Sonntag, 7. Oktober 2018
Das Filmfest Hamburg 2018 – Von feurigen Schwestern und überforderten Männern
© Universal Pictures International | Twentieth Century Fox of Germany | Indie Sales
Das Filmfest Hamburg hat mit Werken wie „First Man“, „Roma“ und „The Favourite“ wieder frischeste Oscar-Ware geboten. Als Gesellschaftsspiegel offenbarte die Filmauswahl aber auch den sich verschiebenden Geschlechter-Fokus. Ein Rückblick von Michael Müller.

Das Jahrtausende währende Zeitalter des Mannes geht langsam, aber stetig zuende. Diesen Eindruck kann man auch gewinnen, wenn man auf dem diesjährigen Filmfest in Hamburg vom 27. September bis 6. Oktober unterwegs war. Die gesellschaftliche Wachablösung durch die Frau wird hier in all ihren Facetten dokumentiert, bestaunt, zelebriert und manchmal sogar ein wenig betrauert. Auch wenn lange noch nicht Regie-Quoten von 50 Prozent erreicht sind, erzählen erfreulicherweise viele der von der Hansestadt eingeladenen Filme von dem, was Frauen bewegt. Männer sind im Programm meist Stichwortgeber, Statisten, Lustobjekte, antiquiert oder von ihren Aufgaben als neuer Typus Mann überfordert. Oder sie kommen in den Filmen gleich gar nicht mehr vor. Manchmal wird der machohafte Mann als Relikt einer vergangenen Zeit noch ausgestellt, wobei dieser Blick zumindest in einer Dokumentation eine wehmütige Seite hat.

Der alternde Sigmund Freud (Bruno Ganz) sagt über die Frauen in dem etwas reißbrettartigen, aber durchaus unterhaltsamen Film „Der Trafikant“, sie seien wie Zigarren: „Wenn man zu stark an ihnen zieht, entziehen sie sich dem Genuss.“ Der Film spielt in Wien zur Zeit des Anschlusses von Österreich durch Nazi-Deutschland. Der Trafikant Otto Trsnjek (Johannes Kirsch) verkauft in einem kleinen Eckladen hauptsächlich Zigarren und Tageszeitungen des gesamten politischen Spektrums. Für besondere Kunden greift er aber auch unter die Ladentheke, um „zärtliche Magazine“ in neutraler Verpackung anzubieten. Der Besitzer versteht sein Geschäft als Tempel des Genusses, der Lust und des Lasters, in dem Diskretion das oberste Gebot ist. Er sagt: „Wenn eine Zigarre schlecht ist, schmeckt sie nach Pferdemist. Wenn sie sehr gut ist, schmeckt sie wie die ganze Welt.“

Tatsächlich ist das Interessanteste am „Trafikanten“ weder der historische Hintergrund noch die Ladengepflogenheiten oder der pubertierende Dorfjunge Franz (Simon Morzé), der im Geschäft zu arbeiten beginnt und dabei den berühmten Psychologen Freud trifft – und sich in Liebesdingen beraten lässt. Es ist die böhmische Figur der Anezka (Emma Drogunova). Bekannt ist dieses Klischee einer Frau aus deutschen Filmklassikern wie „Ich denke oft an Piroschka“: ein ständig sexuell verfügbares Mädchen, das keinerlei Gegenleistung erwartet. Anezka mag zwar mit böhmischen Dialekt sprechen und den Dorfjungen „Burschi“ nennen. Aber diese Frau, die in eine tristen Hinterhofwohnung mit ihrer vielköpfigen Familie überlebt, nimmt sich genau das, was sie will. Sie weiß, wie das Schweinesystem funktioniert und was sie einbringen und opfern muss, um nicht in der Gosse zu landen oder zu verhungern.

Anezka (Emma Drogunova) weiß, was sie will | © Tobis Film GmbH
Abends tanzt sie im Nachtklub „Schwarzer Kater“ für die Winnetou-Leseratten als halbnackte Indianerin einen Fächertanz. Zwischendrin vernascht sie Franz mit dem schönen „Popperl“, der sein Monatsgehalt für sie im Biergarten und auf dem Rummel raushaut. Während der Junge ihr wie ein Hündchen hinterherläuft und sich dabei eher mittelgute Beziehungsratschläge bei Professor Freud abholt, arbeitet Anezka bereits wieder an einer besseren Zukunft für sich und ihre Familie. Etwas schade ist, dass ihrer Figur letztlich noch eine unsympathisch opportunistische Volte angeheftet wird. Aber ihr unbändiges Spiel trägt auf jeden Fall den Film, der immer etwas besser inszeniert und mit Original-Sets ausgestattet ist, als man sich das bei solch einer Produktion erwartet.
Gekonnter Griff in die Erdnussschale
Der argentinische Popstar Martina (Antonella Costa) besitzt eine etwas ins Stocken geratene Karriere. Hinzukommen seit längerem Probleme, sexuell erregt zu werden. In dem Film „Dry Martina“ reist deshalb die Titelheldin wegen fehlender Feuchtigkeit nach Chile. Dort macht sie sich auf die Suche nach dem wuschelhaarigen, braunäugigen One Night Stand, der in ihr längst vergessen geglaubte Gefühle wieder geweckt hat. Darum herum zimmert das Werk einen unmotivierten und umständlich erzählten Plot um neue Familienverbindungen zwischen Argentinien und Chile.

Ein weiblicher Fan von Martina (Dindi Jane) behauptet, ihre Schwester zu sein. Aber auch dieser Erzählfaden löst sich in Wohlgefallen auf. Eigentlich geht es in dieser lateinamerikanischen Mainstreamkomödie um die Lust der Frau. Es geht um ihren gelangweilten zielsicheren Handgriff in die Erdnussschale, wenn der Sex zu monoton abläuft. Und es geht um schwarze Fuck Buddys, die natürlich Hip Hop hören und Drogen verticken. „Dry Martina“ zeigt, dass eine spannende Thematik und zwei tolle Hauptdarstellerinnen nicht automatisch einen guten Film ausmachen.

Wie ein Dachs (Olivia Colman) | © Twentieth Century Fox of Germany
Die größte und spaßigste Frauenschau auf dem Festival, das im kommenden Jahr laut des Senators für Kultur und Medien, Carsten Brosda, eine „substantielle Erhöhung des Budgets“ erhalten soll, war Yorgos Lanthimos’ Werk „The Favourite“. Am Hofe der englischen Königin Anne (Pflicht-Oscarnominierung für Olivia Colman) des frühen 18. Jahrhunderts gibt es einen Wettstreit um die Gunst der Herrscherin. Lady Sarah (Rachel Weisz) ist der eigentliche Liebling der Königin. Die Position macht ihr aber in einen herrlich genussvoll inszenierten Intrigenspiel die Hofdame Abigail (Emma Stone) streitig. Etwas schade ist, dass das der erste Lanthimos-Film ist – das Drehbuch schrieben Deborah Davies und Tony McNamara –, der auf die surreal überspitzt weitergedachten Szenarien und wilden Ideen eines typischen Lanthimos verzichtet.

Dafür macht es viel Spaß, den drei Frauen beim sexuellen Machtspiel zuzuschauen. Männer wie der Oppositionsführer Harley (Nicholas Hoult) sind nur noch Bauern in einem Schachspiel, die es so elegant wie möglich zum eigenen Vorteil zu bewegen gilt. Oder sie dienen als Möglichkeit, den politischen Stand und die strategische Position mit einer Heirat zu verbessern. Dabei geht Lanthimos mit Kubrick'schen Fischaugen und Swift'scher Spitzfindigkeit der Frage nach, welches die wahre Liebe ist: Die Person, die einem immer nur das sagt, was man hören will oder der Mensch, der einen auch darauf hinweist, wenn man sich wie ein Dachs geschminkt hat.
Männer, Frauen & Kettensägen
Auch in dem Hollywood-Horrorfilm „Halloween“ geht es weniger um den Serienkiller Michael Myers, den Rob Zombie in seiner Version vor einigen Jahren küchenpsychologisch mit einer schwierigen Kindheit erklären wollte. David Gordon Green („Prince Avalanche“, „Pineapple Express“) legt den Fokus auf die Biografie von Laurie Strode (Jamie Lee Curtis). Die inzwischen ergraute Großmutter lebt immer noch in Angst vor Myers' Rückkehr in einem hochgerüsteten Sicherheitshaus. Ihre Tochter trainierte sie schon in jüngsten Jahren zur Selbstverteidigung. Das brachte ihr zwei Scheidungen und eine zerrüttete Beziehung mit dem Kind ein. Aber wie wir schon seit Carol J. Clovers Filmbuch-Klassiker „Men, Women & Chain Saws“ wissen, handelt es sich beim Boogeyman eigentlich um eine Verkörperung der weiblichen Defloration-Angst. Man wünscht Curtis einfach die Wiederbegnung mit ihrem Schatten, zumal John Carpenter aufregende neue Score-Elemente in den klassischen Synthesizer-Soundtrack eingebaut hat.

