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Montag, 18. Juni 2018
Netflix-Geheimtipp „Sunday's Illness“
schwanenmeister, 01:17h
„Sunday's Illness“: Auf den Spuren Fassbinders und Sirks
Auf Netflix gibt es aktuell die spanische Filmperle „Sunday's Illness“ zu entdecken. Das großartige Melodram fand leider zu wenig Untersützung auf der Berlinale.
Ramón Salazars schmerzhaftes Melodram hat seine Weltpremiere in der Panorama-Sektion der diesjährigen Berlinale gefeiert. Der Film hätte von der Qualität her aber auch durchaus im Wettbewerb laufen können. So gab es leider nur wenig und eher negatives Echo vom Festival. Es geht um die reiche Anabel (Susi Sánchez). Sie bekommt von der jüngeren Chiara (Bárbara Lennie) einen Besuch abgestattet. Chiara hat sich als Bedienstete ausgegeben, um Kontakt herzustellen. Sie behauptet, Anabels Tochter zu sein. Deswegen solle diese für acht Tage mit ihr kommen. Anabel lässt sich, nach dem Unterschreiben eines Vertrages, auf den mysteriösen Wunsch ein.
Die indieWIRE-Kritik des Festival-Trüffelschweins Eric Kohn, der nicht auf der Berlinale war, hat mich jetzt wieder auf den Film aufmerksam gemacht. „Sunday's Illness“ ist nämlich still und heimlich am 15. Juni auf Netflix veröffentlicht worden. Keine Ahnung, ob dieses eher langsam und behutsam erzählte Werk über eine komplizierte Mutter-Tochter-Beziehung auf der Streaming-Plattform sein Publikum finden wird. Aber Kohns Referenzpunkte zu Douglas Sirk und Rainer Werner Fassbinder sind sehr passend. Das Ding ist überragend gespielt, geht wahnsinnig unter die Haut und hat einen besseren 99-Luftballons-Songeinsatz als „Watchmen“. Dicke Empfehlung, wenn man etwas jenseits des Mainstreams sucht.
Link: - Eric Kohns Review
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Samstag, 16. Juni 2018
Fantaspoa-Preis & Fantasia-Start für deutschen Genre-Geheimtipp „Luz“
schwanenmeister, 12:39h
Die Hauptdarstellerin des berauschenden deutschen Horrorfilms „Luz“, Luana Velis, ist in Portugal als beste Schauspielerin ausgezeichnet worden. Auch ein kanadisches Genrefestival hat die Qualitäten erkannt und den Film für den Juli programmiert.
© KHM / Dario Méndez Acosta, Tilman Singer
Diejenigen, die das Glück hatten, den deutschen Genrefilm „Luz“ auf der Berlinale im Februar zu entdecken, werden dieses sinnliche Erlebnis nicht mehr vergessen. Noch schöner ist es aber, dass inzwischen auch internationale Genrefestivals auf das Werk von Tilman Singer aufmerksam geworden sind.
„Luz“ hat jetzt sogar, nachdem der Blog Negative Space ihm bereits den Amy-Nicholson-Preis für Kickass Cinema verliehen hatte, seinen ersten Jury-Preis gewonnen: Hauptdarstellerin Luana Velis ist auf dem Fantaspoa in Portugal als beste Darstellerin ausgezeichnet worden. Gleichzeitig hat das prestigeträchtige kanadische Fantasia Festival den Film in sein Programm im Juli aufgenommen.
„Erinnert an besten Euro-Horror der 70er“„A first feature that recalls the best of ’70s arthouse & Euro-horror. An experimental subversion of the familiar possession narrative by way of avant-garde theatre“, schreibt das Fantasia. Die Krönung wäre natürlich eine Programmierung auf dem amerikanischen Fantastic Fest und eine Einladung ins spanische Genremekka Sitges.
Im Horrorfilm „Luz“ geht es um die junge chilenische Taxifahrerin Luz, die mit letzter Kraft in eine Polizeidienststelle stolpert. Ein Dämon ist ihr auf den Fersen und fest entschlossen, seiner Geliebten endlich nahe zu sein. Parallel dazu treffen sich die mysteriöse Nora, die Luz noch aus ihrer Zeit im katholischen Mädcheninternat kennt, und der Psychotherapeut Rossini in einer Bar.
Einem Fiebertraum gleichDem gemeinsamen Abschlussfilm an der Kunsthochschule für Medien in Köln haben Regisseur Singer und Production Designer Dario Méndez das Flair eines wundervoll schmierigen 1970er-Jahre-Exploitationfilms gegeben. Die Bilder sind körnig, scheinen zu schwitzen und zu atmen, wirken lebendig und liebevoll. Sie erinnern an italienische Giallo-Meister wie Dario Argento, Sergio Martino oder Duccio Tessari.
Auf der Berlinale schrieb Negative Space: „Das auf 16mm gedrehte Werk ist eine pure Filmerfahrung, einem Fiebertraum gleich, das sinnlich mit den Wahrnehmungsebenen spielt. Danach ist man sich nicht sicher, was man gerade gesehen hat. Nur, dass es intensiv, wild und anders war, weiß man sofort. In Erinnerung bleiben Zuckerkristalle auf den Lippen, getrocknetes Blut im Nacken, wundersame Lichter, die über den Mund weitergegeben werden – und eine Polizeidienststelle, in der durch die Imagination des Zuschauers und die Anregungen der Macher alles möglich scheint. In seinem kleinen Finger an dieser Horrorfilm mehr Genrekönnerschaft als der gesamte Rest des Berlinale-Programms zusammengenommen.“
Links: - Fantaspoa | - Berlinale-Kritik | - Teaser
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Mittwoch, 13. Juni 2018
Eröffnet Tim Burtons „Dumbo“ die Berlinale 2019?
schwanenmeister, 21:58h
© Walt Disney
Tim Burtons Realverfilmung des Disney-Klassikers „Dumbo“ wäre das perfekte Abschiedsgeschenk für Berlinale-Festivaldirektor Dieter Kosslick.
Das letzte Mal war der amerikanische Bildermagier Tim Burton im Jahr 1997 im Wettbewerb der Berlinale vertreten. Genau genommen lief sein Film „Mars Attacks!“ außer Konkurrenz. Aber es gibt zumindest Geschichte zwischem dem Ausnahmeregisseur und dem wichtigsten deutschen Filmfestival. Walt Disney hat am Mittwoch den ersten Teaser-Trailer zu Burtons neuem Film „Dumbo“ veröffentlicht. Er würde sich perfekt als Eröffnungsfilm der letzten Berlinale unter Festivaldirektor Dieter Kosslick eignen.
Die Realverfilmungen der Disney-Zeichentrick-Klassiker sind boxofficetechnisch totale Selbstläufer. Selbst wenn „Dumbo“ qualitativ misslungen wäre, wovon nach den ersten Bildern und Momenten nicht auszugehen ist, ist er sozusagen kugelsicher gegen das eventuell negative Kritikerecho. Der amerikanische Kinostart ist mit dem 29. März nahezu perfekt gelegen. Einen ganz ähnlichen Starttermin hatte der Berlinale-Eröffnungsfilm von diesem Jahr, Wes Andersons „Isle of Dogs“.
