Mittwoch, 25. Juli 2018
Bester Venedig-Wettbewerb aller Zeiten?

Alfonso Cuáron kehrt heim zu seinen mexikanischen Wurzeln: „Roma“

An diesen Venedig-Wettbewerb wird die Filmwelt noch lange zurückdenken. Festivalchef Alberto Barbera ist der Held der Stunde. Er wusste teilweise gar nicht mehr wohin mit den ganzen exzellenten Filmen.

Ungefähr so muss sich auch Zinédine Zidane gefühlt haben, als er zum dritten Mal in Folge die Champions League mit Real Madrid gewonnen hatte. Der Trainer trat zurück, weil er wusste, dass er das nicht noch mal toppen können würde. Dem 68-jährigen Venedig-Chef Alberto Barbera spielte ein bisschen in die Karten, dass sich Cannes und Netflix verkracht hatten. So bekam er Alfonso Cuarón und Paul Greengrass für seinen Wettbewerb – und obendrauf noch einen verschollenen Orson Welles. Aber das war es nicht.

Wenn wir das historisch starke Wettbewerbsprogramm des ältesten Filmfestival der Welt überblicken, das vom 29. August bis zum 8. September stattfindet, steckt da System hinter der Qualität der ausgewählten Filme. Jonathan Rutter, der Leiter der Filmabteilung von Premier Communications, sagte gegenüber dem Hollywood Reporter: „Der Fokus in Venedig liegt auf den Filmen. Außerdem schafft es das Festival eher die cine-gebildeten Journalisten anzuziehen. Die meisten der Schlüssel-Publikationen sind vor Ort. Wenn man hier also fünf-Sterne-Kritiken bekommt, wird das weltweit schnell registriert. Aber es gibt weniger die Neigung wie in Cannes, Filme kreuzigen zu wollen.“
Ein sehr sichtbarer Festivalchef
Weiter analysiert Rutter: „Alberto Barbera versteht es sehr gut, die Beziehungen zu den Studios und Vertriebsgesellschaften zu pflegen und die Filme aussuchen, welche die Presse und die Industrie wirklich aufregend finden.“ Außerdem sei er als künstlerischer Leiter sehr sichtbar während des Festivals. Die Ernte war für Barbera so reichlich, dass er gar nicht mehr wusste, wo er die ganzen Filme unterbringen sollte. Dem Branchendienst Deadline erzählte er: „Wir haben viele Filme gesehen, die wir aufregend fanden und die wir in der Vergangenheit eingeladen hätten. Aber dieses Jahr mussten wir aufgrund des Platzes einigen exzellenten Filmen absagen.“

Gerne hätte Barbera auch Harmony Korines neuen Film „The Beach Bum“ eingeladen. Aber der war noch nicht fertig. „Wir haben den Film sehr gemocht, Matthew McConaughey gibt eine oscarwürdige Leistung, wir haben eine enge Beziehung mit Harmony“, sagte Barbera: „Es ist zu schade, denn der Film ist wundervoll.“ Aber das ist Meckern auf höchstem Niveau. Denn ansonsten hat das Festival quasi einen eigenen, deutlich attraktiveren Cannes-Wettbewerb zusammengestellt, der zusätzlich mit diversen glamourösen Oscar-Filmen und unzähligen Hollywoodstars gespickt ist. Dass außer Konkurrenz auch neue Dokumentarfilme von Errol Morris, Frederick Wiseman, Sergei Loznitsa und Amos Gitai gezeigt werden, geht in dem Aufgebot leider fast schon unter.
Cannes-Klassentreffen am Lido
Aber was für ein wahnsinniges Aufgebot ist das im Wettbewerb: Es stellt sich heraus, dass das neue Coen-Projekt „The Ballad of Muster Scruggs“ keine Miniserie, sondern ein Spielfilm ist, den Netflix auch ins Oscarrennen bringen wird. In Venedig läuft dank den Amazon Studios mit Luca Guadagninos „Suspiria“ das heißeste Ticket des Jahres. Regie-Schwergewichte wie Olivier Assayas, Jacques Audiard, Alfonso Cuarón, Yorgos Lanthimos, Lázló Nemes, Carlos Reygardas, Mike Leigh und Julian Schnabel feiern ein Cannes-Klassentreffen am Lido. Und sogar der deutsche Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck leistet es sich für Venedig, seine unendliche Geschichte, „Werk ohne Autor“, fertigzustellen. Bei dem ganzen Glamour wird aber viel zu leicht darüber hinweggesehen, dass von den 21 Wettbewerbsfilmen nur einer von einer Frau stammt: nämlich Jennifer Kents „Babadook“-Nachfolger „The Nightingale“. Claire Denis und Mia Hansen-Løve laufen in Toronto. Marielle Heller und Mélanie Laurent müssen nach Telluride.

Auf dem Papier ist das wohl wirklich der stärkste Venedig-Wettbewerb seit vielen Jahren. In den 1930er-Jahren waren noch die wenigsten dabei. Und da übernahm dann auch bald Mussolinis Familie die Leitung. Aber selbst angesichts eines Wettbewerbs des Jahres 1935 mit John Ford, King Vidor, George Cukor, Werner Hochbaum und Walter Reisch braucht sich der aktuelle Jahrgang nicht völlig zu verstecken.
„Telluride ist Cannes des Herbstes geworden“
Es wird spannend zu sehen sein, ob sich bei so viel Prominenz die Filme nicht gegenseitig im Licht stehen werden. Vielleicht wird so auch die Oscar-Startrampe überlastet. Vielleicht kommt dann auch der ein oder andere Filmemacher auf die Idee, einfach noch ein paar Monate zu warten und nach Berlin zu gehen. Aber aktuell ist Venedig das Maß aller Dinge. Das Filmfestival von Telluride ist indes der größte Verlierer. „Telluride ist zum Cannes der Herbst-Filmfestivals geworden“, schreibt die Branchenexpertin Anne Thompson bei indieWIRE. Einst hätten viele Verleiher alles getan, um ihre Filme dort platzieren zu können. Jetzt hätten einige eher Angst vor diesem Slot, weil die Filme in Telluride zu stark durch das Oscar-Glas bewertet würden.

