Freitag, 16. Januar 2015
„Honig im Kopf“ wird Boxoffice-Phänomen

Warum immer ich, deutsche Filmkritiker? ("Der bewegte Mann")
Deutsche Filmkritiker hassen Til Schweiger. Das ist ein Fakt, ja mittlerweile eine Art Naturgesetz der Branche. Und wer es nicht tut, gerät schnell in den Verdacht, Gefälligkeitsjournalismus zu betreiben.

Til Schweigers Alzheimer-Komödie „Honig im Kopf“, die nach drei Wochen bereits 2,64 Millionen Zuschauer in die Kinos gelockt hat, beginnt jetzt in den Charts richtiggehend zu schweben. Klugerweise hatte sich Schweiger als Kinostart das Zeitfenster zwischen den Jahren ausgesucht. Da haben die meisten Menschen frei, die Kinos laufen vor Zuschauern über. Beeindruckende Zahlen lassen sich also deutlich einfacher erzielen. Aber nun, im trüben Januar, kommt es auf den Film selbst an. Was erzählen sich die Zuschauer, wird der Film weiterempfohlen? Wenn er nur von der Dauerbeschallung durch Trailer und Werbung künstlich getragen würde, fiele er spätestens jetzt in sich zusammen. Das Gegenteil ist bei „Honig im Kopf“ der Fall: Erste Zahlen besagen, dass das Ergebnis noch das letzte Wochenende übertrumpfen wird. 600.000 frische Zuschauer in drei Tagen, erzählt man sich. Schweiger hat einen Nerv getroffen. Es würde mich nicht wundern, wenn der Film letztlich in „Keinohrhasen“-Dimensionen (über 6 Mio. Zuschauer) landen würde.

These: Es ist heutzutage schick, Til Schweiger zu hassen. In den Augen der Filmkritiker gibt es auch triftige Gründe, mit Abscheu auf sein Werk zu blicken:

1) Wenn sie einen seiner Filme sehen wollen, können sie das nicht mehr kostenlos in der Pressevorführung tun, sondern müssen dafür an der Kinokasse bezahlen.

2) Viele seiner aktuellen Filme laufen sehr erfolgreich. Es gibt nicht viel, was in der deutschen Filmindustrie regelmäßig ein Publikum findet. Wenn man sich über Schweiger aufregt, kann man sicher sein, dass man Gehör und Leser findet.

3) Neuere Schweiger-Filme sehen ästhetisch alle gleich aus: ungefähr wie ein verfilmter Waldorfkindergarten, in ökologisch gut abbaubaren Farbfiltern. Irgendwie scheint da immer goldener Herbst zu sein. Schweiger besetzt auch immer die gleichen Schauspieler, meistens Freunde und Prominente und vor allem aber die eigenen Kinder. Nur seine Schauspielpartnerinnen wechselt er – wie in der Realität – gern und häufig.

4) Die Ironie für die eigene Filmfigur geht ihm meistens ab. Das müssen immer beruflich erfolgreiche Womanizer sein, deren einziger Makel das Fremdgehen ist. Wie kann man so einen süßen Schluri nicht lieben.

Dabei werden aber schnell die Qualitäten eines Schweigers vergessen oder bewusst verdrängt. Einen so unterhaltsamen und - angesichts der Thematik - so leichten Publikumsfilm über ein gesellschaftlich so relevantes Thema wie Alzheimer zu drehen, der dann auch noch Millionen von Menschen in die Kinos zieht, nötigt mir Respekt ab. Potenzielle sechs Millionen Menschen im Fernsehen bekommt man bei den Öffentlich-Rechtlichen fast automatisch durch die eingeschlafene Grundmasse an Zuschauern geschenkt, die nach der Tagesschau nicht umschalten wollen/können. Im Kino allerdings solche Dimensionen zu erreichen, ist eine ganz andere kulturelle Leistung. Hier wird die Lust und Leidenschaft für ein um Anerkennung kämpfendes Medium gelegt. Am lautesten lachten nämlich in meiner ziemlich gut besuchten Nachmittagsvorstellung die Kinder.

Und man muss erst einmal den Film schreiben, der dem altehrwürdigen Dieter Hallervorden solch eine tolle Bühne bietet. Klar, eigentlich war schon der wunderbare Film „Sein letztes Rennen“ Hallervordens „The Wrestler“. Ein Werk, mit dem es die einstige Ulknudel allen noch einmal zeigen konnte, dass er ein großer, fälschlich ignorierter Schauspieler ist, der im ernsten mindestens genauso gut wie im komischen Fach sein kann, wenn man ihn nur machen lässt. Aber was wäre dieser immer noch viel zu wenig beachtete Triumph wert gewesen, wenn Hallervorden nicht diese Links-Rechts-Kombination nachgelegt hätte. Umso so süßer schmeckt doch jetzt der Zuschauererfolg auf aller breitesten Ebene. Und hätte Schweiger nicht „Sein letztes Rennen“ gesehen, es hätte kein „Honig im Kopf“ gegeben. Schweiger hätte wahrscheinlich eher eine romantische Komödie für die Poetry-Slammerin Julia Engelmann geschrieben (Arbeitstitel: "Geistertölpel").

„Honig im Kopf“ ist ein typischer Schweiger-Film in dem Sinne, dass er viele schreckliche Manierismen des Filmemachers fortsetzt. Genannt seien nur einmal der alles verklebende, allzu seichte und belanglose Pop-Soundtrack, der mehr auf die Verkaufszahlen als auf die Atmosphäre schielt – und natürlich die katastrophal unsympathisch gezeichnete Motz-Ehefrau, die gegen den hilflosen Alzheimer-Patienten stänkert. Aber im Gegenzug hat er herrlich profane Dialoge voller Schimpfwörter, die nicht fürs Kino geschönt wurden. Er traut sich ehrlichen, hausgemachten Fäkalhumor, der den Film erdet. Er hat den grandiosen Hallervorden, dazu den natürlichen, weil eben auch schmerzvollen Umgang mit der Alzheimer-Erkrankung. Und dann natürlich solche Gedankengänge, wie sie die Tochter im Kloster formuliert. Das Kind leidet offensichtlich schwer unter den Konflikten der Eltern. Angesichts dessen erscheint ihr das Zölibat der Nonnen, die ihre Liebe ausschließlich Gott versprochen haben, als Treue-Akt geradezu vorbildlich und nachahmenswert zu sein. Mögen Schweigers Inszenierungen von Paar-Beziehungen durch seine rosarote Brille einseitig gefärbt sein – bei der Kinderperspektive auf diese zeigt sich Schweiger aber immer mal wieder als sensibler Beobachter.

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