Samstag, 11. Februar 2017
Berlinale 2017: Die doppelte Huppert zur Eröffnung

Lolita Chammah in "Barrage" © Red Lion
Vor lauter Filmeschauen gibt es kaum Zeit zur Reflexion: Für den Isabelle-Huppert-Film "Barrage" lohnt es sich aber, kurz inne zu halten. Eine Filmkritik von Michael Müller

Für Dieter Kosslicks Eröffnungsfilm "Django" war ich zu spät angereist. Die eher lauwarme Rezeption in der Fachpresse ließ mich dann diese Auslassung eher leicht verschmerzen. Mein Eröffnungsfilm war die doppelte Huppert. Mutter und Tochter sind gemeinsam auf der Leinwand in der französischen Co-Produktion "Barrage" zu sehen, bei der die Länder Luxemburg und Belgien mitfinanziert haben. Laura Schroeders Film, der in der Forum-Sektion läuft, bietet Isabelle Hupperts erste Rolle seit ihrem triumphalen Doppelschlag aus dem vergangenen Jahr mit "Things to Come" und "Elle".

Dem ersten eigenen Festivalfilm kommt eine besondere Bedeutung zu. Er setzt bekanntlich die Erwartungshaltung und Stimmung, für das, was da noch kommen wird. "Barrage" eröffnete verheißungsvoll.

Der Name Schroeder bürgt für Qualität. Vor allem, wenn der Umlaut nicht ausgeschrieben wird. Eberhard Schroeder war nämlich einer der spannendsten und kreativsten Sexploitation-Regisseure der Report- und Schulmädchen-Filme der 1970er-Jahre. Er verfilmte Guy de Maupassant („Madame und ihre Nichte“) und brachte sich mit Gas um, als sein erster ernsthafter Film ohne nackte Haut floppte („Als Mutter streikte“). Die Luxemburgerin Laura Schroeder ist mit Eberhard wohl weder verwandt noch verschwägert. Aber sie ist eine Schroeder, über die in der Zukunft noch viel geschrieben und gesprochen werden wird. Immerhin vereint sie in ihrem zweiten Spielfilm Isabelle Huppert mit ihrer Tochter Lolita Chammah. Auch da: Was für ein Name! Französischer geht es kaum.
Patchwork unter der Lupe
„Barrage“ ist ein Familiendrama, das die Familiengrenzen auflöst. Umso weniger der Zuschauer von den genauen Verhältnissen und Hintergründen der drei Protagonistinnen weiß, umso besser funktioniert der Film. Denn „Barrage“ gewinnt durch seine Andeutungen und dadurch, dass der Zuschauer die offen gelassenen Hintergründe zu Ende denkt. Elisabeth (Isabelle Huppert) kümmert sich um die kleine Alba (Thémis Pauwels). Diszipliniert arbeiten die beiden gemeinsam an der Vorhand des aufstrebenden Tennistalents. Der Tagesablauf des Mädchens ist perfekt auf Schule und Tenniskurse abgestimmt, bis Catherine (Lolita Chammah) wieder in ihr Leben tritt.

Die Patchwork-Familie befindet sich auf der Berlinale unter dem Vergrößerungsglas. Auch der Film "Back for Good" aus der Perspektive deutsches Kino untersucht etwas gröber und plumper das Erziehungskonzept über verschiedene Generationen und wechselnde Bezugspersonen hinweg. Sowohl "Barrage" als auch "Back for Good" spielen mit dem Image des nach Hause kommenden Menschen, der sich hinter Fassaden und Masken zu verstecken versucht. Die Wahrheiten sind zu schmerzhaft, als dass sie direkt thematisiert werden könnten. Catherine steht einmal im Supermarkt vor einer Auswahl Sonnenbrillen. Nachdem sie eine aufgezogen hat, ahmt sie lustvoll einen Popsstar auf der Bühne nach. In fremden Rollen fühlt sie sich wohler als in der eigenen Haut.

Schroeders Film lebt von seinen drei Hauptdarstellerinnen. Unvermeidbar ist natürlich der optische Vergleich der Huppert mit Lolita Chammah. Aber Chammah versteckt sich schauspielerisch nicht. Sie ist die eigentliche Hauptrolle, die einige wunderbare Tanzmomente und fast zärtliche Szenen mit der kleinen Alba hat. Chammahs Figur des gefallenen Engels fasziniert wegen ihrer Ambiguität. Bis zum Schluss ist nicht ersichtlich, ob sie sich um die Familie kümmern, sie testen oder zerstören will. "Barrage" ist ruhig erzählt; mit sicherer Hand für einen zweiten Spielfilm; der Film ist aber vor allem bittersüß gefärbt und ob seiner Talente vor und hinter der Kamera verheißungsvoll.

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