Montag, 4. September 2017
Computer sagt Nein - Drehbuchanalyse in Hollywood

Die häufigsten Wörter im "Casablanca"-Script? Rick und Ilsa
Hollywood träumt von der genauen Berechnung des Erfolgs. Mit dem Multiverse, wie es Marvel betreibt, ist man dem schon recht nah gekommen. Aber gibt es auch Computerprogramme, die den Erfolg von Drehbüchern vorhersagen können? Redakteur Jörn Schumacher gibt einen Überblick.

Jedes Jahr werden in der Gewerkschaft der Autoren in der Film- und Fernsehindustrie in den USA mindestens 50.000 neue Drehbücher eingereicht. Davon setzen die Studios in Hollywood allerdings nur rund 150 im Jahr um, so dass sie auch wirklich auf der Leinwand landen. Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Drehbuch veröffentlicht wird, gerade mal 0,003 Prozent beträgt. Da muss schon alles stimmen, wenn sich ein Studio tatsächlich entscheidet, ein paar Millionen in eine Produktion zu stecken. Das Drehbuch sollte zumindest eine gewisse Sicherheit bieten, dass am Ende auch etwas dabei herumkommt.

Noch eine andere nette Statistik: 90 Prozent der Filme aus Hollywood sind ein Verlustgeschäft. Den eigentlichen Profit machen gerade einmal 6 Prozent der Filme. Wie schön wäre es da, ein Werkzeug an der Hand zu haben, das einem vorhersagt, ob ein Drehbuch etwas kann. Eine Glaskugel vielleicht. Oder eine Software?

Kann ein kalter Computer die heißen Emotionen eines Filmes berechnen? William Goldman, zweifacher Oscar-Gewinner, schrieb in seinen Memoiren im Jahr 1983: „Keiner weiß alles.“ Soll heißen: Niemand kann vorhersagen, ob ein Film gut oder schlecht läuft, ob er an den Kassen viel oder wenig Geld einbringen wird.

Schauen wir uns einige Extrem-Beispiele an: Der grelle Spielfilm „Avatar“ hat in der Produktion 237 Millionen Dollar gekostet, aber satte 2,7 Milliarden Dollar eingebracht. Hingegen kostete die Disney-Produktion „Milo und Mars“ (2011) 175 Millionen Dollar, spielte aber nur 39 Millionen ein, der Verlust betrug über 130 Millionen Dollar. Andere Beispiele für große Flops der (Hollywood-)Filmgeschichte: „47 Ronin“ (Keanu Reeves) brachte einen Verlust von 100 Millionen Dollar ein. „Lone Ranger" (Johnny Depp) 95 Millionen Dollar. Merke: Populäre Schauspieler allein sind keine Garanten für den Erfolg eines Films.
Der Computer als Wahrsager
Immer wieder versuchen findige Leute, einen Computer so zu programmieren, dass er voraussagen kann, ob ein Drehbuch den Aufwand und die Kosten lohnt, die Kameras anzuschmeißen. Aber wie soll man ein Drehbuch, das aus Wörtern, Sätzen, Emotionen und Beziehungen zwischen Menschen besteht, einem Computer verständlich machen?

Nun, man muss das Drehbuch irgendwie quantifizieren. Sprich: in Zahlen übersetzen. Denn nur Zahlen versteht der Computer. Die britischen Computerwissenschaftler Fionn Murtagh und Stewart McKie von der University of London haben sich 2008 mit dem Drehbuchautor Adam Ganz zusammengesetzt, um genau das zu tun.

Ein typischer Film hat 40 bis 60 Szenen, in denen die Handlung sich in irgendeiner Weise ändert, in der sozusagen „Mini-Geschichte“ erzählt wird. Eine Szene dauert im Schnitt (mit vielen Ausnahmen) zwei bis drei Minuten. Eine Sequenz wiederum besteht aus 2 bis 5 Szenen. Und schließlich fasst ein Akt mehrere Sequenzen zusammen; er macht die Makro-Struktur eines Films aus. Im Grunde könnte ein einzelner Akt schon für einen ganzen Film ausreichen. Die Länge der Szenen bestimmt den Rhythmus und das Tempo des Films. Man kann durch Veränderung des Tempos auf den Höhepunkt des Films hinarbeiten: Entweder durch Verkürzung der Szenendauer, oder indem man die Szene mit dem Höhepunkt sehr viel länger macht als alle davor.

Als zweites kann man die Wörter zählen, die in einem Drehbuch vorkommen. Da sind natürlich vor allem die Charaktere interessant, die man anhand ihrer Namen identifizieren kann.

Murtagh und McKie nahmen sich den Film "Casablanca" (1942) vor. Sie zählten: Er besteht aus 77 Szenen, und das Drehbuch enthält 6.710 Wörter. Der Algorithmus kann herausfinden, wie sich Konflikte zwischen Personen im Laufe des Plots verändern, indem er darauf achtet, wie häufig benutzte Wörter ihre Stellungen zueinander verändern. Die zwei häufigsten Wörter im Script von „Casablanca“ sind die Namen der Hauptfiguren: Rick und Ilsa. Die Software erkannte, wie sich diese beiden Wörter im Laufe der Handlung zueinander verhalten: Sie rücken immer wieder zusammen und driften dann wieder auseinander. Murtagh: „Es ist überraschend, wie gut das Ilsas widersprüchliche Gefühle widerspiegelt, wenn sie im Film abwechselnd von Rick angezogen wird und ihm dann auch wieder widersteht.“

