Mittwoch, 10. Juni 2015
DVD-Tipp: "Mädchen mit Gewalt" (Roger Fritz)

© Subkultur Entertainment
Wir machen mal einen Test. Achtung. Fertig. Los.

Ingmar Bergmans „Die Jungfrauenquelle“ ausgenommen: Wie lautet der früheste Rape & Revenge-Film, der euch spontan einfällt? „Ms. 45“? „I Spit on Your Gave“? „They Call Her One Eye“? „The Last House on the Left“? „Deliverance“? „Clockwork Orange“? „Straw Dogs“?

Wie wär’s mit einem deutschen Film? Gibt es überhaupt gar nicht, sagt ihr? Doch, jetzt schon – irgendwie. In der Edition Deutsche VITA des DVD-Labels Subkultur Entertainment ist am 20. Mai der verschollene Roger Fritz-Film „Mädchen mit Gewalt“ erschienen, der nie im TV lief und bislang auf keinem Trägermedium zu finden war. Jetzt existiert der Film in der bestmöglichen Weise, die als Vorbild für den Rest dienen sollte: Edel verpackt, gleich in doppelter Ausführung als Blu-ray und DVD, herzallerliebst vollgestopft mit Trailern, Hintergrund-Interviews und zwei Audiokommentaren. Ein Kommentar rechtfertigt allein den Kauf zum stattlichen Preis. Hofbauer-Kommandant Christoph Draxtra und Filmwissenschaftler Sano Cestnik unterhalten sich mit Regisseur Roger Fritz und Hauptdarsteller Arthur Brauss. Es ist ein wehmütiges, rauschhaftes Gespräch, dem nur Fritz selbst gelegentlich eine Atempause gönnt, in dem er nach mehr Ton verlangt. Ja, das ist höchstwahrscheinlich jetzt schon das Heimkino-Highlight des Jahres.

Die Krautploitation-Perle um zwei durchtriebene Frauen-Abschlepper, die in ihrem nächtlichen Kiesgruben-Date mit dem „Bridget-Bardot-Verschnitt“ Helga Anders nicht völlig unproblematische Widerhaken besitzt, wurde bereits erschöpfend auf Seiten wie critic.de, kino-zeit.de, Grün ist die Heide oder in der taz besprochen (am Ende des Artikels verlinkt). Er verdient viele dieser Lobpreisungen. Mich fasziniert aktuell, wie die Filmidee aufs Papier und auf die Leinwand kam, gerade weil es vorher wie nachher mit Ausnahme vielleicht von Roland Klicks Filmen („Deadlock“) eigentlich keine vergleichbaren deutschen Ansätze gab. Man muss sich vorstellen: Heute maulen wir bereits vor Übersättigung, wenn ein halbes Dutzend Superhelden-Filme im Jahr auf den Markt geschmissen wird. Ende der 1960er-Jahre liefen über vierzig Italowestern von Januar bis Dezember in den bundesrepublikanischen Kinos an. Eine unvorstellbare Anzahl. Klar, waren darunter auch kleinere Produktionen, die untergingen. Aber theoretisch konnte man das gesamte Jahr über den südländischen Nachbarn beim Genremachen zuschauen.

Der erfolgreichste Film des Jahres 1969 hieß bekanntlich „Spiel mir das Lied vom Tod“ (13 Millionen Zuschauer). Italowestern waren Teil des Mainstreams. Der Verleih Cinerama, der gemeinsam mit Roger Fritz und dem Produzenten Arthur Cohn („Ein Tag im September“) den Film „Mädchen mit Gewalt“ finanzierte, verdiente sein Geld in den Anfängen vor allem mit eben jenen Italowestern wie „Drei Kugeln für Ringo“ und „Friss oder stirb“. So verwundert es überhaupt nicht, wie sehr „Mädchen mit Gewalt“ davon beseelt ist, zumal das Ganze – auf Englisch gedreht – als internationale Produktion angedacht war. Die gleichen kargen Locations, visuellen Stilmittel (Großaufnahmen, Kamerafahrten) und Motive (Kreuzigung) sind offensichtlich. Dabei erinnert Roger Fritz‘ Film jedoch weniger an die altbekannten Italowestern-Klassiker, sondern schöpft bewusst oder unterbewusst (Fritz hat das Drehbuch-Gerüst nicht selbst geschrieben) aus dem kammerspielartigen Fundus kleiner, dreckiger Meisterstücke wie „Töte, Django“, „Die Grausamen“ und „Das Gold von Sam Cooper“. Davon wiederum wäre der Weg zurück in die deutsche Filmgeschichte, über den Kammerspielfilm der 1920er-Jahre (Stichwort: Carl Mayer), nur noch ein Katzensprung.

