Freitag, 4. November 2016
Restaurierte "Suspiria"-Fassung läuft in Berlinale-Classics-Reihe

Bei Trailers from Hell spricht Edgar Wright über "Suspiria"

Die Berlinale-Classics-Reihe landet einen ersten Coup: Sie präsentiert im Februar die restaurierte Fassung des Dario-Argento-Kults "Suspiria".

Der zum 40. Jubiläum frisch restaurierte Horrorkult "Suspiria" von Dario Argento kommt nicht nur 2017 zurück in die italienischen Kinos, sondern wird auch im Februar in der Berlinale-Reihe Classics zu sehen sein. Das berichtet das amerikanische Branchenblatt Variety am Mittwoch. Die deutsche Firma TLEFilms hatten den Auftrag, "Suspiria" mit 4k-Auflösung zu restaurieren. Das beschädigte 35mm-Original soll nach dem sogenannten Technicolor Dye Transfer die unglaublichen Farben des Films wieder mehr zur Geltung bringen.

"'Suspiria' ist ein artifizielles Meisterwerk, ein Film von bizarrer Eleganz und schmerzender Schönheit", schreibt der Filmkritiker Hans Schifferle in dem Buch "Die 100 besten Horrorfilme". Der Film sei eine Symphonie aus Neoklassizismus, Technicolor und psychedelischem Sound. Der italienische Regisseur Luca Guadagnino ("A Bigger Splash") versucht sich gerade mit Tilda Swinton und Dakota Johnson an einem Remake. Der amerikanische Regisseur David Gordon Green ("Prince Avalanche") galt längere Zeit als der Mann, der sich an diese Unmöglichkeit heranwagt.

Die 67. Internationalen Filmfestspiele von Berlin finden vom 9. bis zum 19. Februar 2017 statt. Erste größere Programmdetails zum Wettbewerb werden traditionell in der ersten Dezemberhälfte erwartet.

Link: - Mehr Berlinale, - Berlinale-Retro 2017 zu Science-Fiction

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Berlinale-Retrospektive 2017 zum Science-Fiction-Film

DEFA-Sci-Fi-Film "Eolomea" © DEFA-Stiftung/Alexander Kühn
Ganze 27 internationale Science-Fiction-Filme umfasst die Berlinale-Retrospektive 2017. Die Bandbreite reicht vom Hollywood-Blockbuster bis zum DEFA-Spielfilm.

Die Retrospektive der 67. Internationalen Filmfestspiele von Berlin widmet sich dem Science-Fiction-Film und damit einem der bildgewaltigsten und spektakulärsten Genres der Filmgeschichte. Sie zeigt imaginierte Welten einer unvollendeten Zukunft, wie sie der Science-Fiction-Film seit seinen Anfängen inszeniert. Im Zentrum der Schau stehen zwei Themen: die Gesellschaft der Zukunft und das Fremde. Insgesamt umfasst die Retrospektive 27 internationale Spielfilme, darunter Klassiker, Kultfilme und weitgehend unbekannte Produktionen etwa aus Japan sowie Mittel- und Osteuropa.

„Der Science-Fiction-Film ist eines der kommerziell erfolgreichsten Filmgenres. Die möglichen Welten auf der Erde oder im All eröffnen einen weiten Raum, um Fragen nach kollektiven Visionen und Ängsten immer wieder neu zu verhandeln“, sagte Festivaldirektor Dieter Kosslick. Der Reiz dieser Filme liegt insbesondere darin, dass sie eine ferne Zukunft sinnlich erfahrbar machen. Positive Zukunftswelten sind hierbei allerdings die Ausnahme. Dominiert wird das Genre von Dystopien, die zeitgenössischen Fragen in der pessimistischen Zuspitzung eine besondere Brisanz verleihen.
Richard Fleischer, George Lucas & Sci-Fi-Sozialismus
Die Öko-Dystopie "Soylent Green" (1973) zum Beispiel handelt von Überbevölkerung und Umweltverschmutzung. In reduzierten Farben entwirft sie eine Welt, in der Wasser, Nahrung und Wohnraum hart umkämpft sind und die Bevölkerung wie Abfall recycelt wird. Zentral für das Genre ist die Auseinandersetzung mit totalitären Systemen und allgegenwärtiger Überwachung wie in "1984" (1956), der ersten Kinoverfilmung von George Orwells bekanntem Roman.

Einprägsam zeichnet George Lucas in "THX 1138" (1971) eine technokratische Zukunftsvision von einer hocheffizienten und vollautomatisierten Gesellschaft, in der Gefühle und der freie Wille des Einzelnen durch Medikamente unterdrückt werden. In postapokalyptischen Filmen ist die Erde unbewohnbar. So haben sich in "O bi, o ba: Das Ende der Zivilisation" (1985) die Überlebenden einer atomaren Katastrophe unter die Erdoberfläche zurückgezogen.
Dänische Pioniere, japanische Entdeckungen
Der dänische Stummfilm "Das Himmelsschiff" von Holger-Madsen, der 1918 uraufgeführt wurde und damit zu den frühesten Science-Fiction-Filmen überhaupt gehört, beschwört noch die friedliche Vision von einer Mars-Erkundung und der Begegnung mit den dort lebenden Wesen. Freundlich wirken auch die seesternförmigen Außerirdischen in Kōji Shimas "Die Außerirdischen erscheinen in Tokio" (1956) oder Steven Spielbergs kindliche Wesen in "Unheimliche Begegnung der dritten Art" (1977).

Der Genreklassiker "Krieg der Welten" (1953) hingegen steht exemplarisch für bedrohliche Alien-Invasionen aus dem All. Künstliche Intelligenz, Androiden und Roboter werfen die Frage nach dem Unterschied zwischen Mensch und Maschine auf. Sie stellt sich auf düstere und erbarmungslose Weise auch in Marek Piestraks "Der Test des Piloten Pirx" (1979).

„Bei der Filmauswahl haben wir uns von den Themen unserer Ausstellung ‚Things to Come‘ inspirieren lassen. Die Retrospektive nimmt nun die Geschichte des Genres in den Blick und zeigt cineastische Vorstellungswelten auch aus Ländern wie Dänemark, Japan, Polen oder der Tschechoslowakei“, kommentiert Rainer Rother, Leiter der Retrospektive und Künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek. Die Begleitpublikation zur Retrospektive erscheint erstmals ausschließlich in englischer Sprache. Der Band im Bertz + Fischer Verlag präsentiert Essays von internationalen Autoren, die den Science-Fiction-Film im Kontext von nationalen Kinematografien ergründen.

