Montag, 1. Januar 2018
Israelische Entebbe-Geiselbefreiung mit Daniel Brühl im Berlinale-Wettbewerb?

© Focus Features

"Narcos"-Regisseur und Goldener-Bär-Gewinner Padilha hat die Operation Entebbe mit Daniel Brühl und Rosamund Pike verfilmt. Eine Berlinale-Weltpremiere ist wahrscheinlich.

Der britische Film "7 Days in Entebbe" von José Padilha, in dem es um die israelische Geiselbefreiung einer Air-France-Maschine im Jahr 1976 geht, könnte im Februar auf der Berlinale laufen. Der brasilianische Regisseur Padilha, der im Jahr 2008 den Goldenen Bären in Berlin für "Tropa de Elite" gewann, hat zuletzt zwei Episoden der populären Netflix-Serie "Narcos" gedreht. Der deutsche Schauspieler Daniel Brühl ("Rush", "Inglourious Basterds") und die britische Schauspielerin Rosamund Pike ("Gone Girl", "Stirb an einem anderen Tag") stellen die beiden deutschen Terroristen Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann dar. Der Brite Eddie Marsan ("Happy-Go-Lucky") spielt Schimon Peres.

Da der amerikanische Verleih Focus Features den Film am 16. März in die US-Kinos bringt, bietet sich eine Weltpremiere bei den Berliner Filmfestspielen an. Die 68. Berlinale findet vom 15. bis 25. Februar statt. Abhängig von der filmischen Qualität könnte "7 Days in Entebbe" im offiziellen Wettbewerb, außer Konkurrenz oder in der Special-Reihe laufen.
In den 1970ern gab es bereits drei Verfilmungen
1976 entführten deutsche und palästinensische Terroristen eine Air-France-Maschine. Mit der Unterstützung der ugandischen Regierung in Entebbe unter Diktator Idi Amin hielten sie die überwiegend israelischen Geiseln gefangen. Israelische Elitesoldaten befreiten die Geiseln in Entebbe. Gerade nach der Jerusalem-Erklärung des US-Präsidenten Donald Trump ist der israelisch-palästinensische Konflikt wieder in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt. Die Thematisierung der Operation Entebbe in einem aktuellen Film entbehrt nicht einer gewissen politischen Brisanz. Zumal es eine britische Produktion ist.

Aber Padilhas Film ist nicht der erste: Zeitnahe entstanden in den 1970er-Jahren gleich drei Verfilmungen zu den Ereignissen von Entebbe. Bei dem Film "Operation Thunderbolt" des israelischen Regisseurs Menahem Golan spielten Klaus Kinski und Sybil Danning die Hauptrollen. Irvin Kershner drehte den NBC-Film "... die keine Gnade kennen" mit Peter Finch, Charles Bronson und Horst Buchholz. Es gibt auch den Film "Unternehmen Entebbe" mit Richard Dreyfuss, Anthony Hopkins und Burt Lancaster. Die Befreiungsaktion rückte damals auch so in den Fokus, weil die Terroristen in der Transithalle von Entebbe jüdische von nicht-jüdischen Geiseln trennten.

Links: - Guadagninos Suspiria in Berlin?, - Israel in Berlin 2018

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Freitag, 29. Dezember 2017
Meine Top Ten 2017

© Sony Pictures Classics
01. CALL ME BY YOUR NAME – Luca Guadagnino
02. THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, MISSOURI – Martin McDonagh
03. JEUNE FEMME – Léonor Serraille
04. PIELES – Eduardo Casanova
05. RAW – Julia Ducournau
06. EIN TAG WIE KEIN ANDERER – Asaph Polonsky
07. GET OUT – Jordan Peele
08. 120 BPM – Robin Campillo
09. THE FLORIDA PROJECT – Sean Baker
10. ES – Andy Muschietti

Runners-Up: WESTERN – Valeska Grisebach, FIKKEFUCHS – Jan Henrik Stahlberg; Lieblings-Doku: EX LIBRIS: NEW YORK PUBLIC LIBRARY – Frederick Wiseman, MRS. FANG – Wang Bing, IN EINEM JAHR DER NICHTEREIGNISSE – René Frölke & Ann Carolin Renninger, CHARLOTTESVILLE: RACE AND TERROR – Elle Reeve;
+
Lieblings-Entdeckungen: Naomi Achternbusch in „Blind & Hässlich“, Ella Rumpf in „Tiger Girl“ & „Raw“, Candy Flip in „Fluidø“; Lieblings-Score: Benjamin Wallfisch & Hans Zimmer („Blade Runner 2049“); Lieblings-Filmposter: In Israel gekauftes Poster des italienisch-israelischen Maurizio-Lucidi-Kriegsfilms „La battaglia del Sinai“; Lieblingsmonolog: „I did not hit her. It’s not true. It’s bullshit. I did not hit her. I did not. Oh, hi Mark.“ (James Franco in „The Disaster Artist“)
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Lieblingsserien: Mindhunter (Staffel 1), 4 Blocks (Staffel 1), Dark (Staffel 1), Glow (Staffel 1), Enterprise (Staffel 1 & 2); Lieblingsepisode: Girl Cave (1x03 – Lass einen Drachen steigen!); Lieblingsszene: Die morbid-laszive Nachtklub-Musiknummer „Zu Asche, zu Staub“ von Severija Janusauskaite in „Babylon Berlin“; Lieblings-Kurvekriegen: Star Trek: Discovery (Staffel 1, Stand: Midseason); Lieblings-Captain: Jason Isaacs (Star Trek: Discovery);
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Lieblingsbuch: The Girls (Emma Cline); Lieblingskritiker: Etienne Gardé; Lieblings-Alf-Aficionado: Jobst Höche; Lieblings-Lehrmeisterin: Katharina Kütemeyer; Lieblings-Let’s-Play: Simon Krätschmer spielt Thimbleweed Park, Flonnie Vs. der Westenmann;
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Lieblings-Podcasts: Wollmilchcast #26: die Berlinale nach der Ära Dieter Kosslick, Karina Longworths zwölfteiliges You-Must-Remember-This-Special zu Charles Manson; Radio Ruf (Niels Ruf); Lieblings-Fiktion: „Flug der Pelikane“ von Peter Schwami; Lieblings-Sport: Basketball-EM mit Daniel Theis, Dennis Schröder & Co.; Lieblingssportler: Taleb Tawatha (Eintracht Frankfurt);
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Lieblingskonzerte: Kraftwerk & Air im Düsseldorfer Ehrenhof zum Tour-de-France-Auftakt, die Jazz-Wikinger um Mats Eilertsen mit „Rubicon“ im Hamburger Rolf-Liebermann-Studio, Bernd Begemann im Polittbüro; Lieblingsalbum: Pacific Ocean Blue (Dennis Wilson); Lieblings-Karaokesong: Mumford & Sons – Little Lion Man; Lieblings-Filmkaraoke: Raffey Cassidy singt „Burn“ in „The Killing of a Sacred Deer“; Lieblings-Abschiedssong: Vicky Leandros – Ich liebe das Leben.
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Kommentar (Michael Müller): Meine ersten beiden Plätze sind in Stein gehauen: Selten war mir spontan nach Kinobesuchen die Filmqualität so klar. Luca Guadagnino und Martin McDonagh überfordern mit ihren Werken auf die angenehmste Weise die cineastischen Sinne. „Call Me by Your Name“ schlug auf der Berlinale im Februar ein. „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ machte mich auf dem Filmfest Hamburg im Oktober erzählerisch fertig. Das sind die seltenen Perlen, für die man sich jedes Jahr aufs Neue unbeirrt auf die Suche begibt. Das sind die Leuchtfeuer in der Dunkelheit. Ein Doppelpack, das mich an das Jahr 2003 zurückdenken lässt: an Paul Thomas Andersons „Punch-Drunk Love“ und Quentin Tarantinos „Kill Bill: Vol. 1“.
+
Für den deutschen Film war dieses Jahr kein Platz mehr in meiner Top Ten. Die Qualitätsdichte in der Spitze war zu hoch. Dafür gibt es deutsche Runners-Up, TV-Serien und einen Dokumentarfilm in den weiteren Kategorien. Besonders lieb sind mir unter meinen zehn Lieblingsfilmen 2017 die eigenen zufälligen Entdeckungen „Pieles“ aus Spanien und „Ein Tag wie kein anderer“ aus Israel.
+
Ich habe ganz bewusst die siebte Staffel „Game of Thrones“ aus der Serien-Liste gelassen. Da war einfach der Qualitätsabfall zu gravierend. Natürlich macht das immer noch Spaß, aber die Ausnahmestellung ist futsch. 2017 war mein Netflix-Jahr: Wenn David Fincher, Star Trek, Cannes und Jerry Seinfeld zum US-Streaming-Riesen gehen, kann auch ich dem Hype nicht mehr widerstehen. Aber durch Disneys Monopol-Bestrebungen wird sich das demnächst schon wieder ändern. Es blieb nicht wirklich Zeit für Filmklassiker und Entdeckungen in der Filmgeschichte. Dafür saß ich bei Kinoplus auf der Couch und sprach mit dem Wollmilchcast. Ein fairer Tausch.

