Montag, 9. Dezember 2013
Bora, der Boxoffice-Schreck

Dağtekin beeindruckt Opas Kino (Glas, Weitershausen)
Diese Woche wird Bora Dağtekins Spielfilm „Fack Ju Göhte“ den bislang erfolgreichsten Film an den deutschen Kinokassen 2013, „Django Unchained“, passieren und auf die fünf-Millionen-Zuschauermarke zusteuern. Grund genug, noch mal genauer zurückzublicken.

Das bekannteste Zitat zu den extrem populären „Lümmel von der ersten Bank“-Filmen der 1960er- und 1970er-Jahre, die den direkten Vergleich mit „Fack Ju Göhte“ aufgrund ihrer Ähnlichkeit geradezu heraufbeschwören, stammt wohl aus Robert Fischers und Joe Hembus‘ herausgegebenem Lexikon „Der Neue Deutsche Film 1960-1980“. Als „strategisch brillantes Rückzugsmanöver des Altfilms“ wurden die von Franz Seitz produzierten Filme entlarvt, die den „revolutionären Geist von 1968“ auffingen, domestizierten und zur Genugtuung der Kleinbürger diffamierten. Anstatt „Ho-Ho-Ho-Tschi-Minh“ skandierten die Schüler in „Zum Teufel mit der Penne“ zum Beispiel parodierend „Ho-Ho-Hosen runter!“ Unter deutschen Filmwissenschaftlern und Filmkritikern genießen die Pepe-Filme bis heute einen schlechten Ruf. Die Kritik arbeitete sich vor allem an der versteckten Ideologie ab: Die Karikaturen der Lehrer seien verstaubten Witzblättern entnommen, schrieben Seeßlen und Kling im „Großen Unterhaltungslexikon“. So seien in den Filmen Zustände einer satirischen Kritik unterworfen worden, die längst überwunden seien, um so das Überlegenheitsgefühl des Publikums zu stärken. Ich habe auf der einen Seite immer diese reine Ideologiekritik der linken Kritiker-Ikonen, die Opas Kino prinzipiell verdammten, für ihre Strenge bewundert. Auf der anderen Seite hielt ich sie doch nur für die halbe Wahrheit, weil eine antiquierte Geisteshaltung nicht automatisch zu einem schlechten Film führen muss, zumal ich die Pepe-Filme ziemlich liebe.

Der trottelige Hausmeister, den Hans Terofal mit seinen funny bones, eines Slapstick-Komikers der Stummfilmzeit würdig, so kongenial in allen Lümmel-Filmen spielte, erhielt etwa den Nachnamen Bloch. Gewiss war das ein weiterer Beweis für die Voreingenommenheit des Altfilms gegenüber der 68er-Bewegung, der auf diese Weise versuchte, den marxistischen Philosophen und geistigen Vater der Studentenbewegung, Ernst Bloch, zu verspotten. Aber das ist eben einer der entscheidenden Unterschiede zwischen damals und heute. Diese verstaubten Grabenkämpfe haben in „Fack Ju Göhte“ für den Regisseur und Drehbuchschreiber Dağtekin höchstens noch eine untergeordnete Rolle. Obwohl ich nur zu gerne gesehen hätte, wie der Protagonist Zeki Müller, der sich ursprünglich auf den Hausmeister-Job bewirbt, die hibbelige Bloch-Rolle neuinterpretiert hätte. Elyas M’Barek konnte ja bereits Erfahrungen als Pausenkiosk-Betreiber in „What a Man“ sammeln, was übrigens der interessanteste Aspekt im ansonsten indiskutabel schlechten Schweighöfer-Film war. Jedenfalls ist Dağtekins Namedropping in „Fack Ju Göhte“ deutlich sympathischer und spielerischer als in den Lümmel-Filmen. Bei ihm heißt seine aufsässigste Problemschülerin Chantal Akerman, wie die belgische Kunst-Queen, was auch dem Branchenblatt Hollywood Reporter (englischer Verleihtitel „Suck Me Shakespeer“) nicht verborgen blieb. Das kleine, wissende Kopfnicken Richtung Avantgarde verstehe ich zumindest nicht als Diss, zumal Chantal – großartig gespielt von „Lollipop Monster“- und „Kriegerin“-Darstellerin Jella Haase – am Ende des Films zu einer Art Musterschülerin mutiert, sondern als Verweis darauf, dass Dağtekin nicht vor hat, auch noch „Fack Ju Göhte Teil 6 – Betragend ungenügend“ zu drehen.
Die Crystal-Meth-Bowle
Dabei lassen sich in der „Fack Ju Göhte“-Handlung beinahe aus jedem Klassiker des reichhaltigen deutschen Schulfilm-Fundus Versatzstücke erkennen. Aus Filmen also, die die Figur Zeki Müller nie in seinem Vertretungsunterricht zeigen würde, weil sie vorrangig in die verbotene Kategorie „Schwarzweiß-Scheiß eurer Nazi-Großeltern“ fielen. Schon in „Die Feuerzangenbowle“ gibt sich der Schüler Pfeiffer mit drei F als Lehrer aus und karnevalisiert das Rollenverhältnis. In „Fack Ju Göhte“ ist der falsche Lehrer ein Kleinganove, der interessanterweise mit Hilfe von Nutten, Drogenjunkies und einer Hartz-4-Familie seine Chaos-Klasse wieder auf den rechten Pfad bringt. Der Erich Kästner-Klassiker „Das fliegende Klassenzimmer“ könnte mit dem titelgebenden Theaterstück als Gemeinschaft stiftendes Klassenprojekt Pate für die Modernisierung des Shakespeare-Stücks gestanden haben. Das Streiche-Repertoire der 10b aus „Fack Ju Göhte“ unterscheidet sich auch nur unwesentlich von den ollen Kamellen der „Lümmel von der ersten Bank“. Dunklere Momente wie der Selbstmord-Internet-Chat der jüngsten Schwester erinnern dagegen etwa an ein kleines Hark-Bohm-Meisterwerk wie „Moritz, lieber Moritz“. Die zahlreichen, geschickt im Hintergrund eingewobenen Mobbing-Vorfälle in „Fack Ju Göhte“ könnten wiederum auf „Die unendliche Geschichte“ verweisen.