Bei dieser Methode konzentriert man sich ja aber nur auf das nackte Drehbuch. Es fehlt die Magie der Kameraeinstellung, der Farben und der Kontraste, aber vor allem fehlt die auditive Komponente, die Musik. Autor Ganz erwidert, diese Aspekte seien in der Tat wichtig, aber die Produzenten hätten am Anfang ja nun einmal nur das Drehbuch, anhand dessen sie entscheiden müssen, ob sie ihr Geld investieren wollen oder nicht. „Drehbücher sind schon eine seltsame Sache“, sagt Ganz. „Sie werden bewertet, indem sie gelesen werden, aber wenn sie erfolgreich sind, werden sie nie wieder gelesen. Die Autoren können jede Hilfe gebrauchen, die sie bekommen können.“
Bowling kommt nicht so gut an
Auch der ehemalige Statistikprofessor namens Vinny Bruzzese wollte eine mathematische Vorhersage für Filme entwickeln. Er gründete die Firma „Worldwide Motion Picture Group“, und für 20.000 Dollar quetscht er ein Drehbuch auf Wunsch eines Kunden durch seinen digitalen Fleischwolf, um anschließend einen 20- bis 30-seitigen Bericht auszusprucken, der vorhersagt, wieviel Erfolg an den Kinokassen zu erwarten ist. Oder: an welchen Stellen das Drehbuch umgeschrieben werden sollte. Das Prinzip dahinter: Das Drehbuch wird verglichen mit ähnlichen Filmen, die bereits erschienen sind und achtet auf deren Erfolge, außerdem schließt er Umfragen unter 1.500 Personen mit ein, die die Filme bewertet haben.

Und so kann Bruzzese Aussagen treffen wie: „Dämonen in Horrorfimen können Menschen angreifen oder heraufbeschworen werden. Wenn der Dämon angreift, bekommt man wahrscheinlich höhere Einnahmen im ersten Wochenende nach dem Filmstart, als wenn der Dämon heraufbeschworen wird.“ Bruzzese fügt hinzu: „Also fort mit den Ouija-Brettern!“ Übrigens: Szenen, in denen Bowling vorkommt, kommen eher nicht so gut an, sagt die Statistik. Also besser nicht ins Drehbuch einbauen!

Der Drehbuchautor Ol Parker („The Best Exotic Marigold Hotel“) ist angesichts dieser Berechnung seiner Arbeit entsetzt: „Das ist mein größter Albtraum. Das ist der größte Feind der Kreativität.“ Der Filmproduzent Scott Steindorff wiederum findet Bruzzeses Arbeit super und hat seine Dienste für den Film “Der Mandant” (2011) in Anspruch genommen. Er ist überzeugt: „Eines Tages wird das jeder machen.“

Aber schon Befragungen nach Test-Screening können ziemlich in die Irre führen: Nach Bewertung des Test-Publikums etwa hätte “Fight Club” floppen müssen, doch er brachte über 100 Millionen Dollar weltweit ein. Übrigens: Ob die großen Hollywood-Studios die Software verwenden, bleibt wohl weiter ein Geheimnis. Anfragen der New York Times an sechs Studios wurden nicht beantwortet.
Der Computer, Dein Anlage-Berater
Auch der Marketing-Professor Josh Eliashberg analysierte mit Kollegen 281 Filme, die zwischen 2001 und 2004 herauskamen. Ihre Software war in der Lage, natürliche Sprache zu analysieren, außerdem setzte sie auf Befragung von Zuschauern. Um das System zu eichen, verwendeten sie 200 Filme. Anschließend ließen sie für 81 Filme vom System eine Vorhersage treffen, wie erfolgreich sie laufen würden. Ihr Modell lag in fast zwei Drittel der Fälle sehr gut. Von den 81 Filmen verwiesen sie auf 30, die besonders gut laufen würden. Und tatsächlich: Wenn die Filmstudios nur diese Filme produziert hätten, hätten sie 5,1 Prozent ihrer Investition sicher wieder reinbekommen – garantiert – und das ist für Investoren in der Filmindustrie sonst kaum zu haben. Zum Vergleich: Hätte man einfach zufällig 30 Filme ausgewählt und produziert, wären 18,6 Prozent der Investitionen futsch gewesen.
400.000 Eigenschaften eines Films berechnet
Eine israelische Firma namens Vault setzt ebenfalls auf künstliche Intelligenz, um dem Prinzip Hollywood auf die Schlichte zu kommen. David Stiff, Begründer von Vault, sagt, ihre Software analysiere bis zu 400.000 Eigenschaften eines Films. Das kann so etwas sein wie die Menge an Gewalt, die gezeigt wird. Der Algorithmus liegt angeblich mit einer Genauigkeit von 65 bis 70 Prozent richtig, wenn es um die Vorhersage des finanziellen Erfolgs eines Filmes geht. Am wichtigsten ist laut dem Israeli das Thema des Films. Nehme man das Thema bei der Vorhersage heraus, sinke die Vorhersagemöglichkeit drastisch.

Lag die Software denn auch schon einmal richtig falsch? Der Unternehmenschef antwortet, sein System habe zum Beispiel vorhergesagt, dass „Terminator Genesis“ (2015) ein großer Erfolg werden würde. Aber der Streifen war mit 90 Millionen in den USA verdienten Dollar eher mau. (Immerhin war er weltweit sehr erfolgreich und spielte 221 Millionen Dollar ein).
Bei „Passengers“ lag der Computer richtig
Die Firma „ScriptBook“ bietet für schlappe 100 Dollar einem Drehbuchautor die Möglichkeit, sein Drehbuch von der Software „Script2Screen“ testen zu lassen. Die Hersteller versprechen, dass eine Prognose abgegeben werden kann über den ungefähren finanziellen Erfolg des möglichen Films, eine Bewertung der Storyline und der Zielgruppen. Die Sofware greift zurück auf eine Datenbank mit Drehbüchern von Filmen aus den Jahren zwischen 1970 und 2016.

„Scriptbook“ wirbt mit einer perfekten Vorhersage, die sie vor kurzem machten: Ihre Software hatte das Drehbuch des Filmes „Passengers” analysiert und kam zu dem Ergebnis, der Filme würde 118,1 Millionen allein an amerikanischen Kinokassen einbringen. Das Ziel wurde fast erreicht: Laut „Box Office Mojo“ spielte der Film 100 Millionen Dollar ein. Auch eine durchschnittliche Zuschauerbewertung prognostizierte der Algorithmus: 7,3 von 10 Punkten sagte er voraus. Die tatsächliche Bewertung bei IMDB liegt bei 7,1.

