Freitag, 27. August 2010
Fantasy Filmfest-Fazit 2010
Allenthalben liest man vom schlechtesten Fantasy Filmfest-Programm seit Jahren. Überhaupt sei es keine gute Zeit mehr für Genrefilme. Die Urheber solcher Aussagen haben dann meist eines gemeinsam: Sie schauen zu selten die richtigen Filme. Die Qualität sinkt nämlich nicht. Eher das Gegenteil ist der Fall. Gerade die vor vier Jahren ins Leben gerufene Fresh Blood-Reihe des FFF, die Debütfilme verheißungsvoller Talente präsentiert und auszeichnet, entwickelt sich ganz prächtig. Entfernt erinnert sie inzwischen an Cannes und die prestigeträchtige Un certain regard-Reihe, wo gerade diesen Mai spannendere Filme als im offiziellen Wettbewerb zu finden waren. Gewann noch den Fresh Blood-Award im Einführungsjahr eine Verlegenheit namens "Brick", hätte dieser im heutigen Teilnehmerfeld keine Chance mehr. Oder besser gesagt: Jetzt hätten die Zuschauer deutlich mehr Auswahl bekommen, um besseren Geschmack zu beweisen.

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Zum Beispiel die britische Terrorismus-Komödie "Four Lions", die in Hamburg und Berlin den Zuschauerpreis abräumen konnte. Eigentlich fragwürdig in der Herangehensweise, potentielle Selbstmordattentäter so sympathisch zu inszenieren, als wären sie die naiven Teenies aus "American Pie" auf der Suche nach dem ersten Mal. Man stelle sich das Konzept einmal mit Neonazis vor; dafür hätte es dann sicherlich keine Publikumspreise gehagelt. Aber Fragwürdiges ist doch letztlich das, wonach der abgehärtete Movie Geek sucht. Nach "Four Lions" hat er jedenfalls viel zu erzählen: Von Toploaders Song "Dancing in the Moonlight", Wookiees und bombigen Raben. Oder "Monsters", Gareth Edwards in Cannes gefeiertes Horror-Road Movie, das vor allem von der Frage lebt, ob leidenschaftliche Octopus-Sexaliens für kolportierte fünfzehntausend Dollar in der Garage des Regisseurs entstanden sein könnten. Bereits als "District 9"-Nachfolger gefeiert, stellte sich mir vor allem die Frage, womit "Monsters" diese Art von Aufmerksamkeit rechtfertigen kann. Mit der so einfältigen wie vorhersehbaren Liebesgeschichte, dem Tourismusblick auf Mexiko oder gar der immer perfektsitzenden Sarah Connor-Gedächtnisfrisur der Hauptdarstellerin?

Nein, die großen, beeindruckenden Highlights fand man, wie so häufig, am Rande. Im Schatten des Hypes. Wenn auch Eli Roth keine neuen Filme mehr dreht und sich als selbstzufriedener Celebrity auf den Sofas der Late Night-Shows ausreichend gefällt, dann muss man ihm danken, dass er sein Geld in die richtigen Projekte investiert. Daniel Stamms "The Last Exorcism" ist nicht nur ein Überraschungsblockbuster am amerikanischen Boxoffice, sondern auch eine verdammt gute und fiese Mockumentary geworden. Möglicherweise so clever, dass es die erste ihrer Art ist, bei der man sich nicht fragt, warum immer noch die Kamera läuft. Ein ungläubiger Wanderprediger, der in seiner Freizeit Teufelsaustreibungen durchführt, als wären sie Kindergeburtstage und er der Clown mit den unwiderstehlichen Zaubertricks, gerät in seinem letzten großen Auftritt an einen besonders hartnäckigen Fall von Besessenheit. Noch besser gefiel mir nur der schwer zugängliche mexikanische Kannibalenfilm "We Are What We Are". In seiner Klassenkampfattitüde und Gesellschaftsmetapher irgendwo zwischen "Cannibal Holocaust" und "Dawn of the Dead" zu verorten, ist dieses kleine Meisterwerk virtuos inszeniert und erbarmungslos durchgespielt. In den richtig guten Genrefilmen geht es nie um Monster oder billige Schockeffekte. Es geht um elementare Themen: Familie, Identität und Sexualität.

