Samstag, 25. Januar 2014
Tarantinos "Forty Lashes Less One"-Projekt

"Gott vergibt ... Quentin nie!"
Da aktuell bekanntlich eine ganz neue Art von Quentin Tarantino-Film zu entstehen scheint, nämlich die des vom Internet gestörten und deshalb abgebrochenen QT-Bastards, der nie das Licht der Welt in seiner geplanten Form erblicken wird, habe ich mir gedacht, an ein anderes noch nicht umgesetztes Western-Projekt von Tarantino zu erinnern. Aber Vorsicht! Spoiler-Alarm!

Im Zuge der Adaption von Elmore Leonards „Rum Punch“ Ende der 1990er-Jahre, woraus der Film „Jackie Brown“ entstand, sicherte sich Tarantino über die damalige Weinstein-Firma Miramax auch die Filmrechte an den Leonard-Büchern „Freaky Deaky“, „Bandits“, „Killshot“ und „Forty Lashes Less One“. Letzterer Titel wird in der Aufzählung gerne vergessen. Dabei war der Western-Roman „Forty Lashes Less One“ vielleicht die spannendste Auswahl: Im Gegensatz zu den drei Crime-Büchern, die alle Ende der 1980er-Jahre entstanden, schrieb Leonard diesen Western Anfang der 1970er-Jahre als Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Rassismus. Wer keine weiße Hautfarbe im Yuma Territorial-Gefängnis besitzt, das den Spitznamen Höllenloch trägt, muss Scheißekübel ausleeren, sich schikanieren und verprügeln lassen. Die beiden Protagonisten, der afroamerikanische Ex-Soldat Harold Jackson und der mexikanisch-indianische Raymon San Carlos, sind anfangs nur Rädchen im System, die von den sadistischen Wärtern wie Sam Fisher oder den Hillbilly-Mithäftlingen, unter denen Frank Shelby der heimliche Chef ist, für Racheaktionen, Ausbruchversuche und Sportwetten auf Leben und Tod missbraucht werden. Shelby lässt die beiden wie wilde Hunde aufeinander hetzen, bis sie sich gemeinsam in der Schlangengrube wiederfinden, einer winzigen Kellerzelle, in die fast kein Lichtstrahl fällt und es vor Ungeziefer nur so wimmelt. Aber anstatt sich gegenseitig umzubringen, beschließen sie, es auf den nächsten Morgen zu verschieben, wenn sie einander wenigstens sehen können und nach all den Schindereien wieder genügend Kraft besitzen, den anderen mit bloßen Händen zu Mus zu hauen.
Das Trauma Elmore Leonard
Quentin Tarantino zählt den erst vor einigen Monaten verstorbenen amerikanischen Autor Elmore Leonard neben J.D. Salinger und Larry McMurtry zu den drei größten literarischen Einflüssen seines Lebens. Sein erstes Drehbuch „True Romance“ war der Versuch, ein eigenes Elmore Leonard-Buch zu schreiben. Die Gleichwertigkeit der Figuren, der erzählerisch freie Umgang mit den unterschiedlichen Zeitebenen, das Kollidieren von Genre und Realität sowie die Dialogkunst hat sich Tarantino allesamt bei Leonard abgeschaut. Und wenn man so will, kann man die zweite Hälfte der Karriere Tarantinos nach „Jackie Brown“ als Emanzipation von diesem Stil betrachten, indem er sich in immer neue, epischere Herausforderungen stürzte und dabei seine Fähigkeiten um Action, Suspense, Horror und Geschichtsaufarbeitung zu erweitern versuchte. Tarantinos eigenauferlegtes Gebot, niemals wieder eine Vorlage zu adaptieren, resultierte aus dem verspäteten Lob, das er damals für „Jackie Brown“ erhielt. Gerade den Film, der nicht gänzlich seinem Geist entstiegen war, priesen die Highbrow-Filmkritiker von Sight & Sound und Film Comment als Tarantinos bestes und reifstes Werk. Für den Filmemacher, der Einzelkind und Autodidakt ist, war es ein untragbarer Zustand, nicht den gesamten Respekt für den Film zugesprochen zu bekommen. Aber wie Tarantino auch inzwischen Abstand von der irren Idee genommen hat, seine Filmkarriere mit genau sechzig Jahren beenden zu müssen, würde sich ein Umdenken hinsichtlich der Vorlagen lohnen. Zumal Tarantinos Wunsch, in späten Jahren als Filmwissenschaftler die Erde zu bewandern, immer ein Traum bleiben wird. Seine Drehbücher bezeugen regelmäßig seine viel zu früh abgebrochene Highschool-Karriere, die er unter anderem gegen den Job eines Kartenabreißers in Pornokinos eintauschte. So könnte Tarantino doch aus Len Deightons Agenten-Trilogie „Game, Set & Match“ eine Miniserie fürs Fernsehen machen. Und er sollte noch unbedingt „Forty Lashes Less One“ nachholen, gerade, wo er jetzt „The Hateful Eight“ auf unbestimmte Zeit verschoben hat.

