Sonntag, 28. Oktober 2018
Frémaux: Ich verstehe die Oscar-Obsession der Presse nicht

Ab 16. November im Netz: „Ballad of Buster Scruggs“ | © Netflix
Der Cannes-Direktor Thierry Frémaux hat die Presse für ihre „Besessenheit von dieser einer Nacht im März“ kritisiert. Für 2019 hat er aber selbst Hoffnungen, wieder Netflix-Filme zeigen zu können.

Der Direktor des Filmfestivals von Cannes, Thierry Frémaux, hat sich zu der Konkurrenzlage mit dem erstarkten Venedig-Festival geäußert. In Rom sagte er laut des Branchenblatts Screen Daily bei einem Podiumsgespräch des dortigen Filmfests: „Ich verstehe diese Obsession mit amerikanischen Filmen nicht. Mein Freund Barbera hatte nicht den Koreeda-Film, keine koreanischen, ägyptischen oder libanesischen Filme im Wettbewerb.“ Seiner Meinung nach müsse ein Festival das Kino der ganzen Welt zeigen. „Dennoch hatten wir Spike Lees und John Cameron Mitchells Film“, führte Frémaux weiter aus.

Der diesjährige Wettbewerb von Cannes wurde als erfrischender Neuanfang von den Filmkritikern vor Ort gewertet. Gleichzeitig fehlte aber ein wenig der Hollywood-Glamour und die internationale Strahlkraft. Das hatte auch mit den Streitigkeiten mit dem Streaming-Riesen Netflix zu tun. Weil der in Cannes keine Wettbewerbs-Slots für seine Filme versprochen bekam, wanderte der spätere Gewinner des Goldenen Löwen, „Roma“ von Alfonso Cuaron, nach Venedig. Dazu gab es für Frémauxs Konkurrenten Alberto Barbera oben drauf den neuen Coen-Western „The Ballad of Buster Scruggs“, den Paul-Greengrass-Film „22 July“ und den jahrzehntelang nicht fertig gestellten Orson-Welles-Film „The Other Side of the Wind“. Neben „Roma“ feierten auch andere Oscar-Frontrunner wie „A Star Is Born“, „First Man“ und „The Favourite“ ihre Weltpremieren am Lido.
Frémaux hofft auf Scorseses Netflix-Film
„Venedig spielt sein Spiel und sie haben das Recht, Netflix-Filme zu zeigen, wenn sie Cannes nicht nimmt. Sie haben auch das Recht die Oscar-Karte zu spielen, weil die Presse mehr besessen von einer Nacht im März als von den sechs Monaten zwischen Juli und Oktober ist.“ Der Vorstand von Cannes, indem auch einige der wichtigsten französischen Kinobetreiber sitzen, hatte Frémaux in diesem Jahr untersagt, Netflix-Filme in den Wettbewerb einzuladen. Im Jahr 2017 hatte er sich noch über die Vorgaben hinweggesetzt und die Filme „Okja“ und „The Meyerowitz Stories“ in seiner wichtigsten Reihe präsentiert. Das hatte ihn fast seinen Job gekostet.

„Ich bin weder für noch gegen Netflix”, sagte der Cannes-Direktor. „Meine Aufgabe ist es, den aktuellen Stand des Kinos in einer Zeit zu zeigen, in der Martin Scorsese einen Film herausbringt, der von Netflix produziert wurde.“ Nach der Sperre des Vorstands in diesem Jahr scheint es aber Bewegung oder zumindest eine neue Diskussion zu geben. „Ich würde gerne jeden Film zeigen können, den ich mag. Ich konnte 2018 nicht jeden Film einladen. Wir werden sehen, wie das 2019 ist.“ Scorseses Netflix-Gangsterepos „The Irishman“ mit Robert De Niro, Al Pacino, Joe Pesci und Harvey Keitel befindet sich gerade in der Postproduktion. Es ist der erste Film des amerikanischen Regisseurs seit „Silence“ aus dem Jahr 2016.

Frémaux äußerte sich auch zu der umstrittenen Entscheidung, Galapremieren und Pressevorführungen in Cannes parallel stattfinden zu lassen. „Ein französischer Film wurde bei seiner Premiere sehr gut angenommen, während die Reaktionen der Presse nicht sonderlich gut waren. Wir und die potenziellen Käufer waren glücklich über diese unterschiedlichen Meinungen, welche den Film bei der Gala-Premiere sahen und ihn trotz der lauwarmen Presse-Reaktionen einkauften.“

Link: - Was 2019 auf der Berlinale laufen könnte

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