Der Wettbewerb:
  • The Mountain (Rick Alverson)
  • Double Vies (Olivier Assayas)
  • The Sisters Brothers (Jacques Audiard)
  • First Man (Damien Chazelle)
  • The Ballad of Buster Scruggs (Joel & Ethan Coen)
  • Vox Lux (Brady Corbet)
  • Roma (Alfonso Cuarón)
  • 22 July (Paul Greengrass)
  • Suspiria (Luca Guadagnino)
  • Werk ohne Autor (Florian Henckel von Donnersmarck)
  • The Nightingale (Jennifer Kent)
  • The Favourite (Yorgos Lanthimos)
  • Peterloo (Mike Leigh)
  • Capri-Revolution (Mario Martone)
  • What You Gonna Do When the World's on Fire (Roberto Minervini)
  • Sunset (Lázló Nemes)
  • Freres Ennemis (David Oelhoffen)
  • Nuestro Tiempo (Carlos Reygardas)
  • At Eternity's Gate (Julian Schnabel)
  • Acusada (Gonzalo Tobal)
  • Killing (Shinya Tsukamoto)
Links: - Hollywood Reporter | - Deadline | - Venedig

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 24. Juli 2018
Toronto zu verstehen, bedeutet Venedig und Telluride zu entschlüsseln

Felix van Groeningens englischsprachiges Debüt „Beautiful Boy“

Am Mittwoch wird das heiße Programm des Venedig-Festivals veröffentlicht. Weitere Hinweise, was gezeigt wird, gibt das Programm des Toronto-Festivals. Deren Weltpremieren lassen sich aber auch sehen.

Weltpremieren:
  • Beautiful Boy (Felix van Groeningen)
  • High Life (Claire Denis)
  • Widows (Steve McQueen)
  • If Beale Street Could Talk (Barry Jenkins)
  • Maya (Mia Hansen-Løve)
Internationale Premieren:
[aka Filme, die zuerst in Venedig laufen könnten]
  • Can You Ever Forgive Me? (Marielle Heller)
  • The Front Runner (Jason Reitman)
  • The Old Man & the Gun (David Lowery)
  • White Boy Rick (Yann Demange)
Nordamerika-Premieren:
[aka Filme, die vorher in Venedig laufen]
  • Shadow (Zhang Yimou)
  • A Star Is Born (Bradley Cooper)
  • The Sisters Brothers (Jacques Audiard)
  • Sunset (László Nemes)
Kanada-Premieren:
[aka Filme, die zuerst in Venedig oder in Telluride laufen]
  • First Man (Damien Chazelle) *Venedig*
  • Galveston (Mélanie Laurent)
  • Cold War (Paweł Pawlikowski) *Telluride*
  • Dogman (Matteo Garrone) *Telluride*
  • Non-Fiction (Olivier Assayas) *Venedig*
  • Roma (Alfonso Cuarón) *Venedig*
  • Shoplifters (Hirokazu Kore-eda) *Telluride*
  • Wildlife (Paul Dano) *Telluride*
Die Programmierung in Toronto bestätigt in seinen Details die möglichen Highlights, die Alberto Barbera morgen präsentieren wird: „First Man“ von Damien Chazelle war bereits als Eröffnungsfilm bekannt. Auch Bradley Coopers Regiedebüt „A Star Is Born“ wurde heute vermeldet. Aber dass die spekulierten Namen Zhang Yimou, Jacques Audiard, László Nemes, Olivier Assayas und Alfonso Cuarón in Venedig starten, ist jetzt endgültig klar.

Sehr gut vorstellbar ist auch eine Weltpremiere von Robert Redfords letztem Film als Schauspieler, „The Old Man & the Gun“, am Lido. Der amerikanische Regisseur ist Stephen Lowery, der mit „A Ghost Story“ und „Pete's Dragon“ zwei Wirkungstreffer im cineastischen Unterbewusstsein hinterlassen hat. Solch einen Coup kann sich Venedig-Chef Barbera kaum entgehen lassen. Die neuen Filme von Reitman und Heller passen eher nach Telluride. Aber wir werden sehen.

Noch spannender sind aber die Weltpremieren, die der künstlerische Leiter Cameron Bailey in Toronto vom 6. bis 16. September zeigt. Mit Steve McQueens „Widows“ und Barry Jenkins' „If Beale Street Could Talk“ sind zwei attraktive Nachfolgefilme von Oscar-Gewinnern am Start. Das englischsprachige Debüt des Belgiers Felix van Groeningen, „Beautiful Boy“ mit Timothée Chalamet und Steve Carell, wurde eigentlich als sicherer Venedig-Kandidat gehandelt. Van Groeningens Film „Die Beschissenheit der Dinge“ ist ein kleines Meisterwerk, der Film danach, „The Broken Circle Breakdown“, hatte auch eine unfassbare Kraft.

Außerdem ist jeder neue Film von Mia Hansen-Løve ein Geschenk. Sie ist nicht auf ein Festival festgelegt. Vielleicht wollte sie nicht mit ihrem Ehemann Olivier Assayas in einem Venedig-Wettbewerb laufen. „Alles was kommt“ lief 2016 auf der Berlinale, „Eden“ hatte auch schon eine Toronto-Weltpremiere. Ihren großen Durchbruch erlebte sie aber in Cannes mit „Der Vater meiner Kinder“. Eventuell ist „Maya“ wieder ein Hansen-Løve-Film, der unter dem Radar fliegt. In dem kanadischen Festival mit den unzähligen Nebenreihen und ohne internationalen Wettbewerb sind Weltpremieren geradezu prädestiniert unterzugehen.

Link: - Das komplette Toronto-Programm

... link (0 Kommentare)   ... comment


Montag, 23. Juli 2018
Venedig-Gerüchte um Gebrüder Coen, Olivier Assayas und Julian Schnabel

Drehten für Netflix "The Ballad of Buster Scruggs": Joel und Ethan Coen

Wenn man den Gerüchten Glauben schenken will, wird das Venedig-Festival Ende August ein Cineastentraum. Die Gebrüder Coen und Olivier Assayas gehören jetzt zu den spekulierten Namen.

Der für gewöhnlich bestens informierte Über-Cineast Cédric Succivalli hat auf Twitter die Gerüchteküche um den Wettbewerb in Venedig weiter angeheizt. Demnach ist Jacques Audiards Western "The Sisters Brothers" mit Joaquin Phoenix und Jake Gyllenhaal sicher gesetzt. Auch seien zwei weitere Franzosen, Olivier Assayas ("Doubles vies") und David Oelhoffen ("Territoires") dabei. Raus seien dagegen alle weiblichen Kandidaten und Francois Ozons "Alexandre".

