Samstag, 3. März 2018
Die heimlichen Stars der Berlinale 2018 waren die Dokumentarfilme

„Malkovich, Malkovich, Malkovich“ | © Helena Wittmann
Die Regienamen der Dokumentarfilme auf der Berlinale waren eines Wettbewerbs in Cannes würdig. Auteurs wie Sergei Loznitsa („Victory Day“) oder Corneliu Porumboiu („Infinite Football“) präsentierten ihre neuen Werke. Negative Space hat deshalb sechs besonders empfehlenswerte Dokus aus dem Programm ausgewählt:
  • I. „Casanovagen“ (Luise Donschen)
Fünf Jahre hat die deutsche Regisseurin Luise Donschen mit diversen Unterbrechnungen an diesem faszinierenden Essay-Film über Untreue gearbeitet. Auf das Balzverhalten von Finken im Max-Planck-Institut folgt eine Szenerie zwischen der Regisseurin, die mit dem Schauspieler John Malkovich nach einem seiner Bühnenauftritte als Giacomo Casanova flirtet. Zwischendrin wird eine Domina per Hypnose zum Orgasmus gebracht und Teenager stellen eine Barszene nach, bei der am Ende einer von ihnen zu Kate Bushs „Wuthering Heights“ einen hypnotischen Tanz hinlegt. Der soll eine Hommage an Claire Denis' „Der Fremdenlegionär“ sein. Einerseits hat sich Donschen unglaublich viel bei der Szenenzusammenstellung gedacht. Andererseits sind die auf 16mm gedrehten Szenen für sich schon kleine Kunstwerke, die ein sinnliches Miteinander ergeben. Das diesjährige Forum der Berlinale war eine echte Schatztruhe voller Entdeckungen.

"The Green Fog" | © Internationale Berliner Filmfestspiele 2018
  • II. „The Green Fog“ (Guy Maddin, Evan & Galen Johnson)
Das extrem unterhaltsame Frankensteinmonster von Guy Maddin – mit der Unterstützung von Evan und Galen Johnson – ist eine Collage aus über 100 Filmen und TV-Serien, die in San Francisco spielen. „The Green Fog“ gibt ein Gefühl für die Topografie der ikonografischen Stadt, wenn er Straßenecken und Häuserdächer in den verschiedenen Filmen hintereinanderschneidet. Und wenn Michael Douglas, Joseph Cotten und Meg Ryan die selben Häuserschluchten herunterschauen, entsteht eine Verbindung zwischen den unterschiedlichen Stilen und Genres. Der exzentrische Kanadier Maddin ist nicht an Dialogen interessiert: Lieber schneidet er die unangenehmen Pausen, Seufzer und Luftholer der Darsteller aneinander – und zwar mehrfach. Die Körpersprache ist wichtiger als das gesprochene Wort. Das wird auch ersichtlich, wenn Maddin den Actionstar Chuck Norris in seinem 1973er-Filme „Der Boss von San Francisco“ so zurecht schneidet, dass er für wenige Minuten wie der größte Arthouse-Star der Filmgeschichte wirkt. Ein atemberaubender Moment. „The Green Fog“ ist eine herrliche cineastische Spielerei.

"Waldheims Walzer" | © Ruth Beckermann Filmproduktion
  • III. „Waldheims Walzer“ (Ruth Beckermann)
Ruth Beckermanns Dokumentarfilm, der mit dem Glashütte-Preis auf der Berlinale ausgezeichnet wurde, ist eine unterhaltsame, wieder aktuell gewordene und beißende Geschichtsaufarbeitung. Es geht um den ehemaligen österreichischen UN-Generalsekretär Kurt Waldheim, der so etwas wie das moralische Gewissen des Landes war. Als er aber Ende der 1980er-Jahre als österreichischer Präsident kandidierte, gruben Journalisten Details zu seiner verdrängten Karriere in der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg aus. Waldheim wurde zu einem Präzedenzfall in einem Land, das sich immer als erstes Opfer des Dritten Reiches stilisiert hatte.

Regisseurin Beckermann („Die Geträumten“) war damals mit der Videokamera bei einer der ersten Protestaktionen gegen Waldheim dabei. Deshalb ist der Blick auf den Wahlkampf polemisch und etwas einseitig. Aber umso unterhaltsamer ist die Pressekonferenz des Jüdischen Weltkongresses, der Ergebnisse seiner Recherche zu Waldheim präsentierte. Umso bizarrer sind Waldheims Interviews zu den Vorwürfen. Umso schockierender sind Aufnahmen der österreichischen Bevölkerung, die Waldheim mit antisemitischen Ausfällen gegen die Anschuldigungen bei Wahlkampfveranstaltungen verteidigt. Das ist ein wertvolles Stück Aufklärungsarbeit – auch für das heutige Österreich. Oder für europäische Länder wie Polen, die per Gesetz ihren Anteil am Holocaust unter den Teppich kehren wollen.

"What Walaa Wants" | © Christy Garland
  • IV. „What Walaa Wants“ (Christy Garland)
Aus dem Nahen Osten kommen die spannendsten Filme der 68. Berlinale: Die Dokumentation „What Walaa Wants“ erzählt von einer jungen Palästinenserin, die einem ungewöhnlich schweißtreibenden Traum nachgeht. Kritik weiterlesen.

"The Best Thing You Can Do with Your Life" | © Bruno Santamaría Razo
  • V. „The Best Thing You Can Do with Your Life“ (Zita Erffa)
Die verblüffende Dokumentation „The Best Thing You Can Do with Your Life“ in der Perspektive Deutsches Kino erzählt sehr persönlich vom Leben bei den Legionären Christi. Regisseurin Erffa glaubte, ihren Bruder für immer an die konservative Ordensgemeinschaft verloren zu haben. Kritik weiterlesen.

„Inland Sea“ | © 2018 Laboratory X, Inc.
  • VI. „Inland Sea“ (Kazuhiro Soda)
Ein weiteres Highlight der Berlinale war die bewegende japanische Schwarzweiß-Dokumentation „Inland Sea“ von Kazuhiro Soda. Ein bisschen Ausdauer und Sitzfleisch braucht es bei zwei Stunden Laufzeit. Dafür weiht der Film den Zuschauer in das Geheimnis des Altwerdens ein. Kritik weiterlesen.

... comment