Freitag, 15. Dezember 2017
Auf zur Trüffeljagd: Die Berlinale-Sektion Panorama präsentiert die ersten elf Filme

Die brasilianische Doku „Bixa Travesty“ | © Nubia Abe
Die Leitung der Panorama-Sektion hat gewechselt. Es lohnt sich, die ersten elf ausgewählten Filme von Chefin Paz Lázaro für 2018 genau unter die Lupe zu nehmen. Ein Überblick von Michael Müller

Wieland Speck ist nicht mehr, der bärtige Mann mit den Anzügen ist einen Schritt zurück getreten. Die neue Leiterin der Sektion Panorama heißt Paz Lázaro. Mit Spannung wurden ihre ersten Entscheidungen erwartet. Vor allem lateinamerikanische Entdeckungen erhofft man sich vom Programm im kommenden Jahr. Die ersten elf am Freitag veröffentlichten Titel geben einen Vorgeschmack.

Ich habe sehr viel Lust auf den nächsten Kiyoshi-Kurosawa-Film. Im Jahr 2016 hätte dessen Horrorfilm „Creepy“, der auf meiner Jahres-Top-Ten gelandet ist, auch sehr gut im offiziellem Wettbewerb der Berlinale laufen können. Kurosawas neuer Film „Foreboding“ basiert auf seiner gleichnamigen fünfteiligen TV-Serie. In der Science-Fiction-Geschichte bemächtigen sich Aliens menschlicher Gefühle. „Ihr unheimliches Unterwerfungssystem entzündet eine Paranoia, die jede individuelle Bestrebung in Gefügigkeit umwandelt“, schreibt die Berlinale. Laut dem „Japan Times“-Kritiker und ausgewiesenen Asien-Experten Mark Schilling handelt es sich bei dem 140-minütigen Film um einen Zusammenschnitt der TV-Episoden, so wie es in den 1990er-Jahren zum Beispiel David Lynch mit „Twin Peaks“ gemacht hat. Schilling vergleicht den Horror in „Foreboding“ unter anderem mit Kubricks „The Shining“.

Auch gut klingt Karim Aïnouz Dokumentarfilm „Zentralflughafen THF“. Darin begleitet der brasilianisch-algerische Regisseur, der im Jahr 2014 den Sleeper „Praia do Futuro“ im Berlinale-Wettbewerb mit Clemens Schick hatte, den Alltag von Geflüchteten. Sie träumen in den Hangars des stillgelegten Berliner Flughafens davon, endlich anzukommen, während nebenan auf dem Tempelhofer Feld Berliner ihrem Alltag entfliehen. Der Gegensatz klingt spannend, vor allem wenn er von einem Regiekönner inszeniert ist.
Traumwandlerischer Film-Poem aus Brasilien
Man liest auch tolle Dinge über die griechische Regisseurin Evangelia Kranioti, die im Jahr 2015 mit „Exotica, Erotica“ zumindest in bestimmten Kreisen auf der Berlinale Aufmerksamkeit erhaschte. Ihren neuen Film „Obscuro Barroco“ nennt das Festival einen „traumwandlerischen Film-Poem“. Es geht um eine brasilianische Berühmtheit, die queere Subkultur-Ikone Luana Muniz.

Aber es ist viel Interessantes unter den ersten elf Panorama-Filmen 2018 zu finden: Der Schwede Göran Hugo Olsson ist zurück, der vor einigen Jahren „The Black Power Mixtape 1967-1975“ in Berlin vorstellte. Wieder zaubert er verlorenen geglaubtes Dokumentations-Material hervor. Dieses Mal geht es um den Sommer 1972 und Andy Warhol, Jonas Mekas, Albert Maysles und Vincent Fremont. Der österreichische Film „L'Animale“ von Katharina Mückstein hört sich super an: „Eine 18-jährige Abiturientin macht mit ihrer Motocross-Clique die Gegend unsicher. Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, maskuline Überlegenheit und leidenschaftliche Hingabe wecken widersprüchliche Kräfte in ihr.“
„Ben Hur“-Regisseur will Neuanfang
Auch „River's Edge“ von Isao Yukisada nach einer Manga-Vorlage könnte etwas sein: „Kurz nach dem Zusammenbruch des japanischen Wirtschaftsbooms in den Neunzigerjahren ringt eine Gruppe Jugendlicher um Verbindung zu ihren Gefühlen. Frustration und Wut entladen sich in einem Rausch aus Sex und Aufruhr.“ Der Regisseur ist nicht unumstritten. Aber eventuell gibt es eine Verbindungslinie zum gleichnamigen 1980er-Jahre-Hollywood-Geheimtipp mit Keanu Reeves?

Ob ich mich dagegen auf die Weltpremiere des neuen Timur-Bekmambetov-Films „Profile“ freuen soll, weiß ich noch nicht. Die Zeiten von „Night Watch“ sind lange her. Zuletzt fuhr der bei Roger Corman in die Schule gegangene Russe die „Ben Hur“-Neuverfilmung spektakulär gegen die Wand. Die britisch-amerikanisch-zypriotische Co-Produktion um eine Journalistin, die undercover beim „Islamischen Staat“ recherchiert, hat nicht einmal einen interessanten Cast. Aber vielleicht erfindet sich Bekmambetov ja hier neu. Gerade bei den mit Spannung erwarteten lateinamerikanischen Produktionen herrschen vorerst auch noch viele Fragezeichen: Bei „Bixa Travesty“ (Bild), „Ex Shaman“, „Malambo, the Good Man“ und „The Omission“ braucht es Bewegtbild, um sich eine richtige Meinung zu bilden.

Auf der To-Watch-Liste (nach Interesse geordnet):

* Foreboding (Kiyoshi Kurosawa)
* Obscuro Barroco (Evangelia Kranioti)
* L'Animale (Katharina Mückstein)
* Zentralflughafen THF (Karim Aïnouz)
* River's Edge (Isao Yukisada)
* That Summer (Göran Hugo Olsson)

Link: - Wer sind die drei Nachfolger von Wieland Speck?

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