Links: - 2016, - 2015, - 2014, - 2013, - 2012, - 2011, - 2010, - 2009

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Donnerstag, 28. Dezember 2017
Läuft Luca Guadagninos "Suspiria" auf der Berlinale 2018?

Ein erstes Poster | © Amazon Studios / Frenesy Film Company
Keine ganz wilde Spekulation mehr: Was spricht alles dafür, dass Luca Guadagninos "Suspiria"-Neuinterpretation auf der Berlinale 2018 läuft?

Als vor einigen Wochen das vorläufige Programm des Sundance-Filmfestival veröffentlicht wurde, drehte sich die größte Nachricht darum, welcher Film im Januar nicht dabei sein wird: Der eigentlich fest gesetzte neue Luca-Guadagnino-Film "Suspiria" war nirgendwo aufzufinden. Hatte der Italiener nicht von Sundance aus seinen weltweiten Triumphzug mit dem jetzigen Oscarkandidaten "Call Me by Your Name" angetreten? Die Abwesenheit konnte auf zweierlei Weise interpretiert werden: Entweder hatte die Berlinale den Zuschlag erhalten oder die Produzenten planten, mit dem fertigen Film bis Cannes im Mai zu warten.

Jeder Regisseur geht, wenn er kann, nach Cannes. Dort erhält man die höchsten Weihen, dort ist das Medienaufkommen am größten, dort ist die Karriere gemacht, wenn man im Wettbewerb abliefert. Aber was ist, wenn der Film bereits fertig ist? Wenn ihn Quentin Tarantino bereits gesehen hat und weinen musste? Wenn Guadagnino das Setting des Horrorklassikers von der Freiburger Tanzschule nach Berlin verlegt hat? Wenn "Die Blechtrommel"-Legende Angela Winkler im Cast ist? Wenn Guadagnino ein besonderes Verhältnis zum deutschen Film hat? Wenn er als Teenager ein Interview-Buch von Rainer Werner Fassbinder gelesen hat, das ihn dazu inspirierte, Regisseur zu werden? Denn genau das trifft alles zu.
Größenwahnsinniger Teenagertraum
In einem Guardian-Interview vom 22. Dezember sagte Guadagnino über seinen "Suspiria"-Film: "Jeder Film, den ich drehe, ist ein weiterer Schritt in meine Träume, die ich als Teenager hatte. Suspiria ist der genaueste und größenwahnsinnigste Teenagertraum. Ich habe das Poster des Originals gesehen, als ich elf Jahre alt war. Als ich 14 Jahre alt war, sah ich Argentos Film, der mich stark berührte. Schon damals begann ich davon zu träumen, eines Tages meine eigene Version zu drehen." Der Italiener sagte im Interview weiterhin einen ganz bemerkenswerten Satz, als er auf den Backlash der Horrorfans angesprochen wurde, die eine Neufassung fürchten: "In der menschlichen Kunst geht es nicht um die ständige Erfindung von Originalität. Es geht darum, einen eigenen Blickwinkel auf die Dinge zu finden. Der Kapitalismus will uns weis machen, dass immer etwas Neues herauskommt. Aber das ist nicht wahr."
Fassbinder-Aktrice im Cast
Der große italienische Meister Dario Argento drehte 1977 den Horrorklassiker "Suspiria". Es geht um die junge Amerikanerin Suzy Banyon (Jessica Harper), die in einer Tanzakademie in Freiburg studieren will. Tanzschülerinnen verschwinden oder werden ermordet aufgefunden. Und dann bricht wirklich die Hölle los. Bei Guadagninos Neuinterpretation spielt Dakota Johnson ("Fifty Shades of Grey") die Tanzschülerin Susie Bannion. Sie drehte bereits mit dem Italiener "A Bigger Splash". Die Original-Suzy Jessica Harper steht auch im Cast. Dazu gesellen sich Chloë Grace Moretz, die bereits erwähnte Angela Winkler, Tilda Swinton als Madame Blanc, Sylvie Testud ("Jenseits der Stille") und Renée Soutendijk ("Der vierte Mann").


Fassbinder auf der Berlinale: Ein warmer Empfang sieht anders aus

Es ist auch kein Zufall, dass die Fassbinder-Aktrice Ingrid Caven ("Händler der vier Jahreszeiten", "Götter der Pest") bei Guadagnino eine tragende Rolle spielt. Fassbinders Karriere begann im Jahr 1969 auf der Berlinale. Sein Debütfilm "Liebe ist kälter als der Tod" lief im internationalen Wettbewerb. Guadagnino beschrieb einmal seinen Ansatz für die Neuinterpretation des Horrorklassikers: "Wie hätte wohl Fassbinder Suspiria gedreht?" Der Italiener hat nie eine Filmschule besucht. Er orientierte sich an der Fassbinder-Methode: Drei Filme pro Tag zu schauen und Filmbücher über Regisseure zu verschlingen. Unter Guadagninos zehn absoluten Lieblingsfilmen befindet sich auch Fassbinders Werk "Die Sehnsucht der Veronika Voss".
Deutscher Generationenkonflikt im Fokus
Guadagnino interessiert sich stark für den deutschen Film und die deutsche Literatur. Sein "Suspiria" fokussiert sich deshalb sehr auf das Jahr 1977, in dem das Original gedreht wurde. Wie er in einem Interview mit dem britischen Filmmagazin Empire erklärte, geht es bei ihm um die deutsche Teilung. "Es geht auch um die nächste Generation in Deutschland, die das Verhalten der Eltern im Krieg hinterfragte und die Schuldfrage thematisierte, welche die Eltern von sich weisen wollten", sagte Guadagnino.