Wer es mal selbst versuchen möchte: Es gibt viele Drehbücher im Internet zum Herunterladen, zum Beispiel bei der „Internet Movie Script Database“ (IMSDb): http://www.imsdb.com. Und wer jetzt selbst Lust bekommen hat, sich an einem eigenen Drehbuch zu versuchen, dem helfen viele kostenlose Programme.

Link: - Was der Trashfilm über seine Konsumenten aussagt

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Sonntag, 6. November 2016
"Willkommen bei den Hartmanns" erobert die Kinocharts-Spitze

"Sch'tis" + "Ziemlich beste Freunde" + "Monsieur Claude" = Jackpot?

Das generische Warner Brothers-Laufband hat seinen nächsten Hit gelandet: "Willkommen bei den Hartmanns" hängt sogar "Doctor Strange" ab.

Man nehme ein aktuelles Thema, etwa die Flüchtlingskrise, besetze die Schönlinge und Zuschauergaranten Elyas M'Barek und Florian David Fitz, nenne den Film so, als wäre er eine französische Hit-Komödie der vergangenen Jahre und schon hast du einen deutschen Publikumserfolg. Das klappt nicht immer, aber bei Simon Verhoevens neuem Film "Willkommen bei den Hartmanns", einer unfassbar generisch wirkenden Warner-Brothers-Komödie mit Til-Schweiger-Look und -Soundtrack hat das bestens funktioniert. Am ersten Wochenende läuft es wohl auf rund 485.000 Zuschauer hinaus.

Da ist auch eigentlich nichts Verwerfliches dran, wenn die Zuschauer nun einmal genau darauf anspringen. Ein bisschen Botox mit Uwe Ochsenknecht und Heiner Lauterbach, ein bisschen Romanze zwischen M'Barek und der Werbeikone Palina Rojinski und Sätze wie "Wir Deutschen sind immer noch so scheiß verkrampft über unsere eigene Identität, dabei sind wir ein freies, tolerantes Land". Mehr braucht's manchmal nicht. So hängt man dann auch US-Blockbuster wie "Doctor Strange" ab, der gerade in den USA rund 85 Millionen Dollar an seinem ersten Wochenende einspielte.

Der erfolgreichste deutsche Film des Jahres ist bisher "Bibi & Tina - Mädchen gegen Jungs" mit knapp 2 Millionen Zuschauern. Darauf folgt der Florian-David-Fitz-Film "Der geilste Tag" (1,7 Mio.) und der Karoline-Herfurth-Film "SMS für dich" (0,7 Mio.), die auch jeweils von Warner Brothers verliehen wurden. Coolerweise folgt dann schon "Toni Erdmann", den in Deutschland auch über 700.000 Menschen gesehen haben. Constantin Film hat dagegen ein mageres Jahr ohne eine neue "Fack Ju Göhte"-Fortsetzung.

Links: - Euro-Oscars für Erdmann, - Der Boxoffice-Schreck

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Dienstag, 19. Januar 2016
Kino-Experte prophezeit Rekordjahr 2016

Petersens Original "Vier gegen die Bank" aus dem Jahr 1976
Wie soll das denn noch zu toppen sein? Das deutsche Kinojahr 2015 war gepflastert mit gigantischen Blockbustern: Star Wars, Bond, Jurassic Park, Minions, Fack Ju Göhte, Fifty Shades of Grey, Fast & Furious 7 und die Tribute von Panem. Wenn es aber nach Boxoffice-Experte Markus Grab von der Branchenseite InsideKino geht, könnte das Kinojahr 2016 mindestens genauso erfolgreich, wenn nicht sogar noch erfolgreicher werden. Mit welchen Filmen denn bitte? Grab rechnet vor: 2015 könnte mit 141 Millionen Besuchern zwar das beste deutsche Kinojahr seit sechs Jahren werden. Damals lief noch der "Avatar"-3D-Craze. Das Kinojahr 2016 müsste seiner Meinung nach dagegen trotz Fußball-EM noch mehr Zuschauer erreichen, weil es unzählige mittlere Erfolge (1,5 bis 2,5 Millionen Zuschauer) und deutsche Überraschungshits aufbieten werde. Eine gewagte These, die den Kinobetreibern gefallen wird, die es aber auch zu überprüfen gilt.
Endlich wieder Independence Day, oder nicht?
Nicht "Batman Vs. Superman", "Warcraft" oder der neue Ghostbusters sollen 2016 in der Spitze die Kohlen aus dem Feuer holen, sondern die kinderfreundlichen Animationsfilme wie "Findet Dorie", "Ice Age 5" und "The Secret Life of Pets". Die mit Spannung erwartete Fortsetzung von "Findet Nemo" spekuliert Grab auf Platz eins der Jahrescharts mit sieben Millionen Zuschauern. Einer der ganz wenigen Filme, die da auch nur annähernd mithalten sollen, ist das Star Wars-Spinoff "Rogue One". Und es sind vor allem auch deutsche Produktionen wie die Allstar-Wolfgang-Petersen-Produktion "Vier gegen die Bank" mit den Publikumslieblingen Schweiger, Schweighöfer, Bully und Liefers, die Paroli bieten sollen.
Auch gibt Grab viel auf die Buddy-Gemeinschaftsproduktion von Matthias Schweighöfer mit Florian David Fitz, die "Der geilste Tag" heißen wird. Eine Armee von Fortsetzungen und Spinoffs lauert dahinter, die offenbar so zahlreich und konsequent produziert wurden, dass bloß nichts schief gehen kann. Bridget Jones bekommt ein Baby, Randy Quaid muss wieder die Erde am Independence Day retten und Marvel dehnt sein Superhelden-Universum bis in die Unendlichkeit aus. Das Motto lautet ganz nach Adenauer: Noch weniger Experimente. Aber hat man darauf als nur halbwegs normaler Kinozuschauer mit funktionierenden Geschmackszellen wirklich Lust. Die Studios glauben Ja.