Tatsächlich ist das Mobbing in „Fack Ju Göhte“ nur scheinbar im Hintergrund. Denn es ist vor allem Teil der Persönlichkeitsentwicklung der beiden Protagonisten, womit wir beim größten Trumpf des Films angekommen sind. Wenn man jedenfalls einmal davon absieht, mit welcher Leichtigkeit und Konzentration diese deutsche Komödie gebaut, inszeniert, geschrieben und gespielt ist. An Gustaf Gründgens‘ bleischwerem Qualitätscredo von der „Unterhaltung, aber mit Haltung“ ist sonst noch fast jeder gescheitert, wenn man in den letzten Jahrzehnten von solchen Glücksfällen wie „Der Wald vor lauter Bäumen“ absieht. Denn das Mobbing definierte Karoline Herfurths Lehrer-Figur Lisi Schnabelstedt, die in der Pubertät etwas kräftiger war und diese Unsicherheit bis heute mit sich herumträgt. In ihr blitzt auch die linke Geisteshaltung der 68er-Generation wieder auf, wenn sie als Besserwisser-Öko-Tante ein geheimes Wörterbuch für Jugendsprache führt, um sich auf Augenhöhe mit den kleinen Monstern unterhalten zu können, was ihr aber nur die Ignoranz der Schüler und Rempeleien auf dem Schulflur einbringt. Ihre wichtigste didaktische Mission scheint – ganz den Doktrin des Bildungsnazis Bastian Sick folgend – die Rettung des Genitivs zu sein, womit sie ebenso kläglich scheitert. Die altgewordenen 68er und ihre verzogenen Kinder sind ein Lieblingsmotiv Dağtekins, dem er bereits in der TV-Serie und dem späteren Kinofilm „Türkisch für Anfänger“ gründlich und mit viel Humor nachgegangen ist. Wie überhaupt sein neuer Kinofilm durchaus auteuristische Qualitäten in Figuren, Themen, Schauspielern und Stilmitteln zeigt. Aber es ist eben Dağtekins überzeichneter, nur insgesamt viel ehrlicherer und kenntnisreicherer Blick auf die Lehrer, die in früheren Jahrzehnten meist nicht mehr als Witzblatt-Karikaturen waren, die aus „Fack Ju Göhte“ einen großen Wurf machen.
Warum Katja Riemann?
Die Lehrer in „Fack Ju Göhte“ bestehen aus Fleisch und Blut. Sie haben Schwächen, Leidenschaften und Sehnsüchte, ob als frische Referendarin oder als alte, mit allen Wassern gewaschene Direktorin. Sie haben nicht nur Diebesbeute unter der Turnhalle liegen, die im Film für nette Heist-Ausflüge sorgen, sondern auch geheime Briefe an sich selbst verfasst, in denen sie sich Kinder wünschen, ohne dick werden zu müssen – und deshalb Lehrer wurden. Viel besser kann man doch den von der Gesellschaft heute eingeforderten Spagat moderner Frauen nicht zusammenfassen. Dağtekin stammt bekanntlich aus einem Lehrerhaushalt. Er hat dadurch nicht nur das Ohr für die gefeiert-authentische Jugendsprache, die er blockbustergerecht ausbeutet, sondern auch für die Leiden der Uschi Glas, die sich als völlig überforderte Lehrerin aus dem ersten Stock stürzt. Jene Uschi Glas, die in den Lümmelfilmen damals das Millionärstöchterchen Marion Nietnagel gab und jetzt quasi einmal das System durchlaufen hat und auf der anderen Seite unsanft wieder ausgespuckt wurde. Das gab es zwar bereits in Hollywood mit Matthew Broderick, der in „Ferris macht blau“ die Lehrer zur Weißglut trieb und in „Election“ selbst an einer Schülerin verzweifelte. Aber diese Geschichte wird nie alt, vor allem wenn sie deutsche Filmgeschichte auf so wunderbare Weise miteinander verbindet. Nur eins müssen Sie mir erklären, Herr Dağtekin: Warum besetzen Sie immer wieder Katja Riemann? Bitte sagen Sie, dass die Constantin Sie dazu zwingt! Aus freien Stücken kann das doch nicht geschehen. Oder ist das Ihr persönliches Briefgeheimnis, das unter der Turnhalle lagert?

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Freitag, 6. Dezember 2013
Oscar-Nominierungen da aka Peter Travers veröffentlicht Top Ten 2013
Peter Travers' Top Ten:
01. Twelve Years A Slave
02. Gravity
03. The Wolf of Wall Street
04. Before Midnight
05. Her
06. American Hustle
07. Captain Phillips
08. Nebraska
09. Blue Jasmine
10. Inside Llewyn Davis
Peter Travers hat es sich nun fast schon seit Jahrzehnten zur eisigen Lebensaufgabe gemacht - ganz im Gegensatz etwa zu einer Kritiker-Ikone wie Roger Ebert, die noch versuchte, das Ergebnis in ihrem Sinne zu beeinflussen - die 'besten Filme' der Academy Awards mit seiner eigenen Top Ten vorherzusagen. Der mental begabte Rolling Stone-Kritiker bestätigt die beiden großen Favoriten "Twelve Years a Slave" und "Gravity". Er unterstreicht aber ebenso, dass "The Wolf of Wall Street", "Her" und "American Hustle" das Rennen noch spannend machen könnten. Und er macht Hoffnung auf eine 'Best Picture'-Nominierung für "Before Midnight", wobei Travers' Image ein bisschen angekratzt ist, weil seine Trefferquote in den letzten Jahren unter achtzig Prozent gesunken war.

