Donnerstag, 13. Dezember 2018
Fatih Akin kehrt mit „Der Goldene Handschuh“ heim auf die Berlinale

„Goldener Handschuh“ | © 2018 WarnerBros.Ent./GordonTimpen
Die ersten Highlights des Berlinale-Wettbewerbs 2019 sind die deutschen Beiträge: Fatih Akin kehrt mit dem Serienmörder-Portrait „Der Goldene Handschuh“ zurück. Auch gibt es einen mit Spannung erwarteten neuen Angela-Schanelec-Film.

Mit dem Goldenen Bären für „Gegen die Wand“ im Jahr 2004 hatte Fatih Akins Weltkarriere in Berlin begonnen. Die Jurypräsidentin Frances McDormand bezeichnete das Werk als filmischen „Rock'n'Roll“. Akin ist seitdem einer der ganz wenigen deutschen Regisseure, die regelmäßig nach Venedig und Cannes eingeladen werden. Aber auch er war nicht gefeit gegen Flops. Sein Film über den türkischen Genozid an den Armeniern, „The Cut“, fand international wenig Anklang. Der Hamburger musste sich neu erfinden.

Er verfilmte Wolfgang Herrndorfs twain'sche Popliteratur „Tschick“. Wenn man so will, begab sich der begnadete Auteur damit in die Niederungen des deutschen Unterhaltungsfilms, auf den die Kritiker mit Verachtung blicken. Akin aber drehte einen wunderschönen Coming-of-Age-Film, der Herrndorfs Vermächtnis gerecht wurde. Mit seinem NSU-Film „Aus dem Nichts“ spielte Akin bereits wieder in der ersten Liga mit, wurde in den Wettbewerb von Cannes eingeladen und gewann einen Golden Globe.

Mit seinem aktuellen Projekt, der Verfilmung von Heinz Strunks Serienkiller-Portrait „Der Goldene Handschuh“, wäre eigentlich der Weg frei gewesen für die Croisette. Man sah Akin schon in einem Ausnahme-Wettbewerb im Mai an der Seite von Quentin Tarantinos „Once Upon a Time in Hollywood“ und seinem Vorbild Martin Scorsese und dessen Netflix-Gangsterepos „The Irishman“. Wie die Berlinale am Donnerstag mitgeteilt hat, läuft „Der Goldene Handschuh“ aber im Wettbewerb am Potsdamer Platz. Die Geschichte um den Serienmörder Fritz Honka (gespielt von Jonas Dassler), der in den 1970er-Jahren mehrere Frauen in Hamburg umbrachte, ist dann in den Augen eines Thierry Fremauxs vielleicht doch zu spezifisch deutsch.
Deutschland im Spiegel der Serienkiller
Denn Serienkiller pflastern die deutsche Filmgeschichte. Angefangen bei „Das Cabinet des Dr. Caligari“ und „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ über Robert Siodmaks Film „Nachts, wenn der Teufel kam“ und „Es geschah am hellichten Tag“ bis hin zu aktuelleren Vertretern wie „Der Totmacher“, „Der Sandmann“ und „Antikörper“. In ihnen spiegeln sich die Abgründe der deutschen Seele am vortrefflichsten wider. Nur dass bei Akins „Der Goldene Handschuh“ ein anderes populäres deutsches Subgenre hinzukommt, nämlich der St. Pauli-Film: ob in der romantischen Version bei Helmut Käutner („Große Freiheit Nr. 7“) oder in der realistischeren Stoffen von Rolf Olsen („Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn“) oder Alfred Vohrer („Das gelbe Haus am Pinnasberg“).

