Donnerstag, 28. März 2019
Das neue Berlinale-Team stellt sich vor

Leiter Mark Peranson | © Dirk Michael Deckbar / Berlinale 2017
Vier Stammkräfte aus Locarno bringt der neue künstlerische Leiter Carlo Chatrian mit auf die Berlinale. Einige alte Bekannte dürfen aber auch weitermachen – oder wurden sogar befördert. Von Michael Müller

Die Spatzen pfiffen es schon während der Berlinale im Februar von den Dächern: Carlo Chatrian würde als neuer künstlerischer Leiter einen Großteil seines Locarno-Teams nach Berlin mitbringen. So berichteten es die Trade Papers wie Variety. Sie sollten Recht behalten. Wie das Berliner Festival am Donnerstag bekannt gab, hat Chatrian in Abstimmung mit der Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek vier seiner Stammkräfte aus der Schweiz ins Auswahlkomitee der Berlinale geholt.

Gehofft hatte der Blog Negative Space vor allem auf den eher durchschnittlichen Gelegenheitsschauspieler Mark Peranson („On the Beach at Night Alone“). Der gebürtige Kanadier gehört seit vielen Jahren zu den Vorzeige-Cineasten der Szene. Bekannt wurde er vor allem als Herausgeber der kanadischen Filmzeitschrift Cinema Scope und durch seine legendären Roundtables vom Toronto Filmfestival. Er macht jetzt in Berlin das, was er in Locarno fünf Jahre lang für Chatrian gemacht hat, nämlich die Programmleitung zu übernehmen. Wer genau diese Position bei Dieter Kosslicks Programmplanung in den vergangenen 18 Jahren inne hatte, war ein Geheimnis. Umso mehr können sich die Filmfans jetzt über den filmischen Sachverstand auf dieser Schlüsselposition freuen.
Bologna & Cahiers du Cinéma
Die anderen drei Locarno-Stammkräfte sind Lorenzo Esposito, Sergio Fant und Aurélie Godet. Bei Esposito fällt sofort ins Auge, dass er Herausgeber des Online-Kino-Magazins Film Parlato ist. Unter seine Credits fallen Festivals wie Venedig, Turin, Rom und Karlovy Vary. Fant ist spannend, weil er Programme unter anderem für das Cinema Ritrovato Festival in Bologna kuratierte. Dem Festival im Juni, das ausschließlich alte Werke aus der Filmgeschichte spielt, eilt ein Ruf wie Donnerhall voraus. Das ist natürlich weder die Ferroni-Brigade noch das Hofbauer-Kommando, aber schon the next best thing. Godet ist eine waschechte Cahiers du Cinéma-Kritikerin, was natürlich heute nicht mehr so viel Wert hat wie noch in den 1960er-Jahren. Aber es spricht zumindest für ein gewisse Haltung.

Cahiers du Cinéma-Kritikerin Aurélie Godet | © François Bertier
Bei der Berlinale weitermachen dürfen, was Negative Space sehr begrüßt, das Panorama-Tandem Paz Lázaro und Michael Stütz. Erstere steigt in das Auswahlkomitee auf, während Stütz jetzt allein die Sektion Panorama verantworten darf. Im vergangenen Jahr gab es dort einen angenehmen Aufwärtstrend bei der Filmqualität zu verzeichnen. Auch Maryanne Redpath in der Generation, Linda Söffker in der Perspektive Deutsches Kino und Rainer Rother in der Retrospektive dürfen bleiben. Anna Henckel-Donnersmarck übernimmt das Kurzfilmprogramm. Die Neubesetzung des interimsweise geleiteten Forums ist noch offen.
Sektionsstrukturen bleiben vorerst bestehen
Interessant ist, dass die Leitung erst einmal nicht generell etwas an den Strukturen der einzelen Sektionen ändern will. Nur das Konzept der Berlinale-Special-Reihe soll überarbeitet werden. Teilweise landeten in dieser Sektion einige der spannendsten Filme des gesamten Festivals („A Quiet Passion“, „Becoming Astrid“). Aber die Platzierung verhinderte, dass die Werke in einem größeren internationalen Rahmen wahrgenommen werden konnten.

Sehr positiv ist ebenfalls die Berufung von Verena von Stackelberg in das Auswahlkomitee des wichtigsten deutschen Filmfestivals. Sie hat unter anderem für den Filmverleih Filmgalerie 451 gearbeitet. Ihr größter Verdienst ist aber wohl der Aufbau des erstklassigen Wolf Kino in Berlin, das eines der besten Programme der Hauptstadt macht. Über die Berufung von Barbara Wurm, die zuletzt beim GoEast-Festival in Wiesbaden arbeitete und Teil der berüchtigen Cineasten-Gruppe Ferroni Brigade ist, liest man auch euphorische Reaktionen. Chatrian und Rissenbeek scheinen bei ihren ersten Entscheidungen, ein glückliches Händchen bewiesen zu haben.

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