In zwei voneinander getrennten Filmen erzählt das sehenswerte kanadisch-israelische Dokumentationsprojekt „In the Desert“ vom Leben arabischer und jüdischer Bauern am selben Berg im Westjordanland. Das rückständige Rollenverständnis von Frau und Mann in der arabischen Familie steht im starken Kontrast zu sonstigen Schilderungen auf dem Filmfestival. Hier putzen, kochen, pflanzen, backen und ackern noch die Erst- und Zweitfrau des Patriarchen, bis sie vor Erschöpfung umfallen. Während sich das Familienoberhaupt im Zelt Tee und Baklava reichen lässt und zur Arbeit nach Israel reist.

Im Alltag dieser Araber spielt der Staat Israel oder Premierminister Benjamin Netanjahu eine extrem untergeordnete Rolle, obwohl die Ernte in einem Gebiet angebaut wird, wo israelische Militärübungen stattfinden. Es geht in der Familie vor allem um Konfliktthemen wie die Entscheidung, in diese Einöde gezogen zu sein, besseres Wohnen, Fernsehempfang, den Neid zwischen den unterschiedlichen Familienzweigen und die richtige Methode, ein Schaf zu melken und Käse in einem Tiermagen herzustellen. Das ist angenehm wertfrei von den Kameras eingefangen und manchmal so nah an seinen Protagonisten dran, dass es wehtut und peinlich berührt.

„Schönstes Paar“: Luise Heyer & Maximilian Brückner | © One Two Films
Die neu ins Leben gerufene deutsche Reihe Große Freiheit sorgte zum Start auf dem Filmfest für keine Schlagzeilen. Dafür war die Auswahl mit nur sechs Filmen zu bescheiden; es gab keine Weltpremiere im Aufgebot; stattdessen zum Beispiel Filme aus dem Januar in Rotterdam wie „Ella & Nell“. In diesem Roadtrip sind Männer ganz abwesend. Zwei ehemalige Schulfreundinnen machen einen gemeinsamen Waldausflug. Die Bilder sind lyrisch, die Dialoge improvisiert. Wer noch nicht Kelly Reichardts „Old Joy“ gesehen hat, wird das auch originell finden. Nur, dass hier die Themen deutschlandtypisch um Esoterik und Kücheneinrichtungen kreisen.
Rape & Revenge in Berlin Mitte
Gewinner der neuen Sektion war Sven Taddickens Film „Das schönste Paar“, der seine Weltpremiere in Toronto gefeiert hatte. Es ist ein ziemlich involvierendes Rape & Revenge Movie mit einem Berlin-Mitte-Lehrerpärchen, bei dem das eigentliche Rachemotiv scheinbar wegtherapiert wurde. Aber die Decke der menschlichen Sozialisation ist eben nicht sonderlich dick. Während die vergewaltigte Liv (Luise Heyer) nach der Therapie eine Art Frieden mit der Situation geschlossen hat, zeigt Taddicken ihren Freund Malte (Maximilian Brückner), der an den heutigen Normen der Versöhnung und des Ausgleichs zu zerbrechen droht, als der Peiniger wieder auftaucht. „Du hättest Eier zeigen können, wenn du es einfach vergessen hättest“, lautet Livs Vorwurf an den nach Rache dürstenden Malte.

Die extrem sehenswerte Dokumentation „M“ ist nach seinem Protagonisten Menachem Lang benannt. Der wurde in seiner ultra-orthodoxen Gemeinde in Bnei Brak bei Tel Aviv als Kind und Jugendlicher von verschiedenen Rabbinern sexuell missbraucht. Frauen sind in dieser Reise in die düstere Vergangenheit weitgehend als Protagonisten abwesend. Es gibt die französische Regisseurin des Films, Yolande Zauberman, die sich immer mal wieder lakonisch in den Off-Kommentar einschaltet. Aber eigentlich ist das eine Männerangelegenheit, bei der Menachem in die Nachbarschaft und auf den Friedhof zurückkehrt, wo er vergewaltigt wurde. Es dauert nicht lange bis sich in der Nacht dort weitere Opfer und Täter einfinden. In den bewusst unscharfen Bildern spiegeln sich die puren Emotionen und eine Dringlichkeit, diese Geschichte erzählen zu müssen. Der Titel ist auch als Reminiszenz an den Weimarer Tonfilm-Klassiker „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ gedacht, wo es ebenso um einen Kinderschänder geht.

Der französische Film „Little Tickles“ beschäftigt sich auch mit dem Thema des sexuellen Missbrauchs. Die eigentlich unerträglichen Übergriffe gegenüber der achtjährigen Odette durch einen Freund der Eltern werden erzählerisch aufgebrochen: Denn die Geschichte schildert die erwachsene Odette ihrer Therapeutin, die zusammen die Erinnerungen kommentieren, auseinandernehmen und stoppen, wenn es gar nicht mehr auszuhalten ist. Das kreative und mutige Konzept trägt „Little Tickles“, der aber in seiner subjektiven Schuldzuweisung gegenüber Odettes Mutter jegliche Differenziertheit vermissen lässt.

„Roma“: Auf den Spuren von Fellini | © Netflix
In Alfonso Cuaróns schwarzweißem Oscarkandidaten „Roma“, den das Filmfest dank Netflix auf der großen Leinwand zeigen durfte, sind die Männer im Mexiko der 1970er-Jahre die Nebenfiguren: Das indigene Hausmädchen wird von ihrem Lover noch in der Kinovorstellung des französischen Komödienklassikers „Drei Bruchpiloten in Paris“ verlassen, als er davon hört, dass sie schwanger ist. Das Familenoberhaupt der gut situierten Familie wiederum, um deren Alltag sich das Dienstmädchen kümmert, zelebriert seine tägliche Ankunft mit dem Auto wie ein König. Dabei läuft er letzlich über Hundescheiße und stößt in der zu engen Garage mit dem Außenspiegel an. Die eigene Wahrnehmung und die Realität passen schon in der damaligen Filmrealität nicht so recht zusammen.

Das Filmfest Hamburg bot viele weibliche Coming-of-Age-Geschichten. Die besten zwei immer wieder gespielten Songs hatte wohl der unebene kanadische Salinger-Epigone „Genesis“. Die beste Songszene bot der chilenische Film „Too Late to Die Young“: Die Protagonistin singt leidenschaftlich mit ihrer Ziehharmonika auf der Bühne der im Wald zurückgezogen lebenden Kommune den Song „Eternal Flame“. Darüber geblendet sind Bilder von ihrer Motorradfahrt mit dem älteren Lover, der ihre Liebe nicht so erwidert, wie sie sich das vorgestellt hat. Die spanisch- und portugiesischsprachige Sektion Vitrina gehörte wegen ihres Mutes zum Experimentieren zu den attraktivsten Reihen in Hamburg. Sektionsleiter Roger Alan Kozer war bei einer seiner Einleitungen euphorisiert, dass er sogar Cuarón an die Elbe lotsen konnte. Er trauerte nur etwas der verpassten Chance nach, nicht den neuen Film von Carlos Reygadas („Our Time“) bekommen zu haben, obwohl er persönlich mit dem Mexikaner befreundet ist.
Körper werden zu Landschaften
In dem expliziten und wilden chilenischen Roadtrip „Die feurigen Schwestern“, der eines der am meisten nachwirkenden Werke des Filmfests war, haben Frauen sich eine ideale Welt ohne Männer geschaffen. Das andere Geschlecht kommt nur noch als Aggressor vor, aus dessen gewalttätigen Fängen die Frauen befreit werden müssen. Akzeptiert sind in diesem Liebesreigen Transgender-Menschen. Dildos in jeglicher Ausprägung erinnern an das männliche Geschlecht, das in dieser Utopie nicht mehr gebraucht wird. Die nackten Körper der Frauen werden hier zu epischen Landschaften, die ihren leidenschaftlichen Befreiungskampf widerspiegeln. In einem halb legalen Trailer wurde diese Reise der Lust mit dem Deborah-Thema der Claudia Cardinale aus „Spiel mir das Lied vom Tod“ angekündigt. Es sind Outlaws der Liebe, die gegen gesellschaftliche Traditionen mit Körpereinsatz in einer Kirche, in Hotelzimmern und in einer Finca rebellieren, wo scheinbar alle chilenischen It-Girls der LGBT-Community zusammengekommen sind – und sich an alternativen Lebensweisen ausprobieren.