Zur vergangenen Berlinale hat sich Negative Space weiter aus dem Fenster gelehnt und dachte, Terrence Malicks "Song to Song" für den Wettbewerb vorhersagen zu können. Malick ging lieber zum kleinen South-By-Southwest-Festival nach Austin. Der stargespickte Film verschwand in der Versenkung. Aber dieser Blog sagte gleichzeitig Aki Kaurismäkis "The Other Side of Hope" richtig voraus. Auch, was den kommenden Eröffnungsfilm der Berlinale, "Isle of Dogs" von Wes Anderson, angeht, bewies Negative Space früh den richtigen Riecher. Es ist zwar noch ein wenig geträumt, dass einer der aktuell angesagtesten Regisseure im kommenden Wettbewerb aufschlägt. Aber es gibt auch genügend Indizien, die auf eine Teilnahme hinweisen. Inoffiziell verdichten sich zudem die Stimmen, welche die Zusage andeuten. Wenn neben dem neuen Wes Anderson auch noch "Suspiria" in Berlin liefe, wäre das Festival zu einem absoluten Pflichttermin für jeden Cineasten geworden, der etwas auf sich hält.

Links: - Guardian, - Empire, - Malick-Spekulation

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Biografie zu Kosslick-Vorgänger Moritz de Hadeln erscheint am 8. Februar

© rüffer & rub
Eine Biografie zum ehemaligen Berlinale-Chef Moritz de Hadeln erscheint. Dieser brachte dem Westen den chinesischen und sowjetischen Film näher. Der Autorenname der Biografie steht für Qualität.

Es wird aktuell viel gesprochen und geschrieben über die 17 Jahre, die Berlinale-Direktor Dieter Kosslick im Amt ist. Sein Vorgänger Moritz de Hadeln bestimmte ganze 21 Jahre die Geschicke des wichtigsten Filmfestivals in Deutschland. Am 8. Februar, passend zur 68. Berlinale, erscheint nun von dem Schweizer Filmjournalisten Christian Jungen eine Biografie: "Moritz de Hadeln - Mister Filmfestival".

De Hadeln war vor Berlin Leiter des Filmfestivals in Locarno, später auch zwei Jahre lang Direktor beim ältesten Filmfestival der Welt in Venedig. Zu den größten Verdiensten des in Florenz geborenen Festivaldirektors zählt, das westliche Publikum mit dem chinesischen und sowjetischen Film bekannt gemacht zu haben. Jungen, der Kulturleiter der NZZ am Sonntag ist, sprach mit Zeitgenossen und Wegbegleitern de Hadelns. Der Portraitierte soll aber auch ausführlich selbst zu Wort kommen. Die Biografie hat 352 Seiten.
Endlich neues Futter zur Berlinale-Historie
Über die Berlinale gibt es leider nur sehr wenig Literatur. Zur 60. Ausgabe des Festivals kam ein sehr gutes, angenehm schmales Bändchen des britischen Filmjournalisten und Buchautoren Peter Cowie heraus. Es gibt Wolfgang Jacobsens umfangreiche Materialsammlung "50 Jahre Berlinale". Ansonsten kann man interessante Filmbücher zur Berlinale mit der Lupe suchen. Umso spannender wird Jungens Biografie gerade im Lichte der aktuell wieder hochgekochten Kritik an Kosslick sein.

Zumal der Schweizer Filmjournalist Jungen genau der richtige Mann für den Job ist. Hat er doch bereits im Jahr 2008 ein wundervoll informatives Buch über das wichtigste Filmfestival der Welt ("Hollywood in Cannes") veröffentlicht. Da wartete fast auf jeder zweiten Seite ein Augenöffner auf den interessierten Leser. In diesem Zusammenhang wäre natürlich auch eine Biografie zu Alfred Bauer, dem ersten Festivaldirektor der Berlinale, spannend.

Im Jahr 2009 schrieb Negative Space über Jungens Qualitäten im Buch "Hollywood in Cannes": Seine Kunst besteht darin, eine Dissertation in Buchform geschrieben zu haben, der die wahnsinnig schmale Gratwanderung zwischen geschwätziger Erinnerung berühmter Kritiker und furztrockener hochwissenschaftlicher Abhandlung gelingt. Jungen vereint das Beste aus beiden Welten: Das hohe Unterhaltungslevel durch den Bezug zu den Stars, Regisseuren und Filmklassikern; ein dichtes Netz aus Anekdoten, dem so genannten Insiderwissen, was er elegant zu verknüpfen weiß mit einer scharfsinnigen sowie verständlichen Analyse der wirtschaftlichen Hintergründe. Die spielt gleichzeitig noch mal auf pointierte Weise die Filmgeschichte aus einem neuen, spannenden Blickwinkel, nämlich dem des Filmmarketings, durch.

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Donnerstag, 21. Dezember 2017
German Mumblecore eröffnet Perspektive Deutsches Kino 2018

Victoria Schulz und Daniel Zillmann in Philipp Eichholtz' Film „Rückenwind von vorn“ | © Von Oma gefördert
German-Mumblecore-Regisseur Philipp Eichholtz präsentiert seinen dritten Film „Rückenwind von vorn“ in der Perspektive Deutsches Kino 2018.

Das sind tolle Nachrichten: Einer der aktuell talentiertesten deutschen Filmemacher, Philipp Eichholtz, eröffnet im Februar die Perspektive Deutsches Kino mit seinem Film „Rückenwind von vorn“. Zur Handlung: Charlie (Victoria Schulz), die junge Berliner Lehrerin, will ihren eingeschlagenen Weg so nicht weitergehen und fragt sich, was sie wirklich will und braucht.

Die von Christoph Hochhäusler vor kurzem in einem Tagesspiegel-Interview weniger geschmackvoll als „Ghetto“ bezeichnete Berlinale-Sektion steht im kommenden Jahr besonders im Fokus. Der Regisseur und Gründer der Filmzeitschrift Revolver warf der Reihe vor, dass sich keine internationalen Filmkritiker dorthin verirren würden. Tatsächlich haben mittlerweile Festivals wie das Filmfest München der Perspektive Deutsches Kino ein wenig den Rang abgelaufen, was aufregende deutsche Entdeckungen angeht.
Erster großer Wurf „Liebe mich!“
Umso mehr kann man sich jetzt auf „Rückenwind von vorn“ freuen. Nicht nur, weil Victoria Schulz (ganz groß in „Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern“) die Hauptrolle spielt, sondern auch, weil Philipp Eichholtz Teil des German Mumblecore ist. Sein Debütfilm „Liebe mich!“ aus dem Jahr 2014 war ein erster großer Wurf, ein Film, dem das Leben und die authentischen Dialoge nur so aus den Frames quollen. Seine eigene Produktionsfirma heißt „Von Oma gefördert“. Sowohl „Liebe mich!“ als auch sein zweiter Film „Luca tanzt leise“ sind auf Netflix zu sehen.
Lana Cooper garantiert Qualität
Weiter zeigt die Perspektive Deutsches Kino 2018 die Filme: „draußen“ (Johanna Sunder-Plassmann & Tama Tobias-Macht), „Feierabendbier“ (Bernd Brummer), „Kineski zid“ (Aleksandra Odić), „Rå“ (Sophia Bösch) und „Storkow Kalifornia“ (Kolja Malik). Wäre das nicht cool, wenn Ben Brummer mit dem legendären deutschen Regisseur Alois Brummer verwandt wäre. Julia Dietze spielt in „Feierabendbier“ mit, Lana Cooper in „Storkow Kalifornia“. Beide garantieren auf die ein oder andere Weise bei ihrer Projektauswahl, dass es nicht langweilig wird. Gerade Cooper neigt zu einer spannenden Rollenwahl („Bedways“, „Love Steaks“).

„Storkow Kaliforna“, in dem es um den 30-jährigen Outlaw Sunny geht, der zwischen seiner Mutter und einer neuen Liebe hin- und hergerissen ist, hat einen sehr atmosphärischen Trailer. Die Berlinale schreibt: „Ein Film wie ein Trip.“ Regisseur Kolja Malik hat davor den Film „Und am Ende sind alle allein“ gedreht, den die Filmlöwin Sophie Charlotte Rieger im Jahr 2015 ziemlich toll fand. „Storkow Kalifornia“ ist also auch vorgemerkt.