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Mittwoch, 4. Dezember 2013
Roboterliebe würzt Oscar-Rennen
Wenn man den amerikanischen Oscar-Bloggern in den letzten Wochen so zuhörte, hätte man glauben können, dass das Rennen um den Goldjungen längst entschieden sei. Demnach gebe es tatsächlich nur zwei ernsthafte Anwärter, nämlich den Weltraum-Thriller "Gravity" und "Twelve Years a Slave", jenen als afroamerikanische Antwort auf "Schindlers Liste" abgestempelten neuen Film von Steve McQueen, der praktisch nicht mehr verlieren könne. Wie so häufig belehren uns die ersten Kritikerpreise eines Besseren. Die sich vorgedrängelt habenden New Yorker Filmkritiker wählten David O. Russells Allstar-Period-Piece "American Hustle" zum besten Film. Ein Werk also, das bislang in der Verlosung fehlte, weil es schlicht gesagt noch niemand gesehen hatte. Und das National Board of Review, was nach dem Rolling Stone-Kritiker Peter Travers als bestes Oscar-Orakel Hollywoods gilt, setzte Spike Jonze' roboterliebende Einsamkeitsstudie "Her" auf Platz eins. Einen Film, der bisher unter ferner liefen geführt wurde. Der alte William Goldman-Spruch "Nobody Knows Anything" ist treffender denn je. Zu sehr konzentrierten sich die so genannten Oscar-Experten wie Sasha Stone, Kris Tapley und Anne Thompson auf die beiden "Superstars" und eindeutigen Zugpferde im Rennen. Ich würde sagen: Jetzt haben wir überhaupt ein Rennen! Schreibt es nicht gleich wieder kaputt! Schließlich erscheint doch erst noch Martin Scorseses Börsen-Saga "The Wolf of Wall Street" und wird das Feld von hinten aufrollen.

Links: - NYFCC, - National Board of Review

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Sonntag, 1. Dezember 2013
Catch-22 (2013)

"Sag, My Little Pony ist cool!"
Catch-22 (alphabetisch)

BASTARDS - Claire Denis
BEFORE MIDNIGHT - Richard Linklater
BLAU IST EINE WARME FARBE - Abdellatif Kechiche
COMPUTER CHESS - Andrew Bujalski
THE CONJURING - James Wan
DARK HORSE - Todd Solondz
DJANGO UNCHAINED - Quentin Tarantino
FRANCES HA - Noah Baumbach
DER FREMDE AM SEE - Alain Guiraudie
JEUNE & JOLIE - François Ozon
JOURNEY TO THE WEST: CONQUERING THE DEMONS - Stephen Chow
MUTTER & SOHN - Calin Peter Netzer
NORTE, THE END OF HISTORY - Lav Diaz
PARADIES: HOFFNUNG - Ulrich Seidl
PASSION - Brian De Palma
PRINCE AVALANCHE - David Gordon Green
RUSH - Ron Howard
SEE YOU TOMORROW, EVERYONE - Yoshihiro Nakamura
SPRING BREAKERS - Harmony Korine
STORY OF MY DEATH - Albert Serra
TONNERRE - Guillaume Brac
YOU’RE NEXT - Adam Wingard

Dieses Jahr habe ich ausgiebig auf der Berlinale und der Viennale zwei wundervolle Festivals genossen und komme am Ende trotzdem nicht über die magische 100-Filme-Grenze. Das erzählt viel vom Rest meines Jahres. Dem kuratierten Angebot ist es aber zu verdanken, dass ich Anfang Dezember keinerlei Gewissensbisse habe, in der Tradition der altehrwürdigen Steadycam eine Catch-22-Liste aufzustellen. Die Franzosen hatten einen wahnsinnig starken Jahrgang zu bieten. Die Amerikaner überraschten mich positiv abseits der Blockbuster-Saison. Und in meiner letzten Nachholphase hätte ich gerne den ein oder anderen Asiaten mehr geschaut, was ich wohl noch für die knallhart heruntergezählte Top Ten Ende Dezember machen werde, wo ich dann auch erst die Dokumentarfilme zu ihrer wohl verdienten Ehre kommen lasse. Eines ist jedenfalls klar: So viele gute neue Filme habe ich seit 2010 nicht mehr innerhalb eines Jahres entdeckt.

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Donnerstag, 28. November 2013
Der mit dem Costner tanzt
Und die Friedenspfeife baumelt über'm Videogerät ...
Warum Eigenlob stinkt und die Recherche beim neuen Quentin Tarantino-Film nicht schon beim Genre enden sollte.

Während sich vor ein paar Wochen andere Blogs ausschließlich an der vermeintlich mauen Qualität von Quentin Tarantinos mainstreamiger Top Ten-Liste 2013 abgearbeitet hatten, war Movies & Sports eine der wenigen Filmseiten, die die tatsächliche Brisanz dahinter erkannte. Der Mann, der sich diese Filmtitel mehr aus Verlegenheit denn aus Überzeugung gegenüber der französischen Filmzeitschrift Les inRocKuptibles aus den Rippen drückte, hatte augenscheinlich nicht wirklich Zeit für den aktuellen Kinojahrgang gehabt. Er war in den letzten Monaten mit seinen Gedanken bereits bei seinem nächsten Filmprojekt, das sämtliche Ressourcen in Anspruch nahm. Seit letzter Nacht ist nun - dank Quentins Auftritt in der Tonight Show von Jay Leno - bekannt, dass der neue Film wieder im Western-Genre angesiedelt sein wird. Und damit endete ebenso die Berichterstattung der meisten Blogs. Dabei hätte man mit ein bisschen Sachverstand und QT-Aficionado-Wissen schnell auf das wahrscheinliche Thema des Westerns kommen können.