Links: - Goldtopf voll Honig, - Bora, Boxoffice-Schreck

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Freitag, 16. Januar 2015
„Honig im Kopf“ wird Boxoffice-Phänomen

Warum immer ich, deutsche Filmkritiker? ("Der bewegte Mann")
Deutsche Filmkritiker hassen Til Schweiger. Das ist ein Fakt, ja mittlerweile eine Art Naturgesetz der Branche. Und wer es nicht tut, gerät schnell in den Verdacht, Gefälligkeitsjournalismus zu betreiben.

Til Schweigers Alzheimer-Komödie „Honig im Kopf“, die nach drei Wochen bereits 2,64 Millionen Zuschauer in die Kinos gelockt hat, beginnt jetzt in den Charts richtiggehend zu schweben. Klugerweise hatte sich Schweiger als Kinostart das Zeitfenster zwischen den Jahren ausgesucht. Da haben die meisten Menschen frei, die Kinos laufen vor Zuschauern über. Beeindruckende Zahlen lassen sich also deutlich einfacher erzielen. Aber nun, im trüben Januar, kommt es auf den Film selbst an. Was erzählen sich die Zuschauer, wird der Film weiterempfohlen? Wenn er nur von der Dauerbeschallung durch Trailer und Werbung künstlich getragen würde, fiele er spätestens jetzt in sich zusammen. Das Gegenteil ist bei „Honig im Kopf“ der Fall: Erste Zahlen besagen, dass das Ergebnis noch das letzte Wochenende übertrumpfen wird. 600.000 frische Zuschauer in drei Tagen, erzählt man sich. Schweiger hat einen Nerv getroffen. Es würde mich nicht wundern, wenn der Film letztlich in „Keinohrhasen“-Dimensionen (über 6 Mio. Zuschauer) landen würde.

These: Es ist heutzutage schick, Til Schweiger zu hassen. In den Augen der Filmkritiker gibt es auch triftige Gründe, mit Abscheu auf sein Werk zu blicken:

1) Wenn sie einen seiner Filme sehen wollen, können sie das nicht mehr kostenlos in der Pressevorführung tun, sondern müssen dafür an der Kinokasse bezahlen.

2) Viele seiner aktuellen Filme laufen sehr erfolgreich. Es gibt nicht viel, was in der deutschen Filmindustrie regelmäßig ein Publikum findet. Wenn man sich über Schweiger aufregt, kann man sicher sein, dass man Gehör und Leser findet.

3) Neuere Schweiger-Filme sehen ästhetisch alle gleich aus: ungefähr wie ein verfilmter Waldorfkindergarten, in ökologisch gut abbaubaren Farbfiltern. Irgendwie scheint da immer goldener Herbst zu sein. Schweiger besetzt auch immer die gleichen Schauspieler, meistens Freunde und Prominente und vor allem aber die eigenen Kinder. Nur seine Schauspielpartnerinnen wechselt er – wie in der Realität – gern und häufig.

4) Die Ironie für die eigene Filmfigur geht ihm meistens ab. Das müssen immer beruflich erfolgreiche Womanizer sein, deren einziger Makel das Fremdgehen ist. Wie kann man so einen süßen Schluri nicht lieben.

Dabei werden aber schnell die Qualitäten eines Schweigers vergessen oder bewusst verdrängt. Einen so unterhaltsamen und - angesichts der Thematik - so leichten Publikumsfilm über ein gesellschaftlich so relevantes Thema wie Alzheimer zu drehen, der dann auch noch Millionen von Menschen in die Kinos zieht, nötigt mir Respekt ab. Potenzielle sechs Millionen Menschen im Fernsehen bekommt man bei den Öffentlich-Rechtlichen fast automatisch durch die eingeschlafene Grundmasse an Zuschauern geschenkt, die nach der Tagesschau nicht umschalten wollen/können. Im Kino allerdings solche Dimensionen zu erreichen, ist eine ganz andere kulturelle Leistung. Hier wird die Lust und Leidenschaft für ein um Anerkennung kämpfendes Medium gelegt. Am lautesten lachten nämlich in meiner ziemlich gut besuchten Nachmittagsvorstellung die Kinder.

Und man muss erst einmal den Film schreiben, der dem altehrwürdigen Dieter Hallervorden solch eine tolle Bühne bietet. Klar, eigentlich war schon der wunderbare Film „Sein letztes Rennen“ Hallervordens „The Wrestler“. Ein Werk, mit dem es die einstige Ulknudel allen noch einmal zeigen konnte, dass er ein großer, fälschlich ignorierter Schauspieler ist, der im ernsten mindestens genauso gut wie im komischen Fach sein kann, wenn man ihn nur machen lässt. Aber was wäre dieser immer noch viel zu wenig beachtete Triumph wert gewesen, wenn Hallervorden nicht diese Links-Rechts-Kombination nachgelegt hätte. Umso so süßer schmeckt doch jetzt der Zuschauererfolg auf aller breitesten Ebene. Und hätte Schweiger nicht „Sein letztes Rennen“ gesehen, es hätte kein „Honig im Kopf“ gegeben. Schweiger hätte wahrscheinlich eher eine romantische Komödie für die Poetry-Slammerin Julia Engelmann geschrieben (Arbeitstitel: "Geistertölpel").

„Honig im Kopf“ ist ein typischer Schweiger-Film in dem Sinne, dass er viele schreckliche Manierismen des Filmemachers fortsetzt. Genannt seien nur einmal der alles verklebende, allzu seichte und belanglose Pop-Soundtrack, der mehr auf die Verkaufszahlen als auf die Atmosphäre schielt – und natürlich die katastrophal unsympathisch gezeichnete Motz-Ehefrau, die gegen den hilflosen Alzheimer-Patienten stänkert. Aber im Gegenzug hat er herrlich profane Dialoge voller Schimpfwörter, die nicht fürs Kino geschönt wurden. Er traut sich ehrlichen, hausgemachten Fäkalhumor, der den Film erdet. Er hat den grandiosen Hallervorden, dazu den natürlichen, weil eben auch schmerzvollen Umgang mit der Alzheimer-Erkrankung. Und dann natürlich solche Gedankengänge, wie sie die Tochter im Kloster formuliert. Das Kind leidet offensichtlich schwer unter den Konflikten der Eltern. Angesichts dessen erscheint ihr das Zölibat der Nonnen, die ihre Liebe ausschließlich Gott versprochen haben, als Treue-Akt geradezu vorbildlich und nachahmenswert zu sein. Mögen Schweigers Inszenierungen von Paar-Beziehungen durch seine rosarote Brille einseitig gefärbt sein – bei der Kinderperspektive auf diese zeigt sich Schweiger aber immer mal wieder als sensibler Beobachter.

