Montag, 9. Dezember 2013
Bora, der Boxoffice-Schreck

Dağtekin beeindruckt Opas Kino (Glas, Weitershausen)
Diese Woche wird Bora Dağtekins Spielfilm „Fack Ju Göhte“ den bislang erfolgreichsten Film an den deutschen Kinokassen 2013, „Django Unchained“, passieren und auf die fünf-Millionen-Zuschauermarke zusteuern. Grund genug, noch mal genauer zurückzublicken.

Das bekannteste Zitat zu den extrem populären „Lümmel von der ersten Bank“-Filmen der 1960er- und 1970er-Jahre, die den direkten Vergleich mit „Fack Ju Göhte“ aufgrund ihrer Ähnlichkeit geradezu heraufbeschwören, stammt wohl aus Robert Fischers und Joe Hembus‘ herausgegebenem Lexikon „Der Neue Deutsche Film 1960-1980“. Als „strategisch brillantes Rückzugsmanöver des Altfilms“ wurden die von Franz Seitz produzierten Filme entlarvt, die den „revolutionären Geist von 1968“ auffingen, domestizierten und zur Genugtuung der Kleinbürger diffamierten. Anstatt „Ho-Ho-Ho-Tschi-Minh“ skandierten die Schüler in „Zum Teufel mit der Penne“ zum Beispiel parodierend „Ho-Ho-Hosen runter!“ Unter deutschen Filmwissenschaftlern und Filmkritikern genießen die Pepe-Filme bis heute einen schlechten Ruf. Die Kritik arbeitete sich vor allem an der versteckten Ideologie ab: Die Karikaturen der Lehrer seien verstaubten Witzblättern entnommen, schrieben Seeßlen und Kling im „Großen Unterhaltungslexikon“. So seien in den Filmen Zustände einer satirischen Kritik unterworfen worden, die längst überwunden seien, um so das Überlegenheitsgefühl des Publikums zu stärken. Ich habe auf der einen Seite immer diese reine Ideologiekritik der linken Kritiker-Ikonen, die Opas Kino prinzipiell verdammten, für ihre Strenge bewundert. Auf der anderen Seite hielt ich sie doch nur für die halbe Wahrheit, weil eine antiquierte Geisteshaltung nicht automatisch zu einem schlechten Film führen muss, zumal ich die Pepe-Filme ziemlich liebe.

Der trottelige Hausmeister, den Hans Terofal mit seinen funny bones, eines Slapstick-Komikers der Stummfilmzeit würdig, so kongenial in allen Lümmel-Filmen spielte, erhielt etwa den Nachnamen Bloch. Gewiss war das ein weiterer Beweis für die Voreingenommenheit des Altfilms gegenüber der 68er-Bewegung, der auf diese Weise versuchte, den marxistischen Philosophen und geistigen Vater der Studentenbewegung, Ernst Bloch, zu verspotten. Aber das ist eben einer der entscheidenden Unterschiede zwischen damals und heute. Diese verstaubten Grabenkämpfe haben in „Fack Ju Göhte“ für den Regisseur und Drehbuchschreiber Dağtekin höchstens noch eine untergeordnete Rolle. Obwohl ich nur zu gerne gesehen hätte, wie der Protagonist Zeki Müller, der sich ursprünglich auf den Hausmeister-Job bewirbt, die hibbelige Bloch-Rolle neuinterpretiert hätte. Elyas M’Barek konnte ja bereits Erfahrungen als Pausenkiosk-Betreiber in „What a Man“ sammeln, was übrigens der interessanteste Aspekt im ansonsten indiskutabel schlechten Schweighöfer-Film war. Jedenfalls ist Dağtekins Namedropping in „Fack Ju Göhte“ deutlich sympathischer und spielerischer als in den Lümmel-Filmen. Bei ihm heißt seine aufsässigste Problemschülerin Chantal Akerman, wie die belgische Kunst-Queen, was auch dem Branchenblatt Hollywood Reporter (englischer Verleihtitel „Suck Me Shakespeer“) nicht verborgen blieb. Das kleine, wissende Kopfnicken Richtung Avantgarde verstehe ich zumindest nicht als Diss, zumal Chantal – großartig gespielt von „Lollipop Monster“- und „Kriegerin“-Darstellerin Jella Haase – am Ende des Films zu einer Art Musterschülerin mutiert, sondern als Verweis darauf, dass Dağtekin nicht vor hat, auch noch „Fack Ju Göhte Teil 6 – Betragend ungenügend“ zu drehen.
Die Crystal-Meth-Bowle
Dabei lassen sich in der „Fack Ju Göhte“-Handlung beinahe aus jedem Klassiker des reichhaltigen deutschen Schulfilm-Fundus Versatzstücke erkennen. Aus Filmen also, die die Figur Zeki Müller nie in seinem Vertretungsunterricht zeigen würde, weil sie vorrangig in die verbotene Kategorie „Schwarzweiß-Scheiß eurer Nazi-Großeltern“ fielen. Schon in „Die Feuerzangenbowle“ gibt sich der Schüler Pfeiffer mit drei F als Lehrer aus und karnevalisiert das Rollenverhältnis. In „Fack Ju Göhte“ ist der falsche Lehrer ein Kleinganove, der interessanterweise mit Hilfe von Nutten, Drogenjunkies und einer Hartz-4-Familie seine Chaos-Klasse wieder auf den rechten Pfad bringt. Der Erich Kästner-Klassiker „Das fliegende Klassenzimmer“ könnte mit dem titelgebenden Theaterstück als Gemeinschaft stiftendes Klassenprojekt Pate für die Modernisierung des Shakespeare-Stücks gestanden haben. Das Streiche-Repertoire der 10b aus „Fack Ju Göhte“ unterscheidet sich auch nur unwesentlich von den ollen Kamellen der „Lümmel von der ersten Bank“. Dunklere Momente wie der Selbstmord-Internet-Chat der jüngsten Schwester erinnern dagegen etwa an ein kleines Hark-Bohm-Meisterwerk wie „Moritz, lieber Moritz“. Die zahlreichen, geschickt im Hintergrund eingewobenen Mobbing-Vorfälle in „Fack Ju Göhte“ könnten wiederum auf „Die unendliche Geschichte“ verweisen.