Auf der To-Watch-Liste (nach Interesse geordnet):

* Rückenwind von vorn (Philipp Eichholtz)
* Storkow Kalifornia (Kolja Malik)
* Feierabendbier (Ben Brummer)

Link: - Die Highlights der Perspektive Deutsches Kino 2017

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Dienstag, 19. Dezember 2017
Der 17. Hofbauer-Kongress entblättert sein Programm

Der Namenspatron des Hofbauer-Kongresses darf nicht fehlen

Der Hofbauer-Konress ist eine cineastische Institution. In Nürnberg werden auch in der 17. Ausgabe die verschollenen Genreschätze wiederentdeckt, die den Diskurs der kommenden Jahre prägen werden.

Vier Tage mit wundersamen, romantischen und synapsensprengenden filmischen Preziosen aus aller Welt, vom frühen Tonfilm bis zu den 1980er-Jahren, vorgeführt von historischen 35mm-Filmkopien. So fasst der Hofbauer-Kongress in Nürnberg selbst sein Programm zusammen, das er deutschen Cineasten immer kurz nach Neujahr serviert. Dieses Mal dabei sind so verheißungsvolle Namen wie der kürzlich verstorbene Fassbinder-Schüler Ulli Lommel („Der zweite Frühling“), Marika Rökk im 1937er-Film „Karussell“, Radley Metzger („Carmen, Baby“), Wes Craven („Angela“) und Rolf Olsen („Das Rasthaus der grausamen Puppen“). Das Programm wird laufend ergänzt und dann zeitnahe auch hier aktualisiert. Der 17. Hofbauer-Kongress findet vom 4. bis 7. Januar im Nürnberger KommKino in der Königstraße 93 statt. Hier trifft sich die Crème de la Crème der deutschen Cineasten, aber auch jeder, der mal etwas Neues ausprobieren will.

Programmübersicht:

Donnerstag, der 4. Januar

14:30 – CINEMA FUTURES
Ö/USA/IN/NO 2016, 126 Min., OmU, R.: Michael Palm

17:00 – DAS GEHEIMNIS DER DREI DSCHUNKEN
BRD/IT 1965, 89 Min., R.: Ernst Hofbauer, D.: Stewart Granger, Rosanna Schiaffino, Horst Frank, Paul Klinger, Helga Sommerfeld, Sieghardt Rupp

21:00 – IMMER WENN ES NACHT WIRD
BRD 1961, 94 Min., R.: Hans Dieter Bove, D.: Jan Hendriks, Hannelore Elsner, Karin Kernke, Walter Wilz, Elisabeth Volkmann

23:30 – ANGEL GUTS: RED CLASSROOM aka RED SCHOOLROOM
(天使のはらわた 赤い教室) JP 1979, 79 Min., OmeU, R.: Chūsei Sone, D.: Yūki Mizuhara, Keizo Kanie, Jun Aki, Reiko Fujinami, Rebun Hori

Im Anschluss: Überraschungsprogramm


Freitag, der 5. Januar

15:00 – StÜF – DER STÄHLERNE ÜBERRASCHUNGSFILM
86 Min., DF

17:00 – SANTA – SKLAVIN DES LASTERS
(Santa) MX 1943, 94 Min., DF, R.: Norman Foster, Alfredo Gómez de la Vega, D.: Esther Fernández, José Cibrián, Ricardo Montalban, Estela Inda, Fanny Schiller

21:00 – Ulli Lommel (1944 - 2017) in memoriam: DER ZWEITE FRÜHLING
BRD/IT 1975, 84 Min., DF, R.: Ulli Lommel, D.: Curd Jürgens, Irmgard Schönberg, Eddie Constantine, Anna Orso, Umberto Raho

23:30– KARUSSELL
D 1937, 89 Min., R.: Alwin Elling, D.: Marika Rökk, Paul Henckels, Georg Alexander, Richard Korn, Elga Brink
Im Anschluss: Überraschungsprogramm

Im Anschluss: Überraschungsprogramm


Samstag, der 6. Januar

15:00 – TrÜF – DER TRISTE ÜBERRASCHUNGSFILM
58 Min., DF

17:00 – ANGEL GUTS: RED RUST aka RED VERTIGO
(天使のはらわた 赤い眩暈) JP 1988, 74 Min., OmeU, R.: Takashi Ishii, D.: Mayako Katsuragi, Naoto Takenaka, Hirofumi Kobayashi, Jun Izumi, Kazuyo Ezaki

21:00 – Radley Metzger (1929 - 2017) in memoriam: CARMEN, BABY
BRD/USA/YU 1967, 83 Min., DF, R.: Radley Metzger, D.: Uta Levka, Claus Ringer, Barbara Valentin, Arthur Brauss, Christiane Rücker

23:30 – LEFT-HANDED
USA 1972, 87 Min., OV, R.: Jack Deveau, D.: Ray Frank, Robert Rikas, Larry Burns, Teri Reardon, Al Mineo

1:30 – HINTERHÖFE DER LIEBE
BRD 1968, 75 Min., R.: Erwin C. Dietrich, D.: Ev Brunell, Peter Capra, Brigitte Frank


Sonntag, der 7. Januar

15:00 – MÄDCHEN MIT HÜBSCHEN BEINEN
BRD/IT 1958, 109 Min., R.: Camillo Mastrocinque, D.: Mamie Van Doren, Antonio Cifariello, Rossana Martini

17:00 – WIE VERGEWALTIGE ICH EINEN MANN?
(Män kan inte våldtas) SE/FI 1978, 99 Min., OmU, 35mm, R.: Jörn Donner, D.: Anna Godenius, Gösta Bredefeldt, Algot Böstman, Toni Regner, Christina Indrenius-Zalewski

21:00 – ANGELA, THE FIREWORKS WOMAN
USA 1975, 84 Min., R.: Wes Craven (als Abe Snake), D.: Jennifer Jordan, Eric Edwards, Wes Craven, Helen Madigan, Ellis Deigh

23:30 – DAS RASTHAUS DER GRAUSAMEN PUPPEN
BRD/IT 1967, 96 Min., R.: Rolf Olsen, D.: Essy Persson, Helga Anders, Erik Schumann, Margot Trooger, Dominique Boschero

Link: - Das KommKino in Nürnberg, - Das Hofbauer-Kommando

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Hans Weingartner in der Generation-Sektion

„Fake Tattoos“ aka „Les faux tatouages“ | © Maison 4:3
In der Kinder- und Jugendsektion Generation präsentiert die Berlinale die ersten 16 Langspielfilme. Darunter sind sieben Weltpremieren. Negative Space hat ein bisschen gestöbert.