Links: - Mehr Berlinale, - Rückblick 2016, - Dokupreis 2017

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Filmzeitschrift Revolver widmet Ausgabe #35 Cinephilie in Deutschland

Das neue KommKino in Nürnberg © Michael Müller
Revolver #35 kreist um Cinephilie in Deutschland. Die neue Cineastengeneration stellt sich bei einem Runden Tisch vor, der das ganze Heft ausmacht.

Der Filmemacher und Mitbegründer der Filmzeitschrift Revolver, Christoph Hochhäusler ("Falscher Bekenner", "Unter dir die Stadt"), hat auf Facebook einen Einblick zur kommenden Ausgabe gegeben. Gegen sonstige Gewohnheiten wird die Nummer 35 aus einem einzigen langen Gespräch bestehen.

Um was geht's? Den Stand der Cinephilie in Deutschland. Wer diskutiert? Namen wie Gary Vanisian, Silvia Szymanski, Andreas Beilharz, Sano Cestnik, Christoph Draxtra, Lukas Foerster, Kurt Karate und Sven Safarow. Viele davon kommen aus der Clique, die sich um die legendären Hofbauerkongresse im Nürnberger KommKino gebildet hat. Es sind Filmkritiker, Kuratoren, Festivalmacher, Autoren, Journalisten, Cineasten und baldige Regisseure und Drehbuchautoren, die so ein bisschen die Speerspitze der neueren Cineastenwelle darstellen. Einige Texten von ihnen sind zum Beispiel im Blog Eskalierende Träume nachzulesen.

"Entstanden ist das Portrait einer Generation, die vielleicht gerade deshalb ein existenzielles Verhältnis zum Kino hat, weil das Medium verletzlich geworden ist und verteidigt werden muss", schreibt Hochhäusler. Berliner Schule trifft auf Jürgen-Enz-Fans. Bebildert wird das Ganze von der Edelfeder Rainer Knepperges, dessen Essay "Mamas Kino lebt!" zu den absoluten Highlights des Filmbuches des Jahres, "Geliebt und verdrängt: Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963", gehört. Mitte Dezember kommt das Heft in den Handel.

Link: - Revolver - Zeitschrift für Film, - Mehr HK-Kongresse

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Mittwoch, 2. November 2016
Oscar-Doku "Weiner" in Arte-Mediathek

Trailer zu Josh Kriegsmans und Elyse Steinbergs Doku "Weiner"

Der Name Weiner poppte erst vor kurzem wieder in den neuesten WikiLeaks-Enthüllungen zu Hillary Clintons E-Mail-Affäre auf. Der Demokrat, der sich 2013 um das New Yorker Bürgermeisteramt bewarb und dabei über einen Sexting-Skandal stolperte, erlangte weltweite Berühmtheit. Dazu beigetragen hat sicherlich die in Sundance mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnete Dokumentation "Weiner". Sie ist ein ziemlich sicherer Kandidat für die Oscars 2017 und erhielt Hymnen im englischsprachigen Raum. Sie ist aber auch jetzt schon wenige Monate nach ihrer Weltpremiere auf dem öffentlich-rechtlichen Sender Arte zu bestaunen. Exklusiv und in der heißesten Phase des amerikanischen Wahlkampfs stellt der Sender die Doku für einen Monat kostenlos ins Netz. Zugreifen!

Die Dokumentation "Weiner" ist Teil des Arte-Schwerpunktes zur US-Präsidentschaftswahl. Am 7. November läuft beispielsweise der Frank-Capra-Klassiker "Mr. Smith geht nach Washington". Quentin Tarantino zeigt im Gegensatz dazu am 8. November, dem Wahltag, ein Double Feature mit Hal Ashbys "Shampoo" und Michael Ritchies "The Candidate" im New Beverly Cinema.

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Dienstag, 1. November 2016
Berlinale: Erstmals dotierter Dokumentarpreis

Gianfranco Rosis Doku "Seefeuer" gewann 2016 den Goldenen Bären

Im kommenden Jahr vergeben die 67. Internationalen Filmfestspiele von Berlin erstmalig den Glashütte Original Dokumentarfilmpreis.

Die Auszeichnung für den besten Dokumentarfilm ist mit einem Preisgeld von 50.000 Euro dotiert. Insgesamt werden rund 18 aktuelle Dokumentarbeiträge aus den Sektionen Wettbewerb, Panorama, Forum, Generation, Berlinale Special, Perspektive Deutsches Kino sowie der Sonderreihe Kulinarisches Kino für den Glashütte Original Dokumentarfilmpreis nominiert.

Eine dreiköpfige Jury entscheidet über die Vergabe, das Preisgeld teilen sich Regisseur und Produzent des Preisträgerfilms. Die Auszeichnung wird im Rahmen der offiziellen Preisverleihung im Berlinale Palast vergeben. Der Dokumentarfilm war im vergangenen Jahr mit 77 Produktionen in den verschiedenen Sektionen wieder stark vertreten. Nun gibt es erstmals einen dotierten Preis, der die künstlerische Arbeit gesondert würdigt.

„Wir freuen uns, dass wir unser Engagement für den Dokumentarfilm bei der Berlinale mit dem Glashütte Original Dokumentarfilmpreis gemeinsam mit unserem langjährigen Partner krönen können", sagte Festivaldirektor Dieter Kosslick. Der Preis sei ein wichtiges Signal für die Dokumentarfilmbranche und zugleich Wertschätzung für die Filmemacher, die ihre Projekte teilweise mit hohem persönlichen Risiko realisierten.

Die 67. Internationalen Filmfestspiele von Berlin finden vom 9. bis zum 19. Februar 2017 statt. Erste Programmdetails werden traditionell in der ersten Dezemberhälfte erwartet.

Links: - Festivalbericht 2016, - Berlinale-News

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"Heimatfilme" bringt deutsche Genreperlen auf YouTube

Das Schlagerfilm-Meisterwerk "Holiday in St. Tropez"

Deutsche Genreperlen der ersten Nachkriegsjahrzehnte werden aktuell im Stundentakt auf der Videoplattform YouTube veröffentlicht. Das Label "Heimatfilme" hat es sich zur Pflichtaufgabe gemacht, den Filmhorizont der Internet-Cineasten zu erweitern und beliefert Suchfreudige mit einem interessanten Leckerbissen nach dem nächsten. Die Unterhaltungsware, die überwiegend im Schlager- und Lustspielbereich angesiedelt ist, wartet auf ihre Wiederentdeckung.

