Donnerstag, 2. Juli 2015
Heinz Strunks Roman "Der Goldene Handschuh": Krautploitation-Material par excellence

© Rowohlt
„Im Handschuh kann man gut Frauen kennenlernen, viel besser als im Lehmitz, im Schlusslicht oder im Elbschlosskeller. Wählerisch darf Fiete natürlich nicht sein. Bei Frauen seines Alters ist er chancenlos. Solange er denken kann, hatte er Ältere, richtige Omas teilweise.“ Fiete ist der Spitzname von Fritz Honka, dem berüchtigten deutschen Serienmörder der 1970er-Jahre, der im Hamburger Lokal „Der Goldene Handschuh“ seinen weiblichen Opfern auflauerte. Über ihn hat der Autor Heinz Strunk sein neuestes Buch geschrieben. Es wird zwar erst am 22. Januar 2016 erscheinen, aber auf der Homepage des „Titanic“-Kolumnisten und Extra-3-Comedian kann man schon einen ersten scheuen Blick auf die Leseprobe wagen.

Die Jukebox spielt Schlager von Heintje („Du sollst nicht weinen“) und Adamo („Es geht eine Träne auf Reisen“). Kaputte Typen trauern verpassten Lebenschancen nach: „Ich kannte da ma eine, die hab ich geliebt. Irgendwann war sie weg. Das ganze parfümierte Fleisch, da denk ich noch mein Leben dran.“ Kaputtere Frauen, die unter dem Mantel einen blauen Putzfrauenkittel tragen und sich vor der Kälte ins Lokal gerettet haben, lassen sich Drinks ausgeben. „Die Anderen, auch wenn sie noch so abgerissen sind, benutzen noch irgendwas, Lippenstift, Lidschatten, Rouge. Gerda nicht“, schreibt Strunk über die Dame, die Honka im Roman gerade ins Auge gefasst hat. Es ist eine atemberaubend genaue, zutiefst melancholische Milieuschilderung, die mich an filmische Meisterwerke von Werner Hochbaum („Razzia in St. Pauli“, „Ein Mädchen geht an Land“) denken lässt. Heinz Strunks Roman „Der Goldene Handschuh“ vereint mit dem harten Serienmörder-Porträt und dem frivol-trüben St. Pauli-Setting zwei bedeutende Triebfedern der deutschen Populärkultur.
Das letzte Hemd hat leider keine Taschen
Die Liste der prominenten Kino-Serienkiller ist lang und exquisit: Angefangen bei „Das Cabinet des Dr. Caligari“ und „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ über Robert Siodmaks Film „Nachts, wenn der Teufel kam“ und „Es geschah am hellichten Tag“ bis hin zu aktuelleren Vertretern wie „Der Totmacher“, „Der Sandmann“ und „Antikörper“. In ihnen spiegeln sich die Abgründe der deutschen Seele am vortrefflichsten. Ähnlich gut bestückt ist das Subgenre des St. Pauli-Films, ob in der romantischen Version bei Helmut Käutner („Große Freiheit Nr. 7“) oder in der realistischeren Stoffen von Rolf Olsen („Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn“) oder Alfred Vohrer („Das gelbe Haus am Pinnasberg“). Strunk führt diese mächtigen Stränge jetzt zusammen und veredelt sie mit seiner aufrichtigen Leidenschaft für den deutschen Schlager. Vielleicht ist genau das der richtige Platz für den Schlager, um seine ganze Widersprüchlichkeit und Schönheit jenseits des Kitsches oder Trashs zu entfalten.

Als Christian Alvart in seinem Trailer für den deutschen Gangsterfilm „Banklady“ den Kugelhagel mit Drafi Deutschers „Mamor, Stein und Eisen bricht“ unterlegte, war das einer der cineastischen Höhepunkte 2013. Zu schade, dass es der Song – wahrscheinlich wegen der zu teuren Lizenzrechte – nie in den fertigen Film schaffte. Im Sommer 2014 feierte der Nürnberger Hofbauer-Kongress mit der glanzvollen Wiederaufführung von „Holiday in St. Tropez“ die völlig unironische Wiederauferstehung des Schlagerfilms. Es wäre Zeit, dass auch der deutsche Mainstreamfilm das zur Kenntnis nimmt. Bei richtiger Anwendung wäre es nur zu seinem Vorteil. Heinz Strunk jedenfalls glaubt bereits, sich mit „Der Goldene Handschuh“ neu erfunden zu haben. Er lässt den autobiografischen Roman hinter sich und könnte mit dem Tatsachenroman und der Biografie Fritz Honkas eine Entsprechung für seine Sprache und Beobachtungsgabe gefunden haben. Strunk: „Der Roman ist so gut geworden, dass ich jetzt schon ganz melancholisch werde, weil ich ahne, dass mir Vergleichbares nicht gelingen wird.“

Link: - Leseprobe

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