Burton zeigt alte QualitätenBurton schuldet der Berlinale nichts. Aber er war 2010 Jurypräsident in Cannes. Der im August 60 Jahre werdende Regisseur aus Burbank, Kalifornien könnte gegenüber dem Berliner Festival eine Geste zeigen. Schließlich ist es der letzte Vorhang für Dieter Kosslick. So kritisch dieser auch von Teilen der deutschen Presse betrachtet wird, so viel hat Kosslick für das Festival und den deutschen Film geleistet. Ihm wäre solch ein bombastischer Blockbuster mit Superstars wie Colin Farrell, Eva Green, Michael Keaton, Danny DeVito und Alan Arkin zu gönnen.
Zumal Burton gerade mit seinem letzten Film, „Die Insel der besonderen Kinder“, wieder zu alten Stärken zurückgefunden hat. Die Fabel um den großohrigen Außenseiter-Elefanten, der fliegen kann, ist wie gemalt für den schüchternen Regisseur, der Außenseitern wie Edward mit den Scherenhänden, Bettlejuice, Ed Wood und dem Pinguin magische Filme kredenzt hat. Die ersten kurzen Szenen des Teasers, vor allem mit dem animierten Elefanten, wirken fast zärtlich inszeniert – mit einem unglaublichen Einfühlungsvermögen. Ja, das könnte wieder ein richtig großer Wurf werden.
Dagegen spricht, dass Disney „Die Schöne und das Biest“ 2017 zwar am 16. März weltweit starten ließ, aber nicht daran dachte, ihn auf der Berlinale zu zeigen. Da gab es vorab am 23. Februar eine exklusive Weltpremiere in London.
Auch zu Ehren von Fritz Langs „Metropolis“Der Negative Space-Blog wünscht sich „Dumbo“ als Eröffnungsfilm für die Berlinale 2019! Damit gewinnen alle: Das Festival, die Zuschauer, die Kritiker, die Presse, die Attraktivität des Programmes, der Rote Teppich, das Studio und letztlich auch Tim Burton. „Dumbo“ in der Stadt zu zeigen, in der auch Fritz Langs „Metropolis“ und viele der expressionistischen Horrormeisterwerke des frühen Kinos entstanden sind? Das wäre doch ganz cool, Tim, oder? ;)
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Samstag, 2. Juni 2018
Lemke-Muse, Jakob Lass & Philipp Eichholtz zeigen neue Filme in München
schwanenmeister, 10:35h
Welche Filme werden die Nachfolger von so großen Highlights wie "Fikkefuchs" und "Blind & Hässlich"? Das Filmfest München hat jetzt seine Spitzenkandidaten des deutschen Filmjahrgangs bekannt gegeben.
"Yung" | © deutschfilm GmbH
Die Reihe Neues Deutsches Kino auf dem Filmfest München ist in den vergangenen Jahren zum kreativen Motor der deutschen Filmszene geworden. Von hier gehen neue Impulse aus, vielversprechende Talente verdienen sich ihre ersten Lorbeeren. 2017 feierten zum Beispiel Tom Lass' Film "Blind & Hässlich", "Fikkefuchs", "Die Vierhändige" und "A Thought of Ecstasy" ihre Weltpremieren in der Stadt an der Isar.
Im neuen Jahrgang, der am Freitag bekannt gegeben wurde, fallen sofort die frischen Filme von Jakob Lass ("Love Steaks", "Tiger Girl") und Philipp Eichholtz ("Rückenwind von vorn", "Liebe mich!") ins Auge. Lass' Film "So was von da" erzählt die Geschichte einer Silvesternacht auf St. Pauli, in der ein Musikclub schließen muss. Es ist wohl die erste komplett improvisierte Romanadaption, welche die Filmgeschichte bisher gesehen hat. Bei Eichholtz klingt der Titel "Kim hat einen Penis" nach sexueller Identitätskrise. Eben eröffnete der Hildesheimer noch die Perspektive Deutsches Kino auf der Berlinale. Schon hat er einen nächsten Film in München.
Kann Lemke-Darsteller auch Regie?Sehr spannend sieht auch das Regiedebüt des Schauspielers Henning Gronkowski aus. Der war lange Zeit die Muse des Altmeisters Klaus Lemke ("Rocker"). So verwundert es auch nicht, dass es in seinem Film "Yung" um vier 17-Jährige geht, welche die Stadt Berlin als einzigen Rausch begreifen. "Es ist eine Achterbahnfahrt durch den Lebensstil der Millennial-Generation, aber vor allem ein pures, raues, authentisches Portrait von Freundschaft", verspricht das Filmfest München. Kann gut werden, kann aber auch katastrophal scheitern. Spannend ist es allemal.
Dazu läuft auch der Eröffnungsfilm des Filmfestes, der Brecht-Metafilm "Mackie Messer" mit Lars Eidinger und Hannah Herzsprung, in der Reihe Neues Deutsches Kino. Weiter gibt es neue Filme von Annekatrin Hendel ("Familie Brasch"), die 2015 die sorgfältige Dokumentation "Fassbinder" gedreht hat, Michael Klier ("Idioten der Familie") und Lola Randl ("Von Bienen und Blumen"). Generischer sehen Produktionen wie der Tinder-Film "Safari" oder der englischsprachige Thriller "A Young Man with High Potential" aus. Das Filmfest München findet vom 28. Juni bis 7. Juli statt.
Link: - Neues Deutsches Kino 2018
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Donnerstag, 24. Mai 2018
Doris Kunstmann eröffnet 5. Terza Visione mit Liberatores „Lovemaker“
schwanenmeister, 21:16h
Zum Reinhören: der chillige „Lovemaker“-Score
Schöne Wahl als Eröffnungsfilm: Das Terza Visione zeigt zum Festivalstart Ende Juli die rare deutsch-italienische Co-Produktion „Lovemaker“, die nie einen offiziellen deutschen Kinostart genossen hat.
Das gesamte Programm des Festivals des italienischen Genrefilms lässt noch ein bisschen auf sich warten. Das Terza Visione hat jetzt aber seinen Eröffnungsfilm für den 26. Juli bekannt gegeben. Im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt am Main läuft dann als exklusive deutsche Erstaufführung „Lovemaker – Der Mann, mit dem man Liebe macht“. Die Regiearbeit von Ugo Liberatore stammt aus dem Jahr 1969 und ist eine deutsch-italienische Co-Produktion.