Diese Filme sind längst vergessen oder bewusst vedrängt worden. Angstfreien Filmfans wird zum Einstieg deswegen der Ernst-Hofbauer-Schlager-Craze "Holiday in St. Tropez" angeraten. Oder man greife zu Frank Wisbars meisterhaftem Melodram "Barbara - Wild wie das Meer". Beide Film erhielten die höchsten Weihen auf vergangenen Hofbauer-Kongressen, die sich der Bewahrung der deutschen Filmgeschichte verschrieben haben. Es sind vor allem Raritäten hochgeladen worden, die sehr selten im Fernsehen laufen.
Chef der Geisteskranken ist Peter Alexander
Spannend sieht etwa auch der späte Veit-Harlan-Film "Sterne über Colombo" mit Kristina Söderbaum und Willy Birgel aus. Ein Film, den ich schon sehr lange gesucht habe. Eigentlich bräuchte es einen Monat Urlaub, um da richtig eintauchen zu können. Ein Experte für Schauspieler wie Vivi Bach, Helmut Griem, Adrian Hoven und Karin Baal würde man werden. Neue Auteurs, über die noch keine gute Zeile geschriebe wurde, könnte man entdecken. Eine tolle Vorstellung.

Die am häufigsten geklickten Filme des Labels sind noch der Peter-Alexander-Film "Hochzeitsnacht im Paradies" (56.772 Klicks) und "Die Landärztin" mit Marianne Koch (53.633 Klicks), der erst vor kurzem im deutschen Filmmuseum für Begeisterungsstürme unter Cineasten sorgte und sehr schön und frivol die verkrusteten Strukturen des Heimtfilmgenres Ende der 1950er-Jahre aufbrach.

Wie sagte doch Werner Herzog so schön: "Ich glaube eben, dass wir von so vielen Leuten umgeben sind, die wirklich geisteskrank sind. [...] Bei Peter Alexander orientiert sich der kollektive Wahnsinn am Chef der Geisteskranken." Das Label "Heimatfilme" bietet jetzt die Chance, sich diesen Wahnsinn aus nähester Nähe anzuschauen und selbst zu entscheiden, ob der Neue Deutsche Film so Recht mit seinem Pauschalurteil "Papas Kino ist tot" hatte.

Links: - Dt. Filmgeschichte neu schreiben, - Hofbauerkongresse

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Montag, 31. Oktober 2016
"Der Nachtmahr" heute auf Rocket Beans TV

"Der Nachtmahr": Nichts für schwache Nerven

Heute, am 31. Oktober um 22 Uhr, zeigt der Internetsender Rocket Beans TV das deutsche Genrehighlight "Der Nachtmahr". Das ist aus vielerlei Gründen bemerkenswert: Dem "Nachtmahr" kommt so die Ehre zuteil, nach der TV-Serie "Game of Thrones" der nächste exklusive Titel zu sein, den sich die Kino-plus-Moderatoren Daniel Schröckert und Etienne Gardé mit der Community und einem Beteiligten der Produktion gemeinsam ansehen.

Heute schaut Regisseur Akiz alias Achim Bornhak ("Das wilde Leben") vorbei und steht Rede und Antwort. Der Film lief erst am 26. Mai in den deutschen Kinos an. Es darf also durchaus als Coup bezeichnet werden, wenn der Film zu seinem Heimvideo-Start bereits auf Rocket Beans TV zu sehen ist. Im Telekollektiv der Reihe war der erste Gast der deutsche Schauspieler Tom Wlaschiha, der in "Game of Thrones" den Assassin Jaqen H’ghar spielt.

"Der Nachtmahr" ist ein Coming-of-Age-Techno-Horror, bei dem die Grenzen zwischen Realität und Alptraum verschwimmen. Ein 17-jähriges Mädchen wird nach einem schlechten Drogentrip von einem gruseligen Gnom heimgesucht. Gibt es den Nachtmahr wirklich oder wird das Mädchen - so wie es die Eltern und Freunde glauben - langsam verrückt? "Der Nachtmahr" ist ein audiovisueller Trip, der sowohl an "Spring Breakers" als auch an "Nosferatu" denken lässt. Nicht das schlechteste Kompliment, was man einem Film machen kann. Zusammen mit Genrefilmen wie "Wild", "Der Samurai" und "Der Bunker" bildet "Der Nachtmahr" eine aktuelle Welle von aufregenden deutschen Horror- und Fantasyfilmen.

You May Also Like: - Der Bunker, - Deutsche Welle in München

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Mittwoch, 12. Oktober 2016
Tarantino feiert Filmjahr 1970 mit Retro in Lyon

Die viertelstündige Einleitung Tarantinos zu "Zwei Banditen"

Der "Hateful Eight"-Regisseur Tarantino schildert den Franzosen seine Sicht auf das Schlüsseljahr 1970 beim Lumière-Festival. Eventuell entsteht aus diesen Erkenntnissen ein mehrteiliger Podcast. Ein Bericht von Michael Müller

Drei Jahre nachdem Quentin Tarantino den Lumière-Preis bekommen hat, feiert der kalifornische Regisseur das Filmjahr 1970 mit einer exklusiv programmierten Retrospektive auf dem Lyoner Festival, dessen Schirmherrschaft der Cannes-Chef Thierry Frémaux und der Regisseur Bertrand Tavernier inne haben. Zur Eröffnung zeigte Tarantino den George-Roy-Hill-Western "Zwei Banditen", zu dem er eine fünfzehnminütige Einleitung gab (siehe das YouTube-Video oben).

Nachfolgend stehen die 15 Filme, die Tarantino repräsentativ für das Filmjahr 1970 ausgesucht hat. Für ihn ist 1970 das Schlüsseljahr des New-Hollywood-Kinos, das sich zu diesem Zeitpunkt gegen das alte klassische Hollywood durchgesetzt hatte, aber noch unter Beweis stellen musste, ob es mehr als nur eine Welle sein konnte. Besonders ins Auge stechen die Programmierungen von Anatole Litvak, William Wyler, John Huston und Billy Wilder. Allesamt sind das Vertreter des klassischen Hollywoods, die aber offenbar in ihren letzten Zügen noch einmal besondere Qualitäten offenbarten.
Sechsteiliger Podcast in Aussicht
Quentin beschäftigt sich schon länger mit dem Filmjahr 1970. Anlass dafür ist das Mark-Harris-Filmbuch "Pictures at a Revolution" gewesen, das er als bestes Filmbuch des Jahrzehnts adelte. Im Buch analysiert Harris die fünf Best-Picture-Nominierungen des Jahres 1967 ("Dr. Dolittle", "The Graduate", "In the Heat of the Night", "Guess Who's Coming to Dinner" und "Bonnie & Clyde") und was sie für die Entwicklung der amerikanischen Filmindustrie bedeuteten.

