Montag, 24. Februar 2014
Der heiße deutsche Filmpodcast-Report - Was Eltern wirklich wissen sollten

Auch Barry Bostwick ("Megaforce") gibt ein Kussdaumenhoch
Ich bin riesiger Podcast-Fan und halte sie ernsthaft für die intravenöse Unterhaltungskunst unserer Zeit. Meine Generation wuchs noch mit den alten „Hui Buh“-Schallplatten der älteren Geschwister auf und besaß dann schon selbst eine unüberschaubare Anzahl von Hörspielkassetten. Populäre Reihen wie „Jan Tenner“, „Masters of the Universe“ oder „Bibi Blocksberg“ schulten unsere Ohren. Aber für dieses auditive Bedürfnis gab es leider lange keine neue Nahrung. Aus dem Kassettenzeitalter entwuchs man – nur die Prägung blieb. Erst jetzt, im fortgeschrittenen Internetzeitalter, entwickelte sich mit den Podcast eine Unterhaltungsform, die ein Äquivalent zu den Lagerfeuererfahrungen von damals schafft.

Podcasten bedeutet Reduktion auf das Wesentliche. Es gibt keine Ablenkung durch Oberflächenreize. Hier zählen nur Fachwissen, Meinung, Argumentation und Überzeugungskraft. Außerdem ist es heute beinahe für jeden Menschen mit Computer ohne großen technischen Aufwand machbar. Als Cineast interessieren mich dabei immer schon vorrangig die Filmpodcasts. Fündig wurde ich in den USA. Zuerst gab es, von einigen kurzlebigen Experimenten abgesehen, hauptsächlich online gestellte Radioshows wie etwa die The Treatment-Sendung des ehemaligen New York Times-Kritikers Elvis Mitchell. Den ersten allwöchentlichen Filmpodcast in Reinkultur, wie man sie heute kennt und schätzt, entdeckte ich dank eines Tipps des Giga-Forum-Users Hase zum „Indiana Jones 4“-Kinostart. Der Slashfilmcast war im Grunde genommen meine damalige Idealvorstellung eines geekigen Endlos-Talks, den man während des Sports, beim Essen oder auf Reisen anstellen konnte. Der Unterhaltungswert der Gespräche stieg interessanterweise mit der Abnahme der filmischen Qualität. Cineastische Dürreperioden, wie etwa die Sommerblockbuster-Jahreszeit, wurden so stark aufgewertet.

Das war im Jahr 2008. Schnell schafften sich, dem Vorbild folgend, auch viele andere amerikanische Filmblogs ihre Nerd-Special-Force an, die kompensierte, was die Blogbetreiber bis dahin vermissen ließen. Eine Inflation des gesprochenen Wortes über Superheldenverfilmungen und HBO-Serien setzte ein. Und nach all den Jahren sind heute gewisse Abnutzungserscheinungen nicht von der Hand zu weisen: Podcast-Mitglieder wurden wegen sozialer Verpflichtungen ein- oder ausgewechselt und Aversionen zwischen Teilnehmern geprägt und weiterentwickelt. Podcasts wie The Film Talk wurden wegen schwerer Erkrankung vorübergehend auf Eis gelegt. Es gab Urheber-Kleinkriege zwischen den Machern und Blogbetreibern wie im Falle von Operation Kino, der neugegründet jetzt Fighting in the War Room heißt. Im Falle des aufgelösten IFC-News-Podcasts verloren die Moderatoren Matt Singer und Alison Willmore gleich ganz ihre Arbeitsplätze und dürfen heute nur noch über Video on Demand-Veröffentlichungen bei Filmspotting SVU parlieren.

