Freitag, 24. November 2017
Deutsche Regisseure wünschen sich Neuanfang auf der Berlinale

Entscheidet über die Zukunft der Berlinale: Kulturstaatsministerin Monika Grütters | Christof Rieken, Wikipedia CC BY-SA 3.0
Die wichtigsten deutschen Regisseure haben eine Erklärung veröffentlicht. Sie wollen frischen Wind auf der Berlinale. Festivalleiter Dieter Kosslick antwortet. Eine Zusammenfassung von Michael Müller

Die Nachrichtenseite Spiegel Online hat am Freitag eine Erklärung von 79 deutschen Filmemachern veröffentlicht. Darunter befinden sich die bekanntesten Regisseure der vergangenen 40 Jahre. Zum Beispiel sind es Fatih Akin, Maren Ade und Christian Petzold, aber auch Altmeister wie Volker Schlöndorff und Doris Dörrie. Es geht wohl vor allem darum, Namen und Konstellationen zu verhindern, die nach dem Vertragsende des Berlinale-Chefs Dieter Kosslick im Jahr 2019 Realität werden könnten:

„Die Berlinale ist eines der drei führenden Filmfestivals weltweit. Die Neubesetzung der Leitung bietet die Chance, das Festival programmatisch zu erneuern und zu entschlacken. Wir schlagen vor, eine internationale, zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzte Findungskommission einzusetzen, die auch über die grundlegende Ausrichtung des Festivals nachdenkt. Ziel muss es sein, eine herausragende kuratorische Persönlichkeit zu finden, die für das Kino brennt, weltweit bestens vernetzt und in der Lage ist, das Festival auf Augenhöhe mit Cannes und Venedig in die Zukunft zu führen. Wir wünschen uns ein transparentes Verfahren und einen Neuanfang.“

Wenige Stunden später antwortete Dieter Kosslick darauf mit einer Pressemitteilung:

„Ich kann den Wunsch der Regisseur*innen nach einem transparenten Prozess der Neugestaltung der Berlinale verstehen. Die Zukunft der Berlinale ist uns allen ein Anliegen. Das Berufungsverfahren liegt in Händen der Staatsministerin für Kultur und Medien, Prof. Monika Grütters. Mein Vertrag endet am 31. Mai 2019. Der Aufsichtsrat hatte mich aufgefordert, einen Vorschlag zu einer möglichen Neustrukturierung der Berlinale zu unterbreiten. Diesen Vorschlag werde ich – völlig unabhängig von meiner Person – dem Aufsichtsrat vorlegen.“
„Ich bin mit der Gesamtsituation unzufrieden“
Zusammenfassend ließe sich dazu das Zitat dier Figur Ranger aus dem „Schuh des Manitu“ anbringen: „Ich bin mit der Gesamtsituation unzufrieden.“ 17 Jahre Dieter Kosslick haben ihre Spuren bei den Filmschaffenden hinterlassen. Aus ihrem Schreiben spricht die Angst, dass der Nachfolger oder die Nachfolgerin wieder aus der Filmförderungslandschaft kommen könnte. Und es existiert die leise Hoffnung, dass ihr kleinster gemeinsamer Nenner in Form dieser veröffentlichten Erklärung daran etwas ändern könnte. Eine Quelle kolportierte, dass die Erklärung der Regisseure bereits im Mai verfasst wurde, aber nicht die passende Reaktion bei Kulturstaatsministerin Grütters ausgelöst habe, die über Kosslicks Nachfolge entscheidet.

Am Donnerstag waren bereits zwei Texte im deutschen Feuilleton erschienen, die sich mit der Zukunft der Berlinale auseinandersetzten. Matthias Dell im Freitag bot auch gleich alternative Namen für die Festivalleitung mit den beiden Österreichern Christine Dollhofer und Alexander Horwath an. Lukas Foerster vom Perlentaucher glänzte mit dem insgesamt spannendsten und originellsten Vorschlag: Fortan solle das berüchtigte Hofbauer-Kommando die Retrospektive der Berlinale übernehmen.
Erklärung taugt nicht zur Generalabrechnung
Einer der Unterzeichner der Erklärung, Christoph Hochhäusler („Unter dir die Stadt“, „Dreileben: Eine Minute Dunkel“), gab am Freitag dem Deutschlandfunk Kultur ein eher schwammiges Interview, weil er auch nicht als der Vertreter der Gruppe sprechen wollte. Von Neuanfang und einem Nachfolger mit Visionen ist da die Rede. Interessanterweise könnte man einem der Hauptvorwürfe Hochhäuslers Lukas Foersters Text entgegenhalten: Hochhäusler fordert eine Entschlackung der Berlinale wegen der zahlreichen Nebenreihen. Foerster sieht gerade in der Verästelung des Programms den Reiz, weil sie gesellschaftliche Prozesse widerspiegelt. An dieser einen Stellschraube zeigt sich also bereits, dass die Erklärung der Regisseure überhaupt nicht zur Generalabrechnung mit Kosslick taugt. Was aber Hannah Pilarczyk von Spiegel Online oder auch Rüdiger Suchsland von Artechock nicht davon abgehalten hat, genau dies zu tun.

So oder so werden es spannende Zeiten: Ein Blick auf die anderen beiden bedeutenden A-Festivals der Welt reicht, um den Prozess auch kritischer betrachten zu können. Es gibt, glaube ich, wenige Kritiker, die behaupten, dass Cannes nach der Staffelstabübergabe von Gilles Jacob zu Thierry Frémaux ein besseres Programm bekommen hätte. Das Gegenteil ist eher der Fall. Und Venedig hat das Problem, dass die amerikanischen Weltpremieren mittlerweile gar nicht mehr als Venedig-Filme wahrgenommen werden. Denn sie laufen ein paar Tage später in Telluride und Toronto und erhalten dort die größere und auffälligere Berichterstattung. Nimmt man Venedig die drei Oscar-Filme, die dort zwangsläufig ihre Weltpremiere feiern, weg, was bleibt dann noch vom Wettbewerb 2017? Was schreibt eigentlich die italienische Presse über Alberto Barbera, der Marco Müller 2012 in Venedig abgelöst hatte?

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