„Dogman“ Marcello Fonte | © Alamode Filmdistribution
Männer waren in den Kinos des Hamburger Filmfests vor allem überfordert: Besonders der alleinerziehende oder geschiedene Patchwork-Daddy stand im Fokus. In Erinnerung bleiben werden der koreanische Dichter, der in Hong Sangsoos Film „Hotel by the River“ auf Einladung des Besitzers kostenlos im Hotel Heimat eingecheckt hat. In schwarzweißen Schneebildern und mit dem üblichen feuchten Umtrunk in Gesellschaft seiner beiden erwachsenen Söhne erzählt der Film von der Kluft zwischen Mann und Frau – und wie der Graben in einer Ehe gleich noch viel größer wird. Der Vater, der getrennt von seiner Frau lebt, weiß seinen Kindern auch nicht mehr mitzugeben, als zwei hastig zusammen gesuchte Stofftiere, die so gar keine Ähnlichkeit mit ihren menschlichen Äquivalenten haben.
Dunkle Seite des Herzens
Besser ist die Beziehung in Garrones Film „Dogman“ zwischen dem Hundesitter Marcello (Darstellerpreis in Cannes: Marcello Fonte) und seiner kleinen Tochter, die sich nichts sehnlicher wünscht, als einmal nicht in Italien Urlaub zu machen. Angesichts der Tatsache, dass den Hundemann das Schicksal weder mit Aussehen noch Verstand reich gesegnet hat, ist die Fürsorge und Liebe aber vorbildlich, die er seinem Kind angedeihen lässt. Aber der geschiedene Marcello hat auch eine dunklere Seite in seinem Herzen, die nach einem aufregenderen und besseren Leben giert, was ihm in der Beziehung mit einem ultrabrutalen Gangster zum Verhängnis wird.

Den wahrscheinlich doch beste, weil mitreißendste Film über einen alleinerziehenden Vater haben die Israelis gedreht: „Geula“ feierte seine Weltpremiere in Karlovy Vary und gewann den Publikumspreis in Jerusalem. Der Film erzählt von Menachem (Moshe Folkenflik), dessen Tochter zum Überleben eine experimentelle und teure Chemotherapie braucht. Der ultra-orthodoxe Jude war früher Sänger in einer Rockband. Um an das Geld für die Behandlung zu kommen, trommelt er die alte Gang wieder zusammen, um auf Hochzeiten abzuliefern. Ganz simpel, aber einfühlsam und zärtlich schildern die Filmemacher Joseph Madmony und Boaz Yehonatan Yakov den moralischen Konflikt, wie ein strengreligiöser Witwer wieder zurück ins Leben drängt – sei es auf der kleinen Bühne oder auf dem Beziehungsmarkt.

„Nice Girls Don't Stay for Breakfast“ | © Little Bear Inc.
Der vielleicht prächtigste Hamburger Filmtempel, das Passage-Kino, war am Tag der Deutschen Einheit ein würdiger Ort für die Festivalpremiere der Dokumentation „Nice Girls Don’t Stay for Breakfast“. Das Interview-Dokument über den Hollywoodschauspieler Robert Mitchum zeigt ihn als Relikt einer vergangenen Zeit. Der berühmte Modefotograf Bruce Weber hatte ihn bereits in den 1990er-Jahren mit der Unterstützung von Supermodels interviewt. Dann verstarb aber Mitchum und Weber verließ die Lust, das Material zu veröffentlichen. Es ist ein beeindruckendes, locker-leichtes und sehr unterhaltsames Zeitdokument, das er mit selbst eingesungenen Songs des Hollywood-Beau garniert hat.

Mitchum wurde berühmt und von Cineasten vergöttert, weil er scheinbar mühelos der Schauspieler mit nur einem Gesichtsausdruck war, der aber in jeder Situation passte. Tatsächlich war seine unterkühlte und minimalistische Art zu spielen dann das Vorbild für die nächsten Generationen von Schauspielern, von denen Regisseur Weber auch einige vor die Kamera bekommen hat: Clint Eastwood schweigt, Johnny Depp öffnet sich, Benicio del Toro schwärmt und Danny Trejo stellt heraus, wie sich Mitchum für die Haftbedingungen in amerikanischen Gefängnissen eingesetzt hat. Noch schönere Geschichten erzählen Frauen wie Polly Bergen („Ein Köder für die Bestie“) vor der Kamera, die eine ganz andere, geheime Seite Mitchums offenbaren.
Jungssachen machen
Diese Erlebnisse stehen im Kontrast zu der machohaften Persona, die Mitchum auch vor Webers Kamera aufrecht erhält und mit sexistischen Sprüchen unterstreicht, die heute Karrieren beenden würden. Man kann sich aber auch durch die zahlreichen wunderschönen Szenen aus Mitchums Filmen des Eindrucks nicht erwehren, dass „Nice Girls Don’t Stay for Breakfast“ nicht nur eine Hommage sein sollte, sondern auch einen wehmütigen Abgesang auf einen antiquierten Typus Mann anstimmt, der aus der Welt verschwindet.

Der Weltraumpilot Neil Armstrong (Ryan Gosling) in Damien Chazelles neuem Film „First Man“ ist auch ein aus der Zeit gefallener Typus Mann: Er ist ein großer Schweiger und Profi, der Taten sprechen lässt. Hollywoodlegenden wie Raoul Walsh und Howark Hawks hätte dieser Protagonist gefallen. Er ist ein Mann, der nicht über den Tod seiner kleinen Tochter sprechen kann. Das vermeintlich letzte Gespräch mit seinen Söhnen will er am liebsten als unpersönliche Pressekonferenz gestalten, bevor er zum Mond aufbricht. Einmal bezeichnet seine Ehefrau Janet (Claire Foy) das Raketenprogramm der NASA aus Angst, ihren Mann zu verlieren, als gigantisches Kinderspiel von nicht erwachsen werden wollenden Jungen. Aber was für ein rauschhaftes, bombastisches und cineastisches Kinderspiel hat Chazelle daraus inszeniert. Das ist Kino. Das ist ein Kinderspiel, bei dem die Vereinigten Staaten von Amerika nicht nur die sowjetische Gegenseite im Blick hatten. Die Mondlandung sowie der Film „First Man“ sind Stoffe, aus denen die Träume der zukünftigen Generation gewoben werden.

