Montag, 23. Januar 2017
Was sich in der Perspektive Deutsches Kino lohnen könnte

"Millennials" © Florian Mag
Beim Stöbern durch die diesjährigen Filme der Perspektive Deutsches Kino auf der Berlinale fällt auf, dass auf Anhieb mehr interessante Projekte zu finden sind als in früheren Jahren.

Die Perspektive Deutsches Kino wird als Berlinale-Reihe immer etwas stiefmütterlich behandelt. Meistens muss sich der Filmkritiker Rüdiger Suchsland jedes Jahr aufs Neue aufopfern und über die einzelnen Filme berichten, die ansonsten eher vergessen werden. Das klingt dann in den Texten häufig nach wackeren Versuchen und ordentlichen Debütfilmen. Meinem Gefühl nach brennt aber niemand für die Reihe. Ich mag sie aus unerfindlichen Gründen. Denn ich mag deutsche Filmgeschichte. Das ist mein Steckenpferd. Und die Filme, die in der Perspektive gezeigt werden, haben zumindest das Potenzial, irgendwann mal als Filmperlen wiederentdeckt zu werden. Dieses Jahr gibt es neun abendfüllende Spiel- und Dokumentarfilme plus einige mittellange Filme zu sehen.

Ich habe mir vorgenommen, mehr Filme aus der Perspektive zu schauen als im vergangenen Jahr. Das waren mit „Agonie“, „Lotte“ und „Meteorstraße“ immerhin drei Stück. Ich habe mir aus dem aktuellen Jahrgang sechs Kandidaten herausgepickt. Gesetzt ist auf jeden Fall der Eröffnungsfilm „Back for Good“ von Mia Spengler. Ein Trash-TV-Starlet, gespielt von einem echten Soap-Sternchen, das in die Provinz zurückkehrt. "Young Adult" in gut?
Hunde, Wong Kar-wai & Millennials
Worauf ich auch Lust habe, ist der Film “Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“. Das könnte ganz schrecklich anstrengender Indie-Kunstquark der schlimmsten Sorte werden. Aber der Trailer zu Julian Radlmaiers Film hat bei mir die richtigen Knöpfe gedrückt. Radlmaier, der selbst eine der Hauptrollen spielt, sieht ein bisschen aus wie Xavier Dolan. Und wenn das Werk nicht in der Perspektive liefe, sondern in Toronto Weltpremiere gefeiert hätte, wären die visuellen Einflüsse von Wes Anderson, dem frühen Apichatpong Weerasethakul, der Nouvelle Vague und unzähligen europäischen Auteurs eine Verheißung. Also nehme ich „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“, in dem es laut Pressetext um einen bürgerlicher Windhund geht und wie dieser vom verliebten Filmemacher zum Apfelpflücker, Revolutionsverräter und schließlich zum Vierbeiner wird, genauso.

Toll sieht auch „Tara“ von Felicitas Sonvilla aus. Wie ein Wong Kar-wai-Film mit Flüchtlingsthematik. Die Berlinale nennt „Tara“ einen poetischer Science-Fiction-Film, der erörtert, was passieren würde, wenn die Menschen eines Tages aus Europa fliehen müssten. Das "Tara"-Poster scheint sehr stilbewusst einen Giallo mit "True Detective" gemischt zu haben. Da das Werk als mittellanger Spielfilm geführt wird, müsste ich den auf jeden Fall in meinen Programmplan quetschen können.

Der 30-Minüter “Kontener“ erinnert in seinen Bildern an Horrorperlen wie Fabrice Du Welz‘ „Calvaire“ oder György Pálfis „Taxidermia“. Dabei geht es in Sebastian Langs Film eigentlich um zwei Polinnen, die auf einem Milchhof in Brandenburg arbeiten. Der Titel des Films “Millennials“ ist gleich in Sippenhaft für eine ganze Generation von Werken in der Perspektive genommen worden. Jana Bürgelins Film soll laut Berlinale ein dokumentarisch anmutendes Großstadtmärchen sein. Auch hier vermitteln die wenigen existierenden Filmstills bereits einen visuellen Stil und ein Gespür für Stimmungen, die mein Interesse wecken.

Lars Hennings Film ”Zwischen den Jahren” steht abschließend auf meiner Liste. Da reicht es fast den Regisseur zu sehen, um einen spannenden Film zu erwarten. Der Mann sieht nach Männerkino, nach Genreerfahrung und einem interessanten Charakterportrait aus. Nach 15 Jahren Knast kommt hier der Protagonist frei. Doch wird er von dem Mann heimgesucht, dessen Leben er damals zerstörte. Gerne doch.

Link: - Berlinale-Fundstück "Agonie"

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