Montag, 27. August 2018
Bully for Oscar? Welche deutschen Filme noch im Oscarrennen sind

Bully macht Geschichtsepos: „Ballon“ ist unter den letzten elf Kandidaten

Wer vertritt Deutschland ab Donnerstag bei den Oscars? Florian Henckel von Donnersmarck, Thomas Stuber, Christian Petzold, Bully Herbig oder die einzige Frau im Aufgebot?

Am Donnerstag wird bekannt gegeben, welcher Film Deutschland in der Kategorie „bester fremdsprachiger Film“ beim Oscar vertritt. Wer folgt auf Fatih Akins „Aus dem Nichts“, der es vergangenen Dezember immerhin auf die Shortlist der Academy Awards schaffte und einen Golden Globe gewann? Ein potenzieller Nachfolger wäre Florian Henckel von Donnersmarcks Comeback „Werk ohne Autor“, der im Wettbewerb von Venedig seine Weltpremiere feiert. Wenn er da nicht völlig verrissen wird, hat dieser Startplatz international die größte Strahlkraft. Der Venedig-Wettbewerb ist dieses Jahr mehr wert als Cannes.

Auch noch in der Vorauswahl dabei sind von der Berlinale das Romy-Schneider-Biopic „Drei Tage in Quiberon“, Thomas Stubers „In den Gängen“, „Das schweigende Klassenzimmer“ und Christian Petzolds „Transit“. Stubers meisterliche Großmarkt-Studie hätte den Vorteil, dass er international schon Anklang gefunden hat, wohingegen „Transit“ bei ausländischen Kritikern eher durchgefallen war. „Drei Tage in Quiberon“ war mit sieben Auszeichnungen der große Abräumer beim deutschen Filmpreis.

Weiter dabei unter den letzten elf Kandidaten und in der Verlosung ist der Filmfest-München-Eröffnungsfilm „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“, Robert Schwentkes „Der Hauptmann“, der seine Weltpremiere in Toronto feierte, „Die Unsichtbaren“ über die letzten Juden, die sich in den 1940er-Jahren in Berlin versteckten, das Roadmovie „Simpel“ und der internationale Animationsfilm „Teheran Taboo“.
Darf Bully Herbig ran?
Die größte Überraschung ist Michael Bully Herbigs neuer Film „Ballon“ über die Flucht zweier Familie aus der DDR in den Westen. Das ernste Geschichtsepos mit Schauspielern wie Friedrich Mücke, Karoline Schuch, Alicia von Rittberg und David Kross bei den Oscars dabei zu haben, wäre wohl Bullys großer Traum. Ein bisschen zu wünschen wäre es ihm ja, dass er nach einigen bizarren Fehlgriffen wie „Zettl“, „Buddy“ oder „Vier gegen die Bank“ zumindest wieder einen leidenschaftlichen Kinotraum auf die Leinwand hinbekommen hat.

Die Liste (elf Kandidaten):

* 3 TAGE IN QUIBERON (Emily Atef)
* BALLON (Michael Bully Herbig)
* DER HAUPTMANN (Robert Schwentke)
* IN DEN GÄNGEN (Thomas Stuber)
* MACKIE MESSER – DER DREIGROSCHENFILM (Joachim A. Lang)
* DAS SCHWEIGENDE KLASSENZIMMER (Lars Kraume)
* SIMPEL (Markus Goller)
* TEHERAN TABU (Ali Soozandeh)
* TRANSIT (Christian Petzold)
* DIE UNSICHTBAREN (Claus Räfle)
* WERK OHNE AUTOR (Florian Henckel von Donnersmarck)

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Lanthimos' „The Favourite“ läuft in Hamburg

Emma Stone in „The Favourite“ | © 2018 Twentieth Century Fox Film Corporation. All Rights Reserved.
So langsam werden die Karten für das Filmfest Hamburg aufgedeckt: Der isländische Eröffnungsfilm „Gegen den Strom“ steht, wird aber überstrahlt durch die Premiere von Yorgos Lanthimos' Film „The Favourite“.

Der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos und das Filmfest Hamburg führen eine innige Beziehung: Nachdem bereits „The Lobster“ und „The Killing of the Sacred Deer“ auf dem Festival in Deutschland gezeigt wurden, läuft sein neuestes Werk „The Favourite“ auch in der Hansestadt. „In seinem Historienfilm entspinnt Lanthimos ein dichtes Netz von Intrigen, Neid und Verrat am englischen Hof des 18. Jahrhunderts“, schreibt das Filmfest Hamburg, das vom 27. September bis 6. Oktober stattfindet. In den Hauptrollen zu sehen sind Olivia Colman, Emma Stone, Nicholas Hoult und Rachel Weisz.

Nach seiner Weltpremiere in Venedig ist „The Favourite“, der bereits als Oscarkandidat gehandelt wird und eines der heißesten Kinotickets des Herbstes ist, nur wenige Wochen danach in Hamburg zu sehen. Der Film läuft in der Sektion Kaleidoskop und kommt voraussichtlich am 3. Januar 2019 durch den Verleih Twentieth Century Fox deutschlandweit in die Kinos. Der erste Trailer erinnert an Kubricks „Barry Lyndon“, die scharfen Aristokratie-Satiren eines Jonathan Swift und die britischen Komödiengiganten Richard Lester und Ken Russell. Es ist das erste Drehbuch, das Lanthimos nicht selbst, sondern Deborah Davis und Tony McNamara geschrieben haben.
„Bella Martha“-Regisseurin in Hamburg
Auch sehr spannend ist der zweite Film, den das Filmfest Hamburg für die deutsche Sektion Große Freiheit bekannt gegeben hat: Nach Aline Chukwuedos Debütwerk „Ella & Nell“ ist Sandra Nettelbecks Komödie „Was uns nicht umbringt“, der in Locarno seine Weltpremiere auf der Piazza Grande feierte, der nächste Kandidat auf die 25.000 Euro Preisgeld. Der Film erzähle von „melancholischer Heiterkeit, Sinnkrisen und Herzensangelegenheiten in der Mitte des Lebens“. Die Hauptrollen spielen August Zirner, Johanna ter Steege und Barbara Auer. „Was uns nicht umbringt“ wird vom Verleih Alamode am 15. November in die deutschen Kinos gebracht.