Links: - Negative-Space-Preise 2018, - Filmfest-Podcast 2017

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Samstag, 6. Oktober 2018
Negative-Space-Preise Filmfest Hamburg 2018
Der Werner-Hochbaum-Preis für den besten Film geht an:
  • „Die feurigen Schwestern“ (Albertina Carri)

© Berlin Collection
Der Eberhard-Schroeder-Preis für die beste Regie geht an:
  • Damien Chazelle („First Man“)

© Universal Pictures International
Der Ulrike-Ottinger-Preis für das Gesamtkunstwerk geht an:
  • Yolande Zauberman & Menachem Lang („M“)

© Indie Sales
Der Richard-Fleischer-Preis für neue Perspektiven auf das Weltkino geht an:
  • Avner Faingulernt („In the Desert – A Documentary Diptych: Omar’s Dream“)

© Skene - Border Films
Der Rod-Taylor-Preis für den besten Darsteller geht an:
  • Moshe Folkenflick („Geula“)

© Transfax Film Production
Der Ludivine-Sagnier-Preis für die beste Darstellerin geht an:
  • Luise Heyer („Das schönste Paar“)

© One Two Films
Der Brigitte-Lahaie-Preis für Sinnlichkeit geht an:
  • Antonella Costa („Dry Martina“)

© Film Factory
Der Amy-Nicholson-Preis für Kickass Cinema geht an:
  • „Der Unschuldige“ (Simon Jaquemet)

© Augenschein Filmproduktion
Der Jan-Harlan-Preis für den besten Dokumentarfilm geht an:
  • „Nice Girls Don’t Stay for Breakfast“ (Bruce Weber)

© Little Bear Inc.
Zehn Filmfest-Hamburg-Lieblingsfilme 2018 (alphabetisch):

* DOGMAN (Matteo Garrone)
* DIE FEURIGEN SCHWESTERN (Albertina Carri)
* THE FAVOURITE (Yorgos Lanthimos)
* FIRST MAN (Damien Chazelle)
* GEULA (Yossi Madmoni & Boaz Yehonatan Yaacov)
* IN THE DESERT – A DOCUMENTARY DIPTYCH: OMAR'S DREAM (Avner Faingulent)
* M (Yolande Zauberman)
* NICE GIRLS DON'T STAY FOR BREAKFAST (Bruce Weber)
* DAS SCHÖNSTE PAAR (Sven Taddicken)
* DER UNSCHULDIGE (Simon Jaquemet)

Link: - Negative-Space-Preise 2017

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Mittwoch, 12. September 2018
Jamie Lee Curtis' Halloween-Comeback eröffnet Filmfest Hamburg inoffiziell

Jamie Got a Gun | © Universal Pictures International Germany GmbH
Das Filmfest Hamburg hat sein komplettes Programm für Ende September veröffentlicht. Umso länger man stöbert, umso spannendere Werke findet man.

Der Eröffnungsfilm des Filmfest Hamburg ist das isländische Werk „Gegen den Strom“, das eine Frau zeigt, die für die Umwelt und mit der Adoption eines ukrainischen Kindes kämpft. Mehr Nächstenliebe und Weltverbesserung gehen nicht. Aber sind wir doch mal ehrlich: Noch ein bisschen größer ist die Vorfreude auf David Gordon Greens Fortsetzung von „Halloween“, die alle anderen Fortsetzungen ignoriert und direkt an das Carpenter-Original anschließt. Für die Premiere in Hamburg ist der Superstar Jamie Lee Curtis angesagt. Ein Name, der alles mit Leichtigkeit wegwischt, was heutzutage als Hollywood gehandelt wird: Das Kind von Janet Leigh und Tony Curtis, das dem Slashergenre das Final Girl gestiftet hat; das für Arnold Schwarzenegger in „True Lies“ Tango tanzte und mit Stacy Keach durch den australischen Outback in „Truck Driver“ trampte; die Powerfrau in „Die Glücksritter“, „Perfect“, „Blue Steel“ und „Ein Fisch namens Wanda“. Das ist echte Hollywood-Prominenz.

Das Filmfest, das vom 27. September bis zum 6. Oktober läuft und 138 Filme aus 57 Ländern zeigt, mag ein eher unscheinbares Programm der Herbstfestivals vorgelegt haben. Umso länger man sich aber damit beschäftigt, umso mehr Entdeckungen macht man. Klar, große Highlights werden Yorgos Lanthimos' „The Favourite“ und der Oscar-Frontrunner „Roma“ von Alfonso Cuarón sein, die kurz nach ihren Weltpremieren von Venedig bereits in der Hansestadt laufen. Was für ein Luxus, „Roma“ nicht auf einem Netflix-Laptop sehen zu müssen! Aber es gibt auch sehr viel von Carlo Chatrians letztem Locarno-Programm in Hamburg zu entdecken, bevor er als neuer Berlinale-Chef reüssiert: Zum Beispiel „A Land Imagined“, der den Goldenen Leoparden gewonnen hat; aber auch die israelische Dokumentation „M“ von Yolande Zauberman oder Dominga Sotomayor Castillos umfeierten chilenischen Film „Too Late to Die Young“ oder den kanadischen Coming-of-Age-Geheimtipp „Genesis“.
Der beste deutsche Film im Programm
Interessant ist, dass die neu eingeführte deutsche Sektion Große Freiheit erstmal „nur“ mit sechs Filmen startet. Da wird es die Jury leicht haben, einen Sieger zu küren. Der spannendsten Eintrag dürfte dabei der frisch aus Toronto rübergeholte Film „Das schönste Paar“ von Sven Taddicken sein. Der Regisseur ist sowieso in der deutschen Filmszene recht unterschätzt. Schon sein Debütfilm „Mein Bruder, der Vampir“, der Julia Jentsch entdeckte, war ein kleiner großer Wurf. „Gleißendes Glück“ mit Ulrich Tukur und Martina Gedeck vor zwei Jahren war vom Wagnis und der Offenheit der Schauspieler in ihren kaputten Existenzen gleich gar nicht mehr richtig zu greifen.

Jan Bonnys (Nicht-)NSU-Film „Wintermärchen“ aus Locarno wird dagegen schmerzlich vermisst. Wollte Bonny oder Hamburg nicht? Jedenfalls läuft das umstrittene Werk stattdessen Anfang Oktober auf dem Film Festival Cologne in der Made in NRW-Reihe. Dafür Freude über die Weltpremiere von Marcus H. Rosenmüllers Biopic „Trautmann“ mit David Kross in der Rolle des legendären deutschen Torhüters, der mit einem gebrochenen Genick für Manchester City auflief – und gleichzeitig zumindest ansatzweise Deutsche und Engländer nach dem Zweiten Weltkrieg miteinander versöhnte. Auch ein bisschen Lust ist vorhanden auf Alexander Kluges Kino-Comeback mit „Happy Lamento“, der wie eine 90-minütige Ausgabe seines Spartenprogramms für die Privatsender ausschaut.

Aber wenn wir schon bei Weltpremieren sind: Das Filmfest Hamburg ist eher ein Best-of-Festival, das wie ein Staubsauger die besten Werke anderer A-Festivals einsammelt. Nur: Letztlich wird man doch auch an den exklusiven Filmen gemessen. Da heißen die Werke dann „In Love and War“, eine spannende deutsch-dänische Co-Produktion mit Tom Wlaschiha und Ulrich Thomsen, die im Ersten Weltkrieg spielt. Weitere Weltpremieren sind „Der Trafikant“ mit Bruno Ganz als alternden Sigmund Freud nach dem deutschen Anschluss Österreichs, die Jussi-Adler-Olsen-Verfilmung „Verachtung“, die nach der Millennium-Trilogie ohne Lisbeth Salander klingt und die bestimmt spannende Rasmus-Gerlach-Doku „Sankt Paulis starke Frauen – Reeperbahner*innen“. Es gibt auch „Yuli“, den Film über einen kubanischen Balletttänzer, der aber nicht ganz oben auf der To-Watch-Liste steht.


Chilenischer Festivaltipp „Too Late to Die Young“
Paris oder Madrid – Hauptsache Italien
Wenn im vergangenen Jahr vor allem die französische Sektion Voilà fast durchgehend mit Highlights wie „Jeune femme“, „120 BPM“ und „L'amant double“ begeisterte, scheinen dieses Jahr die meisten Perlen in der Sektion Vitrina zu lauern, in der das spanischsprachige und lateinamerikanische Kino präsentiert wird. Neben dem heiß erwarteten und schon erwähnten Coming-of-Age-Film „Too Late to Die Young“ sind besonders „Die feurigen Schwestern“ vorgemerkt, denen schon ein gewisser cineastischer und freiherziger Ruf vorauseilt. Auch toll klingt „Dry Martina“ – wegen des Plots, aber gerade auch, weil der Debütfilm des Regisseurs „You Think You're the Prettiest, But You Are the Sluttiest“ heißt. Wer sich solche Arthouse-Titel leistet, muss dann auch abliefern.