Abseits der Fresh Blood-Reihe gab es auch einiges zu entdecken. Bei den über siebzig Filmen bekommt man schließlich immer nur einen kleinen Ausschnitt des Jahrgangs mit, es sei denn man ist fleißiger Dauerkartenbesitzer. Aber dann ist einem sowieso nicht mehr zu helfen. Dann sieht man sich sowieso alles und jeden an, ohne große Ansprüche zu stellen. Etwa den uruguayischen Geisterhaus-Film „La casa muda“, der eindeutig den Preis für die kurioseste Vorstellung verdiente. Wie schrieben die Filmwissenschaftler von F.LM so schön: Der erste Film, der sich selbst spoilerte. Asynchrone Untertitel verrieten, was erst in den kommenden Minuten passieren sollte. Dazu kamen ein aufgeblasenes Bild und zahlreiche Tonaussetzer in den scheinbar spannendsten Momenten. Letztlich wertete das den ansonsten enttäuschenden Film eher auf, der seinen Everything-in-one-shot-Ansatz nach wenigen Minuten mit einer Schwarzblende verriet. Oder Filme wie "Solomon Kane", die Wochen vor dem Fantasy Filmfestival bereits im Free-TV auf ominösen arabischen Sendern zu sehen waren.

Die Asiaten enttäuschten. Jedenfalls die wenigen, die ich gesehen habe. Ex-Variety-Kritiker Derek Elley schwärmte in höchsten Tönen von Donnie Yens Prügelshow "Ip Man 2". Das Resultat war dann so bieder und unspektakulär, dass den Film für mich nur rettete, ihn in den Plotpoints detailliert mit "Rocky IV" vergleichen zu können. Rocky hatte aber die bessere Musik und Ivan Drago. Takeshi Kitanos Cannes-Wettbewerbsbeitrag "Outrage" wirkte leider wie eine ausgenudelte, hängengebliebene Platte aus den Neunzigern. Zum Gähnen sein Gemisch aus altbackenen Ultrabrutalitäten wie Essstäbchen im Gehörgang oder wild gewordenen Zahnarztbohrern in Yakuza-Mündern und dem ewig gleichen Mief aus Anführern, die aufsteigen und Assistenten, die ihren Chefs deshalb nach dem Leben trachten. Dann schaue ich lieber noch zehn Mal die abgründigen Höllenvisionen des Niederländers Tom Six, der passenderweise für seine "The Human Centipede"-Fortsetzung gleich zehn Menschen an Gesichtern und Genitalien zusammennähen lassen will. Gregg Arakis "Kaboom" hatte ein unwiderstehliches Ende, wie überhaupt so einige Filme stärker von ihren Schlüssen lebten, im geringeren Maße sogar "Monsters". Der Hexenjäger-Film "Black Death" war eine leichte Enttäuschung für jeden Christopher Smith-Jünger, aber der herrliche Epilog entschädigte für vieles. Das Ende von "The Last Exorcism" war zum Niederknien und machte aus einem guten einen herausragenden Film.

Nur die Deutschen glänzten wieder einmal durch Abwesenheit im regulären Programm und lieferten im HFF-Kurzfilm "Der Doppelgänger", der vor "Kaboom" lief, den Beweis, dass zumindest den Menschen in den Hochschulen, wenn es ums Genre geht, seit "Der Student von Prag" nichts neues mehr eingefallen ist. Und der ist bekanntlich von 1913.

Die Wertungen:

- WE ARE WHAT WE ARE (10/10)
- THE LAST EXORCISM (9/10)
- THE HUMAN CENTIPEDE (9/10)
- KABOOM (7.5/10)
- BLACK DEATH (7/10)
- MONSTERS (6.5/10)
- FOUR LIONS (6/10)
- THE SILENT HOUSE (5/10)
- IP MAN 2 (5/10)
- OUTRAGE (5/10)
- THE KILLER INSIDE ME (4.5/10)
- DER DOPPELGÄNGER (2/10)

Links: - F.LM-Videocast, - indieWIRE-Tipps, - Gafferlein

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