Dazu kommen laut Succivalli, der Präsident der internationalen cinephilen Gesellschaft ist, die Netflix-Miniserie "The Ballad of Buster Scruggs" von Joel und Ethan Coen, Julian Schnabels Comeback "At Eternity's Gate" mit Oscar Isaac und Mads Mikkelsen sowie Brady Corbets Film "Vox Lux" mit Natalie Portman. Der Lido quillt also über vor Hollywoodstars, wenn sich die Gerüchte am Mittwoch als wahr erweisen sollten. Die bislang spekulierten Highlights des Festivals in Venedig auf einen Blick:
  • Doubles vies (Olivier Assayas)
  • The Sisters Brothers (Jacques Audiard)
  • The First Man (Damien Chazelle) *Eröffnungsfilm*
  • The Ballad of Buster Scruggs (Joel and Ethan Coen)
  • A Star Is Born (Bradley Cooper)
  • Roma (Alfonso Cuaron)
  • Norway (Paul Greengrass)
  • Suspiria (Luca Guadagnino)
  • The Favourite (Yorgos Lanthimos)
  • Peterloo (Mike Leigh)
  • Sunset (Laszlo Nemes)
  • At Eternity's Gate (Julian Schnabel)
  • Beautiful Boy (Felix Van Groeningen)
  • The Other Side of the Wind (Orson Welles)
Das wären viermal Netflix, zweimal Amazon Studios und wahnsinnig viele Abwerbungen von klassischen Cannes-Regisseuren. Eigenartig still ist es um Xavier Dolans neuen Film "The Death and Life of John F. Donovan" mit Natalie Portman und Kit Harrington geworden. Galt der noch im Mai, als ihn Cannes-Chef Thierry Frémaux explizit als Venedig-Kandidat nannte, gesetzt für den Lido.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 21. Juli 2018
Ist Venedig das neue Cannes?

The Right Stuff: Damien Chazelles Mondlandefilm „The First Man“

Damien Chazelles Oscarkandidat „The First Man“ eröffnet Venedig. Läuft das Festival am Lido dem übergroßen Cannes langsam aber sicher den Rang ab? Für Hollywood ist die Antwort klar.

Die Antwort auf die Frage, ob Venedig das Filmfestival in Cannes als wichtigsten Ort des Filmkalenders ablösen kann, wird nicht in diesem Jahr beantwortet. Für diesen Paradigmenwechsel braucht es die Überprüfung diverser Jahrgänge. Aber wenn Venedig-Chef Alberto Barbera am 25. Juli den internationale Wettbewerb bekannt geben wird, schaut die Filmwelt ganz genau auf die Mostra.

Cannes hat in den vergangenen Jahren einen schlechten Ruf bei den Hollywoodproduktionen bekommen. Bei den Franzosen sei es zu schwierig und kritisch, heißt es. Deswegen wurden dieses Jahr auch die Pressevorführungen parallel zu den Galapremieren angesetzt, um den schlechten Buzz etwas einfangen zu können. Auch ist der Weg vom Mai bis zur Oscar Season ein langer: Es ist im schnelllebigen Internetzeitalter eine Herausforderung, die Aufmerksamkeit über diverse Monate hochzuhalten, bis es überhaupt losgeht.
Eine unfassbare Serie
Das Venedig-Festival Ende August dagegen ist der optimale Startpunkt für Oscarkampagnen: Seit im Jahr 2013 „Gravity“ von hier aus durchmarschiert ist, folgten Filme wie „Birdman“, „Spotlight“, „La La Land“, „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ und „The Shape of Water“. Das ist eine unfassbare Serie. Dazu sind die Filmemacher treu und kommen auch noch wieder. Wie zum Beispiel ein Damien Chazelle, der mit seinem Armstrong-Biopic „First Man“ nun Eröffnungsfilm in Venedig ist.

In Venedig tummelte sich bisher überwiegend die milde Trade Press, dazu ein paar Briten und Deutsche. Kein Vergleich mit dem kritischen Presseaufkommen in Cannes, wo jedes Jahr Kritiker aus aller Welt mindestens eine cineastische Revolution erwarten. Der Venedig-Wettbewerb ist in der qualitativen Breite weiter von Cannes entfernt. Da kann sogar die Berlinale mithalten. Aber nichts ist glamouröser als Hollywoodstars und Oscar Buzz.

Das jahrzehntelang übermächtige Cannes macht dazu Fehler. Sein Leiter Thierry Frémaux verkrachte sich zum Beispiel im April mit dem Streaming-Riesen Netflix. So verlor er Alfonso Cuarons „Roma“, Paul Greengrass' „Norway“ und Orson Welles' „The Other Side of the Wind“ an den Herbst – und höchstwahrscheinlich auch an Venedig.

Wobei die Mostra auch nicht alles kriegt: Claire Denis' neuer Film „High Life“ mit Robert Pattinson und Juliette Binoche wird seine Weltpremiere in San Sebastian feiern. Das New Yorker Filmfestival hat bestätigt, dass „Roma“ bei sich als Centerpiece laufen wird. Was natürlich nicht bedeutet, dass nicht noch eine Weltpremiere in Venedig drin ist.
Wasser läuft im Munde zusammen
Aber analysiert man Nick Vivarellis Vorhersagen für Venedig in Variety, läuft einem als Filmjournalisten das Wasser im Munde zusammen. Gut, viele der Filme gibt es wenige Tage später auch regulär im Kino anzusehen – oder sie werden fast zeitgleich in Telluride und Toronto gezeigt. Aber was für eine attraktive Liste könnte das dieses Jahr sein, die übrigens Negative Space zu großen Teilen bereits im Mai prophezeit hatte: Luca Guadagninos „Suspiria“, Jacques Audiards „The Sisters Brothers“, Felix Van Groeningens „Beautiful Boy“ mit Timothée Chalamet, die genannten „Roma“ und „Norway“, Yorgos Lanthimos' „The Favourite“, „A Star Is Born“ mit Bradley Cooper und Lady Gaga, Mike Leighs „Peterloo“ und Laszlo Nemes' „Sunset“.

Auch in der Verlosung bleibt Harmony Korines „The Beach Bum“, denn „Spring Breakers“ startete seine Welteroberung 2012 aus Venedig. Die Filmwelt hält ebenso Ausschau nach Terrence Malicks „Radegund“, Mia Hansen-Løves „Maya“und Olivier Assayas' „Doubles vies“. Für Festivalbeobachter sind das aktuell spannende Zeiten. Viel ist in Bewegung. Lange gehegte und gepflegte Strukturen brechen nach und nach auf.

Die Streaming-Plattformen sind unberechenbare Player im Spiel geworden. Denen geht es um Aufmerksamkeit und Prestige. Cannes schwächelt und erfindet sich zum Teil auch in diesem Jahr ein Stück weit neu. Das geht zu Kosten der Popularität, freut aber die Cineasten. Venedig wird ein immer größeres schwarzes Loch, das alles verschlingt, was auch nur im Entferntesten oscarwürdig erscheint. Und die Berlinale stellt sich 2020 auch völlig neu auf.

Links: - Variety | - Screen Talk | - Was nicht in Cannes läuft

... link (0 Kommentare)   ... comment


Fantasy Filmfest früh hochwertig aufgestellt

„Nicolas Cage gives the performance of a lifetime“ (Russ Fisher, The Playlist)

Auch das Fantasy Filmfest muss bei den Herbstfestivals im Auge behalten werden. Denn schon hat es mit seinen ersten Nennungen einige der attraktivsten Genreperlen 2018 versammelt.