Wer israelisches Kino und den israelisch-palästinensischen Konflikt spannend findet, wird auf dem Filmfest auf jeden Fall auch fündig: Episch mutet das Dokumentarprojekt „In the Desert – A Documentary Diptych“ an. Die eine Doku erzählt von einem palästinensischen Bauer, die andere Doku erzählt von einem israelischen Siedler ungefähr in der selben Region des Westjordanlandes. Die Filme des selben Regisseurs Avner Faingulernt werden direkt hintereinander gezeigt. Das Werk feierte seine Weltpremiere auf der Doc Aviv. Vergangenes Jahr konnte man in Hamburg mit dem fantastischen „The Cakemaker“ den israelischen Oscar-Beitrag entdecken. Dieses Jahr heißen weitere israelische Filme – neben der bestimmt empfehlenswerten Doku „M“ – „Outdoors“ und „Geula“.
Was aus Cannes läuft – und was nicht
Die gewichtigen Cannes-Filme „Leto“, „Loro“, „The Wild Pear Tree“, „The House That Jack Built“, „Dogman“, „Drei Gesichter“ und „The Image Book“ von Lean-Luc-Godard kann man hier natürlich auch einsammeln. Vermisst werden „Sorry Angel“, den Hamburg an das Filmfest Oldenburg verloren hat, „Knife + Heart“, „Long Day's Journey Into Night“ und „Sauvage“. Auch „Cold War“ läuft wie „Wintermärchen“ zuerst in Deutschland auf dem Film Festival Cologne. Da wächst wohl ein ernsthafter Filmfest-Konkurrent im Herbst heran. Aber man kann natürlich auch nicht alles haben. Ebenfalls interessant ist, dass aus dem deutschen Bereich weder Christian Alvarts Fitzek-Verfilmung „Abgeschnitten“ noch „25 km/h“ mit Bjarne Mädel und Lars Eidinger im Programm auftauchen.

Für die Hollywood-Junkies gibt es jenseits von „Halloween“ mit seinem nagelneuen Carpenter-Score den Venedig-Eröffnungsfilm „The First Man“, Paul Danos Sundance-Regiedebüt „Wildlife“, spannenderweise „A Simple Favor“ von „Brautalarm“-Regisseur Paul Feig mit Anna Kendrick und Blake Lively. Der Independent-Film „We the Animals“ soll toll sein. Hey, es gibt den neuen Frederick Wiseman („Monrovia, Indiana“). Ihr seht: Aus dem Empfehlen kommt man bei diesem Programm gar nicht mehr heraus. Es fühlt sich sehr wertig an. Und letztlich würde es sich wahrscheinlich schon lohnen, nach Hamburg zu kommen, nur um die Dokumentation „Nice Girls Don’t Stay for Breakfast“ über Robert Mitchum frisch vom Lido zu schauen.

Der Filmblog Negative Space wird das Filmfest Hamburg berichtend begleiten. Das Festival zeigt vom 27. September bis 6. Oktober in seinem 26. Jahr 138 Filme aus 57 Ländern in zwölf Sektionen.

Links: - Programm 2018 | - Podcast 2017

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Montag, 27. August 2018
Lanthimos' „The Favourite“ läuft in Hamburg

Emma Stone in „The Favourite“ | © 2018 Twentieth Century Fox Film Corporation. All Rights Reserved.
So langsam werden die Karten für das Filmfest Hamburg aufgedeckt: Der isländische Eröffnungsfilm „Gegen den Strom“ steht, wird aber überstrahlt durch die Premiere von Yorgos Lanthimos' Film „The Favourite“.

Der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos und das Filmfest Hamburg führen eine innige Beziehung: Nachdem bereits „The Lobster“ und „The Killing of the Sacred Deer“ auf dem Festival in Deutschland gezeigt wurden, läuft sein neuestes Werk „The Favourite“ auch in der Hansestadt. „In seinem Historienfilm entspinnt Lanthimos ein dichtes Netz von Intrigen, Neid und Verrat am englischen Hof des 18. Jahrhunderts“, schreibt das Filmfest Hamburg, das vom 27. September bis 6. Oktober stattfindet. In den Hauptrollen zu sehen sind Olivia Colman, Emma Stone, Nicholas Hoult und Rachel Weisz.

Nach seiner Weltpremiere in Venedig ist „The Favourite“, der bereits als Oscarkandidat gehandelt wird und eines der heißesten Kinotickets des Herbstes ist, nur wenige Wochen danach in Hamburg zu sehen. Der Film läuft in der Sektion Kaleidoskop und kommt voraussichtlich am 3. Januar 2019 durch den Verleih Twentieth Century Fox deutschlandweit in die Kinos. Der erste Trailer erinnert an Kubricks „Barry Lyndon“, die scharfen Aristokratie-Satiren eines Jonathan Swift und die britischen Komödiengiganten Richard Lester und Ken Russell. Es ist das erste Drehbuch, das Lanthimos nicht selbst, sondern Deborah Davis und Tony McNamara geschrieben haben.
„Bella Martha“-Regisseurin in Hamburg
Auch sehr spannend ist der zweite Film, den das Filmfest Hamburg für die deutsche Sektion Große Freiheit bekannt gegeben hat: Nach Aline Chukwuedos Debütwerk „Ella & Nell“ ist Sandra Nettelbecks Komödie „Was uns nicht umbringt“, der in Locarno seine Weltpremiere auf der Piazza Grande feierte, der nächste Kandidat auf die 25.000 Euro Preisgeld. Der Film erzähle von „melancholischer Heiterkeit, Sinnkrisen und Herzensangelegenheiten in der Mitte des Lebens“. Die Hauptrollen spielen August Zirner, Johanna ter Steege und Barbara Auer. „Was uns nicht umbringt“ wird vom Verleih Alamode am 15. November in die deutschen Kinos gebracht.

Eröffnet wird das Filmfest am 27. September von dem isländischen Film „Gegen den Strom“. Der Film von Benedikt Erlingsson erzählt von einer Öko-Terroristin, die gleichzeitig einen Chor leitet und ein Kind aus der Ukraine adoptieren will. Das Drama hatte seine Weltpremiere bei der Woche der Kritik auf dem Filmfestival in Cannes.

Das Filmfest Hamburg findet vom 27. September bis 6. Oktober statt. Das komplette Programm wird am 11. September bekannt gegeben.

Links: - „Ella & Nell“| - Podcast 2017 | - Geheimtipp „Leto“

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Donnerstag, 9. August 2018
Weitere Cannes-Schwergewichte auf dem Filmfest Hamburg

Der Filmtitel "Leto" heißt übersetzt "Sommer"

Der russische Überaschungserfolg in Cannes, "Leto", und das neue Werk von Jafar Panahi laufen auf dem Filmfest Hamburg.

Nachdem bereits die Filme "Dogman" und "The Wild Pear Tree" aus dem Cannes-Wettbewerb für das Filmfest Hamburg im September gemeldet wurden, gibt es jetzt Nachschub. Auch Kirill Serebrennikovs Cannes-Geheimtipp "Leto" kommt in die Hansestadt. Der Film fühle sich an wie Traumurlaub mit wundervollem Soundtrack, schreibt das Filmfest: "Auf bestechend charmante und unbeschwerte Weise nimmt der Film die Zuschauer mit in den Musik-Underground von Leningrad zu Beginn der 1980er-Jahre, in eine Welt, in der die unbändige Leidenschaft für Rock und Pop im Lebensmittelpunkt steht, in der der Schwarzmarkt um Platten von David Bowie und T-Rex boomt." Regisseur Serebrennikov steht seit dem 22. August 2017 unter Hausarrest in Russland. Den Film drehte er über Regieanweisungen per Skype.

Der zweite jetzt bekannt gegebene Film aus Cannes heißt "Three Faces" und ist von Jafar Panahi. Der hat Berufsverbot seit 2010, was den Iraner aber nicht davon abhält, regelmäßig neue Werke auf die Filmfestivals dieser Welt zu schmuggeln. "Der Film erzählt von drei iranischen Schauspielerinnen in unterschiedlichen Karrierephasen und den Schwierigkeiten, die sie haben, ihren Beruf auszuüben", schreibt das Filmfest. Weitere mögliche Kandidaten aus dem Wettbewerb von Cannes wären aufgrund ihrer deutschen Starttermine oder der Präferenz des Filmfests: "Sorry Angel", "Image Book", "Cold War" und "Knife + Heart".

Das Filmfest Hamburg findet vom 27. September bis 6. Oktober statt. Das komplette Programm wird am 11. September bekannt gegeben.