Eröffnet wird das Filmfest am 27. September von dem isländischen Film „Gegen den Strom“. Der Film von Benedikt Erlingsson erzählt von einer Öko-Terroristin, die gleichzeitig einen Chor leitet und ein Kind aus der Ukraine adoptieren will. Das Drama hatte seine Weltpremiere bei der Woche der Kritik auf dem Filmfestival in Cannes.

Das Filmfest Hamburg findet vom 27. September bis 6. Oktober statt. Das komplette Programm wird am 11. September bekannt gegeben.

Links: - „Ella & Nell“| - Podcast 2017 | - Geheimtipp „Leto“

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Samstag, 25. August 2018
3sat zeigt vergessenes Käutner-Meisterwerk „Schwarzer Kies“

Helmut Wildt in „Schwarzer Kies“ | © ZDF, Gabriele Du Vinage
Der Sender 3sat setzt im September auf deutschsprachige Nachkriegsperlen wie den genialen Film noir „Schwarzer Kies“.

Im September präsentiert der Sender 3sat sieben Schätze aus dem deutschen, österreichischen und Schweizer Nachkriegskino. Das Highlight dürfte Helmut Käutners Film „Schwarzer Kies“ sein, der am 7. September um 22.25 Uhr ausgestrahlt wird. Das Meisterwerk über die dunklen Machenschaften eines Kiesfahrers im Hunsrück wurde im Jahr 2016 in der Retrospektive „Geliebt und verdrängt: Das Kino der jungen BRD von 1949 bis 1963“ auf dem Filmfestival in Locarno international wiederentdeckt. Das Deutsche Filmmuseum brachte diese epochale Filmschau dann nach Deutschland.

Zu den weiteren Werken, die 3sat programmiert hat, gehören Harald Brauns „Der gläserne Turm“ (09.09., 16.50 Uhr) nach dem Roman von Wolfgang Koeppen, die internationale Co-Produktion „Die Vier im Jeep“ mit Ralph Meeker (04.09., 22.35 Uhr), die im Jahr 1951 den Goldenen Bären in Berlin gewann, und Georg Wilhelm Pabsts Hitler-Film „Der letzte Akt“ (05.09., 22.25 Uhr). Alle Filme findet man auf der Seite von 3sat.

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Samstag, 11. August 2018
NSU-Film „Wintermärchen“ kontrovers in Locarno aufgenommen

Lars Eidinger (l.) in „Wintermärchen“ | © Heimatfilm
Bei Jan Bonnys neuem Film „Wintermärchen“ gehen die Meinungen im Wettbewerb von Locarno weit auseinander. Egal, ob negativ oder positiv – die Texte klingen nach einem spannenden Werk über die rechtsradikale Terrorzelle NSU.

Jan Bonnys Film „Wintermärchen“ ist der enzige deutsche Beitrag im internationalen Wettbewerb von Locarno. Er feierte seine Weltpremiere am Freitag, einen Tag, bevor das Festival zuende geht. Ein bisschen schade, könnte man denken, weil die spät gezeigten Werke auf Festivals nicht mehr das ganze Rampenlicht abbekommen. „Es gab keine Möglichkeit, den Film früher zu programmieren“, sagt Festivalchef Carlo Chatrian auf Twitter: „Der Regisseur musste sich beeilen, um ihn rechtzeitig für Locarno fertigzubekommen.“ Das mit heißer Nadel fertiggestrickte „Wintermärchen“ sorgt aber trotz des Termins für Aufregung.

Im Film geht es um Becky, Tommi und Maik, die eine rechtsradikale Terrorzelle gründen. In den Untergrund abgetaucht träumen sie von deutschlandweiter Bekanntheit. Es entspinnt sich eine komplexe Beziehung aus Liebe, Hass und Freundschaft, die zu Zerstörung und einer Serie von Gewaltverbrechen führt. Die Hauptrollen spielen Thomas Schubert, Ricarda Seifried und Jean-Luc Bubert. Regisseur Christian Schwochow („Bad Banks“) drehte über die gleiche Thematik im Jahr 2016 „Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“ als Teil der NSU-Trilogie der ARD. Fatih Akin widmete sich dem Thema im vergangenen Jahr mit seinem Golden Globe prämierten Film „Aus dem Nichts“.
„Ein unbedingt hässlicher Film“
Von großem Lob bis zum totalen Verriss ist unter den ersten Reaktionen zu „Wintermärchen“ in Locarno alles dabei. Das ist dann immer der seltene Fall, dass deutschsprachige Publikationen schneller arbeiten als die Trade Press. Hannah Pilarczyk schreibt zum Beispiel bei Spiegel Online, dass gegen Jan Bonnys neuen Film sogar der dauergefeierte argentinische 14-Stünder „La Flor“ verblasst: „Wintermärchen ist ein unbedingt hässlicher Film, ein grenzenlos hässlicher Film.“ Das meint die Kulturredakteurin als Kompliment. Ähnlich begeistert ist Frédéric Jaeger auf critic.de: „Mit brutaler Klarheit und faszinierender Lebhaftigkeit setzt uns Bonny diesem Gefüge aus, wirft uns in die banale Intimität der Gestörten.“