Im August unterhielt ich mich per Twitter anlässlich eines Interviews, das Tarantino der Jewish Journal-Bloggerin Danielle Berrin zur Buchveröffentlichung „The Collaboration“ gab, mit Jenny vom Blog The Gaffer. Ein bisschen gepflegter Small Talk: Wir spielten die bekannten Möglichkeiten durch, was denn Tarantinos nächster Film werden könnte. Sie war vor allem von dem Interview ziemlich angestachelt: „Ich möchte so gerne, dass sich Tarantinos nächster Film mit der Studio-Ära befasst.“ Dazu passte aber weder das verheißungsvolle Sexploitation-Projekt „Cowgirls in Sweden“ noch die „Inglourious Basterds“-Fortsetzung um eine schwarze Militäreinheit hinter feindlichen Linien. Es hätte in diesem Fall also am ehesten auf den Pretty Boy Floyd-Gangsterfilm hinauslaufen müssen, der sich dann intensiv mit den Machenschaften des Warner Brothers-Studios auseinandergesetzt hätte. Ziemlich klar war mir zum Zeitpunkt dieser wilden Spekulation nur, dass Tarantino mit seinem nächsten Film die Abrundung seiner History-Trilogie forcieren würde. Nachdem sich „Inglourious Basterds“ und „Django Unchained“ unter anderem als fiktive Rachefantasien für jüdische und afroamerikanische Menschen lesen ließen, lag es auf der Hand, dass als nächstes und letztes die amerikanischen Ureinwohner in den Mittelpunkt rücken müssten.
Der King of Rock 'n' Roll als Inspiration
„Amerika ist für zwei Holocausts in seinem Land verantwortlich: für die Ausrottung der indianischen Ureinwohner und für die Versklavung von unzähligen Afrikanern, Jamaikanern und Westindern in der Zeit des Sklavenhandels“, sagte Tarantino auf der Pressekonferenz zur Deutschlandpremiere von „Django Unchained“ diesen Januar. Die hier angesprochenen Native Americans tauchten aber bislang noch in keinem Tarantino-Film auf. Dabei gärt die Idee dazu schon sehr lang in den Gehirnwindungen des Regisseurs. Laut eigener Aussage ist Quentin Tarantino zu einem Viertel Cherokee. Er wurde von seiner Mutter nach einer Burt-Reynolds-TV-Figur benannt, die indigene Wurzeln besitzt. Als der kleine Quentin im Fernsehen Western mit seiner Ma schaute, fragte er, ob denn seine Familie damals auch bei den Indianern mitgekämpft hätte, was sie bejahte. Als Tarantino Elvis Presley so verehrte, dass er ihn in „True Romance“ zu dem einzigen Mann auserkor, mit dem er im Zweifelsfall einmal Sex haben würde, hatte das auch zumindest ein bisschen mit Presleys eigenen indigenen Wurzeln zu tun. Und einer von Tarantinos zahlreichen Lieblingswestern ist Don Siegels „Flaming Star“, ein melodramatisches Meisterwerk, in dem Presley ein Halbblut spielt, das sich zwischen der eigenen Familie und dem Indianerstamm entscheiden muss.

Mein Gefühl sagt mir, dass der Mann, der nicht an Gott glaubt, aber den indianischen Glauben im 1970er-Selbstjustiz-Thriller „Billy Jack“ für plausibel hält und der „Little Big Man“ verehrt sowie Sam Fuller pusht, wo er nur kann, weil er unter anderem mit „Run of the Arrow“ eine der würdigsten Darstellungen von amerikanischen Ureinwohnern in den 1960er-Jahren hinlegte, seinen nächsten Western genau davon handeln lassen wird. Darum faszinieren Tarantino auch die deutschen Winnetou-Filme. Und es wäre fast noch interessanter zu erfahren, was er von den populären DDR-Indianer-Western wie „Die Söhne der großen Bärin“ und „Chingachgook, die große Schlange“ halten würde. Einer von Tarantinos allerliebsten Western ist „Navajo Joe“ von Sergio Corbucci, der bis heute in der Filmgeschichte nicht den ihm eigentlich angestammten Platz zugewiesen bekommen hat. Burt Reynolds als Indianer auf großer, befriedigender Rachetour lieferte zum Beispiel auch das musikalische Thema der Bride in „Kill Bill“. In den letzten Jahren entflammte Tarantinos Leidenschaft für den Italowestern-Regisseur Corbucci noch mal besonders. So sehr nämlich, dass er den zweiten Sergio mittlerweile in einem Atemzug mit Sergio Leone nennt. Er wollte sogar eine Monographie über Corbucci schreiben. Geworden ist es dann nur ein kleiner, aber feiner Essay im Fangoria-Heft, der den Titel „Sergio Corbucci: 60s Cinema's Brutal Provocateur“ trug. Tarantinos Kernthese lautet, Corbucci benutze seine Western vor allem, um vom innewohnenden Bösen des Faschismus zu erzählen. Tarantino wird in diesem Sinne seinen zweiten Western wahrscheinlich ähnlich verwenden, sich treu bleiben und von der von ihm so empfundenen verdrängten amerikanischen Geschichte fabulieren.
The Postman Always Rings Twice
Eine Darsteller-Spekulation kann ich zum Abschluss auch noch anbieten: Es ist immer die Frage, wen Tarantino zurückholt und wen er neu entdeckt. Ich glaube tatsächlich an Kevin Costner, der in „Django Unchained“ bereits den Mandingo-Trainer Ace Woody spielen sollte, aber wegen Terminengpässen absagen musste. Ganz ähnlich lief es 1994 mit der ausgebooteten Pam Grier in „Pulp Fiction“, die sich ein paar Jahre später als Hauptdarstellerin in „Jackie Brown“ wiederfand. Für solche Casting-Fälle hat Tarantino, der Costners Karriere seit den 1980er-Jahren genauestens verfolgt, ein sehr gutes Gedächtnis. Gerade die wunderbaren ersten Filme Costners bis in die frühen 1990er-Jahre wie „Fandango“, „Bull Durham“ oder „Revenge“ betet Tarantino förmlich an. Und als er letztes Jahr für „Django Unchained“ auf Werbetour durch die Late-Night-Talkshows tingelte, lobte er ausdrücklich Costners Leistung im Western-TV-Mehrteiler „Hatfields & McCoys“. Einen Film wie „Der mit dem Wolf tanzt“ indes wird Tarantino nicht im Kopf haben, wenn er an Costner denkt. Kürzlich schwärmte er noch von so genannten US Adult Western Paperbacks, die etwa Autoren wie Ralph Hayes und Donald Goines geschrieben haben und in ihrer Grausamkeit selbst Gore-Experten wie Lucio Fulci oder Umberto Lenzi das Fürchten lehren würden. Mit einem Edel-Winnetou ist also nicht zu rechnen, was dann auch die allerletzten Hoffnungen im Produzentenkreis des geplanten deutschen Remakes zerschlagen dürfte.