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Montag, 9. Dezember 2013
Bora, der Boxoffice-Schreck

Dağtekin beeindruckt Opas Kino (Glas, Weitershausen)
Diese Woche wird Bora Dağtekins Spielfilm „Fack Ju Göhte“ den bislang erfolgreichsten Film an den deutschen Kinokassen 2013, „Django Unchained“, passieren und auf die fünf-Millionen-Zuschauermarke zusteuern. Grund genug, noch mal genauer zurückzublicken.

Das bekannteste Zitat zu den extrem populären „Lümmel von der ersten Bank“-Filmen der 1960er- und 1970er-Jahre, die den direkten Vergleich mit „Fack Ju Göhte“ aufgrund ihrer Ähnlichkeit geradezu heraufbeschwören, stammt wohl aus Robert Fischers und Joe Hembus‘ herausgegebenem Lexikon „Der Neue Deutsche Film 1960-1980“. Als „strategisch brillantes Rückzugsmanöver des Altfilms“ wurden die von Franz Seitz produzierten Filme entlarvt, die den „revolutionären Geist von 1968“ auffingen, domestizierten und zur Genugtuung der Kleinbürger diffamierten. Anstatt „Ho-Ho-Ho-Tschi-Minh“ skandierten die Schüler in „Zum Teufel mit der Penne“ zum Beispiel parodierend „Ho-Ho-Hosen runter!“ Unter deutschen Filmwissenschaftlern und Filmkritikern genießen die Pepe-Filme bis heute einen schlechten Ruf. Die Kritik arbeitete sich vor allem an der versteckten Ideologie ab: Die Karikaturen der Lehrer seien verstaubten Witzblättern entnommen, schrieben Seeßlen und Kling im „Großen Unterhaltungslexikon“. So seien in den Filmen Zustände einer satirischen Kritik unterworfen worden, die längst überwunden seien, um so das Überlegenheitsgefühl des Publikums zu stärken. Ich habe auf der einen Seite immer diese reine Ideologiekritik der linken Kritiker-Ikonen, die Opas Kino prinzipiell verdammten, für ihre Strenge bewundert. Auf der anderen Seite hielt ich sie doch nur für die halbe Wahrheit, weil eine antiquierte Geisteshaltung nicht automatisch zu einem schlechten Film führen muss, zumal ich die Pepe-Filme ziemlich liebe.

Der trottelige Hausmeister, den Hans Terofal mit seinen funny bones, eines Slapstick-Komikers der Stummfilmzeit würdig, so kongenial in allen Lümmel-Filmen spielte, erhielt etwa den Nachnamen Bloch. Gewiss war das ein weiterer Beweis für die Voreingenommenheit des Altfilms gegenüber der 68er-Bewegung, der auf diese Weise versuchte, den marxistischen Philosophen und geistigen Vater der Studentenbewegung, Ernst Bloch, zu verspotten. Aber das ist eben einer der entscheidenden Unterschiede zwischen damals und heute. Diese verstaubten Grabenkämpfe haben in „Fack Ju Göhte“ für den Regisseur und Drehbuchschreiber Dağtekin höchstens noch eine untergeordnete Rolle. Obwohl ich nur zu gerne gesehen hätte, wie der Protagonist Zeki Müller, der sich ursprünglich auf den Hausmeister-Job bewirbt, die hibbelige Bloch-Rolle neuinterpretiert hätte. Elyas M’Barek konnte ja bereits Erfahrungen als Pausenkiosk-Betreiber in „What a Man“ sammeln, was übrigens der interessanteste Aspekt im ansonsten indiskutabel schlechten Schweighöfer-Film war. Jedenfalls ist Dağtekins Namedropping in „Fack Ju Göhte“ deutlich sympathischer und spielerischer als in den Lümmel-Filmen. Bei ihm heißt seine aufsässigste Problemschülerin Chantal Akerman, wie die belgische Kunst-Queen, was auch dem Branchenblatt Hollywood Reporter (englischer Verleihtitel „Suck Me Shakespeer“) nicht verborgen blieb. Das kleine, wissende Kopfnicken Richtung Avantgarde verstehe ich zumindest nicht als Diss, zumal Chantal – großartig gespielt von „Lollipop Monster“- und „Kriegerin“-Darstellerin Jella Haase – am Ende des Films zu einer Art Musterschülerin mutiert, sondern als Verweis darauf, dass Dağtekin nicht vor hat, auch noch „Fack Ju Göhte Teil 6 – Betragend ungenügend“ zu drehen.
Die Crystal-Meth-Bowle
Dabei lassen sich in der „Fack Ju Göhte“-Handlung beinahe aus jedem Klassiker des reichhaltigen deutschen Schulfilm-Fundus Versatzstücke erkennen. Aus Filmen also, die die Figur Zeki Müller nie in seinem Vertretungsunterricht zeigen würde, weil sie vorrangig in die verbotene Kategorie „Schwarzweiß-Scheiß eurer Nazi-Großeltern“ fielen. Schon in „Die Feuerzangenbowle“ gibt sich der Schüler Pfeiffer mit drei F als Lehrer aus und karnevalisiert das Rollenverhältnis. In „Fack Ju Göhte“ ist der falsche Lehrer ein Kleinganove, der interessanterweise mit Hilfe von Nutten, Drogenjunkies und einer Hartz-4-Familie seine Chaos-Klasse wieder auf den rechten Pfad bringt. Der Erich Kästner-Klassiker „Das fliegende Klassenzimmer“ könnte mit dem titelgebenden Theaterstück als Gemeinschaft stiftendes Klassenprojekt Pate für die Modernisierung des Shakespeare-Stücks gestanden haben. Das Streiche-Repertoire der 10b aus „Fack Ju Göhte“ unterscheidet sich auch nur unwesentlich von den ollen Kamellen der „Lümmel von der ersten Bank“. Dunklere Momente wie der Selbstmord-Internet-Chat der jüngsten Schwester erinnern dagegen etwa an ein kleines Hark-Bohm-Meisterwerk wie „Moritz, lieber Moritz“. Die zahlreichen, geschickt im Hintergrund eingewobenen Mobbing-Vorfälle in „Fack Ju Göhte“ könnten wiederum auf „Die unendliche Geschichte“ verweisen.

