Mittwoch, 8. Februar 2017
Couragierter Berlinale-Startschuss

Wettbewerbsbeitrag "Félicité" © Andolfi
Am Donnerstag eröffnet das Biopic "Django" die Filmfestspiele von Berlin. Es könnte die politischste Berlinale seit langem werden. Ob das gut ist, wird sich zeigen müssen.

Festivalleiter Dieter Kosslick spielte den Ball ganz flach, als er auf der Pressekonferenz zur offiziellen Verkündung des Berlinale-Programms das Motto des Festivals festlegte. Eigentlich sei es nur der Titel der Nebenreihe "Berlinale Talents", aber eigentlich könnte das Wort auch für die gesamte Veranstaltung stehen: Courage. Kosslick hatte es bis zum Schluss gewissentlich vermieden, über den neuen amerikanischen Präsidenten Donald Trump zu sprechen. Aber letztlich konnte er nicht widerstehen. Nur wollte er keine großen Reden schwingen, sondern lieber sein Programm sprechen lassen.

Die Berliner Filmfestspiele, die immer schon das politischste der drei großen A-Festivals waren, entstanden aus der Motivation heraus, in einer trüben Zeit den Menschen das "Schaufenster der freien Welt" zu präsentieren. So ist es über die Jahrzehnte geblieben. Und es wird einer der narrativen Stränge sein, die das Festival selbst wie auch die Journalisten bespielen werden. Sexismus, Rassismus, Homophobie, Kolonialismus und die gesellschaftlich Abgehängten werden Themen sein. Den aktuellen politischen Entwicklungen wird ein weltoffenes, liberales Kino entgegengesetzt. Die Frage wird aber auch sein: Reicht es, wütend zu sein, zu protestieren und aufzubegehren? Oder findet die Auseinandersetzung auch die passenden ästhetischen Formen und Mittel. Gut gemeint, ist eines der schlimmsten Prädikate, die einem Film angeheftet werden können.
Winter Is Coming
Von den Namen her ist alles angerichtet. Es muss klar sein: Das wird nicht die Berlinale der Superstars und Hollywoodfilme sein. Kosslick hätte sehr gerne Martin Scorseses Film "Silence" und den Denzel-Washington-Film "Fences" außer Konkurrenz im Wettbewerb gezeigt. Aber die Termine passten nicht. Die Namen, über die wir in den kommenden anderthalb Wochen sprechen und schreiben werden, heißen Călin Peter Netzer, Hong Sangsoo, Alain Gomis, Aki Kaurismäki oder Sebastián Lelio. Es läuft zumindest James Mangolds X-Men-Film "Logan" als Weltpremiere im Wettbewerb. Mit seiner irritierenden kammerspielartigen Düsternis scheint er dort auch hinzugehören. "Winter is coming", heißt es in der immer noch besten aktuellen TV-Serie "Game of Thrones". Es soll am ersten Berlinale-Wochenende wahnsinnig kalt werden.

Die Berlinale eröffnet am Donnerstag mit dem Biopic "Django" über die Jazzlegende Django Reinhardt, die als Sinti wegen ihrer Herkunft von den Nazis verfolgt wurde. Kosslick dachte für die Eröffnung auch laut über das Biopic "Der junge Karl Marx" von Raoul Peck nach. Jener Peck, der als aussichtsreicher Oscar-Kandidat für den besten Dokumentarfilm mit "I Am Not Your Negro" an den Start geht. Der sozialdemokratisch geprägte Festivalchef glaubt, dass Marx' Hauptwerk "Das Kapital" nichts von seiner Aktualität bis heute eingebüßt hat. Das lässt sich nun auch filmisch mit August Diehl in der Berlinale-Special-Reihe überprüfen.
Kann es sein, dass Weibsvolk anwesend ist?
Auch ein wichtiges Narrativ werden Filme von Frauen sein. Auf sie liegt im Wettbewerb ein besonderes Augenmerk. Was haben Filmemacherinnen wie Teresa Villaverde, Sally Potter, Agnieszka Holland, Ildikó Enyedi oder Gurinder Chadha nach teils langen filmischen Pausen zu erzählen. Braucht es automatisch fünfzig Prozent Regisseurinnen in der wichtigsten Reihe eines A-Festivals. Oder sollen gleich alle Preise an weibliche Filmschaffende gehen, so wie es der Bayerische Filmpreis dieses Jahr in der Regiekategorie andeutete, um die Jahrzehnte der Missachtung wieder auszugleichen. Wettbewerbe von A-Festivals können teils noch chauvinistischer sein als die Filmindustrie an sich. Da wird mit harten Bandagen gekämpft.

Ein weiterer Fokus wird auf den deutschen Filmen liegen. Es wird gemunkelt, Volker Schlöndorff könnte mit "Rückkehr nach Montauk" zu alter Stärke zurückfinden. Was macht die Berliner Schule? Wer schaut alle vier Filme von Heinz Emigholz im Forum und wer findet die Zeit für die viereinhalbstündige Fassbinder-Miniserie "Acht Stunden sind kein Tag". Was macht die Perspektive Deutsches Kino? Und wer hat auch den Max-Ophüls-Preisträger "Siebzehn" auf seiner Most-Wanted-Liste ganz oben dabei. Es wird Zeit, dass es losgeht.

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