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Dienstag, 26. November 2013
Cream of the Crop 2013
Cream of the Crop 2013 ist meine alljährlich wiederkehrende Tradition des Listenstaubsaugers, der alle Top Ten-Listen, die es in meinen Augen wert sind, gesammelt zu werden, an einem Ort vereint:

Anmerkung (06.01.): Updates im Dezember wegen akuter Lustlosigkeit eingestellt, da sich die die amerikanischen Listen zu ähnlich waren und die deutschen zu lange auf sich warten ließen.

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Kritiker/Regisseure:

Peter Bradshaw (06.12.): The Great Beauty, The Act of Killing, Gravity, Only God Forgives, I Wish, Before Midnight, The Selfish Giant, Blue Jasmine, Blue Is the Warmest Color, Winter of Discontent

Michel Ciment (28.12.): A Touch of Sin, Blue Is the Warmest Color, Inside Llewyn Davis, Paradies-Trilogie, Venus in Fur

Justin Chang (13.12.): 01. Before Midnight 02. Gravity 03. Stories We Tell 04. Blue Is the Warmest Color 05. The World's End 06. Inside Llewyn Davis 07. The Grandmaster 08. American Hustle 09. Her 10. The Conjuring

Richard Corliss (04.12.): 01. Gravity 02. The Great Beauty 03. American Hustle 04. Her 05. The Grandmaster 06. Furious 6 07. Frozen 08. The Act of Killing 09. 12 Years a Slave 10. The Hobbit: The Desolation of Smaug

Manohla Dargis (11.12.): American Hustle, Before Midnight, Behind the Candelabra, Captain Phillips, The Counselor, The Grandmaster, The Great Beauty, Her, Inside Llewyn Davis, Manakamana, Redemption, Rush, Spring Breakers, The Square, A Touch of Sin, Twelve Years a Slave

David Ehrlich (03.12.): 01. Before Midnight 02. The Wind Rises 03. Inside Llewyn Davis 04. Twelve Years a Slave 05. The Grandmaster 06. Spring Breakers 07. At Berkeley 08. A Touch of Sin 09. Leviathan 10. Post Tenebras Lux

Scott Foundas (13.12.): 01. Her 02. The Wind Rises 03. American Hustle 04. Blue Is the Warmest Color 05. Inside Llewyn Davis 06. At Berkeley 07. Nebraska 08. Twelve Years a Slave 09. Gravity 10. The Counselor

Owen Gleiberman (06.12.): 01. Twelve Years a Slave 02. American Hustle 03. Before Midnight 04. Fruitvale Station 05. Gravity 06. Blue Jasmine 07. The Past 08. World War Z 09. Prisoners 10. Inside Llewyn Davis

Jay Hoberman (06.12.): 01. Gravity 02. Hannah Arendt 03. The Bling Ring, Computer Chess, Her, The Fifth Estate 04. Le Pont du Nord 05. Portrait of Jason 06. Leviathan, People’s Park, Manakamana 07. Triscuits 08. Video: David Kehr 09. Student, Norte the End of History 10. When Evening Falls on Bucharest or Metabolism

Christoph Huber (18.12.): 01. Pain & Gain 02. Paradies: Glaube 03. Spring Breakers 04. A Touch of Sin 05. You Ain't Seen Nothing Yet 06. Gravity 07. To the Wonder 08. The Last of the Unjust 09. Berberian Sound Studio 10. Only God Forgives

Nick James (27.11.): Frances Ha, The Great Beauty, Her, Ida, The Missing Picture, The Selfish Giant, Stray Dogs, Under the Skin, Upstream Color, Wadjda, We Steal Secrets, Zero Dark Thirty

Jenny Jecke (26.12.): 01. Not Fade Away 02. Spring Breakers 03. Frances Ha 04. Der Fremde am See 05. Gravity 06. The Great Beauty 07. Zero Dark Thirty 08. Pain & Gain 09. Lincoln 10. Pacific Rim

David Jenkins (09.12.): 01. Stray Dogs 02. Only Lovers Left Alive 03. Snowpiercer 04. Story of My Death 05. Bastards 06. Gravity 07. Blue Jasmine 08. Drug War 09. Her 10. Night Moves

Robert Koehler (13.12.): 01. Leviathan 02. A Touch of Sin 03. Inside Llewyn Davis 04. American Hustle 05. The Last Time I Saw Macao + A Spell To Ward Off the Darkness, Norte The End of History, What Now? Remind Me, Fair Wind, Stop the Pounding Heart

Eric Kohn (05.12.): 01. Twelve Years a Slave 02. Leviathan 03. Before Midnight 04. The Act of Killing 05. Blue Is the Warmest Color 06. Museum Hours 07. Inside Llewyn Davis 08. Computer Chess 09. Upstream Color 10. Gloria

Guy Lodge (25.12.): 01. Gravity 02. The Selfish Giant 03. Under the Skin 04. The Immigrant 05. Mother of George 06. Child's Pose 07. Tom at the Farm 08. Frances Ha 09. Blue Is the Warmest Color 10. The Heat