Es geht um die Studentin Christiane (Doris Kunstmann), die auf dem Münchner Marienplatz dafür sorgt, dass ein italienischer Gastarbeiter zusammengeschlagen wird. Daraus entwickelt sich eine zwiespältige Liebesgeschichte, welche die Kuratoren Andreas Beilharz und Christoph Draxtra wie folgt beschreiben: „Statt eines didaktischen Traktats inszeniert Ugo Liberatore den ‚Culture Clash‘ zwischen Münchner Jungschickeria und italienischem Gastarbeiter jedoch als morbiden Tanz ambivalenter Gefühle und vergletscherter Seelen, der in einer zutiefst sarkastischen Katharsis kulminiert.“
Hollaender-Tochter machte ScoreDer Regisseur Ugo Liberatore ist eine Entdeckung des Terza Visione. Sein Film „Bora Bora“ lief bereits bei der zweiten Ausgabe des Festivals. Bekannter ist er eigentlich als Drehbuchautor italienischer Sandalenfilme und Spaghetti Western („Die Grausamen“). „Lovemaker“-Hauptdarstellerin Doris Kunstmann („Heißes Pflaster Köln“, „Funny Games“) wird am Eröffnungsabend im Filmmuseum anwesend sein und sich den Fragen der Zuschauer stellen. In weiteren Rollen sind unter anderem Schlagerfilmstar Peter Kraus und Roger Fritz zu sehen. Der Score stammt von Maestro Armando Trovajoli („Der lange Tag der Rache“) und der Tochter des Musikgiganten Friedrich Hollaender, Melody Holländer.
Der italienische Genreblick auf westdeutsche Befindlichkeiten übt immer eine besondere Faszination aus. „Lovemaker“ verspricht, die erste interessante Entdeckung des anstehenden Jahrgangs zu werden. Das 5. Terza Visione findet vom 26. bis 29. Juli in Frankfurt am Main statt.
Links: - 4. Terza Visione, - 2. Terza Visione, - 1. Terza Visione
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Freitag, 18. Mai 2018
Umbruch bei der Berlinale geht weiter – Terhechte hört auf
schwanenmeister, 01:47h
Auf der Leitungsebene des wichtigsten deutschen Filmfestivals gibt es Bewegung: Der Berlinale-Nachfolger von Dieter Kosslick wird noch gesucht. Das Panorama hat bereits eine neue Chefin. Jetzt ist der Leiter der Forum-Sektion, Christoph Terhechte, zurückgetreten.
Foto: Tuluqaruk, Wikipedia (CC BY-SA 4.0)
Christoph Terhechte gibt die Leitung des Forums der Berlinale zum Juli 2018 ab. 1997 wurde er als Mitglied in das Forum-Auswahlkomitee berufen, im Juni 2001 übernahm er von Forums-Gründer Ulrich Gregor die Leitung der Sektion, die seit 1971 vom Arsenal-Institut ausgerichtet wird. Seit 2002 war Terhechte zudem als Mitglied im Auswahlkomitee des Wettbewerbs der Berlinale tätig.
„Wir danken Christoph Terhechte sehr herzlich für seine langjährige Arbeit. Ihm ist es gelungen, dem Forum der Berlinale die Risikofreude zu erhalten und der Sektion in einer sich stark verändernden Festivallandschaft immer wieder neue Impulse zu geben. Die von Terhechte gesetzten Schwerpunkte für das Forum der Berlinale bereicherten auch ganzjährig das Programm des Arsenal“, kommentieren Milena Gregor, Birgit Kohler und Stefanie Schulte Strathaus vom Vorstand des Arsenal–Instituts.
Kommissarische Leitung des Forums 2019„Herzlichen Dank an Christoph Terhechte für seine langjährige großartige Arbeit beim Forum. Das kuratorische Profil der Sektion hat mit seinem facettenreichen Programm einen bedeutenden Beitrag zur Vielseitigkeit der Berlinale und zum Filmdiskurs geleistet“, sagt Berlinale-Direktor Kosslick. Der Vorstand des Arsenal–Instituts wird zusammen mit der Berlinale eine kommissarische Leitung für das Forum 2019 stellen.
Nach Wieland Speck, der dieses Jahr den Staffelstab der Leitung der Panorama-Sektion an Paz Lázaro übergeben hat, und Kosslicks Abschied im kommenden Jahr geht mit dem 57-jährigen Terhechte die dritte bedeutende Führungsfigur der Berlinale. Der Weg ist frei gemacht für einen Generationenwechsel. Kulturstaatsministerin Monika Grütters setzt für die Kosslick-Nachfolge auf eine Lastenteilung: „Ich persönlich befürworte eine Doppelspitze, nach dem Vorbild anderer Festivals.“ Im Sommer soll das Ergebnis der Findungskommission präsentiert werden.
Internationale Filmszene ahnte den AbschiedDer Filmkritiker Ulrich Gregor und seine Frau Erika waren maßgeblich am Aufbau des Forums beteiligt. Zuerst riefen sie als Vorläufer im Jahr 1964 die Woche der Kritik ins Leben. Sie zeigten neue Filme von Lina Wertmüller („Die Basiliken“), Bo Widerberg („Das Rabenviertel“) und Jean-Luc Godard („Die Außenseiterbande“). 1970 etablierten sie das Forum im gekauften Arsenal-Kino.
Der Ruf des Forums als Korrektiv zum Wettbewerb hat unter den Stammzuschauern in den vergangenen Jahren etwas gelitten. Dabei war gerade das Programm in diesem Jahr gespickt mit großen Namen wie Sergei Loznitsa, Hong Sangsoo, Corneliu Porumboiu und Guy Maddin sowie diversen Entdeckungen („An Elephant Sitting Still“, „Casanovagen“, „Waldheims Walzer“). Es scheint fast so, als habe die internationale Filmszene von Terhechtes Abschied bereits gewusst und ihm einen besonders schönes letztes Programm bereiten wollen.