Tatsächlich ist das Mobbing in „Fack Ju Göhte“ nur scheinbar im Hintergrund. Denn es ist vor allem Teil der Persönlichkeitsentwicklung der beiden Protagonisten, womit wir beim größten Trumpf des Films angekommen sind. Wenn man jedenfalls einmal davon absieht, mit welcher Leichtigkeit und Konzentration diese deutsche Komödie gebaut, inszeniert, geschrieben und gespielt ist. An Gustaf Gründgens‘ bleischwerem Qualitätscredo von der „Unterhaltung, aber mit Haltung“ ist sonst noch fast jeder gescheitert, wenn man in den letzten Jahrzehnten von solchen Glücksfällen wie „Der Wald vor lauter Bäumen“ absieht. Denn das Mobbing definierte Karoline Herfurths Lehrer-Figur Lisi Schnabelstedt, die in der Pubertät etwas kräftiger war und diese Unsicherheit bis heute mit sich herumträgt. In ihr blitzt auch die linke Geisteshaltung der 68er-Generation wieder auf, wenn sie als Besserwisser-Öko-Tante ein geheimes Wörterbuch für Jugendsprache führt, um sich auf Augenhöhe mit den kleinen Monstern unterhalten zu können, was ihr aber nur die Ignoranz der Schüler und Rempeleien auf dem Schulflur einbringt. Ihre wichtigste didaktische Mission scheint – ganz den Doktrin des Bildungsnazis Bastian Sick folgend – die Rettung des Genitivs zu sein, womit sie ebenso kläglich scheitert. Die altgewordenen 68er und ihre verzogenen Kinder sind ein Lieblingsmotiv Dağtekins, dem er bereits in der TV-Serie und dem späteren Kinofilm „Türkisch für Anfänger“ gründlich und mit viel Humor nachgegangen ist. Wie überhaupt sein neuer Kinofilm durchaus auteuristische Qualitäten in Figuren, Themen, Schauspielern und Stilmitteln zeigt. Aber es ist eben Dağtekins überzeichneter, nur insgesamt viel ehrlicherer und kenntnisreicherer Blick auf die Lehrer, die in früheren Jahrzehnten meist nicht mehr als Witzblatt-Karikaturen waren, die aus „Fack Ju Göhte“ einen großen Wurf machen.
Warum Katja Riemann?
Die Lehrer in „Fack Ju Göhte“ bestehen aus Fleisch und Blut. Sie haben Schwächen, Leidenschaften und Sehnsüchte, ob als frische Referendarin oder als alte, mit allen Wassern gewaschene Direktorin. Sie haben nicht nur Diebesbeute unter der Turnhalle liegen, die im Film für nette Heist-Ausflüge sorgen, sondern auch geheime Briefe an sich selbst verfasst, in denen sie sich Kinder wünschen, ohne dick werden zu müssen – und deshalb Lehrer wurden. Viel besser kann man doch den von der Gesellschaft heute eingeforderten Spagat moderner Frauen nicht zusammenfassen. Dağtekin stammt bekanntlich aus einem Lehrerhaushalt. Er hat dadurch nicht nur das Ohr für die gefeiert-authentische Jugendsprache, die er blockbustergerecht ausbeutet, sondern auch für die Leiden der Uschi Glas, die sich als völlig überforderte Lehrerin aus dem ersten Stock stürzt. Jene Uschi Glas, die in den Lümmelfilmen damals das Millionärstöchterchen Marion Nietnagel gab und jetzt quasi einmal das System durchlaufen hat und auf der anderen Seite unsanft wieder ausgespuckt wurde. Das gab es zwar bereits in Hollywood mit Matthew Broderick, der in „Ferris macht blau“ die Lehrer zur Weißglut trieb und in „Election“ selbst an einer Schülerin verzweifelte. Aber diese Geschichte wird nie alt, vor allem wenn sie deutsche Filmgeschichte auf so wunderbare Weise miteinander verbindet. Nur eins müssen Sie mir erklären, Herr Dağtekin: Warum besetzen Sie immer wieder Katja Riemann? Bitte sagen Sie, dass die Constantin Sie dazu zwingt! Aus freien Stücken kann das doch nicht geschehen. Oder ist das Ihr persönliches Briefgeheimnis, das unter der Turnhalle lagert?

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Freitag, 15. November 2013
Dağtekin überflügelt Schweiger & Schweighöfer
Deutscher Film "Fack Ju Göhte" mit Elyas M'Barek und Karoline Herfurth hat nach elf Tagen schon über 2,1 Mio. Kinobesucher.

Die Paukerkomödie "Fack Ju Göhte", die nicht nur wegen des filmgeschichtlich hochinteressanten Cameos von Uschi 'Nietnagel' Glas im besten Sinne an die Pepe-Filme der 1960er und 1970er-Jahre erinnert, schafft es ersten Trendzahlen nach, das zweitbeste Startwochenende des Jahres mit 900.000 Zuschauern an diesem Wochenende noch mal zu überflügeln. Es ist dieser selten erreichte Schwebezustand mit einem Quasi-Nullverlust an der Spitze der Kinocharts, der klar macht, dass sich nicht allein die kongeniale, dauerbeschallende Werbestrategie der letzten Monate für den Verleih Constantin ausgezahlt hat. Nein, "Fack Ju Göhte" gefällt offenbar den Zuschauern, er wird weiterempfohlen und entwickelt sich zu einem Boxoffice-Phänomen, dem die ansonsten immer dominierende Hollywood-Konkurrenz noch nichts entgegenzusetzen hat. Das Kräftemessen mit der Fortsetzung von "Die Tribute von Panem" in den kommenden Tagen wird deshalb umso gespannter erwartet. Aber vor allem die fallenden Temperaturen und die gemütliche Wärme des Kinosaals werden das Einspielergebnis zusätzlich befeuern.