Karina Longworth (10.12.): The Act of Killing, Ain't Them Bodies Saints, Bastards, Before Midnight, The Bling Ring, The Butler, Computer Chess, Enough Said, Frances Ha, Her, Like Someone in Love, No, Passion, Room 237, Simon Killer, Spring Breakers, This Is the End, Upstream Color, The Wolf of Wall Street, The World's End

Drew Mc Weeny (18.12.): 01. Her 02. Before Midnight 03. Short Term 12 04. The Wolf of Wall Street 05. Gravity 06. Twelve Years a Slave 07. Spring Breakers 08. Inside Llewyn Davis 09. Stories We Tell 10. Cheap Thrills

Olaf Möller (19.12.): 00 Schneider - Im Wendekreis der Eidechse, Nach der Revolution, Berberian Sound Studio, Oben ist es still, Only God Forgives, Paradies-Trilogie, Spring Breakers, To the Wonder, Venus im Pelz, Zero Dark Thirty

Adam Nayman (18.12.): 01. The Act of Killing 02. Bastards 03. Inside Llewyn Davis 04. Leviathan 05. Museum Hours 06. Neighboring Sounds 07. Room 237 08. Something in the Air 09. Touch of Sin 10. Viola

Mark Schilling (26.12.): 01. The Tale of Princess Kaguya 02. Like Father, Like Son 03. A Story of Yonosuke 04. The Devil's Path 05. The Wind Rises 06. The Ravine of Goodbye 07. GFP Bunny 08. Homesick 09. It's Me, It's Me 10. Japan’s Tragedy

A.O. Scott (11.12.): 01. Inside Llewyn Davis 02. Twelve Years a Slave 03. Blue Is the Warmest Color 04. Enough Said 05. A Touch of Sin 06. All Is Lost 07. Frances Ha 08. Hanna Arendt 09. The Butler 10. The Great Gatsby, The Wolf of Wall Street, The Bling Ring, Spring Breakers, Pain & Gain, American Hustle

Dana Stevens (10.12.): The Act of Killing, Before Midnight, Beyond the Hills, Enough Said, Her, Inside Llewyn Davis, Nebraska, No, Stories We Tell, Wadja

Rüdiger Suchsland (19.12.): Spring Breakers, Something in the Air, Django Unchained, Blue Is the Warmest Color, Blancanieves, The Bling Ring, The East, The Grandmaster, Die Lebenden, Michael Kohlhaas

Amy Taubin (28.12.): A Touch of Sin, Spring Breakers, Out-Takes from the Life of a Happy Man, Computer Chess, Bastards

Kris Tapley (13.12.): 01. Gravity 02. Mud 03. Inside Llewyn Davis 04. Before Midnight 05. This Is the End 06. The Place Beyond the Pines 07. All Is Lost 08. Spring Breakers 09. Nebraska 10. Out of the Furnace

Anne Thompson (13.12.): 01. Gravity 02. Nebraska 03. Twelve Years a Slave 04. Captain Phillips 05. Short Term 12 06. Before Midnight 07. Her 08. Enough Said 09. Fruitvale Station 10. Stories We Tell

Peter Travers (06.12.): 01. Twelve Years a Slave 02. Gravity 03. The Wolf of Wall Street 04. Before Midnight 05. Her 06. American Hustle 07. Captain Phillips 08. Nebraska 09. Blue Jasmine 10. Inside Llewyn Davis

John Waters (01.12.): 01. Spring Breakers 02. Camille Claudel 1915 03. Abuse of Weakness 04. Hors Satan 05. After Tiller 06. Hanna Arendt 07. Beyond the Hills 08. Blue Jasmine 09. Blackfish 10. I'm so Excited!

Jeffrey Wells (10.12.): 01. The Wolf of Wall Street 02. 12 Years a Slave 03. Inside Llewyn Davis 04. Her 05. Dallas Buyer's Club 06. All Is Lost 07. Blue Is the Warmest Color 08. American Hustle 09. Gravity 10. The Past

Edgar Wright (19.12.): 01. Gravity 02. Spring Breakers 03. Blue Jasmine 04. Before Midnight 05. Behind the Candelabra 06. Short Term 12 07. The Spectacular Now 08. Prisoners 09. The Bling Ring 10. Rush

Neil Young (13.12.): 01. Frances Ha 02. Gravity 03. Leviathan 04. Prisoners 05. This Is the End 06. Star Trek Into Darkness 06. Zero Dark Thirty 08. You're Next 09. Wrong 10. Blue Is the Warmest Color

Stephanie Zacharek (18.12.): Gravity, Blue Is the Warmest Color, Inside Llewyn Davis, Much Ado About Nothing, Frances Ha, The To Do List, Before Midnight, Stories We Tell, 20 Feet from Stardom, Despicable Me 2, Dark Skies


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Institutionen:

Cahiers du Cinema (26.11.): 01. Stranger by the Lake 02. Spring Breakers 03. Blue Is the Warmest Color 04. Gravity 05. A Touch of Sin 06. Lincoln 07. Jealousy 08. Nobody's Daughter Haewon 09. You and the Night 10. La Bataille de Solférino

Film Comment (16.12.): 01. Inside Llewyn Davis 02. Twelve Years a Slave 03. Before Midnight 04. The Act of Killing 05. A Touch of Sin 06. Leviathan 07. Gravity 08. Computer Chess 09. Frances Ha 10. Upstream Color

indieWIRE (17.12.): 01. Twelve Years a Slave 02. Inside Llewyn Davis 03. Before Midnight 04. Her 05. Gravity 06. The Act of Killing 07. Leviathan 08. Blue Is the Warmest Color 09. Upstream Color 10. Frances Ha