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Most-Wanted Cannes 2018
schwanenmeister, 15:54h
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„Long Day's Journey Into Night“ | © Liu Hongyu
Most-Wanted 2018:
01. Border – Ali Abbasi (Un Certain Regard)
02. Climax – Gaspar Noé (Directors' Fortnight)
03. Burning – Lee Chang-dong (Wettbewerb)
04. Long Day's Journey Into Night – Bi Gan (Un Certain Regard)
05. Knife + Heart – Yann Gonzalez (Wettbewerb)
06. Sorry Angel – Christophe Honoré (Wettbewerb)
07. Cold War – Pavel Pawlikowski (Wettbewerb)
08. Dead Souls – Wang Bing (Special Screenings)
09. The House That Jack Built – Lars von Trier (Außer Konkurrenz)
10. Diamantino – Gabriel Abrantes & Daniel Schmidt (Critics' Week)
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Runners-Up:
* Shoplifters – Kore-eda Hirokazu (Wettbewerb)
* Sauvage – Camille Vidal-Naquet (Critics' Week)
* The Wild Pear Tree – Nuri Bilge Ceylan (Wettbewerb)
* Happy As Lazzaro – Alice Rohrwacher (Wettbewerb)
* Dogman – Matteo Garrone (Wettbewerb)
* Ash Is Purest White – Jia Zhang-ke (Wettbewerb)
* Leto – Kirill Serebrennikov (Wettbewerb)
* In My Room – Ulrich Köhler (Un Certain Regard)
* Leave No Trace – Debra Granik (Directors' Fortnight)
* The Image Book – Jean-Luc Godard (Wettbewerb)
Most-Wanteds, die nicht in Cannes laufen: Roma (Alfonso Cuaron), The Beach Bum (Harmony Korine), Suspiria (Luca Guadagnino), Radegund (Terrence Malick), The Favourite (Yorgos Lanthimos)
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Lieblingsfilme der Kritiker:
Geoff Andrew (TimeOut): The Wild Pear Tree, Burning, Shoplifters, Cold War, Happy As Lazzaro, Capharnaüm, Sorry Angel, At War, The Image Book, Blackkklansman, Ash Is Purest White, Ayka
Peter Bradshaw (Guardian): Cold War, Happy As Lazzaro, Burning, The Image Book, Dogman
David Ehrlich (indieWIRE): Burning, Shoplifters, The House That Jack Built, The World Is Yours, Happy As Lazzaro, Long Day’s Journey Into Night, Blackkklansman, Cold War, Capharnaüm, Asako 1 & 2
Nick James (Sight & Sound): Burning, Cold War, The Wild Pear Tree, Long Day’s Journey Into Night, Happy as Lazzaro, Shoplifters, Ash Is Purest White, The Image Book, Capharnaüm, Blackkklansman, Girl
Jenny Jecke (Moviepilot): Shoplifters, Sauvage, Ash is Purest White, Long Day‘s Journey into Night, Burning, Three Faces, Birds of Passage, Asako I & II, Mirai, The Wild Pear Tree
David Jenkins (Little White Lies): The Wild Pear Tree, Burning, The House That Jack Built, Leave No Trace, Asako I & II
Eric Kohn (indieWIRE): Burning, Climax, Happy as Lazzaro, The House That Jack Built, Long Day’s Journey Into Night
Tim Robey (Daily Telegraph): Burning, Happy As Lazzaro, Sauvage, Leave No Trace, Capharnaüm, Under the Silver Lake, Wildlife
Thomas Schultze (Blickpunkt:Film): Climax, Cold War, Long Day's Journey Into Night, Leto, Ash Is the Purest White, Shoplifters, The House That Jack Built, Border, At War, In My Room
Cédric Succivalli (ICS): Long Day's Journey into Night, Shoplifters, The Image Book, Ash Is Purest White, Burning, Climax, Leto, Border, Sauvage, Asako 1 & 2
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Donnerstag, 12. April 2018
Was 2018 alles nicht in Cannes läuft
schwanenmeister, 22:49h
Aktuell scheint es fast noch spannender, über die Filme und Regiegrößen zu sprechen, die Cannes nicht am Donnerstag im offiziellen Programm verkündet hat. Der bislang noch graue Wettbewerb bietet zumindest Entdeckungschancen.
© Flore Maquin / Georges Pierre
Erst legte sich Festivaldirektor Thierry Frémaux mit den Filmkritikern an, indem er die Pressevorführungen zeitlich mit den Galapremieren synchronisierte. Dann setzte er ein Ausrufezeichen gegenüber dem Streaming-Riesen Netflix: Keine Wettbewerbs-Slots für Filme, die nicht regulär in den französischen Kinos ausgewertet werden. Die Folge: Neue Filme von Alfonso Cuaron („Roma“), Paul Greengrass („Norway“) und Jeremy Saulnier („Hold the Dark“) laufen nicht in Cannes. Auch das spannende Orson-Welles-Projekt „The Other Side of the Wind“ wird nicht gezeigt.
Bei der Präsentation des vorläufigen Programmes am Donnerstag fehlten vor allem viele im Vorfeld als sicher eingestufte Namen. Die Gelegenheit der Ergänzung besteht natürlich noch. Der Gewinner der Goldenen Palme 2017, „The Square“, war auch ein spätberufener Film. Aber es erstaunt doch, dass cineastische Schwergewichte wie Lars von Trier („The House That Jack Built“), Harmony Korine („The Beach Bum“), Terrence Malick („Radegund“), Mia Hansen-Løve („Maya“), Gaspar Noé („Psyché“), Yorgos Lanthimos („The Favourite“) Olivier Assayas („E-Book“), Jacques Audiard („The Sisters Brothers“) Claire Denis („High Life“) und László Nemes („Sunset“) bislang nicht auftauchen. Venedig und die Herbstfestivals wird es freuen.
Christophe Honorés ComebackDie französischen Beiträge sind für gewöhnlich die qualitativ größten positiven Überraschungen. Wahrscheinlich erklären sie zumindest das Fehlen einiger der Regiegrößen. Der Filmemacher Christophe Honoré ist natürlich auch kein Unbekannter in Cannes: Mit dem wahnsinnig tollen Musical „Les chansons d'amour“ und dem auch noch sehr schönen Musikfilm „Les bien-aimés“ ist sein Comeback nach einem Jahrzehnt Abstinenz ein Geheimtipp. Sein Wettbewerbskandidat heißt „Sorry Angel“. Frémaux setzt ansonsten auf die junge Regisseurin Eva Husson mit „Girls of the Sun“, das alte Schlachtross Jean-Luc Godard („Le livre d'image“) und Stephané Brizé („At War“).
Der Festivaldirektor und frühere Filmkritiker kündigte eine neue Generation von Regisseuren an, deren Namen unter den Cineasten noch unbekannt seien. Diverse Debütfilme laufen in der wichtigsten Nebenreihe Un certain regard. Der Ägypter A. B. Shawky ist mit „Yomeddine“ der einzige Debütant im Wettbewerb. Tatsächlich sprach Frémaux auch darüber, dass der Mai-Termin für großbudgetierte Hollywoodfilme nachteilig sei und es auch Filmemacher gab, die wegen der Awards-Saison im Herbst lieber später im Jahr starten wollen. Explizit nannte er dabei Xavier Dolan und seinen neuen Film „The Death and Life of John F. Donovan“ mit Natalie Portman und Kit Harrington.
Berlinale stützt AuswahlCannes setzt auf zwei Iraner, die mit ihren vorangegangenen Filmen jeweils den Goldenen Bären in Berlin gewonnen haben: Jafar Panahis „Three Faces“ und Asghar Farhadis „Everbody Knows“. Für die deutschen Medien müssen Ulrich Köhler („In My Room“) im Berliner-Schule-Slot der Un certain regard und Wim Wenders' Doku „Pope Francis - A Man of His Word“ die Kohlen aus dem Feuer holen.
Eine schöne Karriere macht der Amerikaner David Robert Mitchell, der mit „It Follows“ 2014 noch in der Critics' Week lief und jetzt mit „Under the Silver Lake“ in den Wettbewerb aufgestiegen ist. Spike Lee war zuletzt im Jahr 1991 mit „Jungle Fever“ in den Wettbewerb eingeladen. Es ist unwahrscheinlich, dass sein „Blackkklansman“ ein Remake von Ted V. Mikels' „The Black Klansman“ von 1966 ist.
