Montag, 26. September 2011
"German Grusel: Die Edgar Wallace-Serie"

Der Joe Hembus des neuen Jahrtausends: Tim Bergfelder
"Kein Geringerer als Tarantino outete sich als Edgar Wallace-Fan. Kein Wunder! Experimentell wie massentauglich, der German Grusel ist ein echtes Kinophänomen. Sehen sie selbst!" Das drohte jedenfalls die Frauenstimme am späten Sonntag. Der Arte-Themenabend hatte gerade so gemütlich mit "Das Gasthaus an der Themse" begonnen, als dieser Ausruf Oliver Schwehms Dokumentation "German Grusel" (aka "Frissons Teutons") ankündigte. Abschließend folgte der allererste Edgar Wallace-Film von 1931, nämlich "Der Zinker".
Heutzutage ist es schlicht unmöglich, von Edgar Wallace zu sprechen und den Namen des kalifornischen Regisseurs nicht unnütz im Munde zu führen. War es doch Tarantino, der bei der Berlin-Premiere seines Films "Kill Bill" in den dunklen Kinosaal hauchte: "Alfred Vohrer is a genius!" Ein Umstand, der dem leider viel zu früh verstorbenen FAZ-Journalisten Michael Althen zum Kinostart von „Der Wixxer“ eine elegante Einleitung wert war, die ungefähr die Hälfte seiner Kritik ausmachte und so die Republik über das Coolness-Level eines ihrer Filmgötzen aufklärte.
Der Einarmige ist unter den Zweiarmigen König
Das muss man sich heute immer klar machen: Die Edgar Wallace-Krimis sind längst nicht mehr nur die nostalgisch gefärbte Kindheitserinnerung so vieler Deutscher, sondern seit einiger Zeit eben auch eine der wertvollsten, international geschätzten Genrereihen, die die deutsche Filmgeschichte hergibt. Filmhistoriker wie Tim Bergfelder ("International Adventures") haben darüber Bücher geschrieben, Ikonen wie der Video Watchdog-Herausgeber Tim Lucas haben dazu geniale Sondernummern herausgegeben, Regisseure wie Edgar Wright haben Wallace etwa in "Hot Fuzz" zitiert. Und dass Tarantinos spaßbringendste Metapher in seinem Weltkriegs-Thriller "Inglourious Basterds" insgeheim um eben jenen Edgar Wallace kreist wie die Flugzeuge um das Empire State Building in "King Kong", dürfte inzwischen auch einigen Cineasten klar geworden sein. Die Edgar Wallace-Krimis sind ein Kulturschatz. Und in seiner knapp einstündigen SWR-Dokumentation schwingt sich Oliver Schwehm, auch der Regisseur von "Winnetou darf nicht sterben" und "Christopher Lee: Gentleman des Grauens", dazu auf, der Filmserie das erste brauchbare TV-Denkmal zu setzen.
Wie Laubsäge und Hubschrauber zusammenpassen
Wer mit Harald Reinls Heimatfilm "Almenrausch und Edelweiß" anfängt und mit Dario Argentos Horror-Klassiker "Suspiria" abschließt, muss einfach ein Guter sein. Und wer neben den üblichen Talking Heads wie den Schauspielern Blacky Fuchsberger, Karin Dor, Karin Baal, den Rialto Film-Geschäftsführer Felix Wendlandt, Peter Thomas und den immer sympathischen Oliver Kalkofe (die Stimme von OSS-117!) eben auch Menschen wie den von mir hoch geschätzten Filmhistoriker Tim Bergfelder oder Umberto Lenzi, den mit wichtigsten italienischen Genre-Regisseur der entscheidenden Jahrzehnte, gewinnen konnte, gehört mein Respekt. Wenn Schwehm dann aber auch noch putzige Sequenzen dazwischenschneidet, in denen ein maskierter Mr. X zum Beispiel mit einer Rasierklinge das Band des Heimatfilms im Projektor zerschneidet und Edgar Wallace einlegt, zeugt das von cineastischer Qualität. Oder wenn der Regisseur die Aussagen des FSK-Mitglieds zum Thema 'Verrohende Wirkung von Gewalt' einige der hübschesten Gore-Highlights der Serie untermischt oder die Gedächtnisschwäche der deutschen Stars hinsichtlich ihrer italienischen Produktionen mit eigenen widersprüchlichen Filmdialogen konterkariert, hat er mich vollends für seine Sache gewonnen.
Von der Themse an den Tieber
Als Fan der Serie lernt man nichts elementar Neues. Aber das muss die Filmdoku auch gar nicht bewerkstelligen. Man muss ihr die Liebe, die aber auch keine bedingungslose, fanboyhafte Liebe sein darf, ansehen und Lust bekommen auf das Wiedersehen oder das Entdecken dieses Teils der Filmgeschichte. Und die Liebe ist hier in jedem Detail zu spüren, besonders in den Animationen der Bilder. Wie die Kommissare Fuchsberger und Drache in mysteriösen Rauch getaucht werden oder der Stempel vom Frosch mit der Maske zum Cover des Edgar Wallace-Taschenbuchs wird, steht für eine hohe Produktionsqualität und fachkundiges Personal. Und so ist auch der Weg frei, sich an kleineren appetitlichen Informationshäppchen zu deliktieren. Artur Brauners CCC-Produktionsfirma etwa stand im Volksmund laut Fuchsberger für „zahlt ziemlich zögernd“. Darauf gibt es seltene Filmausschnitte von Edgar Wallace zu bestaunen, wie er, einem König gleich, über sein britisches Domizil stolziert oder Wallace' opulentes Begräbnis einem Staatsakt ähnelt. Dazu Wochenschau-Aufnahmen hinter den Kulissen, die teils als plumpe Werbung aufgebaut sind und Alfred 'Genius' Vohrer mit nur einem Arm zeigen, mit dem er aber seinen Schauspielern zeigt, wie man eine Pistole richtig zu schwingen hat. Bei all den Ufa-Stars aus dem Dritten Reich, Klaus Kinski und den Artur Brauner-Ripoffs ist mir aber eigentlich am liebsten gewesen, auf welche Weise Schwehm die Brücke zu den so genannten Spaghetti Krimis schlägt. Ich könnte jetzt jedenfalls direkt wieder "Das Geheimnis der grünen Stecknadel" und "Das Gesicht im Dunkeln" schauen.

Auch gut: - Die Horst Wendlandt-Story

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