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Mittwoch, 18. Juli 2018
Filmfest Hamburg: „Ella & Nell“ ist erster Film der neuen deutschen Sektion Große Freiheit

Erster Kandidat: „Ella & Nell“ | © DFFB
Das Filmfest Hamburg arbeitet mit Hochdruck an seiner neuen deutschen Sektion Große Freiheit. Es gibt einen ersten unscheinbaren Kandidaten. Dazu gesellen sich am Mittwoch auch die ersten Schwergewichte aus Cannes. Ein Überblick von Michael Müller

Die Berlinale bekommt mit Carlo Chatrian einen neuen Chef, und das Filmfest München rüstet finanziell wahnsinnig auf. Das Filmfest Hamburg nimmt die Herausforderung als drittwichtigstes Festival in Deutschland mit einer neuen Reihe an: In der Sektion Große Freiheit konkurrieren ab diesem Jahr bis zu zwölf deutsche Spielfilme um ein Preisgeld von 25.000 Euro. Am Mittwoch ist der erste Kandidat bekannt gegeben worden. Es handelt sich um Aline Chukwuedos Debütwerk „Ella & Nell“.

Der Film feierte seine Weltpremiere Ende Januar auf dem Festival von Rotterdam in der Reihe Bright Future. Das große Echo blieb aus. Katrin Doerksen schrieb auf Kino-Zeit eine Kritik, aus der nicht herauszulesen ist, ob der Film ihr gefallen hat oder nicht. Aber das ist relativ egal. Denn das Filmfest Hamburg braucht die Reihe Große Freiheit, um mit dem Filmfest München mithalten zu können. Dort ist seit Jahren die wunderschön von Christoph Gröner kuratierte Reihe Neues Deutsches Kino ein Zuschauer- und Kritikermagnet. Dort werden die Stars von morgen entdeckt und aufregendes deutsches Kino gefunden – viel häufiger etwa als in der Perspektive Deutsches Kino auf der Berlinale. Auch den Hofer Filmtagen und dem Max-Ophüls-Preis hat München inzwischen den Rang als Förderzentrum Nummer eins abgelaufen.
Zeit zu experimentieren
Als ich vergangenes Jahr das erste Mal das Filmfest Hamburg besuchte, war ich begeistert von dem Programm, der Infrastruktur und den Menschen. Es fehlte nur die Reihe, in der das Festival nicht nach-, sondern vorspielt. Die Weltpremieren und eigenen Entdeckungen sind es, die den Marktwert eines Festivals ausmachen. Und ich erwarte dieses Jahr überhaupt nicht, dass in der Großen Freiheit umgehend ein halbes Dutzend Perlen präsentiert wird. Aber ich finde es sehr spannend, dass das Festival diese Talentschau beginnt. Das mögen jetzt zu Anfang nachgespielte Filme wie „Ella & Nell“ sein. Vielleicht ist Chukwuedos Film in Rotterdam tatsächlich übersehen worden und verdient einen zweiten Blick. Im ersten Jahr kann das Filmfest da auch ein Zeichen setzen, welche Art von deutschen Filmen es fördern und pushen will.

Mittelfristig muss es aber das Ziel sein, überwiegend Weltpremieren nach Hamburg zu locken. Allein der an den großen Helmut Käutner erinnernde Sektionsname verpflichtet da. Die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein ist nicht klein. In ihrer letzten Förderentscheidung hat sie etwa Filme wie Fatih Akins Film „Der goldene Handschuh“, den neuen Anne Zohra Berrached („Die Frau des Piloten“), Markus Gollers „25 Km/h“ oder den nächsten Film von der Berlinale-Gewinnerin Ildikó Enyedi („The Story of My Wife“) finanziell unterstützt. Potenzial, Talente und Beziehungen zur Branche sind da.
2x Cannes, 1x Karlovy Vary Gewinner
Unter den anderen neun bekannt gegebenen Filmen des Hamburger Filmfests am Mittwoch befinden sich auch zwei Filme aus dem Cannes-Wettbewerb: Matteo Garrones „Dogman“ und Nuri Bilge Ceylans „The Wild Pear Tree“. Große Vorfreude auch auf den Gewinnerfilm aus Karlovy Vary, Radu Judes „I Do Not Care If We Go Down In History as Barbarians“. Außerdem klingt der palästinensische Film „The Reports on Sarah & Saleem“, der auch in Rotterdam seine Weltpremiere hatte, ultraspannend: Arthouse trifft auf Genre, West- auf Ostjerusalem.

Gleiches gilt für die Europapremiere von „Who Will Write our History?“, einem Hybriden aus Spiel- und Dokumentarfilm, dessen Weltpremiere wahrscheinlich in Telluride oder Toronto stattfinden wird. Die Alexander McQueen Dokumentation aus Tribeca soll spitze sein. Auch laufen werden „Another Day of Life“ aus Cannes, „Butterflies“ aus Sundance und die Dokumentation „Westwood: Punk, Icon, Activist“ – offenbar sind Modedesigner 2018 in Hamburg ein Schwerpunkt.

Im Hinblick auf die deutschen Kinostarts sind folgende Filme weitere heiße Kandidaten für das Filmfest: „Werk ohne Autor“ (Florian Henckel von Donnersmarck, 03.10.), „A Star Is Born“ (Bradley Cooper, 04.10.), „Abgeschnitten“ (Christian Alvart, 11.10.), „Aufbruch zum Mond“ (Damien Chazelle, 11.10.), „Roads“ (Sebastian Schipper, 25.10.), „Sorry Angel“ (Christophe Honoré, 25.10.), „Wuff“ (Detlev Buck, 25.10.), „25 km/h“ (Markus Goller, 01.11.), „Leto“ (Kirill Serebrennikow, 08.11.), „Trautmann“ (Markus H. Rosenmüller, 08.11.), „Loro“ (Paolo Sorrentino, 15.11.), „Was uns nicht umbringt“ (Sandra Nettelbeck, 15.11.), „So viel Zeit“ (Philipp Kadelbach, 22.11.), „Verschwörung“ (Fede Alvarez, 22.11.), „Widows – Tödliche Witwen“ (Steve McQueen, 22.11.), „Beautiful Boy“ (Felix van Groeningen, 29.11.), „100 Dinge“ (Florian David Fitz, 06.12.), „Der Junge muss an die frische Luft“ (Caroline Link, 27.12.) und „The Favourite“ (Yorgos Lanthimos, 03.01.).

Das Filmfest Hamburg findet vom 27. September bis 6. Oktober statt. Das komplette Programm wird am 11. September bekannt gegeben.

Links: - Filmfest Hamburg Podcast 2017 | - Rangliste 2017

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Samstag, 28. Oktober 2017
Zwei Stunden Podcast zu Oscarkandidaten, französischem Sex & dem Tod

© Twentieth Century Fox of Germany | Mandarin Production / Jean Claude Moireau | Prokino Filmverleih / Marc Schmidt
Die Highlights des Filmfest Hamburg 2017 in Podcast-Form

Der erste Negative-Space-Podcast erscheint zum Filmfest Hamburg (5.-14.10.). In den gut zwei Stunden entblättern Michael und Jörn ihre Highlights und Hassfilme des Festival. Es geht viel um kommende Oscarkandidaten wie "The Florida Project", "Battle of the Sexes" und "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri". Genauso standen aber auch kleine internationale Entdeckungen im Fokus. Der Podcast ist auf Soundcloud hochgeladen. Der gefettete Link führt direkt zum Podcast und einer Download-Möglichkeit.