Tarantino plant aus seiner dadurch inspirierten Recherche entweder ein eigenes Filmbuch, eine Dokumentation oder einen sechsteiligen Podcast zu machen. Die Erfahrung lehrt uns, dass die ersten beiden Alternativen eher unwahrscheinlich sind. Angesichts längerer Podcast-Auftritte von Tarantino, etwa bei Bret Easton Ellis oder beim Pitchen eines eigenen Star-Trek-Films, erscheint jedoch ein Podcast-Projekt auch vom Arbeitsaufwand im Bereich des Möglichen zu liegen. Vielleicht lässt er sich von der Filmkritikerin Karina Longworth beraten, die mit ihrem filmhistorischen Podcast You Must Remember This für Furore sorgt.
Eine Filmempfehlung repräsentiert fünf weitere
In der über einstündigen Masterclass erläuterte Tarantino, warum er sich gerade diese 15 Filme für die Retrospektive ausgesucht hat. Zum einen lag das an der Kopiensituation vor Ort. Ihm war wichtig, dass die Filme als 35mm-Kopien gezeigt werden. Zum anderen fokussierte sich der Regisseur nicht auf seine absoluten Lieblingsfilme des Jahres 1970, sondern merkte, dass die hinteren Plätze seiner Top-Liste die interessanteren Filmerfahrungen mit einem Publikum sein könnten. Auch steht jeder ausgewählte Film stellvertretend für fünf andere Filme, die er aufgrund der Qualität hätte nehmen können.

Als Beispiel nannte er George Roy Hills Western "Zwei Banditen". In diesem Fall hätte Tarantino auch den weniger bekannten Lee-Marvin-Western "Monte Walsh" von William A. Fraker aussuchen können, den er sehr verehrt. Oder den atmosphärisch ganz ähnlichen, fast zärtlichen Sam-Peckinpah-Western "Abgerechnet wird zum Schluss" mit Jason Robards. Aber es hätte auch der Spaghetti-Western "Lasst uns töten, Companeros", "Das Wiegenlied vom Totschlag" oder "Little Big Man" sein können.
Auch ein Herz für das Erotikkino der 1970er-Jahre
Wenn da der Mann hinter "The Hateful Eight" von den Produktionen des Filmjahres 1970 schwärmt, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Kalifornier - so sehr man seine Werke schätzt - letztlich der bessere Filmkritiker geworden wäre. Nur hätte sich dafür ohne seine Karriere niemand interessiert. Als er knapp zwanzig Jahre alt war, plante Tarantino ein Interviewbuch mit Regisseuren wie John Milius, Joe Dante, Richard Franklin und John Flynn. Daraus wurde leider nie etwas. Wenn er jetzt aber intensiv dieses neue cineastische Projekt verfolgt, will man auch mehr wissen über seine Ansichten zum Erotikkino der 1970er-Jahre, das in Quentins Augen für einen kurzen Augenblick der Geschichte aus der Schmuddelecke herausgeholt wurde. Aber was liebt Tarantino genau an Radley Metzgers Gesamtwerk (z. B. "The Opening of Misty Beethoven") und warum hat er nicht mehr von Russ Meyer und Ken Russell erzählt?

Also wird man sich vorerst selbst auf die Suche begeben, Mark Harris' Werk "Pictures at a Revolution" als Taschenbuch kaufen, Ausschau halten nach Geheimtipps wie "The Baby Maker" von James Bridges oder "The Magic Garden of Stanley Sweetheart" von Leonard Horn. Und man wird sich fragen, ob Tarantino auch "Valerie - Eine Woche voller Wunder" kennt und inspiriert davon endlich mal wieder in die Filmgeschichte eintauchen, wenn es denn die Zeit erlaubt.

Die QT-Retrospektive im Überblick (15 Filme):

Opening Night

ZWEI BANDITEN by George Roy Hill (1970)
The year 1970 began in February with the Oscar for best film awarded to Butch Cassidy and the Sundance Kid, a western directed by George Roy Hill, starring Paul Newman, Robert Redford and Katharine Ross.

Double Feature #1

LOVE STORY by Arthur Hiller (1970, 1h39)
Jenny and Oliver come from vastly different backgrounds. When they meet at Harvard, they fall in love. Soon, tragedy strikes... A great melodrama, with Ali MacGraw and Ryan O'Neal, to unforgettable music.

DEEP END by Jerzy Skolimowski (1970, 1h40)
Mike, 15, is hired to work at the municipal baths in a lower-class London neighborhood. There he meets Susan, an older woman, engaged to another man... A beautiful story of apprenticeship in the vibrant atmosphere of swinging London.
Institut Lumière Mon 10 at 7pm

Double Feature #2

DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE by Dario Argento (L’uccello dalle piume di cristallo, 1970, 1h32)
An American journalist, passing through Rome, witnesses an assault at an art gallery. He becomes the new target of the mysterious killer... Original screenwriting and graphic power in this first film by Dario Argento.

THE LADY IN THE CAR WITH GLASSES AND A GUN by Anatole Litvak (1970, 1h45)
A young secretary is asked to bring her boss's car to Paris. She finds herself accidentally on the southern route, but decides to keep on driving... A tense road movie set to the very-seventies music of Michel Legrand.
CNP Terreaux Tue 11 at 7:45pm

Double Feature #3

CLAIRES KNIE by Eric Rohmer (1970, 1h45)
Jérôme (Jean-Claude Brialy), 35, spends a few days on holiday at Lake Annecy. He falls in love with the young Claire and her knees... A bright and stylish film, a delicate evocation of seduction and desire.

DER SCHLACHTER by Claude Chabrol (1970, 1h33)
At a wedding, a school director (Stéphane Audran) meets Popaul (Jean Yanne), the village butcher. Soon, a crime is committed... Two totally opposite people, a perverse game of seduction, a study of the human soul, to which Chabrol holds the secrets.
CNP Terreaux Wed 12 at 7:15pm

Double Feature #4

THE KREMLIN LETTER by John Huston (1970, 1h40)
A mysterious letter reveals a pact between the United States and the Soviet Union against China... a thrilling plot and absurdist humor, served by an exceptional cast: Bibi Andersson, Max von Sydow, George Sanders, Orson Welles...