Amazon macht es nicht wie NetflixDass Amazon auf den selben Konfrontationskurs wie Netflix mit dem Festival ginge, könnte man vielleicht denken, wenn man nur die Abwesenheit von Luca Guadagninos „Suspiria“-Neuinterpretation bemerkt. Der Wettbewerbsbeitrag von Pawel Pawlikowski, „Cold War“, ist aber auch eine Produktion der Amazon Studios. Der bislang noch abwesende Mike-Leigh-Film „Peterloo“ oder der neue Woody-Allen-Film „A Rainy Day in New York“ mit Timothée Chalamet und Elle Fanning kämen auch aus diesem Haus.
Ein starker Fokus des Wettbewerbs liegt auf dem asiatischen Kino: Ryusuke Hamaguchis „Asako 1 & 2“, Jia Zhang-Kes „Ash Is Purest White“, Lee Chang-Dongs „Burning“ und Kore-eda Hirokazus „Shoplifters“. Am spannendsten ist aber vielleicht außerhalb der Konkurrenz der achtstündige Film „Dead Souls“ des Chinesen Wang Bing („Mrs. Fang“), der von den Opfern der Kulturrevolution erzählt.
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Samstag, 3. März 2018
Die heimlichen Stars der Berlinale 2018 waren die Dokumentarfilme
schwanenmeister, 15:15h
Die Regienamen der Dokumentarfilme auf der Berlinale waren eines Wettbewerbs in Cannes würdig. Auteurs wie Sergei Loznitsa („Victory Day“) oder Corneliu Porumboiu („Infinite Football“) präsentierten ihre neuen Werke. Negative Space hat deshalb sechs besonders empfehlenswerte Dokus aus dem Programm ausgewählt:
„Malkovich, Malkovich, Malkovich“ | © Helena Wittmann
- I. „Casanovagen“ (Luise Donschen)
"The Green Fog" | © Internationale Berliner Filmfestspiele 2018
- II. „The Green Fog“ (Guy Maddin, Evan & Galen Johnson)
"Waldheims Walzer" | © Ruth Beckermann Filmproduktion
- III. „Waldheims Walzer“ (Ruth Beckermann)
Regisseurin Beckermann („Die Geträumten“) war damals mit der Videokamera bei einer der ersten Protestaktionen gegen Waldheim dabei. Deshalb ist der Blick auf den Wahlkampf polemisch und etwas einseitig. Aber umso unterhaltsamer ist die Pressekonferenz des Jüdischen Weltkongresses, der Ergebnisse seiner Recherche zu Waldheim präsentierte. Umso bizarrer sind Waldheims Interviews zu den Vorwürfen. Umso schockierender sind Aufnahmen der österreichischen Bevölkerung, die Waldheim mit antisemitischen Ausfällen gegen die Anschuldigungen bei Wahlkampfveranstaltungen verteidigt. Das ist ein wertvolles Stück Aufklärungsarbeit – auch für das heutige Österreich. Oder für europäische Länder wie Polen, die per Gesetz ihren Anteil am Holocaust unter den Teppich kehren wollen.
"What Walaa Wants" | © Christy Garland
- IV. „What Walaa Wants“ (Christy Garland)
"The Best Thing You Can Do with Your Life" | © Bruno Santamaría Razo
- V. „The Best Thing You Can Do with Your Life“ (Zita Erffa)
„Inland Sea“ | © 2018 Laboratory X, Inc.
- VI. „Inland Sea“ (Kazuhiro Soda)
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Mittwoch, 28. Februar 2018
Warum die deutschen Beiträge den Berlinale-Wettbewerb bereichert haben
schwanenmeister, 23:53h
Bei seiner vorletzten Berlinale hat Festivaldirektor Dieter Kosslick viel gewagt – vor allem auch mit den deutschen Wettbewerbsbeiträgen. Nur die Jury wollte nicht mitspielen. Ein Rückblick von Michael Müller
„Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ | © 2017 Philip Gröning
Deutsche Regisseure haben im Vorfeld ihre Unzufriedenheit über die Berlinale in einer gemeinsamen Erklärung ausgedrückt. Unter ihnen sind so bekannte Namen wie Volker Schlöndorff. In diesem Kontext wurde der Festivalleiter hart angegangen. Von einer „schweren Krise“, „Dilettantismus“ und „Kontaktunfähigkeit“ war die Rede. Das Berliner Filmfest brauche ein neues Gesicht. Bei diesen Äußerungen handelt es sich nicht um den Brief der 79 deutschen Regisseure, der vergangenen November von Spiegel Online publik gemacht und zugespitzt wurde. Nein, diese Kritik an der Berlinale stammt aus dem Jahr 1981. Die Erklärung war nicht gegen den amtierenden Festivaldirektor Dieter Kosslick, sondern gegen seinen Vorgänger Moritz de Hadeln gerichtet.
Damals warfen die deutschen Regisseure de Hadeln vor, nicht genug für den deutschen Film zu tun und seine Seele an die Hollywoodstudios verkauft zu haben. Geschichte wiederholt sich – nur mit anderen Vorzeichen. Diese Erkenntnis stammt aus der neuen, sehr lesenswerten Moritz-de-Hadeln-Biografie „Mister Filmfestival“, die der Filmhistoriker und Feuilleton-Chef der Neuen Zürcher Zeitung, Christian Jungen, auf der diesjährigen Berlinale präsentierte.
Was von der Berlinale 2018 bleiben wirdDer scheidende Berlinale-Chef Kosslick hat für den deutschen Film im Wettbewerb 2018 dagegen alles getan, was möglich war. Dass die internationale Jury unter Tom Tykwer bewusst alle deutschen Werke bei der Preisvergabe ignorierte, ist dagegen eine andere Geschichte. In seinem vorletzten Jahr programmierte Kosslick die Höchstzahl an möglichen Slots für deutsche Regisseure. Mit etwas Abstand betrachtet, müssen sich dabei selbst die größten Kritiker eingestehen, dass es vor allem die deutschen Beiträge waren, die über das Festival hinaus im Gedächtnis bleiben werden.
Die vier Filme zeigen die ganze Bandbreite der deutschen Filmindustrie: Ein Berliner-Schule-Film, der eigentlich nach Cannes gehört hätte; ein dreistündiges, an Heidegger angelehntes philosophisches Experiment; Glamour- und Schauspielkino, bei dem die Filmlegende Romy Schneider im Mittelpunkt steht; und eine unterhaltsame, lockerleichte Tragikkomödie über Mitarbeiter eines Großmarktes in Ostdeutschland. Das waren im Vorfeld einige der größten Unbekannten, die sich dann als einige der positivsten Überraschungen entpuppten.
Franz Rogowski in „Transit“ | © Schramm Film / Christian Schulz
Keine Zeit für PetzoldDass Christian Petzolds Film „Transit“, die auf den ersten Blick sehr clever erscheinende Verlegung eines Anna-Seghers-Romans aus dem Zweiten Weltkrieg in die Jetzt-Zeit, gefeiert würde, war schon im Vorfeld klar. Meine Überraschung war, wie wenig ich während des Festivals dann an Franz Rogowski und Paula Beer in Marseille zurückdenken musste. Das mag damit zusammen gehangen haben, dass ich während des Abspannsongs „Road to Nowhere“ von den Talking Heads bereits auf dem Weg in die nächste Vorführung war. Aber bis heute nagt an mir die Frage, ob es wirklich so clever ist, das Schicksal von Holocaust-Überlebenden, die vor den Nazis in Europa fliehen, mit aktuellen Flüchtlingsströmen emotional zusammenzubringen. Oder ob das nicht nur ein knalliger Effekt ist, dem der unterkühlte, perfekt inszenierte Film darüber hinaus nicht mehr viel hinzuzufügen weiß. Gerne gesehen habe ich „Transit“ natürlich trotzdem. Aber über die Jahre muss ich mir auch einfach eingestehen, dass ich Petzold meistens bewundere, aber selten liebe.
