Montag, 4. September 2017
Computer sagt Nein - Drehbuchanalyse in Hollywood

Die häufigsten Wörter im "Casablanca"-Script? Rick und Ilsa
Hollywood träumt von der genauen Berechnung des Erfolgs. Mit dem Multiverse, wie es Marvel betreibt, ist man dem schon recht nah gekommen. Aber gibt es auch Computerprogramme, die den Erfolg von Drehbüchern vorhersagen können? Redakteur Jörn Schumacher gibt einen Überblick.

Jedes Jahr werden in der Gewerkschaft der Autoren in der Film- und Fernsehindustrie in den USA mindestens 50.000 neue Drehbücher eingereicht. Davon setzen die Studios in Hollywood allerdings nur rund 150 im Jahr um, so dass sie auch wirklich auf der Leinwand landen. Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Drehbuch veröffentlicht wird, gerade mal 0,003 Prozent beträgt. Da muss schon alles stimmen, wenn sich ein Studio tatsächlich entscheidet, ein paar Millionen in eine Produktion zu stecken. Das Drehbuch sollte zumindest eine gewisse Sicherheit bieten, dass am Ende auch etwas dabei herumkommt.

Noch eine andere nette Statistik: 90 Prozent der Filme aus Hollywood sind ein Verlustgeschäft. Den eigentlichen Profit machen gerade einmal 6 Prozent der Filme. Wie schön wäre es da, ein Werkzeug an der Hand zu haben, das einem vorhersagt, ob ein Drehbuch etwas kann. Eine Glaskugel vielleicht. Oder eine Software?

Kann ein kalter Computer die heißen Emotionen eines Filmes berechnen? William Goldman, zweifacher Oscar-Gewinner, schrieb in seinen Memoiren im Jahr 1983: „Keiner weiß alles.“ Soll heißen: Niemand kann vorhersagen, ob ein Film gut oder schlecht läuft, ob er an den Kassen viel oder wenig Geld einbringen wird.

Schauen wir uns einige Extrem-Beispiele an: Der grelle Spielfilm „Avatar“ hat in der Produktion 237 Millionen Dollar gekostet, aber satte 2,7 Milliarden Dollar eingebracht. Hingegen kostete die Disney-Produktion „Milo und Mars“ (2011) 175 Millionen Dollar, spielte aber nur 39 Millionen ein, der Verlust betrug über 130 Millionen Dollar. Andere Beispiele für große Flops der (Hollywood-)Filmgeschichte: „47 Ronin“ (Keanu Reeves) brachte einen Verlust von 100 Millionen Dollar ein. „Lone Ranger" (Johnny Depp) 95 Millionen Dollar. Merke: Populäre Schauspieler allein sind keine Garanten für den Erfolg eines Films.
Der Computer als Wahrsager
Immer wieder versuchen findige Leute, einen Computer so zu programmieren, dass er voraussagen kann, ob ein Drehbuch den Aufwand und die Kosten lohnt, die Kameras anzuschmeißen. Aber wie soll man ein Drehbuch, das aus Wörtern, Sätzen, Emotionen und Beziehungen zwischen Menschen besteht, einem Computer verständlich machen?

Nun, man muss das Drehbuch irgendwie quantifizieren. Sprich: in Zahlen übersetzen. Denn nur Zahlen versteht der Computer. Die britischen Computerwissenschaftler Fionn Murtagh und Stewart McKie von der University of London haben sich 2008 mit dem Drehbuchautor Adam Ganz zusammengesetzt, um genau das zu tun.

Ein typischer Film hat 40 bis 60 Szenen, in denen die Handlung sich in irgendeiner Weise ändert, in der sozusagen „Mini-Geschichte“ erzählt wird. Eine Szene dauert im Schnitt (mit vielen Ausnahmen) zwei bis drei Minuten. Eine Sequenz wiederum besteht aus 2 bis 5 Szenen. Und schließlich fasst ein Akt mehrere Sequenzen zusammen; er macht die Makro-Struktur eines Films aus. Im Grunde könnte ein einzelner Akt schon für einen ganzen Film ausreichen. Die Länge der Szenen bestimmt den Rhythmus und das Tempo des Films. Man kann durch Veränderung des Tempos auf den Höhepunkt des Films hinarbeiten: Entweder durch Verkürzung der Szenendauer, oder indem man die Szene mit dem Höhepunkt sehr viel länger macht als alle davor.