DAS PRIVATLEBEN DES SHERLOCK HOLMES by Billy Wilder (1970, 2h05)
Gabrielle Valladon, a young woman saved from the waters of the Thames, asks Holmes and Watson find her missing husband. Their investigation leads them to the edge of Loch Ness... A marvel of humor and romantic adventure.
CNP Terreaux Fri 14 at 7:45pm

Other Films:

FIVE EASY PIECES by Bob Rafelson (1970, 1h38)
Robert Dupea (Jack Nicholson), a worker on a drilling site, leaves to visit his ailing father. He encounters Catherine, the fiancée of his brother... a deep and tender road movie, a veritable hymn to freedom.
Villa Lumière Tue 11 at 6:45pm

BEYOND THE VALLEY OF THE DOLLS by Russ Meyer (1970, 1h49, Int -16 ans)
Three young women, members of a rock band, find themselves mixed up in orgies and drug parties in strange company... A sexy satire on the world of American show business, a blend of music, horror and sex.
Pathé Bellecour Sun 9 at 2:15pm

M.A.S.H by Robert Altman (1970, 1h56)
Korea. In a field hospital, three new doctors (Sutherland, Gould and Skerritt) are determined to turn the camp life upside down... Altman blows apart all the codes of the war movie. 1970 Palme d'Or in Cannes.
Institut Lumière Sat 15 at 10pm | UGC Ciné Cité internationale Sun 16 at 2:30pm

THE LIBERATION OF L.B. JONES by William Wyler (1970, 1h42)
In a small town in Tennessee, L. B. Jones, an African-American manager of a funeral home, wants to divorce his young wife who is cheating on him with a sheriff... A melodrama with a backdrop of racial tensions, the last film by William Wyler.
Institut Lumière Thu 13 at 10:45am

DRIVE, HE SAID by Jack Nicholson (1970, 1h35, Prohibited -16)
Hector, a college basketball player, is in a complicated relationship with Olive. His friend Gabriel protests against the Vietnam war... The first film by Jack Nicholson, a daring comedy about the anxieties of a generation.
Comoedia Mon 10 at 4:15pm

ZABRISKIE POINT by Michelangelo Antonioni (1970, 1h40)
1969. Mark a revolutionary student wrongly accused of murder, encounters young secretary Daria in the heart of Death Valley... A journey of incredible beauty into the heart of a paradise lost and broken dreams.
Villa Lumière Mon 10 at 5pm

Link: - Mehr Tarantino-Aussagen zum Filmjahr 1970, - Mehr QT

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Samstag, 24. September 2016
Deutsche Filmgeschichte neu schreiben

© Deutsches Filminstitut DIF e.V.
Die Locarno-Retrospektive zum deutschen Nachkriegsfilm, die im August lief, kommt im Oktober ins Deutsche Filmmuseum nach Frankfurt. Die Reihe von zwanzig Filmen ist ergänzt und thematisch erweitert worden. Nach den Vorführungen wird dringend eine Überarbeitung der deutschen Filmgeschichte angeraten, findet "Negative Space"-Redakteur Michael Müller.

„Die meisten Filme, die ich damals geguckt habe, würde man heute als Eskapismus-Filme bezeichnen: Wörthersee, Gunther Philipp, Peter Weck und natürlich Peter Alexander.“ Das erzählt der heutige Berlinale-Chef Dieter Kosslick im Jahr 2007 bei einem schummerigen Gespräch mit Gero von Boehm. Kosslick dachte damals laut darüber nach, eine Retrospektive zu diesen Unterhaltungsfilmen der 1950er- und 1960er-Jahre zu machen. Eine Berlinale-Rückschau über Heimatfilme zum Beispiel, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Seelen der Menschen wieder heilen mussten. Oder auch über die Komödien der Zeit, die mit relativ schlichten Mitteln die Deutschen wieder zum Lachen brachten. Aus Kosslicks Traum, den die eigenen frühen Kinoerfahrungen speisen, ist bis heute leider keine Retrospektive geworden. Neidvoll muss Kosslick deshalb diesen August nach Locarno geblickt haben, als das Festival mit einer über 70 Filme starken Retrospektive das deutsche Nachkriegskino feierte. Noch neidvoller müsste der Blick aber jetzt ausfallen, wenn der Berlinale-Chef auf das schaut, was das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt am Main daraus weiterentwickelt hat.

„Geliebt und verdrängt: Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963“ hieß nicht nur die Retrospektive in Locarno, sondern auch das sehr lesenswerte Begleitbuch des Deutschen Filminstituts, das zeitgleich erschien. Nur war diese Veranstaltung in der Schweiz aufgrund der Wegstrecke quasi ausschließlich für Tageskritiker und Über-Cineasten geeignet. Es hatte schon was, wenn der Sight & Sound-Kritiker Jonathan Romney von dort twitterte: „One of my Locarno highlights: DER VERLORENE (1951), b/w drama directed by and starring Peter Lorre. He's even stranger in German.“ Oder die britische Filmkritikerin Carmen Grey plötzlich vom deutschen Regisseur Wolfgang Staudte schwärmen zu hören: „Post-war denial can't erase a Wehrmacht deserter soldier's body in KIRMES (1960). What a wonderful film!“ Aber letztlich waren es doch die gleichen Rosinen, die sich bereits Joe Hembus und seine Mannen in den legendären Citadel-Büchern der frühen 1980er-Jahre als Highlights der deutschen Unterhaltungsindustrie herausgepickt hatten.
Poetischer, sinnlicher und abgründiger als sein Ruf
Umso schöner ist es, dass das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt zwar wichtige Filme der Locarno-Reihe jetzt über den gesamten Oktober verteilt nachspielt („Rosen blühen auf dem Heidegrab“, „Kirmes“), aber auch – nach Absprache mit dem Locarno-Kurator Olaf Möller – eine große Zahl an weiteren entdeckungswürdigen Werken nachlegt. Das Anliegen dieser Schau ist es, zu zeigen, dass das Kino der Adenauer-Ära sich bei genauerem Hinsehen als vielgestaltiger, ambivalenter und brüchiger erweist, als gängige filmhistorische Erzählungen glauben machen wollen. In den Augen der Programmierer ist es vor allem politischer, poetischer, ästhetisch ambitionierter und abgründiger, wilder und sinnlicher als sein Ruf. Die Filmschau in Frankfurt richtet den Blick etwas weg vom Genre des Kriminalfilms, der noch in Locarno im Mittelpunkt stand. Frankfurt legt einen starken und somit gewagten Akzent auf den verpönten Heimatfilm. Das kann nur spannend werden.

Eröffnet wird die Frankfurter Retrospektive, das verspricht das Presseheft, von zwei Meisterwerken: Helmut Käutners „Schwarzer Kies“ und Harald Brauns „Der gläserne Turm“. Zu den meisten Filmen wird es thematisch passende Kurzfilme im Programm geben. Der Locarno-Kurator und Filmkritiker Olaf Möller wird einen Großteil der Einführungen sprechen. Im November ist eine Fortsetzung des Programms angekündigt, unter anderem mit Helmut Käutners „Die Rote“ und Peter Pewas‘ „Viele kamen vorbei“. Das Programm in Frankfurt ist so umfangreich und die Texte zu den einzelnen Werken so gut geschrieben, dass ich einen längeren Blick in das unten verlinkte Programmheft empfehlen kann. Ich freue mich besonders auf alle Filme von meinem neuen Spezi Harald Braun ("Der gläserne Turm", yes) und Rolf Hansen sowie die abseitigeren Entdeckungen, von denen ich noch nie gehört habe (z. B. "Schwedenmädel", "Klettermaxe", "Die Frauen des Herrn S."). Auch auf die Spezialvorführungen ("Nackt, wie Gott sie schuf") bin ich gespannt.

