Montag, 1. April 2019
Wer hat Angst vor Mark Peranson?

Peranson ist auch Dokumentarist: „La última película“

Die Tageszeitung Die Welt zittert ein bisschen vor dem neuen Berlinale-Team von Carlo Chatrian. Vor allem Mark Peranson scheint als zu anspruchsvoller Störenfried ausgemacht.

Der langjährige Filmredakteur Hanns-Georg Rodek von der Tageszeitung Die Welt hat am Freitag einen Vorgeschmack darauf gegeben, was Carlo Chatrian auf der Berlinale vom deutschen Feuilleton erwarten kann: nämlich vor allem Angstmache vor Veränderungen. Rodek drückt die Angst davor aus, dass der neue künstlerische Leiter das Auswahlkomitee zu international besetzt hat. Am größten ist aber die Angst vor dem neuen Programmleiter Mark Peranson, an dem Rodek die Misere manifestiert sieht. Denn er analysiert im Welt-Artikel die zehn Lieblingsfilme 2018 des Cinema Scope-Herausgebers. Mit Erschrecken stellt Rodek fest, dass kein Film darunter ist, der bei den Oscars eine Rolle gespielt hat. Das ist Wahninn, kann man zwischen den Zeilen herauslesen.

Angeregt durch diese German Angst wirft Negative Space auch einen Blick auf die Lieblingsfilme des Mark Peranson, um schon einmal zu erahnen, wie die Berlinale 2020 aussehen könnte. Ersteinmal zeigt Peransons Top Ten von 2018 eines: dass er nämlich regelmäßiger Berlinale-Besucher ist. Ein Vorteil, den er vielen Kritikern des wichtigsten deutschen Filmfestival voraus hat. Dann hat Peranson das chinesische Epos „An Elephant Sitting Still“ auf Platz eins, der im Forum seine Weltpremiere feierte. Die Idee weiter gesponnen, dass Peranson schon im vergangenen Jahr am Berliner Programm beteiligt gewesen wäre, ist davon auszugehen, dass der meisterliche Debütfilm von Hu Bo im Wettbewerb gelaufen wäre. Da hätte er wegen seiner Qualität auch eigentlich hingehört, wie die euphorischen internationalen Stimmen bezeugen, die denn die Gelegenheit hatten, ihn zu sehen.
Heinz Emigholz in den Wettbewerb
Auch Christian Petzolds Berlinale-Wettbewerbsfilm „Transit“ findet man bei Peranson in der Top Ten. Ansonsten gibt es eine übermächtige Präsenz von Filmen, die ihre Weltpremiere auf dem Cannes-Festival gefeiert haben (Godards „Le livre d’image“, „Long Day’s Journey Into Night“, „Glücklich wie Lazzaro“, „Burning“). 2017 hatte Peranson Heinz Emigholz' Werk „Streetscapes“ auf Platz sieben. Der emsige Dokumentarfilmer ist ein Berlinale-Spezi und zeigt nahezu jedes Jahr dort seine neuesten Werke („Years of Construction“). Aber in das Scheinwerferlicht des Wettbewerbs ist er noch nie geholt worden. Das könnte sich unter Peranson auch ändern. Daran sieht man schon, dass die Berlinale durchaus Potenzial in ihrem Auswahlprozess hatte, dass die Akzentsetzung auf Festivals aber eine ganz entscheidende Rolle spielt. Es ist durchaus vorstellbar, dass Chatrian und Peranson „Call Me By Your Name“ nicht im Panorama versauern hätten lassen, obwohl der Film seine Weltpremiere in Sundance gefeiert hatte, sondern das Meisterwerk in den Wettbewerb gepackt hätten.

Angesichts dessen, dass Chatrian und Peranson gemeinsam die Belange der vergangenen Jahre in Locarno bestimmt haben, würde es Negative Space nicht wundern, wenn diverse Auteurs aus diesen Reihen demnächst in Berlin aufschlagen würden. Die Berlinale bediente sich schon vermehrt aus diesem Fundus. Aber unter der neuen Programmleitung wird dieser Trend sicherlich noch verstärkt werden. Schließlich war es Chatrian, der in der Schweiz Hong Sangsoo, Wang Bing, Albert Serra und Lav Diaz für das Weltkino entdeckte. Ähnliche Kaliber sind für die 70. Jubiläums-Berlinale zu erwarten. Zum einen wird das neue Berlinale-Team die vorhandenen Talente und Verbindungen durch eine bessere Programmierung optimieren. Zum anderen werden natürlich vor allem die ganz neuen Gesichter im Wettbewerb sein. Ganz sicher werden sich dann die etablierten deutschen Regisseure umschauen. Aber genau dafür ist Chatrian doch geholt worden: Um neue Stimmen der Filmszene zu finden und aufzubauen.

Link: - Die Welt, - Mark Peransons Lieblingsfilme

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