Das Fantasy Filmfest, das am 5. September in Berlin beginnt und am 30. September seine Städtetour in Nürnberg, Frankfurt und Stuttgart beendet, ist programmtechnisch schon sehr gut aufgestellt. Eröffnet wird das Fest von der Sundance-Sensation „Mandy“, in der Regisseur Panos Cosmatos Nicholas Cage auf Dämonenjagd schickt. Den Film umweht ein Kult, seit die ersten Hype-Tweets der US-Kritiker im Januar abgesetzt wurden. Trotz der spektakulären Bilder bleibt aber eine gewisse Grundskepsis. War doch Cosmatos' Vorgängerfilm „Beyond the Black Rainbow“ die stilisierte Langeweile. Aber wie schrieb der Filmkritiker Robert Koehler doch so schön: „Fucking Mandy. Is there anything else? No.“

Dazu gesellen sich zwei andere heiße Eisen: Im Centerpiece läuft die schwedische Cannes-Entdeckung „Border“. Außerdem ist bereits Gaspar Noés neuer Film „Climax“ im Programm bestätigt, der mit sehr vielen Vorschusslorbeeren aus Cannes kommt. Weiter gibt es den deutschen Dämonen-Film „Luz“ zu bestaunen, der auf der Berlinale durchstartete und inzwischen auch international so langsam Fahrt aufnimmt. Mit diesen vier Genre-Leckerbissen kann im September schon mal nichts mehr schief gehen.

Links: - Fantasy Filmfest | - Berlinale-Entdeckung Luz

... link (0 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 18. Juli 2018
Filmfest Hamburg: „Ella & Nell“ ist erster Film der neuen deutschen Sektion Große Freiheit

Erster Kandidat: „Ella & Nell“ | © DFFB
Das Filmfest Hamburg arbeitet mit Hochdruck an seiner neuen deutschen Sektion Große Freiheit. Es gibt einen ersten unscheinbaren Kandidaten. Dazu gesellen sich am Mittwoch auch die ersten Schwergewichte aus Cannes. Ein Überblick von Michael Müller

Die Berlinale bekommt mit Carlo Chatrian einen neuen Chef, und das Filmfest München rüstet finanziell wahnsinnig auf. Das Filmfest Hamburg nimmt die Herausforderung als drittwichtigstes Festival in Deutschland mit einer neuen Reihe an: In der Sektion Große Freiheit konkurrieren ab diesem Jahr bis zu zwölf deutsche Spielfilme um ein Preisgeld von 25.000 Euro. Am Mittwoch ist der erste Kandidat bekannt gegeben worden. Es handelt sich um Aline Chukwuedos Debütwerk „Ella & Nell“.

Der Film feierte seine Weltpremiere Ende Januar auf dem Festival von Rotterdam in der Reihe Bright Future. Das große Echo blieb aus. Katrin Doerksen schrieb auf Kino-Zeit eine Kritik, aus der nicht herauszulesen ist, ob der Film ihr gefallen hat oder nicht. Aber das ist relativ egal. Denn das Filmfest Hamburg braucht die Reihe Große Freiheit, um mit dem Filmfest München mithalten zu können. Dort ist seit Jahren die wunderschön von Christoph Gröner kuratierte Reihe Neues Deutsches Kino ein Zuschauer- und Kritikermagnet. Dort werden die Stars von morgen entdeckt und aufregendes deutsches Kino gefunden – viel häufiger etwa als in der Perspektive Deutsches Kino auf der Berlinale. Auch den Hofer Filmtagen und dem Max-Ophüls-Preis hat München inzwischen den Rang als Förderzentrum Nummer eins abgelaufen.
Zeit zu experimentieren
Als ich vergangenes Jahr das erste Mal das Filmfest Hamburg besuchte, war ich begeistert von dem Programm, der Infrastruktur und den Menschen. Es fehlte nur die Reihe, in der das Festival nicht nach-, sondern vorspielt. Die Weltpremieren und eigenen Entdeckungen sind es, die den Marktwert eines Festivals ausmachen. Und ich erwarte dieses Jahr überhaupt nicht, dass in der Großen Freiheit umgehend ein halbes Dutzend Perlen präsentiert wird. Aber ich finde es sehr spannend, dass das Festival diese Talentschau beginnt. Das mögen jetzt zu Anfang nachgespielte Filme wie „Ella & Nell“ sein. Vielleicht ist Chukwuedos Film in Rotterdam tatsächlich übersehen worden und verdient einen zweiten Blick. Im ersten Jahr kann das Filmfest da auch ein Zeichen setzen, welche Art von deutschen Filmen es fördern und pushen will.

Mittelfristig muss es aber das Ziel sein, überwiegend Weltpremieren nach Hamburg zu locken. Allein der an den großen Helmut Käutner erinnernde Sektionsname verpflichtet da. Die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein ist nicht klein. In ihrer letzten Förderentscheidung hat sie etwa Filme wie Fatih Akins Film „Der goldene Handschuh“, den neuen Anne Zohra Berrached („Die Frau des Piloten“), Markus Gollers „25 Km/h“ oder den nächsten Film von der Berlinale-Gewinnerin Ildikó Enyedi („The Story of My Wife“) finanziell unterstützt. Potenzial, Talente und Beziehungen zur Branche sind da.
2x Cannes, 1x Karlovy Vary Gewinner
Unter den anderen neun bekannt gegebenen Filmen des Hamburger Filmfests am Mittwoch befinden sich auch zwei Filme aus dem Cannes-Wettbewerb: Matteo Garrones „Dogman“ und Nuri Bilge Ceylans „The Wild Pear Tree“. Große Vorfreude auch auf den Gewinnerfilm aus Karlovy Vary, Radu Judes „I Do Not Care If We Go Down In History as Barbarians“. Außerdem klingt der palästinensische Film „The Reports on Sarah & Saleem“, der auch in Rotterdam seine Weltpremiere hatte, ultraspannend: Arthouse trifft auf Genre, West- auf Ostjerusalem.

Gleiches gilt für die Europapremiere von „Who Will Write our History?“, einem Hybriden aus Spiel- und Dokumentarfilm, dessen Weltpremiere wahrscheinlich in Telluride oder Toronto stattfinden wird. Die Alexander McQueen Dokumentation aus Tribeca soll spitze sein. Auch laufen werden „Another Day of Life“ aus Cannes, „Butterflies“ aus Sundance und die Dokumentation „Westwood: Punk, Icon, Activist“ – offenbar sind Modedesigner 2018 in Hamburg ein Schwerpunkt.