Der Erfolg des Films kommt einer tektonischen Plattenverschiebung in der deutschen Filmindustrie gleich. In den letzten Jahren gab es eigentlich nur zwei große deutsche Player, die sich den Komödienmarkt brüderlich aufgeteilt haben: Til Schweiger und sein Ziehsohn Matthias Schweighöfer. Deren aktuelle Erfolgsprojekte "Kokowääh 2" und "Schlussmacher" wird "Fack Ju Göhte" innerhalb nur weniger Tage überflügelt haben. Von Florian David Fitz spricht da schon fast niemand mehr. Und Bully Herbig muss mit seiner Schutzengel-Komödie "Buddy", die dank Schweigers letztjährigen actiongeladenen "Schutzengel"-Bruchlandung keine gute Aura genießt, erst beweisen, dass ihn das Publikum abseits seines Klamauks aus der Bullyparade in einem capraesken Märchen à la "Otto - Der Außerfriesische" sehen will. Der "Fack Ju Göhte"-Regisseur Bora Dağtekin dagegen hatte schon letztes Jahr den erfolgreichsten deutschen Film des Jahres gedreht. "Türkisch für Anfänger" fand 2,4 Millionen Zuschauer und gehörte zu den zehn populärsten Kinofilmen 2012. Ja, sein Debütfilm basierte auf einer TV-Serie, was aber im Gegensatz zur Franchise-Strategie der Hollywood-Blockbuster nicht einmal ein Vorteil war. Die wundervolle ARD-Vorabendserie um die multikulturelle Familie Öztürk-Schneider zehrte drei Staffeln lang vor allem von seinen TV-Preisen und fand ein überschaubares, aber treues Publikum erst später über Wiederholungen in den Dritten Programmen und auf DVD.

Eigentlich müssten Agenturen aus Hollywood nach zwei solch riesigen Zuschauererfolgen anrufen oder zumindest einmal nachfragen, ob Dağtekin nicht Lust hätte, mit irgendeiner x-beliebigen Direct-to-DVD-Produktion um abgehalfterte Recken wie Matt LeBlanc und Eddie Izzard durchzustarten. Dann würden seine Hits zumindest nicht mehr den deutschen Marktanteil in die Höhe schrauben. Und bis er aus seinem Vertrag rauskäme, hätte er das Händchen für hitverdächtige Gags verloren und wäre nur noch ein Schatten seiner selbst. Wobei der Sprung vom Komödien-Regisseur über den großen Teich noch ungleich schwerer ist als der eines Genrespezialisten für Thriller oder Horrorfilme. Man denke nur an Til Schweigers wiederholte Versuche. Das Schlimmste, was Dağtekin in Deutschland widerfahren kann, ist, dass Niels Ruf seinen neuen Film von "Bad Teacher" abgekupfert sieht. Geht doch, oder? Wer ein großes Interesse daran haben müsste, dass Dağtekin hier weiter dreht, ist der Constantin-Chef Martin Moszkowicz. Seit Bernd Eichingers Tod floppten die deutschen Prestige-Projekte wie das Natascha Kampusch-Biopic "3096 Tage" oder die teuren internationalen Co-Produktionen wie "Chroniken der Unterwelt". Auch der neue, klobige Tarzan-Animationsfilm sieht aus, als würde er seiner Zeit hinterherhinken. Aber wer sagt denn, dass sich Bora Dağtekin nach dem sechs oder sieben Millionen-Blockbuster, auf den "Fack Ju Göhte" jetzt zusteuert, nicht selbstständig macht.

Nachtrag (17.11.): Der Sonntag-Trend deutet sogar darauf hin, dass "Fack Ju Göhte" schönerweise über eine Million Zuschauer am zweiten Wochenende haben wird. Auch die Otfried Preußler-Verfilmung "Das kleine Gespenst" schreibt derweil sehr erfreuliche Zahlen in den Kindervorstellungen und verbessert noch sein ordentliches erstes Wochenende.

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Donnerstag, 21. Februar 2013
Wie der Oscar-Bonus kaputt gemacht wurde
Es gab eine gar nicht so lange herseiende Zeit, da war es Tradition, zu versuchen, alle fünf oscarnominierten besten Filme vor der Verleihung zu schauen. Durch die Ausdehnung der Best Picture-Kategorie auf bis zu zehn Kandidaten wurde diese Tradition aber schwer beschädigt. Jetzt ist man bereits zufriedengestellt, wenn man überhaupt einen oder zwei Filme gesehen hat. Alle zehn schafft man jedes Jahr ja doch nicht. Dieser Wandel drückt sich auch am deutschen Boxoffice aus. Das Frühjahr ist eigentlich die Zeit, in der die Oscarfilme die Ernte einholen und weit über ihren ursprünglichen Erwartungen performen. Dieses Jahr ist davon keine Spur mehr: Steven Spielbergs Biopic "Lincoln" schafft nicht einmal eine halbe Million Besucher, Filme wie "Argo", "Silver Linings Playbook", "Beasts of the Southern Wild" oder "Zero Dark Thirty" erreichen im Verhältnis gesehen kaum noch messbare Zuschauerzahlen. Die Ausweitung der Kategorie mag den amerikanischen TV-Stationen zwar kurzfristig mehr - vor allem junge - Zuschauer gebracht haben, dem weltweiten Einspielergebnis an den Kinokassen hat es indes geschadet, weil die Aufmerksamkeit auf zu viele Filme verteilt ist und damit unwirksam wurde. Klar, es gibt unter den nominierten Filmen auch zwei echte Blockbuster, nämlich "Django Unchained" und "Life of Pi". Gerechterweise muss man da aber sagen, dass die beiden Filme quasi unabhängig vom Oscar-Buzz funktioniert haben. Der eine wegen seines Regisseurs, der andere wegen seiner Buchvorlage und des 3D-Effekts. Wenn den Machern daran gelegen ist, dass nominierte Filme von der größtmöglichen Anzahl an Menschen weltweit gesehen werden, sollten sie zum alten System zurückkehren. Ich habe dieses Jahr auch gerade mal zwei Filme ("Django Unchained", "Zero Dark Thirty") geschaut und nur minimales Interesse, das bis zur Verleihung noch zu ändern.