Kritischer betrachtet den Film die Schweizer Presse. Michael Sennhauser vom SRF schreibt zum Beispiel: „Mit der plakativen, pornografischen Reduktion erinnert Jan Bonnys Film an die schlechteren Fassbinder-Epigonen, auch wenn der Irrsinn der emotionalen Unlogik hin und wieder schlagend gefasst wird.“ Für ihn leistet das Werk inhaltlich nicht viel mehr, als das, was der Ärzte-Song „Schrei nach Liebe“ bereits 1993 getan hat. Noch härter ins Gericht geht mit „Wintermärchen“ die NZZ-Kritikerin Denise Bucher auf Twitter: „Wintermärchen ist der Tiefpunkt im Wettbewerb des Festival von Locarno. Das Drama dient dem Regisseur als Mittel, um sich selbst als Provokateur zu inszenieren. Die Auseinandersetzung mit Rassismus bleibt bloße Behauptung.“

Zusammenfassend lässt sich festhalten: „Wintermärchen“ von Jan Bonny hat die Kritiker nicht kalt gelassen. Gegensätzliche, leidenschaftlich vertretene Ansichten zu einem Film machen diesen letztlich nur interessanter. Bonnys TV-Film „Über Barbarossaplatz“ war bereits äußerst faszinierend gelungen. Die Weltvertriebsrechte an „Wintermärchen“ hat sich The Match Factory gesichert. Produziert wurde der Film von Bettina Brokemper von Heimatfilm („Wild“, „The House That Jack Built“). Der amerikanische Regisseur Sean Baker („The Florida Project“), der in der Jury für den Locarno-Wettbewerb saß, schreibt über „Wintermärchen“ bei Letterboxd: „Starke Regie, Schauspielleistungen und Kamera. Ich hoffe, dass der Film einen Verleih bekommt, weil er definitiv Diskussionen hervorrufen wird.“

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Freitag, 10. August 2018
Locarno 2018: „Trote“ (Xacio Baño)

María Vázquez in „Trote“ | © Frida Films
Der Spanier Xacio Baño erzählt in seinem Debütfilm „Trote“ atemberaubend schön vom tristen Alltag einer Familie, die wegen eines Schicksalsschlags auseinanderzubrechen droht. Vielleicht ist das aber für alle Beteiligte auch besser so.

Xacio Baños spanischer Debütfilm „Trote“ schildert in unfassbar atmosphärischen Bildern den Zerfall einer Familie in der Küstenregion Galicien nahe der Hafenstadt Vigo. Teil des Vergnügens und der inneren Spannung ist es dabei, selbst herauszufinden, wie die Personen zueinander stehen und was überhaupt passiert. So viel sei gesagt: Es gab einen Autounfall, bei dem die Mutter verstarb und sich die erwachsene Tochter Carme (fantastisch: María Vázquez) verletzte. Gleichzeitig steht das Rapa das Bestas an, ein jahrhundertealter galicischer Brauch, bei dem in der ersten Juliwoche die Wildpferde aus den Bergen hinabgetrieben, geschoren und markiert werden. Der Vater ist für das Erhitzen der Brandzeichen zuständig.

Das Werk feierte seine Weltpremiere am 8. August in der Sektion Concorso Cineasti del presente auf dem Filmfestival von Locarno. Regisseur Baño inszeniert sehr eigen und auch reif, hat bereits eine ausgeprägte Bildsprache. Das Fundament, von dem aus er erzählen will, ist noch relativ dünn. „Trote“, was übersetzt „Trab“ bedeutet, geht unter 83 Minuten. Aber wie er die angerissenen Biografien und Konflikte der Figuren erzählt, ist sehr kunstvoll und mit der Leichtigkeit eines erfahrenen Auteurs inszeniert. Bei ihm wird der Gang durch ein Kornfeld sinnlich erfahrbar, wenn er seine Protagonisten auf Hüfthöhe filmt. Die eine Hälfte des Bildes hängt im Feld, die andere Hälfte klebt an den Hüften seiner Figuren. Als ob er die Hand des Zuschauers über das Feld streicheln lässt.

Die verschrobene Familie ist wortkarg. Die Dialoge sind eigentlich die Blicke untereinander oder eben die fehlenden Blicke, wenn sie abgehackt miteinander reden. So wie die Zeit in diesem Dorf stehen geblieben ist, so brechen die alten Strukturen der Familie nur sehr langsam und unter lautem Ächzen und Stöhnen auf. Der 35-jährige Baño ist ein Regisseur, den es zu beobachten gilt. Er bringt eine erstaunliche visuelle Erzählgabe mit. Bei ihm haben Besäufnisse auf schlichten Dorffesten bereits einen existenzialistischen Anklang. Er bringt atemberaubende Schönheit und herzzereißende Tristheit gekonnt zusammen. „Trote“ ist ihm schon sehr sehenswert gelungen.

Link: - Empfehlung „Sophia Antipolis“ | - Chatrians Geschmack

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Donnerstag, 9. August 2018
Weitere Cannes-Schwergewichte auf dem Filmfest Hamburg

Der Filmtitel "Leto" heißt übersetzt "Sommer"

Der russische Überaschungserfolg in Cannes, "Leto", und das neue Werk von Jafar Panahi laufen auf dem Filmfest Hamburg.

