Samstag, 31. Mai 2014
Die Flimmerfreunde – Der aktuell beste deutschsprachige Filmpodcast

Der George-Eastman-Ehrenlöwe geht an: Die Flimmerfreunde
Zuerst denkt man, der will mich jetzt verarschen. So redet ja kein Mensch, der verstellt doch seine Stimme. Aber Bernd Begemann meint es ernst. Der 51-jährige Musiker, der Ende letzten Jahres mit seinem Buddy Olli Schulz den halbironisch gemeinten Malle-Hit „Du bist verhaftet wegen sexy“ landete, spricht so wie er singt. Das mag im ersten Moment etwas affektiert und ein bisschen geknödelt klingen, aber es macht Sinn. Denn wenn Begemann im Filmpodcast „Flimmerfreunde“, der früher einmal „Ohrensessel“ hieß, als die Universal Pictures Germany noch mit im Boot war, zu einem seiner zahlreichen Vorträge ansetzt, versteht man, dass das keine Maskerade ist. Da scheint jemand schon sehr lange seinen inneren Groove gefunden zu haben, der für Außenstehende gewöhnungsbedürftig ist, dessen Singsang mit der Zeit jedoch süchtig macht.
Es ist überhaupt ein sehr angenehmer Ton, den die Flimmerfreunde Begemann, Kay Otto und Ben Shadow im Podcast gefunden haben: weit jenseits der schrillen amerikanischen Extreme von vorschnellen Verbeugungen, die eigentlich nur den Hintergedanken haben, vielleicht beim nächsten Kickstarter-Projekt finanzielle Unterstützung einzuheimsen und den scheinheiligen Cine-Hipstern, die sich über jeden Blockbuster lustig machen müssen, als Fixstern aber insgeheim nicht Antonioni oder Tarkowski, sondern „Ghostbusters“ angeben.
Superhelden der Filmkritik
Die drei Flimmerfreunde haben untereinander eine virtuose Dynamik der Entschleunigung entwickelt, die einfach gute Laune verbreitet. Nicht zufällig ist die offizielle Droge der Wahl eigentlich immer eine Tee-Sorte aus dem nächstgelegenen Supermarkt. Bernd Begemann hat den größten Redeanteil, was sich aber auch mit seinem Gefühl deckt, wer am meisten zu erzählen hat. Er wirkt in seinem Mitteilungsdrang und den breitgefächerten Referenzen aus Popkultur, Geschichte und Philosophie wie die kauzigen Endlos-Studenten, die eine Wortmeldung im Seminar meistens zu einem gesellschaftlichen Rundumschlag nutzen, der dann die Sitzung in seiner Länge auch abschließt. Mit dem feinen Unterschied, dass man Begemanns Ausführungen und Interpretationen verdammt gerne lauscht. Sein Enthusiasmus für abseitigere Geschmacksurteile ist ansteckend. Kay Otto bringt seine Expertise als Filmemacher in technischen Details zum Ausdruck, überzeugt aber noch mehr, wenn er die ungeschriebenen Filmgeschichtsbücher des Exploitationkinos und die Gossip-Magazine der Bahnhofskioske plündert.
Die beiden sind ein unschlagbares Team, das sich die Bälle nur so zuspielt. Superhelden der Filmkritik, deren Superkraft es ist, aus dem langweilig klingendsten Thema eine traumhaft unterhaltsame, knappe Stunde Podcast zu kredenzen. Wie ich über die Jahre und unzählige andere Filmpodcasts festgestellt habe, ist die Lauflänge mit vierzig bis fünfzig Minuten für die Aufmerksamkeitsspanne optimal gewählt. Als Dritter im Bunde darf natürlich nicht Ben Shadow vergessen werden. Die gute, meist wortkarge Seele der Flimmerfreunde, die genau weiß, wie gerne die anderen beiden reden und rumspinnen, so dass er nur zu gerne brüderlich in den Hintergrund zurücktritt. Ganz entfernt und verquer erinnert die Konstellation der drei so manchmal an den Pfandleiher Maynard, seinen Freund Zed und the Gimp aus „Pulp Fiction“, die als Spinnen glauben, mit dem aktuellen Hollywood-Blockbuster oder der nächsten Schweighöfer-Komödie wieder reichlich Beute gemacht zu haben.
Sowohl "The Sea Hawk" als auch "Fluch der Karibik"
Was die Flimmerfreunde aus dem Einheitsbrei der Filmpodcasts heraushebt, ist neben dem schön abseitigen Humor zuallererst aber die filmgeschichtliche Tiefe, die die Diskussionen erreichen können. Da wird beim Thema Frauenfilme schon mal der so schöne wie meist verdrängte deutsche Peter-Pewas-Filmklassiker „Der verzauberte Tag“ ausgegraben. Bei Kriegsfilmen hören die Assoziationen nicht bei „Der Soldat James Ryan“ auf, sondern reichen bis Raoul Walshs „The Naked and the Dead“. Episoden sind dem Mantel- und Degengenre oder Filmen, die am Südpol spielen, gewidmet. Die Piratenfilm-Historie beginnt bei den Flimmerfreunden nicht erst bei „Fluch der Karibik“, sondern mit „The Sea Hawk“ aus dem Jahr 1924. Teilweise gehen die Drei bis zu den Anfängen zurück und blicken gewinnbringend auf die ersten Stummfilm-Experimente.
Die Flimmerfreunde vereinen beides: Die geekig-süffige Unterhaltungsqualität der besten aktuellen Filmpodcasts, die sich aus Superheldenverfilmungen und HBO-Serien (behandelte Themen u.a. „Girls“, „Game of Thrones“, „Louie“) speisen, aber auch das Bewusstsein für eine unheimlich reichhaltige Vergangenheit, aus der die Gegenwart nur lernen kann. Und es hilft, dass Begemann in seinem für Filmpodcasts geradezu biblischen Alter schon in den 1970er-Jahren eifriger Kinogänger war. Umso erstaunlicher ist es, dass der Flimmerfreund, der eigentlich schon alles gesehen hat, den größten Enthusiasmus an den Tag legt. Man müsste mit der Lupe suchen, um in den Jahren eine Handvoll Filme zu finden, die ihm nicht gefallen hätten. Begemann ist kein Filmfan, denn Filmfans lieben nur die Filme, die sie lieben. Begemann ist ein Cineast: Er liebt Film.

Anmerkung: Der George-Eastman-Löwe in Gold wird in unregelmäßigen Abständen an den deutschsprachigen Filmpodcast verliehen, der Movies & Sports aktuell am besten unterhält. Wäre der Preis keine spontane Erfindung, würden zu seinen bisherigen Preisträgern der Plauschangriff, die Celluleute und der Wollmilchcast zählen.

Link: - Flimmerfreunde

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