Para aduma (Tsivia Barkai) – Ich bin in den vergangenen Jahren größerer Fan des israelischen Kinos geworden. Wenn also auf der Berlinale eine israelische Weltpremiere läuft, bin ich da. „Para aduma“, was so viel wie „rote Kuh“ heißt und auf die Bibel resp. den Tanach zurückgeht, klingt aber auch thematisch spannend: Es geht um Benny, eine junge Frau, die in Ostjerusalem lebt und gegen das national-religiöse System ihres Vaters aufbegehrt. „Ein Film in Bildern, die so kraftvoll sind wie die ungestümen Sehnsüchte seiner Heldin“, schreibt die Berlinale schwärmerisch. Es ist der Debütfilm der Regisseurin Tsivia Barkai, die in der Siedlung Beit-El aufgewachsen ist. Im Hintergrund des Vater-Tochter-Konflikts wird auch die Ermordung Jitzhak Rabins erzählt. [Weltpremiere]

303 (Hans Weingartner) – Der Österreicher Hans Weingartner hatte es eigentlich gleich zu Beginn seiner Karriere geschafft gehabt: Nach seinem beachtlichen Debütfilm „Das weiße Rauschen“ über einen jungen Schizophrenen (Daniel Brühl) wurde seine deutsche Produktion „Die fetten Jahre sind vorbei“ in den Wettbewerb von Cannes eingeladen. Gäbe es nicht Fatih Akin, wäre das bis heute ungefähr auch der letzte deutsche Film gewesen. Weingartners Film traf den Zeitgeist. Dann raste der Regisseur mit der TV-Satire „Free Rainer“ volle Kanne gegen die Wand. Er strauchelte länger, trug auch mal eine schmucke Augenklappe wie André De Toth. Weingartners neuer Film „303“ klingt so, als sei er wieder zu seinen Wurzeln zurückgekehrt: Ein Studentenpärchen durchquert Deutschland in einem Wohnmobil. Mit Mala Emde und Anton Spieker. [Weltpremiere]

Dazu feiert „Cobain“, der neue Film von Nanouk Leopold („Brownian Movement“), seine Weltpremiere in der Generation-Sektion. Dann gibt es den kanadischen Film „Les faux tatouages“, der eine Punk-Liebesgeschichte erzählt. Außerem sind zwei märchenhaft klingende Werke eingeladen: „Unicórnio“ aus Brasilien mit „magischem Realismus“ und „El día que resistía“ aus Argentinien mit dem Bösen Wolf. Letzterer ist auch eine Weltpremiere.

Auf der To-Watch-Liste (nach Interesse geordnet):

* Para aduma (Tsivia Barkai)
* 303 (Hans Weingartner)
* Cobain (Nanouk Leopold)

Link: - Berlinale-Wettbewerb 2018 nimmt Formen an

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Montag, 18. Dezember 2017
Berlinale-Wettbewerb: Wieder die eigenen Talente im Fokus

„Figlia mia“ aka „Daughter of Mine“ | © Vivo film / Colorado Film / Match Factory Productions / Bord Cadre Films / Valerio Bispuri
Ja, Gus Van Sant kommt nach Sundance mit seinem neuen Werk und Hollywoodstars im Schlepptau auch nach Berlin. Beim ersten Stoß von Wettbewerbstiteln ist aber die Rückkehr zweier eigener Regietalente des Festivals die aufregendere Nachricht.

Zum Berlinale-Eröffnungsfilm „Isle of Dogs“ gesellen sich die nächsten sieben Filme des offiziellen Wettbewerbs. Den bekanntesten Namen hat der Amerikaner Gus Van Sant. Sein neues Werk „Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot“, das Negative Space vorhergesagt hat, feiert seine Weltpremiere im Januar in Sundance. Offenbar wird die filmische Qualität des Biopic über den US-Comickünstler John Callahan, der seit den 1970er-Jahren querschnittsgelähmt war, als so hoch bewertet, so dass das Nachspielen ertragen wird. Den Cast schmücken Namen wie Joaquin Phoenix, Rooney Mara, Jonah Hill, Jack Black und Udo Kier.

In den 2000er-Jahren besaß Van Sant ein Cannes-Abonnement: Die Krönung erfolgte im Jahr 2003, als der Ami mit „Elephant“ die Goldene Palme gewann. Mittlerweile ist die Liebe aber merklich abgekühlt. Es gibt auch eine interessante Berlinale-Historie: Beim Teddy gewann Van Sant einen seiner allerersten Preise. Sein Durchbruch kam 1989 mit „Drugstore Cowboy“. Seine letzten beiden Berlinale-Auftritte waren dagegen nett, jedoch vergessenswert: „Finding Forrester“ und „Promised Land“.

„Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot“ | © Amazon Studios / Scott Patrick Green
Ein Russe und eine Italienerin kehren zurück
Interessanter erscheinen die neuen Filme von Alexey German Jr. und Laura Bispuri. Beide hatten bereits ihre Momente im Wettbewerb der Berlinale, beide drehten sie Geheimtipps, denen der internationale Durchbruch nicht vergönnt war: Bei German Jr. war das „Under Electric Clouds“, bei Bispuri „Sworn Virgin“. Das sind echte Berlinale-Talente, Eigenkreationen, über die das Feuilleton erstmal kritisch die Nasenrücken kräuseln oder die Schultern zucken wird. Tatsächlich sind hier aber am ehesten Qualitätssprünge zu erwarten.

Zumal bei Bispuris „Daughter of Mine“ die enigmatische Alba Rohrwacher wieder eine der Hauptrollen spielen wird. Bei Rohrwacher („Land der Wunder“) ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie ein veritabler europäischer Superstar ist. Auf Sardinien geht es um ein Dreiecksverhältnis zwischen einem Kind, seiner biologischen und seiner Adoptiv-Mutter. Valeria Golina („Rain Man“, „Hot Shots!“) spielt die andere Hauptrolle. In Germans Film „Dovlatov“ geht es um einen berüchtigten russischen Schriftsteller, den der Regisseur von seinem Stellenwert für die russische Intelligenzia der 1970er-Jahre mit Muhammad Ali verglichen hat. Der Film wird nur vier Tage aus dem Leben des Schriftstellers und die Liebe zu seiner zweiten Ehefrau Yelena in den Mittelpunkt der Handlung stellen.

„In den Gängen“ | © Sommerhaus Filmproduktion / Anke Neugebauer
Wundertüte deutscher Film
Die beiden deutschen Wettbewerbsfilme „In den Gängen“ und „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ sind eine Wundertüte. Philip Gröning hatte es mit seinem letzten Film „Die Frau des Polizisten“ in den Wettbewerb von Venedig geschafft gehabt. Ob die Teilnahme in Berlin für ihn ein Schritt vor oder zurück sein wird, muss der Februar zeigen. Thomas Stuber („Teenage Angst“) ist eine mutige Entscheidung, weil dem Mann noch die Reputation fehlt: Sein Film „In den Gängen“ hat aber schon mal mit Sandra Hüller („Toni Erdmann“), Franz Rogowski („Fikkefuchs“) und Peter Kurth („Zwischen den Jahren“) drei der aktuell besten deutschen Schauspieler zu bieten. Die Kurzgeschichte, auf der die Liebesgeschichte in einem Großmarkt basiert, geht auf Clemens Meyer („Als wir träumten“) zurück.

„Eva“ | © MACASSAR PRODUCTIONS - EUROPACORP - ARTE France CINEMA - NJJ ENTERTAINMENT - SCOPE PICTURES / Guy Ferrandis
Bleiben noch übrig: „Eva“ von Benoit Jacquot. Da ist Vorsicht angesagt. Jacquot versucht sich an dem gleichnamigen Joseph-Losey-Klassiker aus den 1960er-Jahren. Damals spielte die Hauptrolle Jeanne Moreau, bei Jacquot ist es jetzt die große Isabelle Huppert. Aber der Franzose langweilte bereits 2015 mit seinem egalen Remake von Buñuels „Tagebuch einer Kammerzofe“. Vielleicht kann er trotzdem an seine Qualitäten im Berlinale-Eröffnungsfilm „Leb wohl, meine Königin!“ anknüpfen. Bei der Polin Małgorzata Szumowska mit ihrem neuen Film „Twarz“ gibt es Fragezeichen. Die Dame wird von Berlinale-Chef Dieter Kosslick und seinem Team sehr geschätzt. Ihre Filme gewinnen auch eigentlich immer Preise. Aber man hört während des Festivals immer so viel Negatives, dass man sich nur schwer motivieren kann, Szumowska eine Chance zu geben.