Nachdem bereits die Filme "Dogman" und "The Wild Pear Tree" aus dem Cannes-Wettbewerb für das Filmfest Hamburg im September gemeldet wurden, gibt es jetzt Nachschub. Auch Kirill Serebrennikovs Cannes-Geheimtipp "Leto" kommt in die Hansestadt. Der Film fühle sich an wie Traumurlaub mit wundervollem Soundtrack, schreibt das Filmfest: "Auf bestechend charmante und unbeschwerte Weise nimmt der Film die Zuschauer mit in den Musik-Underground von Leningrad zu Beginn der 1980er-Jahre, in eine Welt, in der die unbändige Leidenschaft für Rock und Pop im Lebensmittelpunkt steht, in der der Schwarzmarkt um Platten von David Bowie und T-Rex boomt." Regisseur Serebrennikov steht seit dem 22. August 2017 unter Hausarrest in Russland. Den Film drehte er über Regieanweisungen per Skype.

Der zweite jetzt bekannt gegebene Film aus Cannes heißt "Three Faces" und ist von Jafar Panahi. Der hat Berufsverbot seit 2010, was den Iraner aber nicht davon abhält, regelmäßig neue Werke auf die Filmfestivals dieser Welt zu schmuggeln. "Der Film erzählt von drei iranischen Schauspielerinnen in unterschiedlichen Karrierephasen und den Schwierigkeiten, die sie haben, ihren Beruf auszuüben", schreibt das Filmfest. Weitere mögliche Kandidaten aus dem Wettbewerb von Cannes wären aufgrund ihrer deutschen Starttermine oder der Präferenz des Filmfests: "Sorry Angel", "Image Book", "Cold War" und "Knife + Heart".

Das Filmfest Hamburg findet vom 27. September bis 6. Oktober statt. Das komplette Programm wird am 11. September bekannt gegeben.

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Montag, 6. August 2018
Locarno 2018: „Sophia Antipolis“ (Virgil Vernier)

Lilith Grasmug in „Sophia Antipolis“| © Kazak Productions
Der französische Regie-Geheimtipp Virgil Vernier hat endlich einen neuen Film herausgebracht. Auf dem Filmfestival von Locarno erzählt er in „Sophia Antipolis“ poetisch-melancholisch vom Schicksal eines ermordeten Mädchens.

Beim Regisseur Virgil Vernier („Mercuriales“) stehen oft junge Frauen im Mittelpunkt des Geschehens. Gleichzeitig sind seine Werke melancholische, sehnsuchtsvolle Zustandsbeschreibungen einer französischen Gesellschaft, die sich in den Protagonisten spiegelt. In Verniers neuem Film „Sophia Antipolis“, der am 3. August seine Weltpremiere in Locarno gefeiert hat, ist die junge Frau, um die es geht, bereits tot. Ihre Leiche konnten die Polizisten in einem Bürogebäude des Technologieparks in der Nähe von Nizza nicht mal mehr auf die genaue Todesursache untersuchen. Denn es war nur verbrannte Asche zurückgeblieben.

In kreisförmigen, nicht sofort nachvollziehbaren Erzählbewegungen nähert sich Vernier dem Schicksal des Mädchens: Zuerst zeigt er scheinbar dokumentarische Aufnahmen von Frauen, denen ein Schönheitschirurg umgehend die Brüste vergrößern lassen soll. Denn die Ermordete, die den Namen Sophia trägt, war auch an solch einer Operation interessiert. In einer anderen Episode begegnet der Zuschauer einer mit 19 Jahren nach Frankreich ausgewanderten Vietnamesin. Über eine Beziehungsvermittlung geriet sie an einen deutlich älteren, gut situierten Freund, der aber verstarb. Jetzt thront sie in dem von ihm vererbten Apartment über der Stadt. Ihr leeres Leben beginnt sich zu füllen, als sie bei einer Art Sekte mitmacht, die das Ende der Welt voraussagt. Einen der schönsten Tage hat sie, als sie mit einem Gemeindemitglied von Tür zu Tür geht, fortwährend abgewiesen wird und am Abend gemeinsam ein Eis am Strand isst.
Aus Träumen wurden echte Alpträume
Vernier zeichnet diese Mini-Porträts pointiert, gibt uns kurze Schlaglichter auf das trübe Leben in diesem Ort, der mit seinem malerischen Strand und den zahlreichen Industriefirmen einmal als leuchtendes Beispiel des technischen Fortschritts gedacht war. Hier werden aus Träumen noch echte Alpträume.

Für den Zuschauer gibt es immer wieder kleine Hinweisbrocken zum möglichen Schicksal des toten Mädchens über die Biografien der Menschen, die auch im Technikpark Sophia Antipolis leben. Dabei ist es angenehmerweise immer recht schwer zu unterscheiden, was davon gespielt (wohl das meiste) oder in einem günstigen Moment aufgenommen wurde. Es gibt zum Beispiel eine bizarr faszinierende Präsentation von Schwerterkopien aus „Der Herr der Ringe“, die allein schon das Eintrittsgeld wert ist. Auch nimmt der Film den Zuschauer mit in eine Clique von gestählten Sicherheitsbeamten, die sich zu einer rücksichtslosen Bürgerwehr aufschwingen.

„Sophia Antipolis“ hat als Film einen starken Nachhall. In seinen Atmosphären und Bildern sagt er mehr über die Menschen und ihre emotionale Verfassung aus, als sie es in Dialogen selbst ausdrücken könnten. Seine Stimmungen sind so zerbrechlich wie seine Figuren. Das galt schon für den vor vier Jahren herausgekommenen „Mercuriales“, der von zwei Rezeptionistinnen in einem Pariser Vorort erzählte. Verniers Filme funktionieren eher wie Gedichte – wunderschöne, sehr sinnliche, zutiefst traurige Gedichte über das Scheitern des Menschen in der modernen Gesellschaft. Glück flackert hier immer nur ganz kurz auf und erlischt umso gnadenloser.

