Mittwoch, 30. August 2017
Venedig-Ticker 2017

Alexander Paynes Film "Downsizing" mit Matt Damon und Christoph Waltz

Neben Cannes und der Berlinale zählt das Festival von Venedig zu den bedeutendsten Festivals der Welt. Absteigend aufgelistet finden sich hier deshalb die Venedig-Filme 2017 aus allen Wettbewerben, die mich persönlich am meisten interessieren. Die eigene Vorfreude wie auch das Kritiker-Feedback vor Ort sorgen für die Abstufungen, die ich mit Sternen von fünf bis zwei kenntlich mache. Der Ticker wird täglich upgedatet. Das Festival läuft vom 30. August bis zum 9. September.

NEU: Fredrick-Wiseman-Doku "Ex Libris", israelischer Löwenfavorit „Foxtrot“, Guillermo del Toros Monsterfilm "The Shape of Water"

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★★★★★

"The Shape of Water" (Guillermo del Toro)
Deutscher Kinostart: 15.02.2018

[Wettbewerb] - Venedig-Festivalchef Alberto Barbera sagte gegenüber dem Branchenblatt Screen Daily, "The Shape of Water" sei der beste del-Toro-Film, den er seit "Pan's Labyrinth" gedreht habe. Der Film erzählt in den 1960er-Jahren von einer Liebesgeschichte zwischen einer stummen Reinigungskraft (Sally Hawkins) und einer fremdartigen Wasserkreatur (Doug Jones), die vom US-Militär festgehalten wird. Die Amerikaner hoffen, das Geschöpf als Waffe im Kalten Krieg einsetzen zu können. Es ist das erste Mal seit "Pan's Labyrinth" der Fall, dass del Toro wieder in den Wettbewerb eines A-Festivals eingeladen wurde.

Der überhaupt nicht leicht zu begeisternde Herausgeber des britischen Filmmagazins Sight & Sound, Nick James, ist ein bisschen aus dem Häuschen: Demnach beginnt der neue del-Toro-Film wie Jean-Pierre Jeunets "Delicatessen", wandelt sich dann aber zu klassischem Hollywoodkino und schafft das auf seine ganz eigene geniale Art. Der Boston Globe-Kritiker Ty Burr twittert, del Toro habe den Monsterfilm mit der Romantik und Seele des Musicalgenres angereichert: „Ein reiner und schwelgerischer Filmgenuss“, lautet sein Fazit.

Für Stephanie Zacharek vom Time Magazine ist "The Shape of Water" der schönste Liebesbrief, den sich ein Filmmonster je erträumen könnte. TimeOut-Chef Dave Calhoun twittert, der Film sei auf eine herrliche Weise exzentrisch und fantasievoll. Der selten in Wallung geratene Kritikerpapst Michel Ciment, der Herausgeber des französischen Filmmagazins Positif ist, zückt die Höchstwertung.

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★★★★½

"Downsizing" (Alexander Payne)
Deutscher Kinostart: 18.01.2018

[Wettbewerb] - Der amerikanische Regisseur Alexander Payne ("About Schmidt", "Election"), der sich vier Jahre seit seinem letzten Film Zeit genommen hat, eröffnet mit der Science-Fiction-Satire "Downsizing" das Festival von Venedig. Der Film mit Matt Damon, Kristen Wiig und Christoph Waltz über Menschen, die wegen der Überbevölkerung geschrumpft werden und fortan in Miniaturstädten leben dürfen, ist gleichzeitig der offizielle Startschuss für das Oscar-Rennen 2018. Wenn alles mit rechten Dingen zugeht, müsste sich "Downsizing" direkt in die Führungsgruppe um "Dünkirchen" und "Call Me by Your Name" einreihen.