Interessant ist, dass sich die bisherige Auswahl des Wettbewerbs wie der Jahrgang 2015 liest: Szumowska, Jacquot, Coixet (2018 in der Reihe Special mit „The Bookshop“), German Jr. und Bispuri waren bereits damals dabei. Die großen Gewinner hießen aber Jafar Panahi („Taxi“) und Sebastian Schipper („Victoria“).

Auf der To-Watch-Liste (nach Interesse geordnet):

* Daughter of Mine (Laura Bispuri)
* Dovlatov (Alexey German Jr.)
* Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot (Gus Van Sant)
* In den Gängen (Thomas Stuber)
* Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot (Philip Gröning)
* Eva (Benoit Jacquot)
* Twarz (Małgorzata Szumowska)

Link: - Kiyoshi Kurosawa im Panorama

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Samstag, 16. Dezember 2017
Die verpasste Chance der Berlinale, „A Quiet Passion“ in den Wettbewerb einzuladen

Cynthia Nixon in „A Quiet Passion“ | © Hurricane Films
Die aktuellen Jahreslisten der amerikanischen Kritiker erinnern daran, wie die Berlinale im Jahr 2016 das Emily-Dickinson-Biopic „A Quiet Passion“ verschlief. Ein Seitenblick von Michael Müller

Ich finde, es ist ein großes Glück, dass es in Deutschland ein A-Festival wie die Berlinale gibt. Was für ein Luxus, was für ein Haufen Filme, der jedes Jahr exklusiv in die Hauptstadt gekarrt wird. Das bietet quasi unbeschränkte Entdeckungsmöglichkeiten für den Cineasten. Aber natürlich habe ich auch ganz konkrete Kritik an der Programmierung einiger Filme. Sie fällt mir zum Beispiel wieder ein, wenn ich über die diesjährigen Jahres-Listen der Filmkritiker und Filmzeitschriften blicke.

Die wichtigste amerikanische Filmpublikation Film Comment hatte das Emily-Dickinson-Biopic „A Quiet Passion“ auf dem zweiten Platz. Der Film hatte sich gegen alle aktuellen Oscarkandidaten und gebuzzten Kritikerdarlinge durchgesetzt. Nur die Safdie Brothers landeten noch mit „Good Time“ davor. Das sublime Drama des britischen Auteur Terence Davies mit Cynthia Nixon („Sex and the City“) in der Hauptrolle taucht jetzt ständig auf Bestenlisten auf: ob beim Variety-Chefkritiker Justin Chang oder bei unserem liebsten Über-Hipster-Kritiker David Ehrlich. Das ist eine späte Genugtuung. Aber sie hätte nicht so spät erfolgen müssen.
Negative Space würdigte „A Quiet Passion“ zeitnahe
„A Quiet Passion“ feierte im Februar 2016 seine Weltpremiere auf der Berlinale. Leider packten die Verantwortlichen den Film nicht in den offiziellen Wettbewerb, wo er definitiv hingehört hätte, sondern ließen ihn als Special in einer Nebenreihe verhungern. Eine Handvoll britischer Kritiker feierte Terence Davies, weil er auf der Insel schon lange mehr als ein Geheimtipp ist. Der Blog Negative Space war auch sehr begeistert und spekulierte damals zur Premiere im Zoopalast über potenzielle Oscarnominierungen für Cynthia Nixon, Keith Carradine und Jennifer Ehle. Im vergangenen Jahr war „A Quiet Passion“ auch auf unserer Top-Ten-Liste zu finden. Aber international startete der Film nie durch. Es gab keinen Buzz, der von der Berlinale ausgegangen wäre. „A Quiet Passion“ blieb ein Geheimtipp, der sich mühsam über zwei Jahre wieder in das Wahrnehmungsfeld der Öffentlichkeit kämpfen musste.

„A Quiet Passion“ hatte alles: Er besaß die Stars, die Qualität, einen in Cineastenkreisen bedeutenden Auteur – das war einfach ein Film, der einen zärtlich verschlang und hinterher verzaubert wieder ausspuckte. Ein Werk, das den Zuschauer einerseits die Poesie der Emily Dickinson entdecken ließ. Eine Filmerfahrung, die andererseits ein schmerzvolles Charakterportrait eines Menschen zeigt, dessen Sinne für diese Welt zu fein gestimmt waren und der daran zerbrach. Eine große Tragödie mit einem schwer zu ertragenden Schlussdrittel. Ein kleines Meisterwerk, das 2016 schon entdeckt hätte werden können, wenn die Berlinale es in den offiziellen Wettbewerb eingeladen hätte. Als Auswechselkandidat hätte sich der belanglose kanadische Film „Boris without Béatrice“ vom ansonsten geschätzten Denis Côté angeboten.

Link: - Unsere damalige Kritik zu „A Quiet Passion"

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Freitag, 15. Dezember 2017
Auf zur Trüffeljagd: Die Berlinale-Sektion Panorama präsentiert die ersten elf Filme

Die brasilianische Doku „Bixa Travesty“ | © Nubia Abe
Die Leitung der Panorama-Sektion hat gewechselt. Es lohnt sich, die ersten elf ausgewählten Filme von Chefin Paz Lázaro für 2018 genau unter die Lupe zu nehmen. Ein Überblick von Michael Müller

Wieland Speck ist nicht mehr, der bärtige Mann mit den Anzügen ist einen Schritt zurück getreten. Die neue Leiterin der Sektion Panorama heißt Paz Lázaro. Mit Spannung wurden ihre ersten Entscheidungen erwartet. Vor allem lateinamerikanische Entdeckungen erhofft man sich vom Programm im kommenden Jahr. Die ersten elf am Freitag veröffentlichten Titel geben einen Vorgeschmack.

Ich habe sehr viel Lust auf den nächsten Kiyoshi-Kurosawa-Film. Im Jahr 2016 hätte dessen Horrorfilm „Creepy“, der auf meiner Jahres-Top-Ten gelandet ist, auch sehr gut im offiziellem Wettbewerb der Berlinale laufen können. Kurosawas neuer Film „Foreboding“ basiert auf seiner gleichnamigen fünfteiligen TV-Serie. In der Science-Fiction-Geschichte bemächtigen sich Aliens menschlicher Gefühle. „Ihr unheimliches Unterwerfungssystem entzündet eine Paranoia, die jede individuelle Bestrebung in Gefügigkeit umwandelt“, schreibt die Berlinale. Laut dem „Japan Times“-Kritiker und ausgewiesenen Asien-Experten Mark Schilling handelt es sich bei dem 140-minütigen Film um einen Zusammenschnitt der TV-Episoden, so wie es in den 1990er-Jahren zum Beispiel David Lynch mit „Twin Peaks“ gemacht hat. Schilling vergleicht den Horror in „Foreboding“ unter anderem mit Kubricks „The Shining“.

Auch gut klingt Karim Aïnouz Dokumentarfilm „Zentralflughafen THF“. Darin begleitet der brasilianisch-algerische Regisseur, der im Jahr 2014 den Sleeper „Praia do Futuro“ im Berlinale-Wettbewerb mit Clemens Schick hatte, den Alltag von Geflüchteten. Sie träumen in den Hangars des stillgelegten Berliner Flughafens davon, endlich anzukommen, während nebenan auf dem Tempelhofer Feld Berliner ihrem Alltag entfliehen. Der Gegensatz klingt spannend, vor allem wenn er von einem Regiekönner inszeniert ist.
Traumwandlerischer Film-Poem aus Brasilien
Man liest auch tolle Dinge über die griechische Regisseurin Evangelia Kranioti, die im Jahr 2015 mit „Exotica, Erotica“ zumindest in bestimmten Kreisen auf der Berlinale Aufmerksamkeit erhaschte. Ihren neuen Film „Obscuro Barroco“ nennt das Festival einen „traumwandlerischen Film-Poem“. Es geht um eine brasilianische Berühmtheit, die queere Subkultur-Ikone Luana Muniz.