Als zweites kann man die Wörter zählen, die in einem Drehbuch vorkommen. Da sind natürlich vor allem die Charaktere interessant, die man anhand ihrer Namen identifizieren kann.

Murtagh und McKie nahmen sich den Film "Casablanca" (1942) vor. Sie zählten: Er besteht aus 77 Szenen, und das Drehbuch enthält 6.710 Wörter. Der Algorithmus kann herausfinden, wie sich Konflikte zwischen Personen im Laufe des Plots verändern, indem er darauf achtet, wie häufig benutzte Wörter ihre Stellungen zueinander verändern. Die zwei häufigsten Wörter im Script von „Casablanca“ sind die Namen der Hauptfiguren: Rick und Ilsa. Die Software erkannte, wie sich diese beiden Wörter im Laufe der Handlung zueinander verhalten: Sie rücken immer wieder zusammen und driften dann wieder auseinander. Murtagh: „Es ist überraschend, wie gut das Ilsas widersprüchliche Gefühle widerspiegelt, wenn sie im Film abwechselnd von Rick angezogen wird und ihm dann auch wieder widersteht.“

Bei dieser Methode konzentriert man sich ja aber nur auf das nackte Drehbuch. Es fehlt die Magie der Kameraeinstellung, der Farben und der Kontraste, aber vor allem fehlt die auditive Komponente, die Musik. Autor Ganz erwidert, diese Aspekte seien in der Tat wichtig, aber die Produzenten hätten am Anfang ja nun einmal nur das Drehbuch, anhand dessen sie entscheiden müssen, ob sie ihr Geld investieren wollen oder nicht. „Drehbücher sind schon eine seltsame Sache“, sagt Ganz. „Sie werden bewertet, indem sie gelesen werden, aber wenn sie erfolgreich sind, werden sie nie wieder gelesen. Die Autoren können jede Hilfe gebrauchen, die sie bekommen können.“
Bowling kommt nicht so gut an
Auch der ehemalige Statistikprofessor namens Vinny Bruzzese wollte eine mathematische Vorhersage für Filme entwickeln. Er gründete die Firma „Worldwide Motion Picture Group“, und für 20.000 Dollar quetscht er ein Drehbuch auf Wunsch eines Kunden durch seinen digitalen Fleischwolf, um anschließend einen 20- bis 30-seitigen Bericht auszusprucken, der vorhersagt, wieviel Erfolg an den Kinokassen zu erwarten ist. Oder: an welchen Stellen das Drehbuch umgeschrieben werden sollte. Das Prinzip dahinter: Das Drehbuch wird verglichen mit ähnlichen Filmen, die bereits erschienen sind und achtet auf deren Erfolge, außerdem schließt er Umfragen unter 1.500 Personen mit ein, die die Filme bewertet haben.

Und so kann Bruzzese Aussagen treffen wie: „Dämonen in Horrorfimen können Menschen angreifen oder heraufbeschworen werden. Wenn der Dämon angreift, bekommt man wahrscheinlich höhere Einnahmen im ersten Wochenende nach dem Filmstart, als wenn der Dämon heraufbeschworen wird.“ Bruzzese fügt hinzu: „Also fort mit den Ouija-Brettern!“ Übrigens: Szenen, in denen Bowling vorkommt, kommen eher nicht so gut an, sagt die Statistik. Also besser nicht ins Drehbuch einbauen!

Der Drehbuchautor Ol Parker („The Best Exotic Marigold Hotel“) ist angesichts dieser Berechnung seiner Arbeit entsetzt: „Das ist mein größter Albtraum. Das ist der größte Feind der Kreativität.“ Der Filmproduzent Scott Steindorff wiederum findet Bruzzeses Arbeit super und hat seine Dienste für den Film “Der Mandant” (2011) in Anspruch genommen. Er ist überzeugt: „Eines Tages wird das jeder machen.“