Eine erste Oktober-Übersicht:

Sonntag, 09.10.

PÜNKTCHEN UND ANTON (BRD 1953, Thomas Engel)
15:00 Uhr - außer Konkurrenz

DER GLÄSERNE TURM (BRD 1957. R: Harald Braun)
17:30 Uhr - Einführung: Olaf Möller

SCHWARZER KIES (BRD 1961. R: Helmut Käutner)
20:15 Uhr - mit Vorfilm - Einführung: Olaf Möller

Montag, 10.10.

DAS DORF UNTERM HIMMEL (BRD 1953. R: Richard Häussler)
19:00 Uhr - mit Vorfilm - Einführung: Olaf Möller

DAS LIED VON KAPRUN (BRD 1955. R: Anton Kutter)
21:15 Uhr - mit Vorfilm - Einführung: Olaf Möller

Dienstag, 11.10.

EINE FRAU FÜR'S LEBEN (BRD 1938/50. R: Rolf Hansen)
17:00 Uhr - Einführung: Olaf Möller

AUGEN DER LIEBE (BRD 1944/51. R: Alfred Braun)
19:00 Uhr - Einführung: Olaf Möller

SCHWEDENMÄDEL (BRD/Schweden 1955. R: T. Engel & H. Bergström)
21:00 Uhr - Einführung: Olaf Möller

Mittwoch, 12.10.

NACHTWACHE (BRD 1949. R: Harald Braun)
18:00 Uhr - Einführung: Olaf Möller

AUFERSTEHUNG (BRD/I/F 1958. R: Rolf Hansen)
20:30 Uhr - Einführung: Olaf Möller

Freitag, 14.10.

ROSEN BLÜHEN AUF DEM HEIDEGRAB (BRD 1952. R: Hans H. König)
18:00 Uhr - Einführung: Christoph Huber

Samstag, 15.10.

DIE FRAUEN DES HERRN S. (BRD 1951. R: Paul Martin)
15:30 Uhr - mit Vorfilm - Einführung: Rainer Knepperges

ALRAUNE (BRD 1952. R: Arthur Maria Rabenalt)
20:15 Uhr - mit Vorfilm - Einführung: Rainer Knepperges

Sonntag, 16.10.

ROSE BERND (BRD 1957. R: Wolfgang Staudte)
13:00 Uhr - Einführung: Christoph Huber

KLETTERMAXE (BRD 1952. R: Kurt Hoffmann)
17:00 Uhr - Einführung: Christoph Huber

Montag, 17.10.

BARBARA - WILD WIE DAS MEER (BRD 1961. R. Frank Wisbar)
18:00 Uhr - Einführung

Dienstag, 18.10.

VENUSBERG (BRD 1963. R. Rolf Thiele)
20.30 Uhr - Mit Vorfilm und Einführung

Donnerstag, 20.10.

ZWEI UNTER MILLIONEN (BRD 1961. R. Victor Vicas & Wieland Liebske)
18 Uhr

Sonntag, 23.10.

KIRMES (BRD 1960. R. Wolfgang Staudte)
18 Uhr - Mit Einführung

Freitag, 28.10.

DER ROTE RAUSCH (BRD 1962. R: Wolfgang Schleif)
20.30 Uhr - Mit Vorfilm und Einführung: Torgil Trumpler


Links: - Programmheft, - Programmübersicht Oktober

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Donnerstag, 4. August 2016
Locarno-Kurator Olaf Möller empfiehlt 11 Geheimtipps des deutschen Nachkriegskinos

Filmtipps: Von "Rosen blühen auf dem Heidegrab" bis "Schwarzer Kies"

Vom 3. bis zum 13. August findet das Filmfestival von Locarno statt. Unter Insidern hat es sich gerade in den vergangenen Jahren den Ruf erarbeitet, die Auteurs von morgen zu entdecken. Regie-Exzentriker wie Hong Sang-soo, Lav Diaz oder Albert Serra empfingen hier ihre ersten Weihen. Dieses Jahr wandert mein Blick aber neidvoll auf die Locarno-Fahrer, die ihre Zeit in der Retrospektive verbringen werden. "Geliebt und verdrängt: Das Kino der jungen BRD von 1949 bis 1963" heißt das von Olaf Möller und Roberto Turigliatto kuratierte Programm.

"Das Kino der jungen BRD war vielfältig, konfliktfreudig und lebendig – und somit überraschend anders als die gängigen Ansichten und Urteile es beschreiben." Das steht im Klappentext der Begleitlektüre, die Möller gemeinsam mit dem deutschen Filminstitut auf die Beine gestellt hat. Retrospektive und Buch sind die längst überfällige Aufarbeitung der populären deutschen Genres, die als verpönt galten: Heimatfilme, Krimis, Melodramen, grob gesagt der Unterhaltungsfilm der Nachkriegszeit, der die Menschen in Scharen in die Kinos lockte.
Möller wählt Staudte, Käutner & Wisbar
Im oben verlinkten Video zählt Möller der Kino-Zeit.de-Filmkritikerin Beatrice Behn seine elf Geheimtipps dieser Epoche auf. Es sind: Der gläserne Turm (Harald Braun), Durch Nacht zum Licht (Hans Fischerkoesen), Rosen blühen auf dem Heidegrab (Hans H. König), Rose Bernd (Wolfgang Staudte), Schwarzer Kies (Helmut Käutner), Kommunikation (Edgar Reitz), Der Cornet (Walter Reisch), Den Einsamen allen (Franz Schömbs), Jetzt in der Stunde meines Todes (Konrad Petzolds), Nacht fiel über Gotenhafen (Frank Wisbar) und Es muss nicht immer Kaviar sein (Geza von Radvani).

Wie mir zugetragen wurde, werden im Herbst 20 ausgewählte Filmschätze der Retrospektive im Frankfurter Filmmuseum zu sehen sein. Auch das Berliner Zeughauskino, das Filmmuseum Düsseldorf, das Metropolis Kino in Hamburg und das Caligari in Wiesbaden werden Teile des Programms nachspielen. Ganze 73 deutsche Filme zeigt Locarno. Das ist ein wahres Schlaraffenland für Krautploitation-Fans und Cineasten. Es wird alles geboten, was das Herz begehrt: Der Arzt von Stalingrad, Der Tiger von Eschnapur, Die Rote, Endstation Liebe oder Viele kamen vorbei. Solch ein erlesenes Programm hätte der Berlinale auch ganz gut zu Gesicht gestanden.