Aber es ist viel Interessantes unter den ersten elf Panorama-Filmen 2018 zu finden: Der Schwede Göran Hugo Olsson ist zurück, der vor einigen Jahren „The Black Power Mixtape 1967-1975“ in Berlin vorstellte. Wieder zaubert er verlorenen geglaubtes Dokumentations-Material hervor. Dieses Mal geht es um den Sommer 1972 und Andy Warhol, Jonas Mekas, Albert Maysles und Vincent Fremont. Der österreichische Film „L'Animale“ von Katharina Mückstein hört sich super an: „Eine 18-jährige Abiturientin macht mit ihrer Motocross-Clique die Gegend unsicher. Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, maskuline Überlegenheit und leidenschaftliche Hingabe wecken widersprüchliche Kräfte in ihr.“
„Ben Hur“-Regisseur will Neuanfang
Auch „River's Edge“ von Isao Yukisada nach einer Manga-Vorlage könnte etwas sein: „Kurz nach dem Zusammenbruch des japanischen Wirtschaftsbooms in den Neunzigerjahren ringt eine Gruppe Jugendlicher um Verbindung zu ihren Gefühlen. Frustration und Wut entladen sich in einem Rausch aus Sex und Aufruhr.“ Der Regisseur ist nicht unumstritten. Aber eventuell gibt es eine Verbindungslinie zum gleichnamigen 1980er-Jahre-Hollywood-Geheimtipp mit Keanu Reeves?

Ob ich mich dagegen auf die Weltpremiere des neuen Timur-Bekmambetov-Films „Profile“ freuen soll, weiß ich noch nicht. Die Zeiten von „Night Watch“ sind lange her. Zuletzt fuhr der bei Roger Corman in die Schule gegangene Russe die „Ben Hur“-Neuverfilmung spektakulär gegen die Wand. Die britisch-amerikanisch-zypriotische Co-Produktion um eine Journalistin, die undercover beim „Islamischen Staat“ recherchiert, hat nicht einmal einen interessanten Cast. Aber vielleicht erfindet sich Bekmambetov ja hier neu. Gerade bei den mit Spannung erwarteten lateinamerikanischen Produktionen herrschen vorerst auch noch viele Fragezeichen: Bei „Bixa Travesty“ (Bild), „Ex Shaman“, „Malambo, the Good Man“ und „The Omission“ braucht es Bewegtbild, um sich eine richtige Meinung zu bilden.

Auf der To-Watch-Liste (nach Interesse geordnet):

* Foreboding (Kiyoshi Kurosawa)
* Obscuro Barroco (Evangelia Kranioti)
* L'Animale (Katharina Mückstein)
* Zentralflughafen THF (Karim Aïnouz)
* River's Edge (Isao Yukisada)
* That Summer (Göran Hugo Olsson)

Link: - Wer sind die drei Nachfolger von Wieland Speck?

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Berlinale auf Oscar-Shortlist gleichauf mit Cannes - Fatih Akins „Aus dem Nichts“ dabei

„A Fantastic Woman“ | © Piffl Medien
Fatih Akin ist unter den weltweit letzten neun Filmen für den „besten fremsprachigen Film“ bei den Oscars. Ansonsten heißt es Berlinale Vs. Cannes.

Einerseits wird sich immer über das Auswahlverfahren der Academy Awards beschwert und beklagt, dass da weiße alte Männer wählen, die keine Ahnung vom Weltkino haben. Andererseits gibt es in der Filmbranche keine härtere Währung als eine Oscarnominierung. Auf der diesjährigen Oscar-Shortlist, der Vorstufe zur Nominierung, liefern sich die beiden großen A-Festivals Berlinale und Cannes ein Fernduell.

Die Berlinale stellt überraschenderweise drei der neun auserwählten Filme: Sebastián Lelios „A Fantastic Woman“ (Chile), Ildikó Enyedis „On Body and Soul“ (Ungarn) und Alain Gomis' „Félicité“ (Senegal) sind allesamt im viel gescholtenen Wettbewerb 2017 gelaufen. Die Berlinale selbst rechnet auch John Trengoves „The Wound“ (Südafrika) zu den eigenen Entdeckungen, weil der Film die Panorama-Sektion eröffnete. Seine Weltpremiere feierte er aber auf dem Sundance-Festival.
Frankreichs „120 BPM“ wäre Pflicht gewesen
Das prestigeträchtigste Filmfestival der Welt in Cannes schickt Fatih Akins „Aus dem Nichts“ (Deutschland), Ruben Östlunds „The Square“ (Schweden) und Andrey Zvyagintsevs „Loveless“ (Russland) ins Rennen. Den lautesten Protestschrei der Filmkritiker gab es bei der Ignoranz der Jury, nicht den französischen Beitrag „120 BPM“ auf die Shortlist eingeladen zu haben. Eine berechtigte Kritik, weil Robin Campillos Film über die Aktivistengruppe Act Up im ausgehenden Aids-Zeitalter zu den besten Werken des Jahres zählt.

Aber ehrlicherweise muss man dann schon sagen, dass diverse Festival-Highlights auf der Shortlist der Academy gelandet sind. Es sei denn, man wollte irgendwie noch Superstar Angelina Jolie mit ihrem kambodschanischen Film „First They Killed My Father“ reindrücken. Aber wir sind hier nicht bei den Golden Globes, wo es einen Promi-Counter gibt. Klar, übersehen werden immer Filme: Wo ist „Zama“ von Lucrecia Martel, warum nicht „Tom of Finland“ von Dome Karukoski, „Barrage“ aus Luxemburg oder „Die göttliche Ordnung“ aus der Schweiz? Aber verglichen mit anderen Jahrgängen ist das eine geschmackvolle Auswahl.

Die Shortlist (9 Filme):

* Aus dem Nichts (Deutschland)
* A Fantastic Woman (Chile)
* Félicité (Senegal)
* Foxtrot (Israel)
* The Insult (Libanon)
* Loveless (Russland)
* On Body and Soul (Ungarn)
* The Square (Schweden)
* The Wound (Südafrika)

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Dienstag, 12. Dezember 2017
Film Comment liebt die Safdie Brothers

Ehre wem Ehre gebührt: die Wiseman-Doku „Ex Libris“

Die wichtigste amerikanische Filmzeitschrift Film Comment wählt „Good Time“ auf Platz eins der Jahrescharts. Es ist die erste große Liste, welche die Genialität der Wiseman-Doku „Ex Libris“ aufgreift.