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Mittwoch, 25. Juli 2018
Bester Venedig-Wettbewerb aller Zeiten?

Alfonso Cuáron kehrt heim zu seinen mexikanischen Wurzeln: „Roma“

An diesen Venedig-Wettbewerb wird die Filmwelt noch lange zurückdenken. Festivalchef Alberto Barbera ist der Held der Stunde. Er wusste teilweise gar nicht mehr wohin mit den ganzen exzellenten Filmen.

Ungefähr so muss sich auch Zinédine Zidane gefühlt haben, als er zum dritten Mal in Folge die Champions League mit Real Madrid gewonnen hatte. Der Trainer trat zurück, weil er wusste, dass er das nicht noch mal toppen können würde. Dem 68-jährigen Venedig-Chef Alberto Barbera spielte ein bisschen in die Karten, dass sich Cannes und Netflix verkracht hatten. So bekam er Alfonso Cuarón und Paul Greengrass für seinen Wettbewerb – und obendrauf noch einen verschollenen Orson Welles. Aber das war es nicht.

Wenn wir das historisch starke Wettbewerbsprogramm des ältesten Filmfestival der Welt überblicken, das vom 29. August bis zum 8. September stattfindet, steckt da System hinter der Qualität der ausgewählten Filme. Jonathan Rutter, der Leiter der Filmabteilung von Premier Communications, sagte gegenüber dem Hollywood Reporter: „Der Fokus in Venedig liegt auf den Filmen. Außerdem schafft es das Festival eher die cine-gebildeten Journalisten anzuziehen. Die meisten der Schlüssel-Publikationen sind vor Ort. Wenn man hier also fünf-Sterne-Kritiken bekommt, wird das weltweit schnell registriert. Aber es gibt weniger die Neigung wie in Cannes, Filme kreuzigen zu wollen.“
Ein sehr sichtbarer Festivalchef
Weiter analysiert Rutter: „Alberto Barbera versteht es sehr gut, die Beziehungen zu den Studios und Vertriebsgesellschaften zu pflegen und die Filme aussuchen, welche die Presse und die Industrie wirklich aufregend finden.“ Außerdem sei er als künstlerischer Leiter sehr sichtbar während des Festivals. Die Ernte war für Barbera so reichlich, dass er gar nicht mehr wusste, wo er die ganzen Filme unterbringen sollte. Dem Branchendienst Deadline erzählte er: „Wir haben viele Filme gesehen, die wir aufregend fanden und die wir in der Vergangenheit eingeladen hätten. Aber dieses Jahr mussten wir aufgrund des Platzes einigen exzellenten Filmen absagen.“

Gerne hätte Barbera auch Harmony Korines neuen Film „The Beach Bum“ eingeladen. Aber der war noch nicht fertig. „Wir haben den Film sehr gemocht, Matthew McConaughey gibt eine oscarwürdige Leistung, wir haben eine enge Beziehung mit Harmony“, sagte Barbera: „Es ist zu schade, denn der Film ist wundervoll.“ Aber das ist Meckern auf höchstem Niveau. Denn ansonsten hat das Festival quasi einen eigenen, deutlich attraktiveren Cannes-Wettbewerb zusammengestellt, der zusätzlich mit diversen glamourösen Oscar-Filmen und unzähligen Hollywoodstars gespickt ist. Dass außer Konkurrenz auch neue Dokumentarfilme von Errol Morris, Frederick Wiseman, Sergei Loznitsa und Amos Gitai gezeigt werden, geht in dem Aufgebot leider fast schon unter.
Cannes-Klassentreffen am Lido
Aber was für ein wahnsinniges Aufgebot ist das im Wettbewerb: Es stellt sich heraus, dass das neue Coen-Projekt „The Ballad of Muster Scruggs“ keine Miniserie, sondern ein Spielfilm ist, den Netflix auch ins Oscarrennen bringen wird. In Venedig läuft dank den Amazon Studios mit Luca Guadagninos „Suspiria“ das heißeste Ticket des Jahres. Regie-Schwergewichte wie Olivier Assayas, Jacques Audiard, Alfonso Cuarón, Yorgos Lanthimos, Lázló Nemes, Carlos Reygardas, Mike Leigh und Julian Schnabel feiern ein Cannes-Klassentreffen am Lido. Und sogar der deutsche Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck leistet es sich für Venedig, seine unendliche Geschichte, „Werk ohne Autor“, fertigzustellen. Bei dem ganzen Glamour wird aber viel zu leicht darüber hinweggesehen, dass von den 21 Wettbewerbsfilmen nur einer von einer Frau stammt: nämlich Jennifer Kents „Babadook“-Nachfolger „The Nightingale“. Claire Denis und Mia Hansen-Løve laufen in Toronto. Marielle Heller und Mélanie Laurent müssen nach Telluride.