Während in den USA also mehr pflichtschuldig die Gespräche auf Autopilot weiterliefen, schwappte das Podcast-Phänomen auch nach Deutschland rüber. Wie Pilze schossen gerade in den letzten Monaten deutschsprachige Filmpodcasts aus dem Boden. Dabei gilt die alte Faustregel, dass popkulturelle Entwicklungen aus Übersee immer ein paar Jahre brauchen, bis sie in unseren Breitengraden Entsprechungen finden. Bezeichnenderweise stammten die ersten richtig brauchbaren deutschen Filmpodcasts, die es vom Unterhaltungsfaktor ziemlich zeitnahe mit den amerikanischen Pendants locker aufnehmen konnten, aus dem Gaming-Umfeld. Die Hamburger Rocket Beans-Clique, die sich vornehmlich aus ehemaligen Mitarbeitern des Senders Giga speist und unter anderem die TV-Show „Game One“ produziert, waren so gesehen deutsche Pioniere, da deren Plauschangriff bereits seit 2009 hochgeladen wird. Filmthemen waren dort immer wieder gern genommene Ausnahmen von der Regel. Es folgten zahlreiche hörenswerte Spin-off-Projekte wie das Audiokommentar-Projekt Audioflick, die Podcast-taugliche Studiosendung Almost Daily oder filmaffine Solo-Projekte wie der Gedankensprung oder die Sexy Cripples. Neuerdings haben die Raketenbohnen aber auch wieder – der guten alten Tradition folgend – mit Kino+ ein eigenes Filmmagazin am Start.

Daran anknüpfend gründeten User des Maniac-Forums 2010 die Celluleute. Mit der Zeit kristallisierten sich dort vier Stammkräfte heraus, deren Spannungsfeld vor allem von den unterschiedlichen Filmhorizonten der Beteiligten zehrt. Es sind dann auch immer wieder Verweise in den Filmpodcasts selbst, die zu weiteren Podcast-Entdeckungen führen: Man hört zum Beispiel den Wollmilchcast, der eine ganz exzellente Helmut Käutner-Besprechungsreihe sein Eigen nennt. Die Moderatorin Jenny Jecke nimmt zusätzlich mit Freunden den „Community“-Podcast Pillows and Blankets auf. Die daran Beteiligten wiederum tauchen gleichzeitig in Podcasts wie Die Abspanner und Wasting Away auf oder empfehlen nebenbei Bernd Begemanns Filmpodcast-Projekt Die Flimmerfreunde. Auch ein naheliegende Verquickung sind TV-Podcasts, die im Filmressort wildern. Die Serienjunkies bezeichnen sich mittlerweile auch als Filmjunkies und treiben den Anglizismen-Counter in schwindelerregende Höhen. Meistens sind aber die flachen Abstecher in die Filmwelt von Medienpodcasts wie Quotenmeter oder Medienkuh eher zum Vergessen. Mehr erwarte ich mir dahingehend vom Quotenmeter-Ableger Coopers Kaffee, bei dem sich die wertvollsten Mitglieder selbstständig gemacht haben und demnächst durchstarten wollen. Jedenfalls findet man heute, einige Jahre nach der US-Welle, überall, wo man hinklickt, deutsche Podcast-Projekte.

Es kann einfach kein Zufall sein, dass die derzeit beste deutsche Unterhaltungssendung eine Radioshow namens Sanft und Sorgfältig ist, die von den beiden Moderatoren-Supernasen Olli Schulz und Jan Böhmermann wie ein Podcast produziert wird. Die Musik zwischen den Gesprächsblöcken wählt die Redaktion aus, die Moderatoren kümmert sie nicht, weil sie wissen, dass sie später – in der von den Zuhörern bevorzugten Podcastform – wieder herausgeschnitten wird. Und letztlich ist Sanft und Sorgfältig ja auch eine Art Filmpodcast, da die beiden hauptsächlich über die Fernsehbranche ablästern, die in Deutschland nahezu gleichbedeutend mit der hiesigen Kinoindustrie ist. Was mir im Spektrum der deutschsprachigen Filmpodcasts aber noch fehlt, sind Projekte, die sich von der Tagesaktualität und den US-Blockbustern freimachen und sich voll und ganz der Filmgeschichte widmen können. Die Eskalierenden Träumer, die unter anderem die wundervollen Hofbauer-Kommando-Kongresse organisieren, scheinen dafür geradezu prädestiniert zu sein. Haben sie doch eine regelmäßig stattfindende Veranstaltung, von der aus sie per Podcast noch viel besser neu entdeckte oder wieder ausgegrabene Filmperlen propagieren könnten.

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