Links: - Grün ist die Heide, - Critic.de, - kino-zeit.de, - taz

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Vielen Dank für diese Krautploitation-Perle!
Habe sie mir gleich mal bestellt und bin sehr gespannt.

Bitte mehr von diesen Tipps :-)

Übrigens, dein Punkt mit der Übersättigung an Superhelden-Filmen ist mir auch aufgefallen (und wahrscheinlich vielen), um so erstaunlicher und erfrischender finde ich die Ernsthaftigkeit und Aufgeregtheit mit der die Flimmerfreunde um Bernd Begemann über jeden Superhelden-Film sprechen. ...schön zu hören. :-)

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... und wie lautete deine Antwort auf meine Einleitungsfrage? :) Nur zu schade, dass die Flimmerfreunde genau dann abreißen ließen, als sie einen Podcast-Sponsor gefunden hatten. Vielleicht hat's aber auch mit Projekten zu tun.

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Mmmmmh schwierig, was zählt schon zum Rape-und-Revenge-Genre? . ..ich versuche es aber trotzdem mal.
- "Viridiana" von Luis Buñuel ?
- "Und dennoch leben sie" von Vittorio De Sica
- "Street of Shame" von Kenji Mizoguchi ?

Obwohl man ehrlicherweise sagen muss, es sind eher Filme in denen eine Vergewaltigung im Mittelpunkt stehen, als das es Rape-Revenge-Filme sind. ....es fehlt Revenge.

Daher sind die ersten Filme die mir einfallen "Das letzte Haus links" und "Wer Gewalt sät".
...und das wiederrum macht Roger Fritz "Mädchen mit Gewalt" von 1970 auch so interessant. :-)

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Interessant. Zu dem Themenkomplex kann ich jetzt nur nichts mehr sagen, ohne eventuelle Zuschauer von "Mädchen mit Gewalt" noch weiter zu spoilern. Du bringst mich jedenfalls mit deinen drei Nennungen auf "Rashomon", an den ich in diesem Zusammenhang natürlich auch gar nicht gedacht habe. Es gibt ja keine genaue filmwissenschaftliche Definition. Trotzdem könnte man den Kurosawa unter anderem als Rape & Revenge-Film bezeichnen. Genauso wie ich gelesen habe, dass "Star Wars" auch als Hicksploitation durchginge. Die künstlerische Freiheit des Cineasten.

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Soll ich dir was sagen....über "Rashomon" habe ich auch nachgedacht als ich meine kleine R&R-Liste zusammengestellt habe.
...und zu "Star Wars" als Hicksploitation, mmmmh?!
Wenn es stimmt das "Die verborgene Festung" von Akira Kurosawa der Einfluss war, dann kann ich zu mindestens sehen wo es herkommt. ;-)
Die Geschichte wird aus Sicht von Tahei & Matashichi erzählt, die man gut (unter anderem) als Hinterwäldler bezeichnen kann.

Oooh man, das wäre ein tolles Thema für Kino+ mit Etienne. :-)

P.S.: Ich hoffe das Memo in seinem "Kinochiwa-Podcast " auch mal ein großes Special zu "Kurosawa" macht. ...mich würde mal interessieren wie er ihn sieht?!

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Der "Hick Flicks"-Autor Scott Von Doviak bezog sich eher auf Luke Skywalkers Hintergrundgeschichte als Farmersjunge und wohl auch nur um zu zeigen, wie wichtig und weit verbreitet sein beackertes Subgenre in der Filmgeschichte doch ist. Aber mir gefällt, wie du mitdenkst. :)

Als Japan-Fan und kurzzeitiger Japanologe vermute ich bei Memo eine völlig unkritische Haltung zu Kurosawa, die ich übrigens teile. Vorerst - und das finde ich gerade gut an diesem Podcast-Projekt - kümmern sich die beiden aber um die obskureren, nicht ganz so bekannten Schätze.

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