Rogowski ist der bessere GabelstaplerfahrerIch habe auf jeden Fall Franz Rogowski sehr gerne auf dieser großen Bühne zugeschaut. Aber noch deutlich mehr geschätzt, ja richtiggehend geliebt habe ich ihn in der Komödie „In den Gängen“ von Thomas Stuber. Solch einen Film im Wettbewerb zu programmieren, finde ich mutig. Komödien, besonders deutsche Komödien, sind normalerweise Kanonenfutter für internationale Kritiker. Nun lief „In den Gängen“, der den Zuschauer einen Blick hinter die Kulissen eines Großmarktes in der Nähe von Dresden werfen lässt, als einer der allerletzten Wettbewerbsfilme. Amerikaner und Briten sind zu diesem Zeitpunkt meist lange abgereist. Aber selbst ein Zuspätkommer wie der Guardian-Chefkritiker Peter Bradshaw hat sofort verstanden, wie viel Charme, Melancholie, Humor und Feingefühl in der Schilderung dieser Menschen an der Peripherie der Gesellschaft steckt.
Der Film basiert auf einem Roman von Clemens Meyer („Als wir träumten“), der ab und ab als Ernest Hemingway Ostdeutschlands beweihräuchert wird. Franz Rogowskis Figur Christian, der als Frischling in die Getränkeabteilung kommt und von Bruno (Gigantisch: Peter Kurth) unter seine Fittiche genommen wird, ist sehr wortkarg. Rogowski hat eine wunderschöne Art, seine lakonischen Sätze aus dem Mund zu quetschen. In der Gabelstabler-Schulung schaut er den herrlich gorigen Kult-Kurzfilm „Staplerfahrer Klaus“, während er sich im Großmarkt in die unwiderstehliche Marion (Sandra Hüller) verguckt. Es ist vor allem die Liebe, welche die Mitarbeiter untereinander für sich übrig haben, die den Film so hell erstahlen lässt. Wie sie sich helfen und necken, sich in diesem Großmarkt eine kleine heile Welt in der Nachwendezeit aufgebaut haben. Außerhalb des Marktes sind sie mit den echten Problemen der Welt konfrontiert, die an ihnen zehren, die der Film aber ganz subtil erzählt. Am besten manifestiert sich das in der Figur von Peter Kurth. Zuerst glaubt man, dem bulligen Kerl könnte nichts etwas anhaben oder aus der Ruhe bringen. Letztlich ist das nur die dünne Hülle eines todtraurigen Menschen.
„In den Gängen“ | © Sommerhaus Filmproduktion
Was die Jury geritten hatIch hätte „In den Gängen“ den Goldenen Bären für den besten Film gegeben. Aber offenbar hatte sich Tom Tykwer als Jurypräsident auf die Fahnen geschrieben, bloß keinen deutschen Kollegen auszuzeichnen. Das könnte ja wie Vetternwirtschaft wirken. Tatsächlich hat die Jury damit aber einfach Chancen vergeben, den deutlich stärkeren Wettbewerb als im vergangenen Jahr zu würdigen. Denn gerade auch der deutsche Dreistunden-Film „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ hätte prämiert werden müssen. Man könnte das aus Prinzip sagen: Weil es der am häufigsten ausgebuhte Film der Konkurrenz war und Harald Martenstein eine eklige Glosse im Tagesspiegel darüber geschrieben hat, wie er mit stolz geschwellter Brust nach einer Stunde aus dem Film herausgegangen ist. Man könnte natürlich aber auch einfach anführen, dass dieses Werk einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, einen Widerstand erzeugte und noch jetzt in meinem Kopf brütet.
In Philip Grönings Heidegger-Meditation, die ein heimliches Remake von Terrence Malicks Debütfilm „Badlands – Zerschossene Träume“ ist – Malick war übrigens Heidegger-Übersetzer –, geht es um ein Zwillingspaar, das auf einer Sommerwiese für das Abitur lernt. Elena (Julia Zange) hat demnächst ihre Philosophieprüfung, ihr Bruder Robert (Josef Mattes) hilft. Ab und an rennen sie in die nahe gelegene Tankstelle, nerven den Mitarbeiter und kaufen sich etwas zu essen oder zu trinken. Das ist vielleicht der ultimative Film über das Prokrastinieren und das Aufschiebenwollen des Erwachsenwerdens. Gröning hat dafür eine ganz eigene, eigenartige, teils wunderschöne, teils extrem anstrengende und auch angestrengte Form gefunden. Aber spätestens wenn sich im Schlussabschnitt diese Idylle in Gewalt und Exzess entlädt, ahnt auch der letzte Zuschauer, der bis dahin durchgehalten hat, dass diese Figuren ernsthafte Probleme haben. Ich kenne mich gar nicht mit Heidegger aus, aber ich weiß, dass solch eine Herausforderung jedem internationalen Wettbewerb gut zu Gesicht steht, ja, dass das einer der Filme sein wird, auf dem man das Jahr noch herumkauen kann.
„3 Tage in Quiberon“ | © Rohfilm Factory / Prokino / Peter Hartwig
Einige Romy-Schneider-TippsBliebe noch der letzte deutsche Beitrag, „3 Tage in Quiberon“ von Emily Atef, übrig. Den mochte ich. Letztlich bräuchte es Marie Bäumers Mimikry nicht, weil man sich auch die echte Romy Schneider in Hans-Jürgen Syberbergs extrem intimen Dokumentarfilm „Romy – Portrait eines Gesichts“ von 1967 anschauen könnte. Da gab es ähnliche Einsichten von Romy knapp 15 Jahre früher – auch in Schwarzweiß und herzzerreißend ehrlich. Aber „3 Tage in Quiberon“ erinnert an eine der besten deutschen Schauspielerinnen aller Zeiten. Er regt zu wunderbaren Gedanken über Romy an und dass man vielleicht noch mal den ein oder anderen Claude-Sautet-Film mit ihr anschaut – oder „Nachtblende“ von Andrzej Zulawski. Oder Michael Althens Kapitel in „Warte, bis es dunkel ist“ über sie liest. Außerdem mochte ich in Atefs Film die Figur des schmierigen Boulevardjournalisten Michael Jürgs (Robert Gwisdek). Diesen Figurentyp kennt man. Aber ich habe einen Fimmel für alte Fernsehnasen wie Jürgs oder auch Frank Plasberg, vor allem wenn mir Filme so unterhaltsam ihren ersten großen Durchbruch erzählen. Jürgs ist ein absolutes Arschloch, das man leidenschaftlich hassen kann. Letztlich ist er aber im Ensemble um Romy Schneider in der französischen Kurstadt Quiberon der ehrlichste und fairste Begleiter, der wenigstens sagt, dass er die Schneider für den eigenen Vorteil ausnutzt.