Auf dem Papier ist das wohl wirklich der stärkste Venedig-Wettbewerb seit vielen Jahren. In den 1930er-Jahren waren noch die wenigsten dabei. Und da übernahm dann auch bald Mussolinis Familie die Leitung. Aber selbst angesichts eines Wettbewerbs des Jahres 1935 mit John Ford, King Vidor, George Cukor, Werner Hochbaum und Walter Reisch braucht sich der aktuelle Jahrgang nicht völlig zu verstecken.
„Telluride ist Cannes des Herbstes geworden“
Es wird spannend zu sehen sein, ob sich bei so viel Prominenz die Filme nicht gegenseitig im Licht stehen werden. Vielleicht wird so auch die Oscar-Startrampe überlastet. Vielleicht kommt dann auch der ein oder andere Filmemacher auf die Idee, einfach noch ein paar Monate zu warten und nach Berlin zu gehen. Aber aktuell ist Venedig das Maß aller Dinge. Das Filmfestival von Telluride ist indes der größte Verlierer. „Telluride ist zum Cannes der Herbst-Filmfestivals geworden“, schreibt die Branchenexpertin Anne Thompson bei indieWIRE. Einst hätten viele Verleiher alles getan, um ihre Filme dort platzieren zu können. Jetzt hätten einige eher Angst vor diesem Slot, weil die Filme in Telluride zu stark durch das Oscar-Glas bewertet würden.

Der Wettbewerb:
  • The Mountain (Rick Alverson)
  • Double Vies (Olivier Assayas)
  • The Sisters Brothers (Jacques Audiard)
  • First Man (Damien Chazelle)
  • The Ballad of Buster Scruggs (Joel & Ethan Coen)
  • Vox Lux (Brady Corbet)
  • Roma (Alfonso Cuarón)
  • 22 July (Paul Greengrass)
  • Suspiria (Luca Guadagnino)
  • Werk ohne Autor (Florian Henckel von Donnersmarck)
  • The Nightingale (Jennifer Kent)
  • The Favourite (Yorgos Lanthimos)
  • Peterloo (Mike Leigh)
  • Capri-Revolution (Mario Martone)
  • What You Gonna Do When the World's on Fire (Roberto Minervini)
  • Sunset (Lázló Nemes)
  • Freres Ennemis (David Oelhoffen)
  • Nuestro Tiempo (Carlos Reygardas)
  • At Eternity's Gate (Julian Schnabel)
  • Acusada (Gonzalo Tobal)
  • Killing (Shinya Tsukamoto)
Links: - Hollywood Reporter | - Deadline | - Venedig

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Dienstag, 24. Juli 2018
Toronto zu verstehen, bedeutet Venedig und Telluride zu entschlüsseln

Felix van Groeningens englischsprachiges Debüt „Beautiful Boy“

Am Mittwoch wird das heiße Programm des Venedig-Festivals veröffentlicht. Weitere Hinweise, was gezeigt wird, gibt das Programm des Toronto-Festivals. Deren Weltpremieren lassen sich aber auch sehen.

Weltpremieren:
  • Beautiful Boy (Felix van Groeningen)
  • High Life (Claire Denis)
  • Widows (Steve McQueen)
  • If Beale Street Could Talk (Barry Jenkins)
  • Maya (Mia Hansen-Løve)
Internationale Premieren:
[aka Filme, die zuerst in Venedig laufen könnten]
  • Can You Ever Forgive Me? (Marielle Heller)
  • The Front Runner (Jason Reitman)
  • The Old Man & the Gun (David Lowery)
  • White Boy Rick (Yann Demange)
Nordamerika-Premieren:
[aka Filme, die vorher in Venedig laufen]
  • Shadow (Zhang Yimou)
  • A Star Is Born (Bradley Cooper)
  • The Sisters Brothers (Jacques Audiard)
  • Sunset (László Nemes)
Kanada-Premieren:
[aka Filme, die zuerst in Venedig oder in Telluride laufen]
  • First Man (Damien Chazelle) *Venedig*
  • Galveston (Mélanie Laurent)
  • Cold War (Paweł Pawlikowski) *Telluride*
  • Dogman (Matteo Garrone) *Telluride*
  • Non-Fiction (Olivier Assayas) *Venedig*
  • Roma (Alfonso Cuarón) *Venedig*
  • Shoplifters (Hirokazu Kore-eda) *Telluride*
  • Wildlife (Paul Dano) *Telluride*
Die Programmierung in Toronto bestätigt in seinen Details die möglichen Highlights, die Alberto Barbera morgen präsentieren wird: „First Man“ von Damien Chazelle war bereits als Eröffnungsfilm bekannt. Auch Bradley Coopers Regiedebüt „A Star Is Born“ wurde heute vermeldet. Aber dass die spekulierten Namen Zhang Yimou, Jacques Audiard, László Nemes, Olivier Assayas und Alfonso Cuarón in Venedig starten, ist jetzt endgültig klar.

Sehr gut vorstellbar ist auch eine Weltpremiere von Robert Redfords letztem Film als Schauspieler, „The Old Man & the Gun“, am Lido. Der amerikanische Regisseur ist Stephen Lowery, der mit „A Ghost Story“ und „Pete's Dragon“ zwei Wirkungstreffer im cineastischen Unterbewusstsein hinterlassen hat. Solch einen Coup kann sich Venedig-Chef Barbera kaum entgehen lassen. Die neuen Filme von Reitman und Heller passen eher nach Telluride. Aber wir werden sehen.

Noch spannender sind aber die Weltpremieren, die der künstlerische Leiter Cameron Bailey in Toronto vom 6. bis 16. September zeigt. Mit Steve McQueens „Widows“ und Barry Jenkins' „If Beale Street Could Talk“ sind zwei attraktive Nachfolgefilme von Oscar-Gewinnern am Start. Das englischsprachige Debüt des Belgiers Felix van Groeningen, „Beautiful Boy“ mit Timothée Chalamet und Steve Carell, wurde eigentlich als sicherer Venedig-Kandidat gehandelt. Van Groeningens Film „Die Beschissenheit der Dinge“ ist ein kleines Meisterwerk, der Film danach, „The Broken Circle Breakdown“, hatte auch eine unfassbare Kraft.

