Samstag, 3. November 2018
Dieter Kosslick: „Kein Netflix-Film im Berlinale-Wettbewerb“

Foto: Harald Krichel, Wikipedia (CC BY-SA 4.0)
Kein bisschen amtsmüde: Der Berlinale-Direktor Dieter Kosslick mag zwar 2019 in sein letztes Jahr gehen. Aber gerade bei gesellschaftspolitischen Themen brennt er im Interview nach wie vor lichterloh. Das Thema Netflix sieht er ambivalent.

Die kommende Berlinale wird thematisch von der Positionierung gegenüber dem Streaming-Riesen Netflix überlagert sein. Da ist sich der Berlinale-Direktor Dieter Kosslick im frisch veröffentlichten Pop-Talk-Interview mit Moderator Nabil Atassi sicher. Dabei schließt Kosslick aus, dass es einen Netflix-Film im Wettbewerb geben wird: „Wir haben Richtlinien, dass das nicht geht. Die Filme müssen vorher ins Kino, bevor sie gestreamt werden oder ins Fernsehen kommen können.“ Aber es sei eine große Diskussion, die vor ungefähr einem Jahr begonnen habe. „Diese Diskussion wird ihren Höhepunkt auf jeden Fall auf der Berlinale erleben. Da geht es dann um Sein oder Nichtsein, Stream oder nicht Stream.“

Klar ist aber auch, dass diese Diskussion den 70-Jährigen, der im Februar sein letztes Berliner Filmfestival leiten wird, emotional nicht sonderlich umtreibt. Darauf angesprochen, ob ihn politische Themen wie Migration, Turbo-Kapitalismus und menschliche Ausbeutung mehr bewegen als Netflix, sagte er: „Das kann man so sagen. Die Netflix-Debatte ist eine Debatte, die in der Filmgeschichte eine kurze Debatte sein wird. Entweder werden die Filme im Kino gezeigt oder sie werden nicht gezeigt. Oder, was meine Vermutung ist: Netflix wird sie selbst im Kino zeigen. Man macht das, womit man mehr Geld verdienen kann. Das ist keine ideologische, sondern eine Geld-Frage.“ Der Kapitalismus sei immer gleich geblieben. Deswegen gebe es heute auch diese Verwerfungen in der Gesellschaft. Kultur wiederum müsse darauf aufmerksam machen, wenn etwas nicht stimme.
Kosslick kritisiert den Papst
Bei der Frage nach den politischen Themen der kommenden Berlinale war Kosslick mit Herzblut dabei und schilderte als Schwerpunkt rechtsradikale Bewegungen in Deutschland, Italien, der Tschechei und der Slowakei. Er kritisierte den Papst, der Frauen bei Schwangerschaftsabbruch „Auftragsmord“ vorwerfe. „Das sagt er ausgerechnet in einer Situation, in der aufgedeckt wurde, dass in allen Ländern Tausende von Kindern missbraucht wurden. Was sind das für Organisationen?“, fragte Kosslick rhetorisch. Das könne man nicht durchgehen lassen. Darauf werde die Berlinale aufmerksam machen. Die Aussage Kosslicks könnte als Verweis auf François Ozons neuen Film „By the Grace of God“ gewertet werden, der am 20. Februar in die französischen Kinos kommt. Das Werk, das von Missbrauchsopfern eines katholischen Priesters in Lyon erzählt, tauchte bereits in der Negative Space-Vorschau für Berlin auf.

Einen Eröffnungsfilm konnte Kosslick zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht präsentieren. Die Abstimmung dafür werde sich in den kommenden ein, zwei Monaten abspielen. Aber natürlich habe er einen passenden Kandidaten im Auge. Angesichts der vielen Ansprüche an den Eröffnungsfilm sei das eben nur nicht so einfach. Darauf angesprochen, ob er nach der Berlinale in das politische Feld wechseln wolle, sagte Kosslick: „Vielleicht sollte ich mich bewerben, Bürgermeister von Berlin zu werden. Vielleicht mache ich das auch. Aber erstmal mache ich eine Pause und denke darüber nach. Es ist nicht das erste, was mir in den Kopf kommt.“ Kosslick war ab 1979 vier Jahre lang Büroleiter des Hamburger Bürgermeisters Hans-Ulrich Klose.

Im Pop-Talk-Interview spricht Kosslick auch pointiert und ein bisschen wehmütig darüber, wie er mit dem offenen Brief der 79 Regisseure umgegangen ist, der eine Erneuerung der Berlinale gefordert hatte. Spiegel Online hatte den Brief am 24. November 2017 veröffentlicht und zugespitzt. Wenige Tage danach distanzierten sich bereits die ersten Unterzeichner, weil sie bei keiner Anti-Kosslick-Kampagne mitmachen wollten. Es wäre aber nicht zu viel behauptet, dass diese Aktion den Anstoß dafür gab, warum letztlich jemand wie Locarno-Direktor Carlo Chatrian ab 2020 die Berlinale künstlerisch leiten wird.

Links: - Podcast zur Berlinale-Zukunft | - Chatrians deutscher Geschmack | - Was 2019 auf der Berlinale laufen könnte

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