Im Hinblick auf die deutschen Kinostarts sind folgende Filme weitere heiße Kandidaten für das Filmfest: „Werk ohne Autor“ (Florian Henckel von Donnersmarck, 03.10.), „A Star Is Born“ (Bradley Cooper, 04.10.), „Abgeschnitten“ (Christian Alvart, 11.10.), „Aufbruch zum Mond“ (Damien Chazelle, 11.10.), „Roads“ (Sebastian Schipper, 25.10.), „Sorry Angel“ (Christophe Honoré, 25.10.), „Wuff“ (Detlev Buck, 25.10.), „25 km/h“ (Markus Goller, 01.11.), „Leto“ (Kirill Serebrennikow, 08.11.), „Trautmann“ (Markus H. Rosenmüller, 08.11.), „Loro“ (Paolo Sorrentino, 15.11.), „Was uns nicht umbringt“ (Sandra Nettelbeck, 15.11.), „So viel Zeit“ (Philipp Kadelbach, 22.11.), „Verschwörung“ (Fede Alvarez, 22.11.), „Widows – Tödliche Witwen“ (Steve McQueen, 22.11.), „Beautiful Boy“ (Felix van Groeningen, 29.11.), „100 Dinge“ (Florian David Fitz, 06.12.), „Der Junge muss an die frische Luft“ (Caroline Link, 27.12.) und „The Favourite“ (Yorgos Lanthimos, 03.01.).

Das Filmfest Hamburg findet vom 27. September bis 6. Oktober statt. Das komplette Programm wird am 11. September bekannt gegeben.

Links: - Filmfest Hamburg Podcast 2017 | - Rangliste 2017

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 12. Juli 2018
Chatrians deutscher Filmgeschmack in Locarno

Carlo Chatrian | © Locarno Festival, Michela Di Savino
Was für einen deutschen Filmgeschmack hat der künftige Berlinale-Chef Carlo Chatrian? Das am Mittwoch veröffentlichte Locarno-Programm gibt einen Einblick.

Wer ist eigentlich dieser Carlo Chatrian, der ab 2020 die Berlinale künstlerisch leiten wird? Wie wird sein Programm ausschauen? Und was für Vorlieben hat er bei deutschen Filmen? Ob er mit der Hauptstadtpresse zurechtkommen und genügend Stars auf den roten Teppich locken wird, bleibt abzuwarten. Aber da am Mittwoch sein letztes Festivalprogramm für Locarno veröffentlicht wurde, lohnt ein Blick auf die drei ausgewählten deutschen Beiträge in den drei wichtigsten Reihen. Geben sie bereits einen Hinweis darauf, welche Art von deutschem Film er für den internationalen Wettbewerb in Berlin bevorzugen wird? Schließlich sagte Chatrian in seinem ersten großen Interview nach seiner Ernennung am 22. Juni gegenüber dem Hollywood Reporter: „Es gibt ein Bedürfnis, neue Stimmen im deutschen Kino zu finden.“
Jan Bonnys NSU-Aufarbeitung „Wintermärchen“
Für Locarno 2018 hat er zum Beispiel für die wichtigste Reihe, den internationalen Wettbewerb, Jan Bonnys Film „Wintermärchen“ gefunden. Bonnys vorangegangener Kinofilm „Gegenüber“ ist über zehn Jahre her. Dazwischen drehte er einen Tatort und zwei Polizeirufe. In kleinen Cineastenkreisen sorgte sein TV-Film „Über Barbarossaplatz“ aus dem Jahr 2016 für Aufsehen. Sein neues Werk „Wintermärchen“ klingt nach dem ARD-Dreiteiler und Fatih Akins Drama „Aus dem Nichts“ wie die nächste Aufarbeitung der NSU-Morde: Drei junge Rechtsextremisten gehen in den Untergrund. Die Newcomer Thomas Schubert, Ricarda Seifried und Jean-Luc Bubert spielen sie. Interessant ist die Produktionsfirma Heimatfilm. Geschäftsführerin Bettina Brokemper mag mutige und andere Filme wie Nicolette Krebitz' Selbstfindungsdrama „Wild“, das in Sundance seine Weltpremiere feierte. Das ist insofern eine aufregende Wahl, weil Bonny bislang nur wenige auf dem Zettel haben.

Der zweite deutsche Film, „Was uns nicht umbringt“, läuft in der Reihe Piazza Grande. Die neue Komödie von Sandra Nettelbeck klingt so, als sei sie für ein größere Publikum gemacht: Ein Psychotherapeut, der mit besonders außergewöhnlichen Fällen fertig werden muss und sich auch noch in eine seiner Patientinnen verliebt. Nettelbeck galt seit „Bella Martha“ im Jahr 2001 als Regiewunder und wurde von Hollywood abgeworben. Richtig glücklich machten sie die US-Produktionen aber nicht. Zurück in die deutsche Filmindustrie fand sie mit den beiden Drehbucharbeiten „Ich bin dann mal weg“ und „Hanni & Nanni: Mehr als beste Freunde“. Eventuell schafft der neue Film den Spagat zwischen Anspruch und Unterhaltung. Zu wünschen wäre es ihr, dass sie die erzählerische Leichtigkeit ihrer Anfangstage zurückgewinnt.
Auch Trobischs „Alles ist gut“ in Locarno
Und als letztes hat Chatrian Fingerspitzengefühl bewiesen: In der Reihe Concorso Cineasti del presente, die in etwa der wichtigen Cannes-Nachwuchsreihe Un Certain Regard gleichsteht, läuft in Locarno „Alles ist gut“. Eva Trobischs Werk kommt in die Schweiz mit einem Ruf wie Donnerhall: Nicht nur gewann der Film zwei Förderpreise des Neuen Deutschen Kinos und den FIPRESCI-Preis der internationalen Kritikervereinigung auf dem Filmfest München. Er fand auch bereits internationales Echo und verzauberte Jurymitglied Vicky Krieps.

In seinem letzten Locarno-Jahr gibt es bei Chatrian quantitativ nicht viele deutsche Produktionen zu finden. In einen Berlinale-Wettbewerb etwa nur einen deutschen Film einzuladen, würde sicherlich im ersten Jahr für Getuschel sorgen. Aber anhand der drei Produktionen lässt sich die Idee von neuen Stimmen im deutschen Kino schon recht gut erkennen. Das sind jedenfalls drei Regisseure, die wohl nicht im letzten Berlinale-Wettbewerb gelandet wären, wobei der mit Petzold, Stuber, Atef und Gröning sowieso äußerst stark und vielfältig besetzt war.
Sprungbrett Berlinale-Wettbewerb
Gerade die letzten drei Genannten haben durch den Wettbewerb stark in der Szene gewonnen, Atef sogar groß beim deutschen Filmpreis abgeräumt. Neuerdings ist da die Berlinale sowieso ein Sprungbrett für die internationale Karriere: Der deutsche Regisseur Edward Berger war zum Beispiel 2014 mit dem Jugenddrama „Jack“ eingeladen. Inzwischen dreht er Serien wie „Deutschland 83“, „The Terror“ und „Patrick Melrose“. Gerade „Jack“ war im Vergleich mit der Konkurrenz ein Alleinstellungsmerkmal in Bergers Bewerbungsprozess – auch gegenüber Stars wie Benedict Cumberbatch.