Mr. Manly: We are all related, because we all come from the first two people in the world, old Adam and Eve, who started the human race. They had children, and their children had children and the children’s children had some more, and it kept going that way until the whole world become populated.
Harold Jackson: Who did the children marry?
Mr. Manly: They married each other.
Harold Jackson: I mean children in the same family.
Mr. Manly: Each other. They married among theirselves.
Harold Jackson: You mean a boy did it with his sister?
Mr. Manly: Oh, yes, but it was different then.
Juden, Zulus und Apachen
Elmore Leonards Roman „Forty Lashes Less One“ hat die auf den Kopf gestellte Qualität des Max Frisch-Romans „Andorra“. Anstelle eines jungen Mannes, dem so lange jüdische Ressentiments von seiner Umwelt entgegengebracht werden, bis er sie selbst zu glauben beginnt, geht die Geschichte hier den umgekehrten Weg. Der frisch installierte Gefängnisdirektor in Yuma, der den Transport der Häftlinge ins neu gebaute Gefängnis nach Florence überwachen soll, heißt Mr. Everett Manly. Eigentlich war er viele Jahre lang Pfarrer der Holy Word Church und verrichtete Glaubensarbeit in Indianerreservaten. Einmal heißt es im Buch, dass dieser zauselige, alte Mann, der die Verunsicherung in Person darstellt, die letzten vierzig Jahre seines Lebens nur Fehler an Fehler gereiht hätte. Seine Glaubenskarriere war eine einzige Enttäuschung. Nie schaffte er es, den Menschen wirklich weiterzuhelfen. Aber jetzt in diesem Höllenloch, wo er die „Erziehungsmethoden“ der Wärter gegenüber Harold Jackson und Raymon San Carlos täglich erlebt, fasst er den Entschluss, diese armen Teufel zu erretten. Schließlich hat er in seinen verstaubten Büchern alles über Zulu-Krieger und Apachen-Indianer gelesen. Und genau an diese Werte möchte er die beiden Häftlinge erinnern, indem er sie Marathon- und Speerwurftraining machen lässt. Wenn sie sich nur auf ihre ererbten Talente besinnen, werden sie aufhören, sich gegenseitig umbringen zu wollen und wieder stolze Geschöpfe werden, die dem weißen Menschen ebenbürtig sind. Und es scheint tatsächlich zu gelingen: Harold und Raymond nehmen das Laufprogramm an, beginnen sich auch bald so zu kleiden und zu schminken wie Zulus und Apachen.

Bob Fisher: When you make a spear out of a trowel, it becomes a weapon.
Mr. Manly: But what if I was the one told them to make the spears?
Bob Fisher: I was afraid you might say that.
Mr. Manly: As a matter of fact, I got them the fishing poles myself. Bought them in town.
Once Upon a Time in Yuma
Vom Oberaufseher Sam Fisher in den Tuberkulose-Trakt des Gefängnis abgeschoben, verrichten Harold und Raymond ihr Wurftraining, das für die Mithäftlinge zu einer Attraktion wird. Zu ihnen gesellt sich die Mexikanerin Tacha Reyes, eine von zwei Frauen im gesamten Gefängnis, die Fisher umquartierte, weil sie seine nächtlichen Eskapaden mit der Blondine Norma Davis störte. „Hey, mister, that’s a funny thing to kill a tarantula with“, rief sie einmal Fisher zu, der Norma wegen einer angeblichen Spinne in ihrer Zelle zur Hilfe geeilt war und gerade die Hose herunterließ. Harold könnte von Idris Elba und Raymond von Dwayne Johnson gespielt werden. Ihr Gegenspieler und Mithäftling Frank Shelby, der mit Tabakwaren und Alkohol das Gefängnis von innen her dirigiert und gleichzeitig seinen großen Ausbruch bei der Verlegung plant, wäre ideal mit dem vergessenen Michael Madsen besetzt. Shelbys rücksichtloser Bruder Virgil sprengt dann Frank und seine Untergegebenen bei einem spektakulären Eisenbahnüberfall mit Dynamit frei, der sofort Erinnerungen an Sergio Leone-Filme wachruft. Wobei die gesamte Geschichte eher an Corbuccis „Die Grausamen“ mit einem guten Schuss „Navajo Joe“ erinnert. Denn der total verwirrte Gefängnisdirektor Mr. Manly schickt, nachdem Shelby mit seiner Bande geflüchtet ist, seinen Zulu-Krieger und seinen Apachen hinter ihnen her. Und anstatt sich aus dem Staub zu machen, wie es eigentlich vorhatten, schwören die beiden Rache und jagen Shelby, der der Drahtzieher hinter ihren Misshandlungen war, bis zur mexikanischen Grenze und stellen ihn. Nachdem sie ihn zurückgebracht haben, da sie den Tod für ihn als zu milde Strafe empfanden, hören sie sich geduldig das triumphale Gerede des Gefängnisdirektors an, der glaubt, das erste Mal in seinem Leben alles richtig gemacht zu haben. Er verspricht ihnen Haftmilderung. Aber sie sagen nur grinsend „Fuck you, captain!“ und reiten in die untergehende Sonne. Mr. Manly war nicht weniger Rassist als die verrückten Hillbillies in den Gefängniszellen. Und Harold und Raymond hatten nur mitgespielt, um endlich wieder frei zu kommen. „Forty Lashes Less One“ kann ich von daher nur wärmstens weiter empfehlen. Auch Tarantino sollte noch mal einen Blick riskieren!


Links - Der mit dem Costner tanzt, - QTs Lieblingsfilme 2013

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