Höhere qualitative DichteDie deutschen Beiträge haben den Berlinale-Wettbewerb beflügelt. Darüber hinaus war er aber auch sonst ziemlich reichhaltig. Die qualitative Dichte war deutlich höher als im schwächeren Jahrgang davor. Das merkte man auch daran, dass nahezu jeder Kritiker einen anderen absoluten Favoriten besaß: Es gab das klassische Petzold-Lager; Kritiker wie Katja Nicodemus von der Zeit, die sich für das vierstündige philippinische Anti-Musical „Season of the Devil“ einsetzten; Briten, die vom schwelgerischen, herrlich gammelnden Russen „Dovlatov“ schwärmten; andere wiederum, die neorealistische Qualitäten in Laura Bispuris „Figlia mia“ entdeckt haben wollten; es gab den brillanten Eröffnungsfilm „Isle of Dogs“ von Wes Anderson, der bei mir nur knapp wegen des Lokalpatriotismus von „In den Gängen“ geschlagen wurde; der ins Mark gehende norwegische Beitrag „Utøya 22. Juli“ über den Anschlag auf die fünfhundert Jugendlichen in einem Sommercamp im Jahr 2011, der völlig zurecht verteidigt und mit äußerst bescheidenen Argumenten angegriffen wurde, weil die Kritiker bei einer 72-minütigen Szene ohne Schnitt keine intellektuelle Distanz aufbauen konnten.
Ich fand den polnischen Wettbewerbsbeitrag „Twarz“ klug, beißend satirisch und unter die Haut gehend; ich war sogar einer des überschaubaren Kreises, der beim Gewinnerfilm „Touch Me Not“ nicht die Pressevorführung vorzeitig verlassen hat und sehr wohl versteht, warum die Jury den Film ausgezeichnet hat, auch wenn der Goldene Bär für einen solch mutigen Debütfilm vielleicht etwas zu hoch gegriffen ist. Und so könnte ich weitermachen, „Museo“ oder „Unsane“ noch ins Feld führen ...
„Damsel“ | © Strophic Productions Limited
Wo war Nicholas Cages „Mandy“?Kritik am Wettbewerb lasse ich nur gelten, wenn es um den fehlenden Hollywood-Glamour geht. Ich weiß, dass es auch am Februar-Termin liegt und dass sich das unter einem neuen Festivaldirektor oder einer neuen Festivaldirektorin nicht ändern wird. Mir ist sogar im gesamten Programm eher aufgefallen, dass sich die Berlinale noch weiter von Sundance emanzipiert hat. Gut, es gab mit dem spaßigen „Don’t Worry He Won’t Get Far On Foot“ und „Damsel“ zwei Sundance-Premieren im Wettbewerb. Aber gerade für letzteren, einen ganz famosen Western des 21. Jahrhunderts, der in seinem derben Humor fast eine sehr originelle Variation von „Verrückt nach Mary“ ist und bei dem der Antiheld nicht wie Django einen Sarg, sondern ein Minipony namens Butterscotch hinter sich herzieht, bin ich sehr dankbar, dass er in Berlin lief.
Jedoch gerade die Nebenreihen haben sich meinem Gefühl nach von Sundance freigeschwommen. Das mag auch daran gelegen haben, dass es beim Indiefestival im Januar nicht das eine überragende Meisterwerk gegeben hat. Es sei denn, man wolle die umfeierte Midnight Madness „Mandy“ mit Nicholas Cage aufzählen. Da bleibt nämlich ein großes Defizit der Berlinale zu benennen: Der surreale Horrorfilm „Mandy“ wurde sicherlich gar nicht in die engere Auswahl der Sektionen mit einbezogen, was sehr schade ist. Denn mehr Genreaffinität kann man von den Berliner Filmfestspielen nicht oft genug einfordern.
Wettbewerbs-Empfehlungen:
* DAMSEL (David & Nathan Zellner)
* DOVLATOV (Alexey German Jr.)
* IN DEN GÄNGEN (Thomas Stuber)
* ISLE OF DOGS (Wes Anderson)
* MEIN BRUDER HEISST ROBERT UND IST EIN IDIOT (Philip Gröning)
* TOUCH ME NOT (Adina Pintilie)
* TWARZ (Małgorzata Szumowska)
* UTØYA 22. JULI (Erik Poppe)
Links: - Wettbewerb '17, - Wettbewerb '16, - Wettbewerb '15
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Negative-Space-Preise der Berlinale 2018
schwanenmeister, 01:20h
Der Werner-Hochbaum-Preis für den besten Film geht an:
* BECOMING ASTRID (Pernille Fischer Christensen)
* THE BEST THING YOU CAN DO WITH YOUR LIFE (Zita Erffa)
* CASANOVAGEN (Luise Donschen)
* DAMSEL (David & Nathan Zellner)
* AN ELEPHANT SITTING STILL (Hu Bo)
* THE GREEN FOG (Guy Maddin, Evan Johnson, Galen Johnson)
* IN DEN GÄNGEN (Thomas Stuber)
* INLAND SEA (Kazuhiro Soda)
* ISLE OF DOGS (Wes Anderson)
* LUZ (Tilman Singer)
* MEIN BRUDER HEISST ROBERT UND IST EIN IDIOT (Philip Gröning)
* PARA ADUMA (Tsivia Barkai Yacov)
* TWARZ (Małgorzata Szumowska)
* UTØYA 22. JULI (Erik Poppe)
* WHAT WALAA WANTS (Christy Garland)
Link: - Negative-Space-Preise 2017
- „In den Gängen“ (Thomas Stuber)
Der Ulrike-Ottinger-Preis für das Gesamtkunstwerk geht an:
© Sommerhaus Filmproduktion / Anke Neugebauer
- „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“
(Philip Gröning)
Der Eberhard-Schroeder-Preis für die beste Regie geht an:
© 2017 Philip Gröning
- Wes Anderson („Isle of Dogs“)
Der Richard-Fleischer-Preis für neue Perspektiven auf das Weltkino geht an:
© 2018 Twentieth Century Fox
- „An Elephant Sitting Still“ (Hu Bo)
Der Rod-Taylor-Preis für den besten Darsteller geht an:
© Internationale Filmfestspiele Berlin 2018
- Peter Kurth („In den Gängen“)
Der Ludivine-Sagnier-Preis für die beste Darstellerin geht an:
© Zorro Filmverleih
- Alba August („Becoming Astrid“)
Der Brigitte-Lahaie-Preis für Sinnlichkeit geht an:
© Erik Molberg Hansen
- Avigayil Koevary & Moran Rosenblatt („Para Aduma“)
Der Amy-Nicholson-Preis für Kickass Cinema geht an:
© Laila Films / Boaz Yehonatan Yacov
- „Luz“ (Tilman Singer)
Der Jan-Harlan-Preis für den besten Dokumentarfilm geht an:
© KHM / Dario Méndez Acosta, Tilman Singer
- „What Walaa Wants“ (Christy Garland)
15 Berlinale-Lieblingsfilme 2018 (alphabetisch):
© Christy Garland
* BECOMING ASTRID (Pernille Fischer Christensen)
* THE BEST THING YOU CAN DO WITH YOUR LIFE (Zita Erffa)
* CASANOVAGEN (Luise Donschen)
* DAMSEL (David & Nathan Zellner)
* AN ELEPHANT SITTING STILL (Hu Bo)
* THE GREEN FOG (Guy Maddin, Evan Johnson, Galen Johnson)
* IN DEN GÄNGEN (Thomas Stuber)
* INLAND SEA (Kazuhiro Soda)
* ISLE OF DOGS (Wes Anderson)
* LUZ (Tilman Singer)
* MEIN BRUDER HEISST ROBERT UND IST EIN IDIOT (Philip Gröning)
* PARA ADUMA (Tsivia Barkai Yacov)
* TWARZ (Małgorzata Szumowska)
* UTØYA 22. JULI (Erik Poppe)
* WHAT WALAA WANTS (Christy Garland)
Link: - Negative-Space-Preise 2017
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Dienstag, 27. Februar 2018
Legionäre Christi: Wenn der Hass aufhört
schwanenmeister, 01:29h
Die verblüffende Dokumentation „The Best Thing You Can Do with Your Life“ in der Perspektive Deutsches Kino erzählt sehr persönlich vom Leben bei den Legionären Christi. Regisseurin Erffa glaubte, ihren Bruder für immer an die konservative Ordensgemeinschaft verloren zu haben.