Anhören (Für Download auf "Mehr" klicken)

Shownotes:

00:00:00 – Begrüßung
00:04:47 – Ex Libris: New York Public Library (Frederick Wiseman)
00:17:20 – Licht (Barbara Albert)
00:28:07 – Battle of the Sexes (Valerie Faris & Jonathan Dayton)
00:39:42 – Mathilde (Aleksey Uchitel)
00:51:49 – Es war einmal Indianerland (Ilker Çatak)
01:00:52 – The Florida Project (Sean Baker)
01:17:29 – Beach Rats (Eliza Hittman)
01:26:02 – Promised Land (Eugene Jarecki)
01:35:15 – Three Billboards Outside Ebbing, Missouri (M. McDonagh)
01:44:11 – Der Schwan (Ása Helga Hjörleifsdóttir)
01:49:26 – Jeune femme (Léonor Serraille) & 120 BPM (Robin Campillo) & L'amant double (François Ozon)
02:00:18 – Worst Case, We Get Married (Léa Pool)
02:06:36 – Mrs. Fang (Wang Bing)
02:13:30 – Drift (Helena Wittmann)

Links: - Negative-Space-Preise, - Filmfest-Hamburg-Kritiken

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Sonntag, 22. Oktober 2017
"Battle of the Sexes"-Q & A auf dem Filmfest Hamburg

© Rote Mütze Video Produktion

Über das Drehen auf 35mm, Donald Trump und die echte Tennis-Legende Billie Jean King. Ein Video von Jörn Schumacher

Die gut gelaunten "Battle of the Sexes"-Regisseure Valerie Faris und Jonathan Dayton, die mit "Little Miss Sunshine" die Welt eroberten, erzählen auf dem Filmfest Hamburg von den Dreharbeiten ihres neuen Tennisfilms mit Emma Stone und Steve Carell. Eigentlich war das legendäre Match zwischen Billie Jean King und Bobby Riggs aus dem Jahr 1973 als Morgengabe für Hillary Clintons US-Präsidentschaft gedacht. Da der Ton des Q & A verbesserungswürdig ist, sind die Sätze untertitelt.

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Sonntag, 15. Oktober 2017
Negative-Space-Preise des Filmfests Hamburg 2017
Der Werner-Hochbaum-Preis für den besten Film geht an:
  • „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“
    (Martin McDonagh)

© Twentieth Century Fox of Germany
Der Eberhard-Schroeder-Preis für die beste Regie geht an:
  • Frederick Wiseman („Ex Libris: New York Public Library“)

© Don Pollard / The New York Public Library
Der Rod-Taylor-Preis für den besten Darsteller geht an:
  • Willem Dafoe („The Florida Project“)

© Prokino Filmverleih / Marc Schmidt
Der Ludivine-Sagnier-Preis für die beste Darstellerin geht an:
  • Sarah Adler („The Cakemaker“)

© Films Boutique
Der Richard-Fleischer-Preis für neue Perspektiven auf das Weltkino geht an:
  • Robin Campillo („120 BPM“)

© Salzgeber & Co. Medien GmbH
Der Brigitte-Lahaie-Preis für Sinnlichkeit geht an:
  • Laetitia Dosch („Jeune femme“)

© Be For Films
Der Amy-Nicholson-Preis für Kickass Cinema geht an:
  • „Babylon Berlin“
    (Tom Tykwer, Henk Handloegten & Achim von Borries)

© X Filme Creative Pool
Außerdem geht der Kimberly-Wallace-Preis für die beste Karaoke an Raffey Cassidy, die in „The Killing of a Sacred Deer“ ihre Version von Ellie Gouldings „Burn“ singt. Und der Regisseur John Carroll Lynch erhält für „Lucky“ den Preis des besten Johnny-Cash-Song des Festivals („I See a Darkness“).

Die zehn besten Filmfest-Hamburg-Filme 2017 (alphabetisch)

* 120 BPM (Robin Campillo)
* L'AMANT DOUBLE (François Ozon)
* BABYLON BERLIN (Tykwer, Handloegten & von Borries)
* THE CAKEMAKER (Ofir Raul Graizer)
* EX LIBRIS: NEW YORK PUBLIC LIBRARY (Frederick Wiseman)
* THE FLORIDA PROJECT (Sean Baker)
* JEUNE FEMME (Léonor Serraille)
* THE KILLING OF A SACRED DEER (Yorgos Lanthimos)
* MRS. FANG (Wang Bing)
* THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, MISSOURI
(Martin McDonagh)

Link: - Negative-Space-Preise Berlinale 2017

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Mittwoch, 11. Oktober 2017
Rangliste Filmfest Hamburg 2017

Cinemaxx am Dammtor | © Filmfest Hamburg / Cordula Kropke
Unser Blog Negative Space war zum ersten Mal auf dem Filmfest Hamburg vertreten, das vom 5. bis 14. Oktober stattfand. Wenn auch die Anreise aufgrund des Orkans Xavier schwierig bis stürmisch verlief, kann der Besuch des Filmfests insgesamt als großer Erfolg gewertet werden. Das Filmfest Hamburg ist das deutsche Festival, was es zu besuchen gilt, wenn man zeitnahe an diversen Attraktionen der beiden bedeutendsten Herbstfestivals in Venedig und Toronto interessiert ist.

Hier lief praktisch einem Monat nach seiner Weltpremiere in Venedig der wundervolle Oscar-Kandidat „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“. Auch die am Lido begeistert gefeierte Frederick-Wiseman-Dokumentation „Ex Libris: New York Public Library“ war im Hamburger Programm vertreten. Die Macher haben eine anregende Mischung aus Filmen der internationalen Festivals von Sundance, Rotterdam, Cannes, Locarno, Karlovy Vary und Toronto hinbekommen. Besonders angetan waren wir von der französischsprachigen Sektion Voilà!: Mit „Jeune femme“, „120 BPM“ und „L'amant double“ aus Cannes sind gleich drei Sektionsvertreter unter unseren Lieblingsfilmen des Filmfests gelandet.
Exklusive Filmtitel rar gesät
Kritischer kann man auf die Weltpremieren zurückblicken, die Hamburg aufgeboten hat. Das Filmfest ist kein A-Festival mit internationalem Wettbewerb, sondern ein Filmstaubsauger, der die Highlights der größeren Festivals einsammelt. Exklusive Filmtitel musste man schon sehr genau suchen. Fand man sie aber beispielsweise im russischen Film „Mathilde“ oder im deutschen Film „Es war einmal Indianerland“, waren sie wie im ersteren Fall sehenswert oder wie im letzeren Fall ärgerlich. Vielleicht müsste man da, ähnlich wie es das Filmfest München in den vergangenen Jahren sehr gut gemacht hat, einheimischen Talenten eine besonders attraktive Plattform geben. Richtig spannende deutsche Filmprojekte haben wir im Angebot eher vermisst. Dafür punktete das Filmfest weiter mit sehr freundlichen Mitarbeitern, einer entspannten Atmosphäre und nicht überlaufenen Pressevorführungen.

Es folgen die Twitter-Kurzbesprechungen, die Negative Space während des Filmfests geschrieben hat. Im Blog sind sie aber jetzt in eine wertende Reihenfolge gebracht und inhaltlich teils deutlich ergänzt worden:

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★★★★★ (Meisterwerk)

THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, MISSOURI: Ein waschechtes Meisterwerk des Hollywood'schen Erzählkinos. Ich habe gelacht und geweint. Regisseur und Drehbuchschreiber Martin McDonagh („In Bruges“) hat das Wunder vollbracht, eine erinnerungswürdige Szene an die nächste zu reihen – und sich noch langsam dabei zu steigern. Lest nichts über den Inhalt!

EX LIBRIS: NEW YORK PUBLIC LIBRARY: Ein fast 200-minütiger Doku-Monolith über die öffentliche Bibliothek New Yorks, die den Trip nach Hamburg allein schon wert war. Frederick Wiseman erzählt von einer Vorzeige-Institution der Aufklärung in all ihren Facetten: Es reicht von einem launigen Q & A mit Elvis Costello, der mit einer Greil-Marcus-Kritik konfrontiert wird, bis zu Internetkursen für sozial Benachteiligte und Weiterbildungen für Blinde. Die Doku zeigt die weit verzweigten Verästelungen der New Yorker Bibliothek in die Gesellschaft und feiert Bildung als höchstes Gut und geistiges Menthol für die Menschheit. Wissen ist Macht und „Ex Libris“ ein dokumentarisches Meisterstück, das nie langweilig wird.

„L'amant double“ | © Mandarin Production / Jean Claude Moireau
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★★★★½ (Meisterlich)

JEUNE FEMME: Ein vor französischer Lebensfreude übersprudelnder Selbstfindungstrip der 31-jährigen Paula in Paris. Eine magische, fast süchtigmachende Filmerfahrung. Paula wird von ihrem wohlhabenden Künstlerfreund vor die Tür gesetzt. Fortan muss sie wieder auf eigenen Füßen stehen, eine Unterkunft und Arbeit finden. Hauptdarstellerin Laetitia Dosch zuzuschauen, wie sie sich lustvoll leidend freistrampelt, ist der wahre Genuss des Films. Es gab in den vergangenen Jahren zahlreiche tolle Selbstfindungstrips junger Frauen auf der Leinwand zu bewundern („Frances Ha“, „Baden Baden“, „Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern“). Aber französischer und sinnlicher als „Jeune femme“ war keiner.