Im vergangenen Jahr lud Chatrian die deutschen Filme „Drei Zinnen“ (Jan Zabeil), „Der Mann aus dem Eis“ (Felix Randau) und „Freiheit“ (Jan Speckenbach) nach Locarno ein. 2016 waren es „Paula“ (Christian Schwochow), „Vor der Morgenröte“ (Maria Schrader), „Der traumhafte Weg“ (Angela Schanelec) und „I Had Nowhere to Go“ (Douglas Gordon). 2015 hießen die deutschen Filme „Der Staat gegen Fritz Bauer“ (Lars Kraume) und „Der Nachtmahr“ (Akiz). Der Italiener wählt immer sehr sorgfältig aus. Mit Schrader, Schanelec und Nettelbeck gibt es einen soliden Regisseurinnen-Anteil. Es sind generell nicht die typischen Kandidaten. Berlin kann sich also auf einige Überraschungen gefasst machen. 2020 wird auch dahingehend sehr aufgregend.

Das 71. Festival von Locarno findet vom 1. bis zum 11 August statt.

Link: - Locarno-Programm 2018

... link (0 Kommentare)   ... comment


Montag, 9. Juli 2018
Wie emotional Vicky Krieps Eva Trobischs Film „Alles ist gut“ auf dem Filmfest München feiert

Der "Phantom Thread"-Star Vicky Krieps ist schwer angetan

Die Schauspielerin Vicky Krieps schwärmt auf dem Filmfest München von der großen Entdeckung „Alles ist gut“.

Der Film „Alles ist gut“ von Eva Trobisch hat nicht nur den Förderpreis der Reihe Neues Deutsches Kino für die beste Regie und die beste Schauspielerin gewonnen. Er bekam auf dem Filmfest München auch den FIPRESCI-Preis der internationalen Kritikervereinigung. Einen Kinostart gibt es inzwischen auch: NFP Marketing & Distribution bringt das umfeierte Werk am 27. September in die deutschen Kinos. Die Schauspielerin Vicky Krieps („Phantom Thread“, „Das Zimmermädchen Lynn“), die zusammen mit Uisenma Borchu und Jamila Wenske die Jury des Förderpreises der Reihe Neues Deutsches Kino bildete, schwärmte sehr persönlich von Trobischs Film.

Krieps erzählt am Abend der Preisverleihung in ihrer Laudatio: „Gestern Abend sind wir tanzen gefahren. Und dann fahren wir Taxi von einem Punkt zum anderen Punkt. Ich bin im Taxi und noch zwei, drei andere Jungs. Ich habe meine Schuhe gewechselt und jetzt Turnschuhe an, weil es kalt war. Ich habe auch eine Hose dabei. Dann fragt der Taxifahrer: Haben sie einen Rock an? Dann sage ich: Ja, wieso? Der Taxifahrer: Ja, haben sie eine Unterhose an? Sage ich: Nee, hast du eine an? Sonst sagt auch keiner was im Auto. Dann sagt er plötzlich: Nee, weil man muss ja allzeit bereit sein. Das hat er mir so gesagt. Dann konnte ich darauf nichts sagen. Und es hat auch sonst im Auto keiner was gesagt.“

Weiter sagt sie: „Also wenn ich jetzt hier vor euch stehe, dann bin ich zusammengesetzt wie ihr alle auch aus unterschiedlichen Teilen: also meiner Kindheit, Erziehung und Erfahrung. Und wie ich jetzt hier stehe, bin ich aber schon wieder eine andere, als wenn ich hier vor einer Woche gestanden hätte. Und zwar, weil hier ein Teil von mir wieder hinzugekommen ist – zurückgeführt wurde.
Luft aus- und Augen aufgegangen
Ein Film, der so bescheiden und ehrlich, schonungslos und direkt erzählt, liebevoll und dennoch so trocken wie die Realität mich wie eine Landschaft ausgerollt hat und mir wie ein Knall wieder entzogen wurde. Als ich aus dem Kino kam, war mir die Luft aus- und die Augen aufgegangen. Herzklopfend stand ich im Straßenverkehr und verstand, dass jemand einen Film gemacht und mir durch die Augen seiner bezaubernden Hauptdarstellerin die Hand gereicht hatte.

Ja, deshalb machen wir Filme, habe ich gedacht. Damit jemand wie ich ein kleines Stück weiterkommt, ein Stück mehr in Bewegung kommt und ein Stück wacher wird. Ich habe eigentlich wie immer tausend Stimmen in meinem Kopf, die mir jetzt sagen, dass ich irgendwie schnell und effizient sein soll, ein professionelles Jurymitglied. Bloß nicht zu viel Raum einnehmen und den Betrieb aufhalten. Es läuft ja auch gleich Fußball draußen.
Zusammenreißen ist Gift
Ich habe mich aber heute genau wegen des Films dazu entschieden, darauf nicht zu hören und nicht mehr feige zu sein, sondern ehrlich. Wie vielen Menschen in diesem Raum ist es auch mir passiert, dass mein Nein nicht gehört und getreten wurde. Und wie so viele Frauen habe ich darauf reagiert, indem ich mich zusammengerissen habe, stark sein wollte und sehr gut funktioniert habe.

Wir alle lernen als Kind: Jetzt reiß dich mal zusammen. Bei mir hat dieses Zusammenreißen mein ganzes darauffolgendes Leben bestimmt. Und als ich diesen Film gesehen habe, habe ich zum ersten Mal verstehen und sehen können, welches Gift davon ausgeht, wenn man sich zusammenreißt. Ein Gift, das die Menschen um mich herum vergiftet und mit in den Abgrund gezogen hat.