Außerdem ist jeder neue Film von Mia Hansen-Løve ein Geschenk. Sie ist nicht auf ein Festival festgelegt. Vielleicht wollte sie nicht mit ihrem Ehemann Olivier Assayas in einem Venedig-Wettbewerb laufen. „Alles was kommt“ lief 2016 auf der Berlinale, „Eden“ hatte auch schon eine Toronto-Weltpremiere. Ihren großen Durchbruch erlebte sie aber in Cannes mit „Der Vater meiner Kinder“. Eventuell ist „Maya“ wieder ein Hansen-Løve-Film, der unter dem Radar fliegt. In dem kanadischen Festival mit den unzähligen Nebenreihen und ohne internationalen Wettbewerb sind Weltpremieren geradezu prädestiniert unterzugehen.

Link: - Das komplette Toronto-Programm

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Montag, 23. Juli 2018
Venedig-Gerüchte um Gebrüder Coen, Olivier Assayas und Julian Schnabel

Drehten für Netflix "The Ballad of Buster Scruggs": Joel und Ethan Coen

Wenn man den Gerüchten Glauben schenken will, wird das Venedig-Festival Ende August ein Cineastentraum. Die Gebrüder Coen und Olivier Assayas gehören jetzt zu den spekulierten Namen.

Der für gewöhnlich bestens informierte Über-Cineast Cédric Succivalli hat auf Twitter die Gerüchteküche um den Wettbewerb in Venedig weiter angeheizt. Demnach ist Jacques Audiards Western "The Sisters Brothers" mit Joaquin Phoenix und Jake Gyllenhaal sicher gesetzt. Auch seien zwei weitere Franzosen, Olivier Assayas ("Doubles vies") und David Oelhoffen ("Territoires") dabei. Raus seien dagegen alle weiblichen Kandidaten und Francois Ozons "Alexandre".

Dazu kommen laut Succivalli, der Präsident der internationalen cinephilen Gesellschaft ist, die Netflix-Miniserie "The Ballad of Buster Scruggs" von Joel und Ethan Coen, Julian Schnabels Comeback "At Eternity's Gate" mit Oscar Isaac und Mads Mikkelsen sowie Brady Corbets Film "Vox Lux" mit Natalie Portman. Der Lido quillt also über vor Hollywoodstars, wenn sich die Gerüchte am Mittwoch als wahr erweisen sollten. Die bislang spekulierten Highlights des Festivals in Venedig auf einen Blick:
  • Doubles vies (Olivier Assayas)
  • The Sisters Brothers (Jacques Audiard)
  • The First Man (Damien Chazelle) *Eröffnungsfilm*
  • The Ballad of Buster Scruggs (Joel and Ethan Coen)
  • A Star Is Born (Bradley Cooper)
  • Roma (Alfonso Cuaron)
  • Norway (Paul Greengrass)
  • Suspiria (Luca Guadagnino)
  • The Favourite (Yorgos Lanthimos)
  • Peterloo (Mike Leigh)
  • Sunset (Laszlo Nemes)
  • At Eternity's Gate (Julian Schnabel)
  • Beautiful Boy (Felix Van Groeningen)
  • The Other Side of the Wind (Orson Welles)
Das wären viermal Netflix, zweimal Amazon Studios und wahnsinnig viele Abwerbungen von klassischen Cannes-Regisseuren. Eigenartig still ist es um Xavier Dolans neuen Film "The Death and Life of John F. Donovan" mit Natalie Portman und Kit Harrington geworden. Galt der noch im Mai, als ihn Cannes-Chef Thierry Frémaux explizit als Venedig-Kandidat nannte, gesetzt für den Lido.

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Samstag, 21. Juli 2018
Ist Venedig das neue Cannes?

The Right Stuff: Damien Chazelles Mondlandefilm „The First Man“

Damien Chazelles Oscarkandidat „The First Man“ eröffnet Venedig. Läuft das Festival am Lido dem übergroßen Cannes langsam aber sicher den Rang ab? Für Hollywood ist die Antwort klar.

Die Antwort auf die Frage, ob Venedig das Filmfestival in Cannes als wichtigsten Ort des Filmkalenders ablösen kann, wird nicht in diesem Jahr beantwortet. Für diesen Paradigmenwechsel braucht es die Überprüfung diverser Jahrgänge. Aber wenn Venedig-Chef Alberto Barbera am 25. Juli den internationale Wettbewerb bekannt geben wird, schaut die Filmwelt ganz genau auf die Mostra.

Cannes hat in den vergangenen Jahren einen schlechten Ruf bei den Hollywoodproduktionen bekommen. Bei den Franzosen sei es zu schwierig und kritisch, heißt es. Deswegen wurden dieses Jahr auch die Pressevorführungen parallel zu den Galapremieren angesetzt, um den schlechten Buzz etwas einfangen zu können. Auch ist der Weg vom Mai bis zur Oscar Season ein langer: Es ist im schnelllebigen Internetzeitalter eine Herausforderung, die Aufmerksamkeit über diverse Monate hochzuhalten, bis es überhaupt losgeht.
Eine unfassbare Serie
Das Venedig-Festival Ende August dagegen ist der optimale Startpunkt für Oscarkampagnen: Seit im Jahr 2013 „Gravity“ von hier aus durchmarschiert ist, folgten Filme wie „Birdman“, „Spotlight“, „La La Land“, „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ und „The Shape of Water“. Das ist eine unfassbare Serie. Dazu sind die Filmemacher treu und kommen auch noch wieder. Wie zum Beispiel ein Damien Chazelle, der mit seinem Armstrong-Biopic „First Man“ nun Eröffnungsfilm in Venedig ist.