Tatsächlich ist das Mobbing in „Fack Ju Göhte“ nur scheinbar im Hintergrund. Denn es ist vor allem Teil der Persönlichkeitsentwicklung der beiden Protagonisten, womit wir beim größten Trumpf des Films angekommen sind. Wenn man jedenfalls einmal davon absieht, mit welcher Leichtigkeit und Konzentration diese deutsche Komödie gebaut, inszeniert, geschrieben und gespielt ist. An Gustaf Gründgens‘ bleischwerem Qualitätscredo von der „Unterhaltung, aber mit Haltung“ ist sonst noch fast jeder gescheitert, wenn man in den letzten Jahrzehnten von solchen Glücksfällen wie „Der Wald vor lauter Bäumen“ absieht. Denn das Mobbing definierte Karoline Herfurths Lehrer-Figur Lisi Schnabelstedt, die in der Pubertät etwas kräftiger war und diese Unsicherheit bis heute mit sich herumträgt. In ihr blitzt auch die linke Geisteshaltung der 68er-Generation wieder auf, wenn sie als Besserwisser-Öko-Tante ein geheimes Wörterbuch für Jugendsprache führt, um sich auf Augenhöhe mit den kleinen Monstern unterhalten zu können, was ihr aber nur die Ignoranz der Schüler und Rempeleien auf dem Schulflur einbringt. Ihre wichtigste didaktische Mission scheint – ganz den Doktrin des Bildungsnazis Bastian Sick folgend – die Rettung des Genitivs zu sein, womit sie ebenso kläglich scheitert. Die altgewordenen 68er und ihre verzogenen Kinder sind ein Lieblingsmotiv Dağtekins, dem er bereits in der TV-Serie und dem späteren Kinofilm „Türkisch für Anfänger“ gründlich und mit viel Humor nachgegangen ist. Wie überhaupt sein neuer Kinofilm durchaus auteuristische Qualitäten in Figuren, Themen, Schauspielern und Stilmitteln zeigt. Aber es ist eben Dağtekins überzeichneter, nur insgesamt viel ehrlicherer und kenntnisreicherer Blick auf die Lehrer, die in früheren Jahrzehnten meist nicht mehr als Witzblatt-Karikaturen waren, die aus „Fack Ju Göhte“ einen großen Wurf machen.
Warum Katja Riemann?
Die Lehrer in „Fack Ju Göhte“ bestehen aus Fleisch und Blut. Sie haben Schwächen, Leidenschaften und Sehnsüchte, ob als frische Referendarin oder als alte, mit allen Wassern gewaschene Direktorin. Sie haben nicht nur Diebesbeute unter der Turnhalle liegen, die im Film für nette Heist-Ausflüge sorgen, sondern auch geheime Briefe an sich selbst verfasst, in denen sie sich Kinder wünschen, ohne dick werden zu müssen – und deshalb Lehrer wurden. Viel besser kann man doch den von der Gesellschaft heute eingeforderten Spagat moderner Frauen nicht zusammenfassen. Dağtekin stammt bekanntlich aus einem Lehrerhaushalt. Er hat dadurch nicht nur das Ohr für die gefeiert-authentische Jugendsprache, die er blockbustergerecht ausbeutet, sondern auch für die Leiden der Uschi Glas, die sich als völlig überforderte Lehrerin aus dem ersten Stock stürzt. Jene Uschi Glas, die in den Lümmelfilmen damals das Millionärstöchterchen Marion Nietnagel gab und jetzt quasi einmal das System durchlaufen hat und auf der anderen Seite unsanft wieder ausgespuckt wurde. Das gab es zwar bereits in Hollywood mit Matthew Broderick, der in „Ferris macht blau“ die Lehrer zur Weißglut trieb und in „Election“ selbst an einer Schülerin verzweifelte. Aber diese Geschichte wird nie alt, vor allem wenn sie deutsche Filmgeschichte auf so wunderbare Weise miteinander verbindet. Nur eins müssen Sie mir erklären, Herr Dağtekin: Warum besetzen Sie immer wieder Katja Riemann? Bitte sagen Sie, dass die Constantin Sie dazu zwingt! Aus freien Stücken kann das doch nicht geschehen. Oder ist das Ihr persönliches Briefgeheimnis, das unter der Turnhalle lagert?

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