Der Film Alles ist gut zeigt dies auf eine so subtile und intelligente Art und Weise, dass ich mich nur bedanken kann, dass ein Menschen den Mut und die Kraft hatte, eine Geschichte so und genauso zu erzählen – nicht so, wie es die Geldgeber gerne hätten oder wie es die Moral, der Anstand oder das Entertainment verlangt. Dieser Mensch ist eine Frau und heißt Eva Trobisch und hat mir geholfen, ein Stück mehr zu dem Mensch zu werden, der ich eigentlich bin. Wir können Filme machen, die unterhalten, wir können Filme machen, die zeigen, dass wir Filme machen können. Und manchmal kommt da einer oder eine und macht einen Film, der bewegen will. Danke.“

„What makes this remarkably prescient film so successful, is the nature of the role women face in a contemporary society where male patriarchy is still an issue, and where also women experience a narrower range of options imposed by a society that is far from open and inclusive.“ Das schreibt Peter Krausz aus der FIPRESCI-Jury über den prämierten „Alles ist gut“.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Carlo Chatrian würdigt wunderschön die Legenden Claude Lanzmann & Robby Müller

... link (0 Kommentare)   ... comment


Neue Sight & Sound präsentiert die 100 Lieblingsbücher zum Thema Film

... link (0 Kommentare)   ... comment


Erster Teaser zu Yorgos Lanthimos' neuem Werk „The Favourite“


Der US-Kinostart von Yorgos Lanthimos' Film „ The Favourite“ am 23. November unterstreicht die Vermutung, dass das Filmfestival von Venedig in diesem Jahr wohl schon jetzt ein legendärer Jahrgang ist. Mit Emma Stone, Rachel Weisz und Nicholas Hoult.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 30. Juni 2018
Filmfest-München-Entdeckungen 2018

Shootingstar Max Mauff („Safari“) | © Filmfest München 2018
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder will die Berlinale als wichtigstes Filmfestival Deutschlands angreifen. „Denken Sie größer“, sagte er Festivalleiterin Diane Iljine. Für die großen Gedanken erhöht der Freistaat Bayern in den nächsten Jahren das Festivalbudget jeweils um drei Millionen Euro und damit um mehr als 100 Prozent. Bevor aber das Filmfest München zum Jäger von Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek werden soll, darf es nochmal das tun, was es eigentlich am besten kann: nämlich das attraktivste und entspannteste Schaufenster für die interessantesten deutschen Produktionen des Jahres sein:

-------------------------------------------------------------------------------
„Alles ist gut“ (Eva Trobisch)
NFP Marketing & Distribution | Kinostart: 27.09.

#metoo-Debatte im deutschen Film | © Filmfest München 2018
„Das ist wirklich sehr intelligentes Kino, das mich sehr stark überrascht hat“ (Patrick Wellinski, Vollbild)

„‚Nichts ist gut', sagt der Film. Und das ist mir zu wenig“ (Sophie Charlotte Rieger, Filmlöwin)

„Superbly acted picture should go on to provoke debate in further film festival berths“ (Wendy Ide, Screen Daily)

„Trobisch has inspired impressive performances from her actors and has created an impactful and current film for the post-Weinstein era“ (One Room with a View)

„Neues Deutsches Kino, das uns richtig überzeugt hat. Einer der herausragenden Filme des Festivals.“ (BR-Sendung kinokino)

„Ein Film, der so bescheiden und ehrlich, schonungslos und direkt erzählt - liebevoll und dennoch so trocken wie die Realität“ (Jury Förderpreis Neues Deutsches Kino)

„Als ich aus dem Kino kam, waren mir die Luft aus- und die Augen aufgegangen. Herzklopfend stand ich im Straßenverkehr und verstand, dass jemand einen Film gemacht und mir durch die Augen seiner bezaubernden Hauptdarstellerin die Hand gereicht hatte. Ja, deshalb machen wir Filme, habe ich gedacht.“ (Vicky Krieps, Jurymitglied des Förderpreises)

„Intelligent und vorausschauend wird hier die Geschichte einer Frau erzählt, die eine traumatische Erfahrung durchleben muss“ (FIPRESCI-Preis 2018)
-------------------------------------------------------------------------------
„Das schönste Mädchen der Welt“ (Aron Lehmann)
Tobis Film | Kinostart: 06.09. | Trailer

Meerjungfrau Luna Wedler & Aaron Hilmer | © Filmfest München 2018
„Eine der schönsten Teenager-Komödien seit gefühlten Jahrzehnten“ (Joachim Kurz, kino-zeit.de)

„Angestaubte Prosa von Edmond Rostand derart kongenial in die heutige Zeit übertragen“ (Christoph Petersen, Filmstarts)
-------------------------------------------------------------------------------
„Yung“ (Henning Gronkowski)
deutschfilm GmbH | Kinostart: offen | Trailer

Auf Klaus Lemkes Spuren | © Filmfest München 2018
„Ein energiereicher Trip von Film [...] dramaturgisch erstaunlich geschickt“ (Harald Mühlbeyer, kino-zeit.de)

„Schon sehr roh“ (Patrick Wellinski, Vollbild)

„Gronkowski drehte mit Laiendarstellerinnen, was seinen Film umso trostloser macht, außer für Voyeuristen“ (Katrin Hillgruber, Tagesspiegel)

„Dank Improvisation und mobiler Kamera, die sehr intim mit den Protagonistinnen wird, stehen die Körper im Vordergrund“ (Frédéric Jaeger, Spiegel Online)
-------------------------------------------------------------------------------
„Asphaltgorillas“ (Detlev Buck)
Constantin Film | Kinostart: 30.08. | Trailer

Was ein Allstar-Cast | © Filmfest München 2018
„Ein süchtigmachender Chaos-Reigen. Dieser Gangsterfilm fetzt.“ (Michael Müller, Blickpunkt:Film)
-------------------------------------------------------------------------------
„Ende Neu“ (Leonel Dietsche)
Paxfilm | Kinostart: offen | Kein Trailer

Eine Welt ohne Frauen | © Filmfest München 2018
„Ein abgefahrener Fantasy-Film mit ganz hartem Synthesizer-Soundtrack“ (Patrick Wellinski, Vollbild)

„Eine bemerkenswerte, wenn auch unmotiviert brutale männerskeptische Dystopie in Graubraun“ (Katrin Hillgruber, Tagesspiegel)
-------------------------------------------------------------------------------

Links: - Festival Scope | - Entdeckungen 2017

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 23. Juni 2018
„Der Unorthodoxe“ eröffnet Jerusalem

„The Unorthodox“: Die Gründung der Schas-Partei als Komödie

Das prestigeträchtige Jerusalem-Filmfestival eröffnet Ende Juli mit einem einheimischen Werk: „Der Unorthodoxe“ erzählt von der Gründung der religiösen Schas-Partei in Israel.

„The Unorthodox“ ist der Eröffnungsfilm des Festivals von Jerusalem. Es ist das Debütwerk des Regisseurs Eliran Malka, der in Israel durch die Erfolgsserie „Shababnikim“ bekannt wurde. In der Serie geht es um rebellierende Jeschiva-Schüler. Die Geschichte seines Debütfilms „Der Unorthodoxe“ wiederum ist an die Gründung der religiösen Schas-Partei in Israel angelehnt. Die Weltpremiere findet am 26. Juli in der traumhaft schönen Freilichtbühne Sultan's Pool statt.