Als dritte prägende Wurzel könnte es bei Fritz Honka den deutschen Schlager geben. Man darf gespannt sein, in wiefern Akin da auf Strunks Expertise aus dem Roman zurückgreift. Vielleicht ist die Mischung aus Serienkillerfilm und St. Pauli-Milieuschilderung der genau richtige Platz für den Schlager, um seine ganze Widersprüchlichkeit und Schönheit jenseits des Kitsches oder Trashs zu entfalten. „Der Goldene Handschuh“ ist sicherlich nicht das, worauf die internationale Kritikerschaft gewartet hat. Die würde sich wahrscheinlich mehr über Terrence Malick, Harmony Korine oder Pedro Almodóvar freuen. Das kann natürlich auch noch kommen. Aber für Negative Space ist diese Weltpremiere schon jetzt eines der größten Highlights der Berlinale 2019.

Das Filmfestival gab neben „Der Goldene Handschuh“ noch fünf weitere Wettbewerbsfilme am Donnerstag bekannt. Drei davon hat Negative Space frühzeitig vorhergesagt: François Ozons „By the Grace of God“, Denis Côtés Horrorfilm „Ghost Town Anthology“ und Angela Schanelecs „Ich war zuhause, aber“. Bei Ozons Abrechnung mit den Missbrauchsfällen in der Katholische Kirche verwundert nur, dass es keine Weltpremiere, sondern eine internationale Premiere ist. Der Kanadier Côté, der aus dem Dokumentarfilmbereich kommt, hat bei seinen Spielfilmen eine ausgeglichene Hit-and-Miss-Quote. Nach der Wettbewerbsleiche „Boris sans Béatrice“ im Jahr 2016 wäre jetzt mal wieder eine Perle dran.

„Der Boden unter den Füßen“: Mavie Hörbiger und Valerie Pachner | © Juhani Zebra
Toll: Ein neuer Angela-Schanelec-Film
Der Fall Angela Schanelec ist ein interessanter: Sie begann ihre Karriere auf der Berlinale 1995 mit „Ich bin den Sommer über in Berlin geblieben“, fand dann als Teil der Berliner Schule aber ein Zuhause in der Un-Certain-Regard-Reihe von Cannes. In den Wettbewerb schaffte sie es leider nie. Aber sie hat unter anspruchsvollen deutschen Filmkritikern eine feste Anhängerschaft. Der kommende künstlerische Leiter der Berlinale, Carlo Chatrian, ist offenbar auch angetan. Deswegen lud er 2016 Schanelecs Film „Der traumhafte Weg“ in den Locarno-Wettbewerb ein.

Ihr neuer Film „Ich war zuhause, aber“ mit Franz Rogowski und Lilith Stangenberg wird im kommenden Berlinale-Wettbewerb etwas für Feinschmecker sein: Lange Einstellungen, wenig Dialog und das kreative Spiel mit der Narrative. Es geht um einen 13-jährigen Jungen, der für eine Woche von Zuhause verschwindet, als sein Vater verstirbt. Hinter „Der Goldene Handschuh“ ist es der aufregendste Titel der ersten Wettbewerbsbeiträge. Mit diesen beiden Werken ist übrigens auch schon die Hälfte des deutschen Wettbewerbskontingent erschöpft, sollte Berlinale-Direktor Dieter Kosslick denn alle vier möglichen Slots ausreizen. Da wird es jetzt eng für Sebastian Schipper, Jan Ole Gerster, Katrin Gebbe, Burhan Qurbani, Anne Zohra Berrached und Edward Berger.

Zu den weiteren ersten Titel des Berliner Filmfests, das vom 7. bis 17. Februar stattfindet, zählt der türkische Wettbewerbsbeitrag „A Tale of Three Sisters“ von Emin Alper, der von Komplizen Film co-produziert wurde, sowie der österreichische Wettbewerbsfilm „Der Boden unter den Füßen“ von Marie Kreutzer. Dazu kommen im Berlinale Special Heinrich Breloers „Brecht“ mit Tom Schilling, der im März auch auf Arte und in der ARD gezeigt wird, die Charles-Ferguson-Dokumentation „Watergate“ aus Telluride und der indische Film „Gully Boy“ von Zoya Akhtar.

Links: - Kommt Almodóvar? | - Jurypräsidentin Binoche

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