Sight & Sound (29.11.): 01. The Act of Killing 02. Gravity 03. Blue Is the Warmest Color 04. The Great Beauty 05. Frances Ha 06. A Touch of Sin 06. Upstream Color 08. The Selfish Giant 09. Norte, The End of History 09. Stranger By the Lake

Village Voice (18.12.): 01. Inside Llewyn Davis 02. Her 03. Twelve Years a Slave 04. Before Midnight 05. The Act of Killing 06. Leviathan 07. Upstream Color 08. Gravity 09. Frances Ha 10. Blue Is the Warmest Color



Links: - 2012, - 2011, - 2010

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Montag, 25. November 2013
SigiGötz-Entertainment-Heft #23 am Kiosk

"Die Fremde am See": SGE-Cover-Girl Leonie
Das Lifestyle-Magazin für den junggebliebenen Cineasten legt kurz vor dem 70. Geburtstag seines Namenspatron eine sehr ausgewogene 23. Ausgabe vor. Viktor Rotthaler berichtet vom 11. außerordentlichen Hofbauer-Kommando-Kongress, während Rainer Knepperges und die Ferroni-Brigade gemeinsam unseren Krautploitation-Gott Rolf Olsen auseinandernehmen. Stefan Ertl schreibt über den Kultfilm "Mosquito - Der Schänder", und Ulrich Mannes reichert die SGE-Glamour-Bibliothek gewohnt kenntnisreich an. Mehr Leidenschaft, Stil und deutsche Filmgeschichte wird man für nur drei Euro schwerlich auf diesem Planeten finden.

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TV-Tipp: "Das fehlende Bild" am 6. Dezember
TV-Termin: "L'image manquante" - 06.12. - 8.55 Uhr - Arte

Der diesjährige Gewinner der Un Certain Regard-Sektion von Cannes läuft am 6. Dezember als Wiederholung um 8.55 Uhr auf Arte. Also Aufnahmegeräte programmieren und einen der aufwühlendsten und künstlerisch wertvollsten Filme des Jahres mitschneiden. Rithy Panhs Dokumentation und ganz persönliche Erinnerungs-Collage über die Gräueltaten der Roten Khemer begeistert vor allem aufgrund seiner visuellen Konzeption. Da so gut wie kein authentisches Filmmaterial aus den 1970er-Jahren existiert - hauptsächlich überlebten nur gesäuberte und ideologisch ausgerichtete Propagandaschnipsel -, hauchte Panh mit Ton seiner teils ermordeten, teils verstorbenen Familie und Freunden Leben in Form von kleinen Platzhaltern ein, um endlich Bilder für verdrängte Vergangenheit zu finden und ihre und seine Geschichte zu erzählen. Ursprünglich hatte ich den Film in mein Viennale-Programm nur als Kompensation aufgenommen, weil ich die thematisch ähnlich gelagerte Doku "The Act of Killing" auf der Berlinale und Claude Lanzmanns Film "The Last of the Unjust" nun in Wien verpasste. Aber was soll ich sagen: So wurde "Das fehlende Bild" zu einer meiner ganz wenigen echten Überraschungen des gesamten Programms und zu einer der Filmerfahrungen des Jahres, die sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt haben. Arte strahlte den Film so zeitnah als Teil einer auch ansonsten sehr lohnenswerten Dokumentar-Reihe Ende November aus, in der u. a. auch "Whores' Glory" und "The Big Eden" diese Woche laufen werden. In der verlinkten Arte-Mediathek kann die Doku "Das fehlende Bild" bereits die kommenden sieben Tage angeschaut werden.

Links: - Arte-Stream, - IMDb

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Freitag, 15. November 2013
Dağtekin überflügelt Schweiger & Schweighöfer
Deutscher Film "Fack Ju Göhte" mit Elyas M'Barek und Karoline Herfurth hat nach elf Tagen schon über 2,1 Mio. Kinobesucher.

Die Paukerkomödie "Fack Ju Göhte", die nicht nur wegen des filmgeschichtlich hochinteressanten Cameos von Uschi 'Nietnagel' Glas im besten Sinne an die Pepe-Filme der 1960er und 1970er-Jahre erinnert, schafft es ersten Trendzahlen nach, das zweitbeste Startwochenende des Jahres mit 900.000 Zuschauern an diesem Wochenende noch mal zu überflügeln. Es ist dieser selten erreichte Schwebezustand mit einem Quasi-Nullverlust an der Spitze der Kinocharts, der klar macht, dass sich nicht allein die kongeniale, dauerbeschallende Werbestrategie der letzten Monate für den Verleih Constantin ausgezahlt hat. Nein, "Fack Ju Göhte" gefällt offenbar den Zuschauern, er wird weiterempfohlen und entwickelt sich zu einem Boxoffice-Phänomen, dem die ansonsten immer dominierende Hollywood-Konkurrenz noch nichts entgegenzusetzen hat. Das Kräftemessen mit der Fortsetzung von "Die Tribute von Panem" in den kommenden Tagen wird deshalb umso gespannter erwartet. Aber vor allem die fallenden Temperaturen und die gemütliche Wärme des Kinosaals werden das Einspielergebnis zusätzlich befeuern.