Variety-Chefkritiker Owen Gleiberman schwärmt von "Downsizing" in den höchsten Tönen und bezeichnet ihn als "Live-Action-Pixar-Film auf Acid". Ein anderer schöner Vergleich von Gleiberman ist, dass "Downsizing" wie der Hollywood-Kinderklassiker "Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft" sei, aber gedreht von einem scharfzüngigen und todernst dreinschauenden Sozialstatiriker. John Bleasdale von CineVue bescheiningt Payne sogar Kaufmaneske Qualitäten. Der Guardian-Kritiker Xan Brooks twittert von einem "liebevollen und wilden Film-Giganten", in dem vor allem Matt Damon und Christoph Waltz mit ihren Schauspielleistungen glänzen können.

Total Film-Kritiker James Mottram nennt den Film "brutalwitzig und nachdenklich stimmend". Mein englischsprachiger Lieblingskritiker im Festivalzirkus, Lee Marshall, sagt auf Twitter, "Downsizing" sei zwar deliziös, aber auch mit Fehlern behaftet. Die graue Eminenz vom Hollywood Reporter, Todd McCarthy, behauptet dagegen, dass es sich um Paynes bis dato besten Film handelt. Auch Peter Travers vom Rolling Stone spricht von einem "visionären Meisterwerk".

Der Auteur Alexander Payne ist ein amerikanisches Nationalheiligtum. Mit zwei Filmen am Anfang seiner Karriere hatte er sich diesen Ruf bereits zurecht verdient gehabt: "Election" und "About Schmidt" sind schwarze, geschliffen scharfe Satiren über das Leben. Sie sind so genau beobachtet, geschrieben und gespielt, so dass sie mindestens zu den besten Komödien der vergangenen 20 Jahre zählen. Und selbst Paynes schwächere Werke wie sein Debütfilm "Citizen Ruth" oder "The Descendants" mit George Clooney sind originell und erfrischend genug in ihrer Herangehensweise an schwierige Themen wie Abtreibung oder Sterben, um im Gedächtnis zu bleiben.

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★★★★

"Zama" (Lucrecia Martel)

[Out of Competition] Neun Jahre ist der letzte Film ("The Headless Woman") der umfeierten Lucrecia Martel her. Jetzt scheint sie mit "Zama" selbst für abgehärtete Cineasten eine echte Herausforderung darzustellen: Guardian-Kritiker Xan Brooks nennt den Film der Argentinierin ein "fremdartiges, sinnliches Wunder" und vergibt die Höchstwertung. Guy Lodge von Variety hat einen "herausfordernden, formal begeisternden Kolonial-Alptraum" gesehen. Es geht um eine spanische Kolonie im 18. Jahrhundert an der Küste Paraguays.

"Ex Libris: New York Public Library" (Frederick Wiseman)

[Wettbewerb] Ein Dokumentation über die öffentliche New Yorker Bücherei von dem Bostoner Festivaldarling Frederick Wiseman ("National Gallery", "At Berkeley"). Robbie Collin vom Daily Telegraph ist begeistert: "Eine geniale Abhandlung über Wissen als universelles Menschenrecht und auch eine heimliche Symphonie New Yorks." Dave Calhoun von TimeOut stimmt in die Hymne mit ein. "Ex Libris" laufe über vor Liebe für Wissen, Bücher, Gespräche und Debatten.

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★★★

"Foxtrot" (Samuel Maoz)

[Wettbewerb] Der Regisseur Samuel Moaz gewann im Jahr 2009 den Goldenen Löwen von Venedig für seinen klaustrophobischen Panzerfilm „Lebanon“. „Foxtrot“ ist erst der zweite Film des Israelis, aber schon wieder ist er im Rennen um den höchsten Preis der Mostra ganz vorne mit dabei. „Foxtrot“ übt scharfe Kritik am israelischen Militär, das in den Augen des Films seine junge Bevölkerung für die eigene politische Agenda verheizt. Moaz erzählt in einer kompliziert dreiteiligen Handlung vom Tod eines jungen israelischen Soldaten und was dieses Schicksal für die Hinterbliebenen bedeutet. „Preisverdächtiges Kino auf einem furchtlosen Level“, findet der Variety-Kritiker Jay Weissberg.

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