Mittwoch, 6. Mai 2015
Eine Nase tankt E10 – Thomas Gottschalks Autobiografie „Herbstblond“

"Hilfe, das 14-49-Jährige-Zielgruppen-Monster!" © Lisa-Film
Wenn ich an Thomas Gottschalk denke, kommen mir spontan immer die paar Zeilen in den Kopf, mit denen Florian Illies seinen Bestseller „Generation Golf“ beginnen ließ: Samstagabend, die warme Wanne, das Playmobil-Piratenschiff, Schwarzbrot mit Nutella und zur Krönung des kindlichen Glücksmoments „Wetten dass“ im Fernsehen. Illies meinte damals zwar den Showmaster Frank Elstner, aber für meine Generation gilt das mindestens im gleichen Maße für Thomas Gottschalk.

Eine eigenwillige Erzählstruktur hat Gottschalk für seine Autobiografie „Herbstblond“ gewählt, die als Hörbuch deutlich mehr Sinn macht, da es sich eher um ein Auto-Parlando denn um Prosa handelt: Zuerst berichtet der bald 65-Jährige noch chronologisch seinen Werdegang, vom früh verstorbenen Vater, den schulischen Problemen, erstem Kuss und Sex ("sie hatte nichts an außer das Radio") sowie den Anfängen beim Bayerischen Rundfunk. Das unterhält ziemlich glänzend, zumal Gottschalk die Kunst beherrscht, ewig zu erzählen und doch nichts zu sagen. Dann folgt allerdings ein riesiger Block zum Themenkomplex „Wetten dass“, der die gesamte zweite der dreieinhalb CDs umfasst. Das ist absolut legitim, weil nichts seine Karriere so stark prägte wie die ZDF-Show. Nur gerät das Ganze zu einem einzigen, ärgerlichen Rechtfertigungsversuch für die „Wetten dass“-Katastrophe um Samuel Koch, die Gottschalk praktisch selbst durch seine Dünnhäutigkeit gegenüber Presse und Einschaltquote mit forciert hatte.

Darauf kreist das Buch ausdauernd um Marcel Reich-Ranicki, den Gottschalk stolz wie ein Beweisfoto für seine verkannte Intellektualität vorzeigt. Schließlich moderierte der Kulmbacher die Ausgabe der Goldenen Kamera, bei der der Literaturpapst seine klug getimte Hasstirade auf die deutsche Fernsehindustrie abließ. Und letztlich sprach er auch bei Reich-Ranickis Beerdigung; seine Rede wurde sogar von der Frankfurter Allgemeinen abgedruckt. Da erinnert Gottschalk an einen Schlagerbarden wie Jürgen Drews, der in keinem Interview die Tatsache auslassen kann, mal ein paar Semester Medizin studiert zu haben. Von Struktur ist zu diesem Zeitpunkt bereits keine Spur mehr. Gottschalk stürzt sich auf bekannte Namen wie Hans Küng und Show-Flops wie seine RTL-Affäre, um sie als Stichwortgeber zu gebrauchen. Auf den restlichen Seiten werden überhastet die Familie, die USA und die Anwesen abgefrühstückt. Zum Schluss zitiert er im Hörbuch – angeblich immer noch auswendig könnend – „Die Telefonbuchpolka“ von Georg Kreisler.
Hommage an Siggi Götz & Dieter Pröttel?
Wer etwa auf Anekdoten, Hintergrundinformationen und Insider zu Gottschalks Filmkarriere ("Der Ring der Musketiere", anyone?) hofft, wird bitterlich enttäuscht. Wenige Sätze bezeugen zwar, dass sie stattgefunden hat. Für Einzelheiten war er jedoch nicht zu haben. Es sei denn, man gibt sich mit der Erkenntnis zufrieden, dass der große Blonde am Filmset anfangs immer mit Blick in die Kamera spielte, so wie er es vom Fernsehen gewohnt war. Beim "Trabbi Goes to Hollywood"-Regisseur Jon Turteltaub zählt er zur Entschuldigung für die eigene cineastische Entgleisung vermeintlich wertvollere Folgefilme wie "Während du schliefst" und "Das Vermächtnis der Tempelritter" auf. Na ja. Mit Gottschalks prägnantem Vorwort zum sehr empfehlenswerten Filmbuch „Die Supernase“ über den Lisa Film-Produzenten Karl Spiehs wird man glücklicher.

Am Ende kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass da jemand eher einfach Gestricktes zur rechten Zeit am rechten Ort war. Kurzzeitig vergessen ist der Spaß, den man mit Filmen wie „Die Einsteiger“ oder „Piratensender Powerplay“, den legendären „Wetten dass“-Momenten oder den Kulmbacher Filmnächten auf Sat.1 gehabt hatte. Hängenbleibt vor allem der weinerliche Ton. Und man muss an die knalligen Worte Harald Schmidts denken, dass es nichts Schlimmeres gebe als diese verwelkten Transsexuellen, die nach dem Ende von „Wetten dass“ noch überall rumstolpern und nicht kapieren, wenn ein Projekt vorbei sei. Das, was RTL Gottschalk anbiete, sehe zwar aus wie ein Klassenzimmer, sei aber eigentlich noch unter dem Dschungel. Und man wünscht sich ein bisschen den Gottschalk herbei, der nach Markus Lanz‘ Verkündung vom „Wetten dass“-Ende dem Spiegel Online-Journalisten spontan ins Telefon diktierte: „Dann hätte ich das Ding auch gleich selbst an die Wand fahren können.“ Hättest du, Tommy, hättest du!

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