Aber schon Befragungen nach Test-Screening können ziemlich in die Irre führen: Nach Bewertung des Test-Publikums etwa hätte “Fight Club” floppen müssen, doch er brachte über 100 Millionen Dollar weltweit ein. Übrigens: Ob die großen Hollywood-Studios die Software verwenden, bleibt wohl weiter ein Geheimnis. Anfragen der New York Times an sechs Studios wurden nicht beantwortet.
Der Computer, Dein Anlage-Berater
Auch der Marketing-Professor Josh Eliashberg analysierte mit Kollegen 281 Filme, die zwischen 2001 und 2004 herauskamen. Ihre Software war in der Lage, natürliche Sprache zu analysieren, außerdem setzte sie auf Befragung von Zuschauern. Um das System zu eichen, verwendeten sie 200 Filme. Anschließend ließen sie für 81 Filme vom System eine Vorhersage treffen, wie erfolgreich sie laufen würden. Ihr Modell lag in fast zwei Drittel der Fälle sehr gut. Von den 81 Filmen verwiesen sie auf 30, die besonders gut laufen würden. Und tatsächlich: Wenn die Filmstudios nur diese Filme produziert hätten, hätten sie 5,1 Prozent ihrer Investition sicher wieder reinbekommen – garantiert – und das ist für Investoren in der Filmindustrie sonst kaum zu haben. Zum Vergleich: Hätte man einfach zufällig 30 Filme ausgewählt und produziert, wären 18,6 Prozent der Investitionen futsch gewesen.
400.000 Eigenschaften eines Films berechnet
Eine israelische Firma namens Vault setzt ebenfalls auf künstliche Intelligenz, um dem Prinzip Hollywood auf die Schlichte zu kommen. David Stiff, Begründer von Vault, sagt, ihre Software analysiere bis zu 400.000 Eigenschaften eines Films. Das kann so etwas sein wie die Menge an Gewalt, die gezeigt wird. Der Algorithmus liegt angeblich mit einer Genauigkeit von 65 bis 70 Prozent richtig, wenn es um die Vorhersage des finanziellen Erfolgs eines Filmes geht. Am wichtigsten ist laut dem Israeli das Thema des Films. Nehme man das Thema bei der Vorhersage heraus, sinke die Vorhersagemöglichkeit drastisch.

Lag die Software denn auch schon einmal richtig falsch? Der Unternehmenschef antwortet, sein System habe zum Beispiel vorhergesagt, dass „Terminator Genesis“ (2015) ein großer Erfolg werden würde. Aber der Streifen war mit 90 Millionen in den USA verdienten Dollar eher mau. (Immerhin war er weltweit sehr erfolgreich und spielte 221 Millionen Dollar ein).
Bei „Passengers“ lag der Computer richtig
Die Firma „ScriptBook“ bietet für schlappe 100 Dollar einem Drehbuchautor die Möglichkeit, sein Drehbuch von der Software „Script2Screen“ testen zu lassen. Die Hersteller versprechen, dass eine Prognose abgegeben werden kann über den ungefähren finanziellen Erfolg des möglichen Films, eine Bewertung der Storyline und der Zielgruppen. Die Sofware greift zurück auf eine Datenbank mit Drehbüchern von Filmen aus den Jahren zwischen 1970 und 2016.

„Scriptbook“ wirbt mit einer perfekten Vorhersage, die sie vor kurzem machten: Ihre Software hatte das Drehbuch des Filmes „Passengers” analysiert und kam zu dem Ergebnis, der Filme würde 118,1 Millionen allein an amerikanischen Kinokassen einbringen. Das Ziel wurde fast erreicht: Laut „Box Office Mojo“ spielte der Film 100 Millionen Dollar ein. Auch eine durchschnittliche Zuschauerbewertung prognostizierte der Algorithmus: 7,3 von 10 Punkten sagte er voraus. Die tatsächliche Bewertung bei IMDB liegt bei 7,1.

Wer es mal selbst versuchen möchte: Es gibt viele Drehbücher im Internet zum Herunterladen, zum Beispiel bei der „Internet Movie Script Database“ (IMSDb): http://www.imsdb.com. Und wer jetzt selbst Lust bekommen hat, sich an einem eigenen Drehbuch zu versuchen, dem helfen viele kostenlose Programme.

Link: - Was der Trashfilm über seine Konsumenten aussagt

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