Im Jahr 1983 setzt sich Yakov zur Wehr, weil seine Tochter aus ethnischen Gründen der Schule verwiesen wird. Gemeinsam mit zwei Freunden startet er die erste ethnische politische Gruppierung Israels, die sich für die Belange sephardischer Juden einsetzt. Malkas Serie „Shababnikim“ ist im Mai auf dem israelischen Comedy-Preis für den besten Darsteller und Regisseur sowie die beste Serie ausgezeichnet worden. Die Hauptrolle in der Komödie „The Unorthodox“ spielt Shuli Rand, der seit 2004 keinen neuen Film mehr gedreht hat und in dem israelischen Klassiker „Life According to AGFA“ von 1992 zum Kultstar wurde.

Das 35. Jerusalem Filmfestival unter der Leitung von Noa Regev findet vom 26. Juli bis 5. August statt. Als Abschlussfilm läuft Wes Andersons Stop-Motion-Film „Isle of Dogs“.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dieter Kosslicks Autobiografie erscheint am 5. November

© Hoffmann und Campe
Wie schaut der 70-jährige Festivalchef Dieter Kosslick in seiner Autobiografie auf die 18 Jahre Regentschaft der Berlinale zurück? Was prägte den so einflussreichen Mann in seiner Kindheit und Jugend?

Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat mit Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek die neue Berlinale-Doppelspitze in der Hauptstadt vorgestellt. Aber 2019 darf nochmal Mr. Berlinale, Dieter Kosslick, den roten Teppich ausrollen. Wie passend, dass der Buchtitel seiner Autobiografie das weiter im Blick behält: „Dieter Kosslick – Schön auf dem Teppich bleiben“. Das 304-seitige Buch soll laut Hoffmann und Campe am 5. November erscheinen. Auf der Frankfurter Buchmesse, die am 10. Oktober beginnt, wird der Mann mit dem Schal seine Erinnerung höchstwahrscheinlich das erste Mal vorstellen.

Es geht natürlich nicht nur um seine Zeit seit 2001 als Berlinale-Direktor, sondern auch um seine Kindheit als Halbwaise in Pforzheim wie auch seine Karriere im Hamburger Rathaus. Leider ist noch keine selbstgelesene Hörbuch-Fassung der Autobiografie angekündigt. Aber gerade nach Christian Jungens lesenswerter Moritz-de-Hadeln-Biografie „Mister Filmfestival“ ist die Vorfreude auf Kosslicks Perspektive zum wichtigsten deutschen Filmfestival groß. Vielleicht kann Kosslick darin auch gegen die Vorurteile seiner größten Gegner anschreiben, dass er sich viel mehr mit dem Medium Film auskennt als allgemeinhin angenommen wird.



© Hoffmann und Campe

Links: - Vorgänger De Hadeln | - Nachfolger Chatrian

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 22. Juni 2018
Rissenbeek & Chatrian sind das Berlinale-Duo

Mariette Rissenbeek | © German Films, Kurt Krieger
Carlo Chatrian | © Locarno Festival, Michela Di Savino
Kulturstaatsminsterin Monika Grütters am Freitagmittag:

„Mariette Rissenbeek, die langjährige Geschäftsführerin von German Films, zeichnet sich aufgrund ihrer bisherigen erfolgreichen Tätigkeiten im Filmgeschäft für den Posten der Berlinale-Geschäftsführung aus. Sie hat langjährige Erfahrung im Umgang mit allen bedeutenden Filmfestivals der Welt und ist sowohl national als auch international in der Filmbranche sehr gut vernetzt.“
+
„Carlo Chatrian hat als Leiter des Locarno Filmfestival bewiesen, dass er erfolgreich ein Arthouse-Publikumsfestival kuratieren und verantworten kann. Er steht für eine künstlerisch anspruchsvolle Mischung im Programm und hat auch immer einen Fokus auf noch unentdeckte Talente gelegt.“
+
„Jünger, internationaler und experimentierfreudig wird die künftige Leitung mit Chatrian, der gleichzeitig die künstlerisch-kuratorischen Kompetenzen mitbringt, die sich viele Experten und Filmkünstler gewünscht haben.“
+
„Weiblicher wird die künftige Leitung mit Rissenbeek, die gleichzeitig für Kontinuität und filmwirtschaftliche Kompetenz steht, die verschiedene Filmfestivals und alle deutschen Player kennt und über einen reichen Erfahrungsschatz und ein weit verzweigtes Netzwerk verfügt.“

Carlo Chatrian am Freitagmittag:

„Ich fühle mich, als hätte ich einen Preis gewonnen – nur, dass ich bis jetzt noch überhaupt nichts geleistet habe. Deswegen bin ich ein wenig bewegt. Die Berlinale hat eine lange und ruhmreiche Geschichte. Ich fühle mich geehrt und stolz, jetzt Teil dieser Geschichte zu sein. Vielen Dank, Frau Grütters, mir diese Möglichkeit gegeben zu haben.
+
Es ist eine riesige Herausforderung, die ich sehr ernst nehme. Gleichzeitg begreife ich es als Chance. Heute sind alle Scheinwerfer auf mich und Mariette gerichtet. Aber Festivals wie Filme sind immer das Werk einer Gruppe von Menschen. Deswegen freue ich mich darauf, das Berlinale-Team kennenzulernen und mit ihm zu diskutieren.“
+
„Ich muss Sie bitten, mit mir geduldig zu sein. Ich werde etwas Zeit mit Ihrer Sprache brauchen. Ich werde mein Bestes versuchen. Und ich werde Zeit brauchen, um diese so unglaublich gut organisierte Maschine zu verstehen, die ich in den vergangenen 15 Jahre als Zuschauer besucht habe, dessen innere Mechanismen ich aber noch nicht kenne.“

Mariette Rissenbeek am Freitagmittag:

„Ich freue mich wahnsinnig und finde auch, dass das eine ganz tolle Aufgabe ist, die der Aufsichtsrat der KBB mir und Carlo Chatrian übertragen hat. Ich möchte mich für das Vertrauen bedanken. Ich kenne die Berlinale seit fast 20 Jahren tatsächlich von der anderen Seite. Wir haben sie als Plattform mit internationalen Partner genutzt, um in Kontakt zu treten.“
+
„Ich habe gesehen, wie die Berlinale ausländische Filmemacher, Festivalvertreter und Journalisten anspricht. Ich glaube, es ist wahnsinnig spannend zu gucken, wie sich das Festival in den nächsten Jahren weiterentwickeln kann.“
+
„Meine Rolle liegt darin, Carlo Chatrian genügend Zeit und Aufmerksamkeit zu geben, die Filme anzuschauen und das Programm zu gestalten. Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern der Berlinale, die ich zu einem sehr großen Teil auch schon persönlich kenne. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir in 2020 eine dahingehend ganz besondere Berlinale gestalten werden, dass es einfach 70 Jahre Berlinale sind und wir Vergangenheit und Zukunft feiern können.“

... link (0 Kommentare)   ... comment