Links: - Weitere Möller-Videos zur Retro, - Mamas Kino lebt, - Hans Helmut Prinzler zur Begleitlektüre

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Dienstag, 19. Juli 2016
Das beste Filmmagazin SigiGötz-Entertainment veröffentlicht Ausgabe #28

© SigiGötz-Entertainment
Weder eine drohende Abmahnung, noch ein Auftragsstau in der Druckerei konnte Ausgabe Nummer 28 aufhalten. Was ist darin zu finden? Die Autorenliste ist erlesen, die Themen sind vielfältig:

- Ein Sixties-Sittenbild über die Zusammenarbeit von Johann Mario Simmel und Robert Siodmak (Christoph Huber)

- Eine Analyse des Porträtfilms THAT MAN: PETER BERLIN (Rainer Knepperges)

- Ein Bericht über das mehrteilige Komödienprojekt des Berliner Zeughauskinos mit dem Titel "Lachende Erben" (Viktor Rotthaler)

- Eine Spurensuche in Bochum, dem Zentrum des deutschen psychotronischen Films (Ulrich Mannes)

- Fünfzehn neue Glamour-People, aufgeteilt in ein Girls-Tentett und ein Boys-Quintett (Hans Schifferle)

- Dazwischen ein Mini-Porträt von Hannelore Auer und ein Nachruf auf Margit Geissler (Stefan Ertl)

- Ein weiterer Nachruf auf dem Kameramann Atze Glanert (Sadi Kantürk)

- Ferner ein Gedenkblatt zu Henry van Lyck und unsere Wall of Compassion.

Link: - Neue SGE bestellen, - SGE-Blog, - SGE-Empfehlung

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Montag, 4. Juli 2016
Blue Angel Cafe: New-Beverly-Programm im Juli 2016

Screenshot "Vier Fäuste für ein Halleluja"-Trailer
Der Name der monatlichen Kolumne „Blue Angel Cafe“ geht auf das gleichnamige Joe-D’Amato-Meisterwerk aus dem Jahr 1989 zurück. Der Filmkritiker Lukas Foerster beschrieb es auf dem 15. Hofbauer-Kongress Anfang des Jahres folgendermaßen: Wenn Douglas Sirk ein Remake von Josef von Sternbergs Klassiker „Der blaue Engel“ in New Orleans ohne Budget gedreht hätte, wäre das trotzdem nicht halb so großartig gelungen wie D’Amatos „Blue Angel Cafe“.
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In der Kolumne blicke ich auf das aktuelle Programm des New Beverly Cinema, das bekanntlich die Abspielstation von Quentin Tarantinos Wunsch- und Programmierungsträumen ist. Als Inhaber hat der US-Regisseur Hausrecht. Wenn der Ober-Cineast durch anderweitige Verpflichtungen abgelenkt ist, läuft das Programm auch schon mal auf Autopilot oder die Mitarbeiter schmuggeln diverse Double-Feature-Vorstellungen ein. Ich habe mich zu festen Kategorien entschlossen, nach denen ich das Monatsprogramm für mich aufschlüsseln will.


Thema: Das Thema des Monats ist das Fehlen einer würdigen Bud-Spencer-Retrospektive. Dafür war wohl leider keine Zeit mehr. Wohl auch, weil sich Tarantino schon in den Reisevorbereitungen für seinen Besuch auf dem Jerusalemer Filmfestival befindet, wo er für seinen Beitrag zum Weltkino ausgezeichnet wird. Ab dem 7. Juli wird er dann von der edlen Festivalleiterin Noa Regev hofiert werden, am zweiten Tag des Festivals gar Teil eines karriereumspannenden Interviews sein. Da mein aktueller Fokus stärker auf Israel liegt, werde ich das wiederum genauestens beobachten.

Hätte Tarantino programmiert, hätte er wahrscheinlich zu Ehren Bud Spencers den Italowestern „Vier für ein Ave Maria“ gezeigt, der schon unter seinen 50 Lieblingsfortsetzungen der Filmgeschichte zu finden war (nachzulesen in der legendären Video-Watchdog-Ausgabe #172). Er hätte sich wahrscheinlich von den ganz populären Entscheidungen gedrückt (wie der „Django Unchained“-Reminiszenz für „Die rechte und die linke Hand des Teufels“). Und weil ich ihn noch nicht gesehen habe und gerade jetzt große Lust auf ihn hätte, glaube ich, dass Tarantino Dario Argentos Giallo „Vier Fliegen auf grauem Samt“ gewählt hätte. Und weil es einer meiner liebsten Bud-Spencer- und Terence-Hill-Filme ist, mische ich noch „Gott vergibt, Django nie" unter, da mich der in meinen jungen Jahren extrem verstört hat. Der ist genau das richtige Gegenmittel, wenn man eigentlich vor hat, sein ganzes Leben nur Komödien-Western zu sehen und plötzlich merkt, dass es da noch eine ganz andere Welt gibt.

Entdeckungen: Ansonsten ist das ein eher dürftiges, urlaubsreifes Auto-Programm mit dicken Fingerabdrücken der Mitarbeiterschaft, das da das New Beverly im Juli aufgelegt hat. Entdeckungen sucht man mit der Lupe. Wenn man will, könnte man Interesse für den mir nicht bekannten Disney-Film „Dr. Syn, Alias the Scarecrow“ zeigen, der immerhin tolle Poster zu bieten hat. Der erscheint mir jedenfalls die deutlich spannendere Hälfte der Doppelvorstellung mit „Sleepy Hollow“ zu sein. Und wenn ich denn eine Women-in-Prison-Phase hätte, würden mich die beiden Filme „Im Keller des Grauens“ (1986) und „Revolte im Frauengefängnis“ (1974) begeistern. Aber ich schaue ja auch nicht "Orange Is the New Black".

Überraschungen: Da es in jedem Jahr vielleicht nur zwei, ja höchstens drei Hollywood-Blockbuster gibt, die dem ewigen Sommer-Werbezirkus einen guten Ruf verleihen, ist es doch lohnend zu erwähnen, dass Tarantino offenbar auch den tollen Sci-Fi-Actioner „Edge of Tomorrow“ schätzt.

QT-Klassiker: Von seinem Kumpel Til Schweiger zeigt Tarantino wiedermal „Knockin' on Heaven’s Door“. Dieses Mal läuft der in der teutonischen Doppelvorstellung mit „Das Leben der Anderen“. Was mich an diesem Monat aber insgesamt am meisten interessiert: Tarantino hat ja Regisseure, die quasi nur er schätzt und anbetet. Er hat sich da seinen eigenen kleinen Kanon aufgebaut. Gemeint sind Regisseure wie William Witney oder eben Andrew L. Stone. Von letzterem hatte er sogar mal die Komödie „Hi Diddle Diddle“ unter seinen zehn absoluten Lieblingsfilmen. Wer also mal mit Stone weitermachen will, dem seien die Screwball Comedy „The Bachelor’s Daughters“ (1946) und die Film noirs „Steel Trap“ und „Highway 301“ angeraten. Witney wie Stone sind mindestens eine Entdeckung wert. In Zeiten des Internets hat man heutzutage ja sogar die Möglichkeiten, diese größten Obskuritäten aufzutreiben.