Bruder László im Vordergrund | © Bruno Santamaría Razo
Nur einmal im Jahr darf die Familie László besuchen. Ihre persönlichen Briefe werden von seinen Vorgesetzten gelesen. Die Regisseurin Zita Erffa zeigt auf ein Gruppenfoto der Legionäre Christi, auf dem auch ihr Bruder zu sehen ist. Mit dem Mauszeiger fährt sie über die einzelnen Gesichter um ihn herum und sagt: „Ihn hasse ich, und ihn hasse ich auch.“ Erffa fordert den Zuschauer auf, mal den Gründer der konservativen katholischen Ordensgemeinschaft, Marcial Maciel, zu googeln. Der habe Geld veruntreut und sei in sexuellen Missbrauch verwickelt gewesen. Wer jetzt aber einen Film sucht, welcher die Legionäre Christi als unterdrückende und aussaugende Sekte schildert, ist hier falsch.
Warum die sehr persönliche und intime Dokumentation „The Best Thing You Can Do With Your Life“, die ihre Weltpremiere in der Perspektive Deutsches Kino auf der Berlinale feierte, so für sich einnimmt, liegt auch an einem frühen Geständnis der Regisseurin: Sie mag es eigentlich nicht, wenn Menschen etwa ihre Großmütter dafür ausschlachten, um Filme zu drehen. Das eigene Leben als Material zu betrachten, ist Erffa zuwider. Aber irgendwie musste sie diesen Film über ihren Bruder machen. Ganz ehrlich sagt sie an einer Stelle, dass es ihr dabei vor allem um sie selbst geht, weil sie damals so enttäuscht von seiner Entscheidung war, nach Connecticut in die amerikanische Kleinstadt Cheshire zu gehen. Vielleicht mache sie diese persönliche Geschichte auch, weil sie ein Thema für ihr Filmstudium in München suche. Wer aber die Dokumentation schaut, merkt, dass das weder eine Abrechnung mit den Legionären Christi noch mit ihrem Bruder ist.
Im Ferienlager bei den LegionärenZum einen setzt sie sich selbst mit der eigenen Familiengeschichte auseinander. Alte Homevideo-Aufnahmen ihrer Eltern und unzählige Familien-Fotoalben hat sie für die Dokumentation zusammen gestellt. Sie erzählt von ihren Eltern, die ständig die Wohnorte wechselten (Namibia, Pakistan, Indonesien, Deutschland), so dass die Kinder überall und nirgends auf der Welt zuhause waren. Sie erzählt von den Ferienlagern der Legionäre Christi, die den Geschwistern immer sehr viel Spaß gebracht haben. Gleichzeitig schworen sie sich, niemals selbst dorthin gehen zu wollen. László ist vor acht Jahren in den Orden eingetreten. Die 31-jährige Regisseurin, die in Bangkok geboren wurden und in Jakarta Abitur machte, hatte sich wenigstens gewünscht, dass ihr Bruder zu den liberaleren Jesuiten gegangen wäre.
Dokumentationen sind nie objektiv. Jeder Protagonist, jede Szene, jeder Schnitt und jeder Ton ist eine Wertung des Regisseurs. Erffa gaukelt keine Neutralität vor: Sie will eigentlich zeigen, dass dieses Leben nicht gut für ihren Bruder ist. Das seien Menschen, bei denen Frauen nicht die gleichen Rechte eingeräumt bekämen, bei denen Minderheiten wie Homosexuelle diskriminiert würden, bei denen man keine Geheimnisse haben dürfe. Aber umso länger die Dokumentation läuft, umso mehr knüpft Erffa an ihre eigenen christlichen Wurzeln aus ihrer Kindheit an. Als sie László erzählt, er habe bei Nachbarn als kleiner Bub einen eigenen Gottesdienst abgehalten, kontert er scherzend: „Und du warst damals Päpstin – du wolltest immer ein höheres Amt haben als ich.“
Lust am EntdeckenGeradezu liebevoll zeigt sie das Alltagsleben der Legionäre: Wie sie Wäsche zusammenlegen, über Filmabende an Feiertagen reden, jeder seine persönliche Serviette im Schrank liegen hat, die Jüngeren gegen die Älteren das alljährliche Fußballspiel feiern, sich dabei christliche Fangesänge ausdenken, zusammen in der Küche albern. Es ist keiner dieser viel zu häufig vorkommenden Filme, die eine Arbeitshypothese beschließen, für die sie sich dann die passenden Stimmen und Szenen zusammensuchen, bis es hinhaut. Hier geht eine Filmemacherin mit offenen Augen auf Spurensuche. Erffa stellt im Laufe der Dreharbeiten fest, dass es László, den für sie schon verdrängten und totgeglaubten Bruder, bei den Legionären gut geht. Mehr noch: Dass er im Beten und im Dienst für Gott seine Bestimmung gefunden hat, die ihn völlig ausfüllt. Da spricht ein sehr reflektierter junger Mann vor der Kamera, der sich seinen kindlichen Charme, vor allem im Umgang mit seiner älteren Schwester, bewahrt hat. Er hat aber auch eine Gemeinschaft gefunden, die ihn trägt. Ein Film wie „The Best Thing You Can Do in Your Life“ ist so wertvoll, weil er sich trotz einer kritischen Grundhaltung als Dokumentation die Lust am Entdecken bewahrt hat.
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