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Samstag, 2. Februar 2013
Django & Schlussmacher rocken die Charts
Die Italo-Ikone und der aktuell erfolgreichere Schweiger lassen den Euro-Blockbuster "Ziemlich beste Freunde" schnell vergessen

Da brauchte es nur Quentin Tarantino, um die Idee der 1960er-Jahre zu reaktivieren, dass Filme, die einen Django im Titel tragen, gleich mehrfach so gut im Kino einschlagen. "Django Unchained", das war nach dem ersten Wochenende klar, wird Tarantinos erfolgreichster Film in Deutschland werden. Das dritte Wochenende (535k) indes deutet an, dass bei drei Millionen Zuschauern noch nicht Schluss sein muss. Das ist umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass es in Europa generell einen recht ekligen unterschwelligen Rassismus an der Kinokasse gegen Filme mit nicht-weißen Hauptdarstellern gibt. Auch fasziniert mich Matthias Schweighöfers Erfolgsserie. Seit "Friendship" jagt bei ihm ein Hit den nächsten: "What a Man", "Rubbeldiekatz", "Russendisko" und jetzt eben "Schlussmacher". Leider ist dabei aber Schweighöfer kein echtes Regietalent. Er hat angekündigt, dass die RomComs nur der Anfang seiner Regiekarriere wären und er auch andere Genres ausprobieren will. Hört, hört. Das glaube ich aber erst, wenn ich es sehe. Was mich dagegen bei ihm sehr anspricht, ist sein Ansatz, groß zu denken. Er hat den Erfolg, die Kohle und die Ambition, Hollywood eines Tages mit Großproduktionen trotzen zu wollen. Sicherlich wird er kein neuer Luc Besson werden, der ein eigenes teures Filmstudio hochziehen wird. Doch sein Ehrgeiz gefällt mir. Sein "Schlussmacher" schwebt aktuell in den Kinocharts leichtfüßig auf die zwei-Millionen-Grenze zu (285k). Was passiert dann erst, wenn er eine richtig gute RomCom wie "Keinohrhasen" auf die Beine stellt.
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By the way: Wunderschöne Aussichten für das deutsche Erfolgsgenre Kinderfilm: Die Fortsetzung der "Fünf Freunde" schlägt ein (200k). Und auf der Lauer für die nächsten Wochen liegen die vielversprechenden Kandidaten "Rubinrot" und "Ostwind". Letzterer greift mit seinem Pferdemotiv bereits Detlev Bucks neuem Projekt "Bibi und Tina" voraus, der Verfilmung des Kinderhörspielklassikers um die kleine Hexe und ihren Reiterhof-Ferien. Das könnte dann ein neues erfolgreiches Subgenre werden. Mitte der 1950er-Jahre war es nämlich das letzte Mal, als Pferdefilme zu Blockbustern wurden: Sie hießen damals unter anderem "Meines Vaters Pferde" und "Die Mädels vom Immenhof".
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Die erfolgreichsten dt. Kinderfilme der letzten 5 Jahre:

01. Wickie und die starken Männer (Bully, Constantin) - 4,94 Mio.
02. Wickie auf großer Fahrt (Christian Ditter, Constantin) - 1,79 Mio.
03. Konferenz der Tiere (Klooss & Tappe, Constantin) - 1,51 Mio.
04. Hexe Lilli (Stefan Ruzowitzky, Columbia) - 1,26 Mio.
05. Fünf Freunde (Mike Marzuk, Sam Film) - 1,05 Mio.
06. Wilden Hühner u. d. Leben (Vivian Naefe, Constantin) - 1,00 Mio.
07. Prinzessin Lillifee (Niebuhr & Simpson, Caligari Film) - 0,90 Mio.
08. Hanni & Nanni (Christine Hartmann, Ufa Cinema) - 0,87 Mio.
09. Hanni & Nanni 2 (Julia von Heinz, Ufa Cinema) - 0,85 Mio.
10. Vorstadtkrokodile 3 (Wolfgang Groos, Rat Pack) - 0,79 Mio.
11. Vorstadtkrokodile (Christian Ditter, Rat Pack) - 0,78 Mio.
12. Vorstadtkrokodile 2 (Christian Ditter, Rat Pack) - 0,70 Mio.
13. Hexe Lilli 2 (Harald Sicheritz, Columbia) - 0,68 Mio.
14. Die Vampirschwestern (Wolfgang Groos, Columbia) - 0,67 Mio.
15. Prinzessin Lillifee 2 (Niebuhr & Weiland, Caligari Film) - 0,63 Mio.

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Montag, 5. Oktober 2009
Deutsche Hits der letzten Jahre in Frankreich
01. Das Leben der Anderen - $10,8 Mio.
02. Goodbye Lenin - $8,6 Mio.
03. Der Untergang - $6,4 Mio.
04. Das Parfum - $6,2 Mio.
05. Die drei Räuber - $4,2 Mio.
06. Auf der anderen Seite - $3,9 Mio.
07. Die Welle - $1,8 Mio.
08. Urmel aus dem Eis - $1,6 Mio.
09. Vier Minuten - $1,3 Mio.
10. Die große Stille - $1,1 Mio.

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Sonntag, 4. Oktober 2009
Erfolgreichste deutsche Spielfilme in den USA
01. Die unendliche Geschichte - $20.158.808
02. Das Boot - $11.487.676
03. Das Leben der Anderen - $11.286.112
04. Lola rennt - $7.267.585
05. Nirgendwo in Afrika - $6.177.192
06. Hitlerjunge Salomon - $5.575.738
07. Der Untergang - $5.509.040
08. Die Fälscher - $5.488.570
09. Paragraph 218 Wir haben abgetrieben ... - $5.000.000
10. Christiane F. - $4.700.000

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