Donnerstag, 25. Juli 2019
Venedig-Wettbewerb veröffentlicht

Gong Li in „Saturday Fiction“ | © Ying Films
Hollywood, Netflix, Roman Polanski, der Superhelden-Schurke „Joker“ und die starken Lateinamerikaner lassen auf einen großen Wurf des Venedig-Wettbewerbs 2019 hoffen.

Die deutsche Regisseurin Katrin Gebbe („Tore tanzt“) hat es mit ihrem Film „Pelikanblut“ dann doch nicht in den Wettbewerb geschafft. Aber eigentlich sollte man es feiern, dass sie in der zweitwichtigsten Reihe, der Orrizonte, läuft. Als Frau in den inzwischen wieder so wichtigen Wettbewerb von Venedig zu kommen, bei dem sich die Auteurs nur so drängeln, ist eine echte Herausforderung. Im Vergleich zum Vorjahr steigerte Venedig-Chef Alberto Barbera seine Quote um 100 Prozent. Anstatt nur die Australierin Jennifer Kent („The Nightingale“) einzuladen, gibt es dieses Jahr die erste Saudi-Araberin, Haifaa Al Mansour, die einen Film in ihrer Heimat drehen durfte. „The Perfect Candidate“ ist eine deutsche Co-Produktion mit der Berliner Produktionsfirma Razor Film und dem NDR. Dazu kommt im Wettbewerb die australische Debütantin Shannon Murphy mit ihrem Film „Babyteeth“.

Eigentlich weiß man bei diesem Wettbewerb gar nicht, wo man anfangen soll. Er ist zu attraktiv und vielseitig. Es gibt offene Geschichten, Filme, die nicht laufen, Geheimtipps und Netflix. Es wäre zu einfach, von den Hollywoodfilmen zu schwärmen: James Grays Sci-Fi-Film „Ad Astra“ mit Brad Pitt, Noah Baumbachs Familiendrama „Marriage Story“ mit Scarlett Johansson und Adam Driver, Steven Soderberghs „The Laundromat“ über die Panama Papers mit Meryl Streep und Todd Phillips' „Joker“ mit Joaquin Phoenix. Das sind die Filme, welche die Schlagzeilen und Klicks bringen und den Oscar Buzz haben. Keine Frage – die werden viel Spaß machen.
Punk Rocker Todd Phillips
Mittlerweile bin sogar ich schon auf Phoenix' Joker gespannt. Das will was heißen, weil ich Superhelden selten so langweilig wie 2019 fand. Aber irgendetwas jenseits des Wettbewerbsslot sagt mir, dieser „Joker“ wird besonders. Vielleicht weil der Regisseur Phillips vor den „Hangover“-Filmen und „Road Trip“ die ziemlich unfassbar Dokumentation „Hated: GG Allin & the Murder Junkies“ gedreht hat. Viel mehr Punk Rock als GG Allin geht nicht. Möglicherweise findet sich von diesem anarchischen Geist etwas in Phillips' Film wieder.

Über die Entscheidung, Roman Polanski mit dem Dreyfus-Affäre-Film „An Officer and a Spy“ in den Wettbewerb einzuladen, wird aufgrund von #metoo bereits jetzt in den Trade Papers die Nase gerümpft. Tatsächlich ist das Werk mit Jean Dujardin einer meiner Most-Wanted-Filme des Herbstes. Wieder arbeitet Polanski mit dem „Ghost Writer“-Drehbuchautor Robert Harris zusammen. Der Prozess um Antisemitismus im Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts ist hochspannend. Man könnte sogar sagen, dass er den Zionismus mitbegründete, weil sich Theodor Herzl durch die Ungerechtigkeit zu seiner Bewegung inspirieren ließ. Dazu habe ich sehr viel Lust auf den neuen Pablo-Larraín-Film „Ema“, der toll aussieht. Ye Lou Schwarzweiß-Poem „Saturday Fiction“ mit Gong Li wurde bereits für die Berlinale gehandelt. Es ist zu hoffen, dass die chinesische Zensur nicht doch noch zwischen die Weltpremiere auf der Mostra kommt.
Lokaler Geheimtipp Marcello
Ansonsten natürlich auch viel Vorfreude auf Roy Andersson („About Endlessness“), Olivier Assayas („Wasp Network“), den Eröffnungsfilm „The Truth“ und Jonfans eleganten Anime „No. 7 Cherry Lane“. Viel Buzz bekommt der Italiener Pietro Marcello mit seinem Film „Martin Eden“, weil sein Vorgängerfilm „Lost and Beautiful“ so großartig gewesen sein soll. Auch bin ich sehr gespannt auf das Holocaust-Drama „The Painted Bird“ des tschechischen Regisseurs Václav Marhoul. Und „Waiting for the Barbarians“ des kolumbianischen Regisseurs Ciro Guerra nach einem Roman von J. M. Coetzee klingt auch toll. Ja, das kann ein großes Fest werden – auch ohne Scorsese und die Safdie Brothers.

Die 76. Mostra findet vom 28. August bis 7. September statt. Jurypräsidentin ist die argentinische Regisseurin Lucrecia Martel, Ehrenpreisträger der spanische Regisseur Pedro Almodóvar. Wir berichten live vor Ort.

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