Donnerstag, 22. Februar 2018
Die Genreoffenbarung der Berlinale heißt „Luz“

© KHM / Dario Méndez Acosta, Tilman Singer
Es gibt ein neues hoffnungsvolles Genretalent aus Deutschland: Tilman Singer zeigt mit seinem Debütfilm „Luz“ auf der Berlinale italienische Qualitäten der alten Meister auf. Sein Horror ist rauschhaft.

Die Genreoffenbarung der 68. Berlinale heißt „Luz“: Der auf 16mm gedrehte Horrorfilm ist ein audiovisuelles, gialloeskes Spektakel der Sonderklasse. Den Score hätten auch John Carpenter & Fabio Frizzi nicht besser zusammen hinbekommen. Dieses Werk muss im Kino, am besten in einer der ersten Reihen mit vollaufgetreter Soundanlage genossen werden. Es geht darin womöglich um den Teufel.

Die junge chilenische Taxifahrerin Luz stolpert mit letzter Kraft in eine Polizeidienststelle. Ein Dämon ist ihr auf den Fersen und fest entschlossen, seiner Geliebten endlich nahe zu sein. Parallel dazu treffen sich die mysteriöse Nora, die Luz noch aus ihrer Zeit im katholischen Mädcheninternat kennt, und der Psychotherapeut Rossini in einer Bar. Es gibt auch noch eine ermittelnde Kommissarin und einen Spanisch-Übersetzer. Aber die Handlung ist es nicht, die „Luz“ so außergewöhnlich macht. Es ist vor allem der Stil.
Einem Fiebertraum gleich
„Luz“ ist eine pure Filmerfahrung, einem Fiebertraum gleich, die sinnlich mit den Wahrnehmungsebenen spielt. Danach ist man sich nicht sicher, was man gerade gesehen hat. Nur, dass es intensiv, wild und anders war. Ich denke an Zuckerkristalle auf den Lippen, an getrockenes Blut im Nacken, wundersame Lichter, die über den Mund weitergegeben werden – und an eine Polizeidienststelle, in der durch die Imagination des Zuschauers und die Anregungen der Macher alles möglich scheint. Dieser Horrorfilm hat mehr Genrekönnerschaft in seinem kleinen Finger als der gesamte Rest des Berlinale-Programms zusammengenommen.

Dem gemeinsamen Abschlussfilm an der Kunsthochschule für Medien in Köln haben Regisseur Singer und Production Designer Dario Méndez das Flair eines wundervoll schmierigen 1970er-Jahre-Exploitationfilms gegeben. Die Bilder sind körnig, scheinen zu schwitzen und atmen, wirken lebendig und liebevoll. Sie erinnern an italienische Giallo-Meister wie Dario Argento, Sergio Martino oder Duccio Tessari. Und Singer will weiter im Genre arbeiten und mit seinem nächsten Projekt die Horrorgrenzen weiter ausloten. Was für ein Glück!

„Luz“ reiht sich gekonnt in die exklusive Riege an Genreentdeckungen der vergangenen Jahre in der Perspektive Deutsches Kino wie „Zwischen den Jahren“, „Agonie“, „Der Bunker“ und „Der Samurai“ ein. Würde ich bei Netflix arbeiten, wüsste ich schon, mit welchem deutschen Team ist als Nächstes eine Serie produzieren wollte.

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