01. Good Time (Josh & Benny Safdie)
02. A Quiet Passion (Terence Davies)
03. Personal Shopper (Olivier Assayas)
04. Get Out (Jordan Peele)
05. Nocturama (Bertrand Bornello)
06. Ex Libris: New York Public Library (Frederick Wiseman)
07. The Death of Louis XIV. (Albert Serra)
08. Faces Places (Agnes Varda)
09. The Lost City of Z (James Gray)
10. Lady Bird (Greta Gerwig)

Link: Film-Comment-Liste 2017

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Montag, 11. Dezember 2017
Streaming-Tipp: Rüdiger Suchslands Doku „Hitlers Hollywood“

Hitler und Goebbels bei der UFA | Bundesarchiv, Bild 183-1990-1002-500 (CC-BY-SA 3.0)
Heute um 23.35 Uhr strahlt Arte Rüdiger Suchslands Doku „Hitlers Hollywood“ in die Nacht aus. Danach gibt es aber in der Mediathek eine Woche lang die Gelegenheit, den Film nicht zu verpassen. Ein Streaming-Tipp von Michael Müller

Der von mir einst verehrte, heute eher zwiespältig wahrgenommene deutsche Filmkritiker Rüdiger Suchsland hat den Dokumentarfilm „Hitlers Hollywood – Das deutsche Kino im Zeitalter der Propaganda 1933-1945“ gedreht. Damit schaffte er es im September sogar auf das prestigeträchtige Telluride-Festival, wo ansonsten die Oscar-Filme der Saison ausgerufen werden. Das passt: Denn in den verschneiten Bergen von Colorado wurde in den 1970er-Jahren auch die Regisseurin Leni Riefenstahl wieder in den cineastischen Pantheon aufgenommen – übrigens vor allem durch New Hollywood-Regisseure. Da schließt sich also ein Kreis.

Vom 11. bis zum 18. Dezember 2017 ist Suchslands Doku in der Arte-Mediathek zu sehen (unten verlinkt). Am Montag ist er in den letzten Programmtag der 100-Jahre-Ufa-Retrospektive des deutsch-französischen Senders eingebunden: Erst läuft von Sternbergs „Der blaue Engel“ mit Marlene Dietrich, dann Veit Harlans „Opfergang“ mit Kristina Söderbaum. Zum Abschluss zur Geisterstunde folgt Suchslands Werk.
Braucht es Schutzpatron Kracauer?
Ich hätte mir doch noch mehr die filmjournalistische Schule eines Eric Rentschlers („Ministry of Illusion“) gewünscht als den erhobenen Zeigefinger von Erwin Leiser („Deutschland, erwache!"). Braucht es denn immer noch den ewigen Film-Paten Siegfried Kracauer, der einem den intellektuellen Unterbau bereitet? Sind dessen Thesen nicht bereits beim Weimarer Kino widerlegt worden? Und wie kann man eine Doku über den Film des Dritten Reiches drehen, aber mit keinem einzigen Wort Werner Hochbaum erwähnen? Und wenn schon von einem der besten deutschen Regisseure aller Zeiten, nämlich Helmut Käutner, schwärmen, müsste die Doku nicht 200 anstatt 100 Minuten laufen? Fragen über Fragen.

„Hitlers Hollywood“ ist etwas wirr und sprunghaft, das Konzept erschließt sich mir nie so ganz. Irgendwann darf Susan „Fascinating Fasicm“ Sontag noch einen Satz in die Kamera sagen und Hannah Arendt wird irgendwo noch reingequetscht. Aber es ist eine wahre Freude, so viele digital restaurierte Ausschnitte in formidabler Bildqualität wiederzusehen. Suchsland Film richtet sich eher an Einsteiger denn an Filmhistoriker. Wenn Suchsland schwärmt, wagt er etwas. Dann sind seine Beobachtungen spannend. Ansonsten werden viele klassische Eckpunkte pflichtschuldig abgehakt (Der antisemitische Film, der Genie-Film, die Morgengaben 1933 usw.).

So machen die Schnappschüsse und angerissenen Regie-Biografien vor allem Lust auf mehr. Die Karl-May-Verfilmung „Durch die Wüste“ (1936), „Großstadtmelodie“ (1943) von Wolfgang Liebeneiner oder „Zwei in einer großen Stadt“ (1942) von Volker von Collande will ich jetzt nachholen. Es ist letztlich ein schlampig sortierter, wenn auch anregender Gemischtwarenladen. Wer richtig in die Tiefe gehen will, macht mit Eric Rentschler oder dem französischen Duo Francis Courtade und Pierre Cadars („Geschichte des Films im Dritten Reich“) weiter.

Arte-Stream | 100 Jahre Ufa

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Ich rieche was, was Du grad siehst

Sweet Smell of Success | © Luca Mascaro, flickr (CC BY-SA 2.0)
Ein Kinofilm kann viele unterschiedliche Gefühle auslösen: Stress, Spaß, Angst und so weiter. Und diese Emotionen rufen wiederum körperliche Reaktionen hervor. Und die können Wissenschaftler messen. Nur anhand der Atemluft in einem Kinosaal können Forscher erkennen, welcher Film geschaut wird. Ein Beitrag von Jörn Schumacher

Forscher vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz haben in Kinosälen während der Vorstellungen die Zusammensetzung der Atemluft im Saal gemessen und dabei Erstaunliches festgestellt. Die Atemluft spiegelte die Gefühle wider, die im Saal vorherrschten, während der Film lief. Mehr noch: Anhang der Konzentrationen der biologischen Spurengase konnten die Forscher letztendlich sogar erkennen, welcher Film gezeigt wurde.

Die Forscher um Jonathan Williams maßen zwischen dem 1. Dezember 2013 und dem 14. Januar 2014 im Mainzer Cinestar die abgesaugte Luft während einer Kinovorstellung – alle 30 Sekunden. Die Klimaanlage lief dabei wie bei jeder anderen Vorstellung auch. Insgesamt untersuchten sie 108 Vorführungen mit insgesamt 9.500 Kinozuschauern. Sie hatten 16 unterschiedliche Filme aus den Genres Comedy, Horror und Romantik ausgewählt. Darunter waren etwa „Der Hobbit: Smaugs Einöde“, „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“, „Die Tribute von Panem - Mockingjay: Teil 2“ und „Carrie“. (Die volle Liste findet sich innerhalb der Original-Studie. Für das Experiment wurden keine personenbezogenen Daten erfasst, lediglich die Anzahl der Kinobesucher wurde registriert.
Kampf ums Überleben
Im Ergebnis konnten die Forscher genau sehen, wann ein Film lustig, spannend oder langweilig ist. Am Beispiel der chemischen Signatur von „Tribute von Panem“ erklärt Forschungsleiter Jonathan Williams: „An der Stelle, an der die Heldin um ihr Leben kämpft, stiegen die Werte für Kohlendioxid und Isopren in der Abluft immer deutlich an“. Isopren (C5H8) und Aceton (C3H6O) sind die beiden häufigsten organischen Spurengase. Sie und die Menge an Kohlendioxid maßen die Forscher. Eine Erklärung für ihre Ergebnisse sehen die Wissenschaftler darin, dass die Kinobesucher bei aufregenden Filmszenen unruhig werden und schneller atmen.

Theoretisch wäre es damit für die Werbeindustrie möglich, mal in einen Kinosaal „reinzuschnuppern“, wie da gerade so die Stimmung ist. Oder wie ein Werbeclip ankommt.
Zuschauermanipulation möglich?
Der nächste Schritt wäre dann der umgekehrte: Warum nich die Luft im Saal so abändern, dass bestimmte Stimmungen entstehen? Es hält sich ja schon lange das Gerücht, dass Kinobetreiber besonderen Wert auf den ganz speziellen „Popcorn-Duft“ legen. Es soll sogar Kinos geben, die über die Klimaanlage diesen Kino-Duft extra in den Saal leiten, damit das Publikum Lust auf Popcorn bekommt und konsumiert.

So weit scheint der Weg zum duft-manipulierten Kino gar nicht zu sein: Der Künstler und Geruchsexperte Wolfgang Georgsdorf hat eine elektronische „Geruchsorgel“ entwickelt, die den einfallsreichen Namen „Smeller“ trägt. Damit lassen sich Düfte komponieren wie ein Musikstück. Werden wir also demnächst das Geruchs-Kino erleben, in dem die Gefühle auf der Leinwand mit Gefühlen aus einem chemischen Cocktail über die Atemluft kombiniert werden?

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