Surf-Tipp: Das New Beverly hat sich optisch aufgehübscht. Macht schon was her, die neue Website, vor allem weil es jetzt auch eine News-Abteilung und ein Forum gibt.

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Dienstag, 31. Mai 2016
Blue Angel Cafe: New-Beverly-Programm im Juni 2016

Screenshot "Der Henker von London"
Der Name der monatlichen Kolumne „Blue Angel Cafe“ geht auf das gleichnamige Joe-D’Amato-Meisterwerk aus dem Jahr 1989 zurück. Der Filmkritiker Lukas Foerster beschrieb es auf dem 15. Hofbauer-Kongress Anfang des Jahres folgendermaßen: Wenn Douglas Sirk ein Remake von Josef von Sternbergs Klassiker „Der blaue Engel“ in New Orleans ohne Budget gedreht hätte, wäre das trotzdem nicht halb so großartig gelungen wie D’Amatos „Blue Angel Cafe“.
In der Kolumne blicke ich auf das aktuelle Programm des New Beverly Cinema, das bekanntlich die Abspielstation von Quentin Tarantinos Wunsch- und Programmierungsträumen ist. Als Inhaber hat der US-Regisseur Hausrecht. Wenn der Ober-Cineast durch anderweitige Verpflichtungen abgelenkt ist, läuft das Programm auch schon mal auf Autopilot oder die Mitarbeiter schmuggeln diverse Double-Feature-Vorstellungen ein. Ich habe mich zu festen Kategorien entschlossen, nach denen ich das Monatsprogramm für mich aufschlüsseln will.


Thema: Im Juni zelebriert Tarantino Musikgeschichte. Jede Woche läuft mindestens ein Konzertfilm. Santana, The Grateful Dead, Jimi Hendrix, The Who, Prince, James Brown, The Rolling Stones und Elvis Presley geben sich die Klinke in die Hand. Konzertfilme sind jetzt nicht wirklich meins, auch wenn ich zum Beispiel den gezeigten “Woodstock” kenne. Ich gebe sofort zu: Selbst wenn ich in Los Angeles wohnen würde, lockten mich diese Film nicht hinter dem Ofen vor.

Entdeckungen: Mein Krautploitation-Herz entflammte aber lichterloh, als ich in Quentin Tarantinos Monatsprogramm die Titel „The Mad Executioners“ und „The Monster of London City“ las. Dahinter verstecken sich nämlich zwei deutsche Edgar-Wallace-Krimis mit Hansjörg Felmy. Genauer genommen sind es zwei Bryan-Edgar-Wallace-Krimis.

Der raffinierte deutsche Filmproduzent Artur Brauner kaufte in den 1960er-Jahren kurzerhand einfach die Filmrechte an den Büchern des nur mild begabten Sohnes von Edgar Wallace auf. Er verpackte seine Filme in der Werbung, den Trailern und den ähnlichen Besetzungen und Inszenierungen so gut, dass er mit seinen Produktionen auf die Erfolgswelle der echten Edgar-Wallace Krimis aufspringen konnte. Teilweise konnten die Regisseure, die an den Ripoffs beteiligt waren, kreativer, visueller und experimenteller arbeiten (z. B. bei den Spaghetti Krimis von Argento, Lenzi, Franco oder Crispino). Was Tarantinos Auswahl besonders spannend macht: Berüchtigt ist zwar Quentins Kino-Zwischenruf bei der deutschen „Kill Bill“-Premiere, bei dem er den Edgar-Wallace-Regisseur Alfred Vohrer ein Genie nannte. Ansonsten ist aber weniger bekannt, welche Wallace-Krimis Tarantino gesehen hat und schätzt.

Was die Programmierung für mich auch stark aufwertet, ist, dass ich den Regisseur beider Krimis noch nie gehört habe. Er heißt Edwin Zbonek, ist Österreicher, leitete auch einige Zeit die Viennale in den 1970er-Jahren, aber seine Regiekarriere war doch recht kurz. Ich habe mir jetzt jedenfalls „Der Henker von London“ (1963) und „Das Ungeheuer von London-City“ (1964), die bestimmt back-to-back gedreht wurden, in mein Buch geschrieben. Auch, weil ich vor einiger Zeit dank Bastian Pastewka eine Paul-Temple-Hörspiel-Phase hatte und die Trailer beider Bryan-Edgar-Wallace-Krimis verdammt daran erinnern.

Überraschungen: Nicht so sehr überrascht, wenn auch freudig zur Kenntnis genommen habe ich die Doppelvorstellungen zu Sergio Corbucci und Robert Siodmak. Vom Italowestern-Meister zeigt Tarantino den Sandalenfilm „Duell der Titanen“ von 1961 mit Muckimann Steve Reeves und den Mantel- und Degenfilm „Der Mann mit der goldenen Klinge“ (1966). Im Robert Siodmak Noir laufen „Phantom Lady“ und „The Suspect“. Beiden stammen aus dem Kriegsjahr 1944. An ersteren habe ich verschwommene Erinnerungen dank meiner allerersten Film-noir-Phase. Auf beide Siodmak-Filme hätte ich jetzt große Lust, gerade wenn es sie irgendwo in guter Qualität zu sehen gäbe.
Bizarr ist Tarantinos Wahl bei seinem James-Coburn-Double-Feature. Er zeigt „Das Carey Komplott“, einen Blake-Edwards-Film aus dem Jahre 1972, der auf einem Michael-Crichton-Roman basiert (nie davon gehört) und den 1967er-Western „Waterhole #3“.

QT-Klassiker: Das New Beverly Cinema ehrt Alain Delon und Henry Verneuil mit der Doppelvorstellung „Lautlos wie die Nacht“ (1963) und „Der Clan der Sizilianer“. Ersterer wurde vor vielen Jahren auf Arte rauf und runter gespielt, zweiterer besitzt einen der schönsten Ennio-Morricone-Scores. Und mein Kinderherz hüpft höher, wenn ich die Matinee-Vorstellungen für den Juni sehe: Da laufen sage und schreibe die fantastische Tom-Hanks-Komödie „Big“, der Ghibli-Klassiker „Mein Nachbar Totoro“, „Die Braut des Prinzen“ und ein Snoopy-Cartoon auf Spielfilmlänge. Da können Eltern ihren Kinder für das ganze Leben eine Freude machen und sie gleich an einen erlesenen Filmgeschmack heranführen.

Links: - Edgar-Wallace-Krimis, - Alfred Vohrer, - New Beverly

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