In Venedig tummelte sich bisher überwiegend die milde Trade Press, dazu ein paar Briten und Deutsche. Kein Vergleich mit dem kritischen Presseaufkommen in Cannes, wo jedes Jahr Kritiker aus aller Welt mindestens eine cineastische Revolution erwarten. Der Venedig-Wettbewerb ist in der qualitativen Breite weiter von Cannes entfernt. Da kann sogar die Berlinale mithalten. Aber nichts ist glamouröser als Hollywoodstars und Oscar Buzz.

Das jahrzehntelang übermächtige Cannes macht dazu Fehler. Sein Leiter Thierry Frémaux verkrachte sich zum Beispiel im April mit dem Streaming-Riesen Netflix. So verlor er Alfonso Cuarons „Roma“, Paul Greengrass' „Norway“ und Orson Welles' „The Other Side of the Wind“ an den Herbst – und höchstwahrscheinlich auch an Venedig.

Wobei die Mostra auch nicht alles kriegt: Claire Denis' neuer Film „High Life“ mit Robert Pattinson und Juliette Binoche wird seine Weltpremiere in San Sebastian feiern. Das New Yorker Filmfestival hat bestätigt, dass „Roma“ bei sich als Centerpiece laufen wird. Was natürlich nicht bedeutet, dass nicht noch eine Weltpremiere in Venedig drin ist.
Wasser läuft im Munde zusammen
Aber analysiert man Nick Vivarellis Vorhersagen für Venedig in Variety, läuft einem als Filmjournalisten das Wasser im Munde zusammen. Gut, viele der Filme gibt es wenige Tage später auch regulär im Kino anzusehen – oder sie werden fast zeitgleich in Telluride und Toronto gezeigt. Aber was für eine attraktive Liste könnte das dieses Jahr sein, die übrigens Negative Space zu großen Teilen bereits im Mai prophezeit hatte: Luca Guadagninos „Suspiria“, Jacques Audiards „The Sisters Brothers“, Felix Van Groeningens „Beautiful Boy“ mit Timothée Chalamet, die genannten „Roma“ und „Norway“, Yorgos Lanthimos' „The Favourite“, „A Star Is Born“ mit Bradley Cooper und Lady Gaga, Mike Leighs „Peterloo“ und Laszlo Nemes' „Sunset“.

Auch in der Verlosung bleibt Harmony Korines „The Beach Bum“, denn „Spring Breakers“ startete seine Welteroberung 2012 aus Venedig. Die Filmwelt hält ebenso Ausschau nach Terrence Malicks „Radegund“, Mia Hansen-Løves „Maya“und Olivier Assayas' „Doubles vies“. Für Festivalbeobachter sind das aktuell spannende Zeiten. Viel ist in Bewegung. Lange gehegte und gepflegte Strukturen brechen nach und nach auf.

Die Streaming-Plattformen sind unberechenbare Player im Spiel geworden. Denen geht es um Aufmerksamkeit und Prestige. Cannes schwächelt und erfindet sich zum Teil auch in diesem Jahr ein Stück weit neu. Das geht zu Kosten der Popularität, freut aber die Cineasten. Venedig wird ein immer größeres schwarzes Loch, das alles verschlingt, was auch nur im Entferntesten oscarwürdig erscheint. Und die Berlinale stellt sich 2020 auch völlig neu auf.

Links: - Variety | - Screen Talk | - Was nicht in Cannes läuft

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Fantasy Filmfest früh hochwertig aufgestellt

„Nicolas Cage gives the performance of a lifetime“ (Russ Fisher, The Playlist)

Auch das Fantasy Filmfest muss bei den Herbstfestivals im Auge behalten werden. Denn schon hat es mit seinen ersten Nennungen einige der attraktivsten Genreperlen 2018 versammelt.

Das Fantasy Filmfest, das am 5. September in Berlin beginnt und am 30. September seine Städtetour in Nürnberg, Frankfurt und Stuttgart beendet, ist programmtechnisch schon sehr gut aufgestellt. Eröffnet wird das Fest von der Sundance-Sensation „Mandy“, in der Regisseur Panos Cosmatos Nicholas Cage auf Dämonenjagd schickt. Den Film umweht ein Kult, seit die ersten Hype-Tweets der US-Kritiker im Januar abgesetzt wurden. Trotz der spektakulären Bilder bleibt aber eine gewisse Grundskepsis. War doch Cosmatos' Vorgängerfilm „Beyond the Black Rainbow“ die stilisierte Langeweile. Aber wie schrieb der Filmkritiker Robert Koehler doch so schön: „Fucking Mandy. Is there anything else? No.“

Dazu gesellen sich zwei andere heiße Eisen: Im Centerpiece läuft die schwedische Cannes-Entdeckung „Border“. Außerdem ist bereits Gaspar Noés neuer Film „Climax“ im Programm bestätigt, der mit sehr vielen Vorschusslorbeeren aus Cannes kommt. Weiter gibt es den deutschen Dämonen-Film „Luz“ zu bestaunen, der auf der Berlinale durchstartete und inzwischen auch international so langsam Fahrt aufnimmt. Mit diesen vier Genre-Leckerbissen kann im September schon mal nichts mehr schief gehen.

Links: - Fantasy Filmfest | - Berlinale-Entdeckung Luz

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