BABYLON BERLIN: Die ersten beiden Episoden auf großer Leinwand aneinandergeschnitten, als seien sie ein richtiger Film. Sie sind mehr als das: Sie sind verheißungsvoll, appetitmachend und episch. Tom Tykwer ist endlich zurück. Ich liebe das Casting (Volker Bruch, Liv Lisa Fries), wie historische Persönlichkeiten (Adenauer, Trotzki) in die Geschichte eingebunden sind und die Weimarer Republik zum Leben erweckt wurde. Die morbid-laszive Nachtklub-Musiknummer „Zu Asche, zu Staub“ von Severija Janusauskaite wird mit Sicherheit in die Fernsehgeschichte eingehen.

THE FLORIDA PROJECT: Es ist ein Drahtseilakt, Filme über soziale Brennpunkte zu drehen und sie nicht schlicht einer Zirkusattraktion gleich auszubeuten. Dieser Balanceakt gelingt Regisseur Sean Baker in einem Apartmentkomplex mit Billigwohnungen nahe Disney World, wo die jungen Protagonisten Monnee, Jancey und Scooty mit ihren Eltern die Sommerferien durchleben. Weil der Film wundervoll konsequent auf Augenhöhe mit seinen Protagonisten bleibt, funktioniert es. So ist es ein Sommer, der wegen schmerzhafter Veränderungen, aber auch Eis auf dem Lobbyfußboden, Spucke auf der Windschutzscheibe und nicht eingepackten Brüsten am Swimming Pool erinnert wird. Eine Oscar-Nominierung als bester Nebendarsteller ist das Mindeste, was Willem Dafoe für seine Rolle als liebenswerter Manager Bobby erwarten kann. In seinem Wesen ist viel angelegt, was den Menschen menschlich macht. Eine unglaublich warme, nur scheinbar unspektakuläre Performance.

120 BPM: Stark nachwirkendes, hypnotisches Porträt der mutigen Aktivistengruppe Act Up Paris, die Ende der 1980er-Jahre über AIDS aufklärte. Die Verbindungslinie zwischen Sex und Tod ist vielleicht nie zwingender und eindringlicher inszeniert worden. Der Gewinner des Großen Preis der Jury in Cannes ist auch Frankreichs Oscar-Kandidat. „120 Beats Per Minute“ ist ebenso eine feine Ansammlung einiger der spannendsten französischsprachigen Schauspieltalente der jungen Generation: Nahuel Pérez Biscayart, Arnaud Valois, Adèle Haenel und Antoine Reinartz.

L'AMANT DOUBLE: Sehr erotischer und abgründiger Psychothriller, der extrem unterhält. François Ozon in Bestform und auf den Spuren Brian De Palmas, was Splitscreens, Doppelgänger-Motive und nackte Haut angeht. Der Film taucht tief in die Psyche und damit in die sexuellen Fantasien von Chloé Fortin ab, die eine Affäre mit dem Zwillingsbruder ihres Freundes beginnt. Unheimlich dicht inszeniert. Fühlt sich leicht wie eine Fingerübung an, verlangt seinen Hauptdarstellern wie Marine Vacth aber körperlich und schauspielerisch alles ab.

THE KILLING OF A SACRED DEER: Wahnsinnig unangenehmer, beunruhigender Film. Praktisch das Alte Testament ohne Gott. Ich grüble noch.

THE CAKEMAKER: Deutsch-israelisches Crying Game. Sarah Adler: erste Kandidatin für einen Hauptpreis. Bester Filmkuss des Jahres.

MRS. FANG: So möchte man sterben. Oder nicht. Im Kreis der Familie. An Alzheimer. Wang Bings Doku schaut genau hin, wahrt aber Würde.

„Battle of the Sexes“ | © Twentieth Century Fox of Germany
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★★★★ (Herausragend)

LICHT: Stark. Vielschichtiges Künstlerporträt über Menschenwürde in Mozarts Vienna – mit einer zum Niederknien guten Maria Dragus.

CRASH TEST AGLAÉ: Charmantes Roadmovie aus Frankreich im Wes-Anderson-Stil. Für ein Debüt beachtlich. Éric Gravel ist vorgemerkt.

BATTLE OF THE SEXES: Unterhaltsames Oscarmaterial (Emma Stone!) über ein Tennis-Showmatch der 1970er, das für Gleichstellung wirbt.

THE RIDER: Simpel gestricktes Charakterporträt eines gebrochenen Rodeoreiters. Bewegend, weil authentisch. Aufregende Dressurszenen.

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★★★½ (Sehenswert)

MATHILDE: Altmodisches, opulentes Kostümkino über den letzten Zaren Nikolaus. Mochte ich. Schön, Michalina Olszanska wiederzusehen.

LUCKY: Hommage an die Legende Harry Dean Stanton. Nicht ohne Makel (David Lynch), aber so entwaffnend nah dran und würdevoll.

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★★★ (Brauchbar)

COCOTE: Sehr viele Gebete & Geschrei. Aber eine audiovisuelle Wucht aus der Dominikanischen Republik. Etwas für die Härtesten der Harten unter den Cineasten. Ein christlicher Gärtner kehrt in die Heimatstadt zurück, um den Tod seines Vaters zu betrauern. Familienmitglieder drängen ihn zu einem Racheakt gegen den örtlichen Gangsterchef. Auf 16mm gedreht, teils schwarzweiß, teils atemberaubende 360-Grad-Kamerabewegungen und tolle Arbeit mit Klangteppichen, die aus späteren Szenen bereits in die aktuelle Szenerie ragen und sie so verfremden.

„Submergence“ | © NFP Marketing & Distribution*
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★★½ (Ansätze)

SUBMERGENCE: Alicia Vikander und James McAvoy gerne beim Turteln zugeschaut. Aber dann muss Wim Wenders Terrorismus bekämpfen. Schade.

LOVE BIRDS: Unspektakuläres Nackidei-Filmchen aus Israel, das trotz gerade mal 70 Minuten viel über Längen zu erzählen weiß.

BEACH RATS: Sundance-Film über sexuelle Selbstfindung, dem das Alleinstellungsmerkmal fehlt. Dickinson sieht aus wie Fernando Torres.

NUR GOTT KANN MICH RICHTEN: Auweia! Die Unlogik der Figuren schmerzt. Nur in der Action ganz in seinem Element. Schade um Frankfurt!

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★★ (Anstrengend)

ES WAR EINMAL INDIANERLAND: Die deutsche Romanverfilmung über einen jungen Boxer gibt sich alle Mühe, gehasst zu werden. Die wirr vor- und zurückgespulte Geschichte ist auf eine anstrengende Art kindisch verspielt, weil der Film die nervöse Aufmerksamkeitsspanne eines Fünfjährigen besitzt. Der Boxer steht zwischen zwei Frauen, einem egalen Wettkampf, auf den das Ganze motivationslos zustrebt, einem durchgeknallten Vater und einem noch durchgeknallteren besten Freund. Irgendwie taucht auch Bjarne Mädel in unterschiedlichen Rollen auf, was mit David Foster Wallace zu tun hat. Eingebildete Indianer und ein Flower-Power-Fest in Osteuropa gibt es auch. Alles ein bisschen schade, weil bei den hölzernen Dialogen doch gute Techniker hinter der Kamera gearbeitet haben und Schauspieltalente (Emilia Schüle, Clemens Schick) vor der Kamera für einen besseren Film da gewesen wären.

THE FIRST LAP: Das ist ein superzäher koreanischer Beziehungsfilm, dem die Leichtigkeit eines Auteur-Vorbilds wie Hong Sang-soo völlig abgeht. Ein Paar besucht seine Eltern. Schmerzhaft entschleunigte, starr gefilmte Gesprächszenen werden aneinander gereit. Der Erkenntnisgewinn bleibt indes bescheiden: Konservative Eltern machen Druck, was Hochzeit und potenzielle Kinder des seit Jahren zusammenlebenden Paares angeht. Im Hintergrund der Tristesse köchelt der gesellschaftliche Protest gegen die koreanische Präsidentin Park Geun-hye, die 2017 wegen Korruptionsvorwürfen ihres Amtes enthoben wurde.

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