuber („Teenage Angst“) ist eine mutige Entscheidung, weil dem Mann noch die Reputation fehlt: Sein Film „In den Gängen“ hat aber schon mal mit Sandra Hüller („Toni Erdmann“), Franz Rogowski („Fikkefuchs“) und Peter Kurth („Zwischen den Jahren“) drei der aktuell besten deutschen Schauspieler zu bieten. Die Kurzgeschichte, auf der die Liebesgeschichte in einem Großmarkt basiert, geht auf Clemens Meyer („Als wir träumten“) zurück.

„Eva“ | © MACASSAR PRODUCTIONS - EUROPACORP - ARTE France CINEMA - NJJ ENTERTAINMENT - SCOPE PICTURES / Guy Ferrandis
Bleiben noch übrig: „Eva“ von Benoit Jacquot. Da ist Vorsicht angesagt. Jacquot versucht sich an dem gleichnamigen Joseph-Losey-Klassiker aus den 1960er-Jahren. Damals spielte die Hauptrolle Jeanne Moreau, bei Jacquot ist es jetzt die große Isabelle Huppert. Aber der Franzose langweilte bereits 2015 mit seinem egalen Remake von Buñuels „Tagebuch einer Kammerzofe“. Vielleicht kann er trotzdem an seine Qualitäten im Berlinale-Eröffnungsfilm „Leb wohl, meine Königin!“ anknüpfen. Bei der Polin Małgorzata Szumowska mit ihrem neuen Film „Twarz“ gibt es Fragezeichen. Die Dame wird von Berlinale-Chef Dieter Kosslick und seinem Team sehr geschätzt. Ihre Filme gewinnen auch eigentlich immer Preise. Aber man hört während des Festivals immer so viel Negatives, dass man sich nur schwer motivieren kann, Szumowska eine Chance zu geben.

Interessant ist, dass sich die bisherige Auswahl des Wettbewerbs wie der Jahrgang 2015 liest: Szumowska, Jacquot, Coixet (2018 in der Reihe Special mit „The Bookshop“), German Jr. und Bispuri waren bereits damals dabei. Die großen Gewinner hießen aber Jafar Panahi („Taxi“) und Sebastian Schipper („Victoria“).

Auf der To-Watch-Liste (nach Interesse geordnet):

* Daughter of Mine (Laura Bispuri)
* Dovlatov (Alexey German Jr.)
* Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot (Gus Van Sant)
* In den Gängen (Thomas Stuber)
* Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot (Philip Gröning)
* Eva (Benoit Jacquot)
* Twarz (Małgorzata Szumowska)

Link: - Kiyoshi Kurosawa im Panorama

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