Der Erfolg des Films kommt einer tektonischen Plattenverschiebung in der deutschen Filmindustrie gleich. In den letzten Jahren gab es eigentlich nur zwei große deutsche Player, die sich den Komödienmarkt brüderlich aufgeteilt haben: Til Schweiger und sein Ziehsohn Matthias Schweighöfer. Deren aktuelle Erfolgsprojekte "Kokowääh 2" und "Schlussmacher" wird "Fack Ju Göhte" innerhalb nur weniger Tage überflügelt haben. Von Florian David Fitz spricht da schon fast niemand mehr. Und Bully Herbig muss mit seiner Schutzengel-Komödie "Buddy", die dank Schweigers letztjährigen actiongeladenen "Schutzengel"-Bruchlandung keine gute Aura genießt, erst beweisen, dass ihn das Publikum abseits seines Klamauks aus der Bullyparade in einem capraesken Märchen à la "Otto - Der Außerfriesische" sehen will. Der "Fack Ju Göhte"-Regisseur Bora Dağtekin dagegen hatte schon letztes Jahr den erfolgreichsten deutschen Film des Jahres gedreht. "Türkisch für Anfänger" fand 2,4 Millionen Zuschauer und gehörte zu den zehn populärsten Kinofilmen 2012. Ja, sein Debütfilm basierte auf einer TV-Serie, was aber im Gegensatz zur Franchise-Strategie der Hollywood-Blockbuster nicht einmal ein Vorteil war. Die wundervolle ARD-Vorabendserie um die multikulturelle Familie Öztürk-Schneider zehrte drei Staffeln lang vor allem von seinen TV-Preisen und fand ein überschaubares, aber treues Publikum erst später über Wiederholungen in den Dritten Programmen und auf DVD.

Eigentlich müssten Agenturen aus Hollywood nach zwei solch riesigen Zuschauererfolgen anrufen oder zumindest einmal nachfragen, ob Dağtekin nicht Lust hätte, mit irgendeiner x-beliebigen Direct-to-DVD-Produktion um abgehalfterte Recken wie Matt LeBlanc und Eddie Izzard durchzustarten. Dann würden seine Hits zumindest nicht mehr den deutschen Marktanteil in die Höhe schrauben. Und bis er aus seinem Vertrag rauskäme, hätte er das Händchen für hitverdächtige Gags verloren und wäre nur noch ein Schatten seiner selbst. Wobei der Sprung vom Komödien-Regisseur über den großen Teich noch ungleich schwerer ist als der eines Genrespezialisten für Thriller oder Horrorfilme. Man denke nur an Til Schweigers wiederholte Versuche. Das Schlimmste, was Dağtekin in Deutschland widerfahren kann, ist, dass Niels Ruf seinen neuen Film von "Bad Teacher" abgekupfert sieht. Geht doch, oder? Wer ein großes Interesse daran haben müsste, dass Dağtekin hier weiter dreht, ist der Constantin-Chef Martin Moszkowicz. Seit Bernd Eichingers Tod floppten die deutschen Prestige-Projekte wie das Natascha Kampusch-Biopic "3096 Tage" oder die teuren internationalen Co-Produktionen wie "Chroniken der Unterwelt". Auch der neue, klobige Tarzan-Animationsfilm sieht aus, als würde er seiner Zeit hinterherhinken. Aber wer sagt denn, dass sich Bora Dağtekin nach dem sechs oder sieben Millionen-Blockbuster, auf den "Fack Ju Göhte" jetzt zusteuert, nicht selbstständig macht.

Nachtrag (17.11.): Der Sonntag-Trend deutet sogar darauf hin, dass "Fack Ju Göhte" schönerweise über eine Million Zuschauer am zweiten Wochenende haben wird. Auch die Otfried Preußler-Verfilmung "Das kleine Gespenst" schreibt derweil sehr erfreuliche Zahlen in den Kindervorstellungen und verbessert noch sein ordentliches erstes Wochenende.

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Freitag, 8. November 2013
Viennale-Lieblingsfilme 2013
- Zehn Lieblingsfilme (alphabetisch) -

BLUE IS THE WARMEST COLOR - Abdellatif Kechiche
DER FREMDE AM SEE - Alain Guiraudie
JEUNE & JOLIE - François Ozon
THE LADIES MAN - Jerry Lewis
THE MISSING PICTURE - Rithy Panh
NEBRASKA - Alexander Payne
NORTE, THE END OF HISTORY - Lav Diaz
STORY OF MY DEATH - Albert Serra
STRAY DOGS - Ming-liang Tsai
TONNERRE - Guillaume Brac

31 Filme in 9 Tagen; ein Best-of aus Berlinale, Cannes, Locarno und Venedig; Retrospektiven für die amerikanischen Comedy-Genies Will Ferrell und Jerry Lewis sowie den spanischen Sex-Philosophen und großen Unbekannten Gonzalo García Pelayo; Cine-Größen wie Mark Peranson und Neil Young live in Aktion sehen zu können; fast in Nora von Waldstätten zu stürzen, über Maximilian Schell zu stolpern oder Peter 'Sugar Sugar Baby' Kraus über die Kärntner Straße flanieren zu sehen; wenig Überraschendes, aber vermehrt Schönes, wie man hier zu sagen pflegte; gerade zwei Filme aus dem Wettbewerb von Locarno waren echte, immer noch pulsierende Entdeckungen. Und ich habe mit dem Lav Diaz meinen ersten Vier-Stünder im Kino erlegt - oder war es umgekehrt?

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Samstag, 5. Oktober 2013
Tarantinos Lieblingsfilme 2013
* Afternoon Delight
* Before Midnight
* Blue Jasmine
* The Conjuring
* Drinking Buddies
* Frances Ha
* Fruitvale Station (ehemals Gravity)
* Kick-Ass 2
* The Lone Ranger
* This Is the End


Dass Quentin Tarantino seine Jahresliste bereits jetzt veröffentlichen lässt, bevor er überhaupt die ganze Welle an Oscarkandidaten wie "Twelve Years a Slave" gesehen hat, könnte auf zweierlei hindeuten. Zum einen ist Tarantino möglicherweise so zufrieden mit dem aktuellen Jahrgang, dass er das bisher Gesehene anständig würdigen will. Was ich als Grund aber für wahrscheinlicher halte, ist die Tatsache, dass der gute Mann in den nächsten Wochen keine Zeit mehr für solche Kindereien haben wird, weil er an seinem neuen Projekt arbeitet. Wie dem auch sei, die Liste ist alphabetisch sortiert, was ihr ein bisschen die Schlagkraft nimmt. Und sie ist ausschließlich mit Hollywoodfilmen bestückt. Damit folgt Tarantino dem Trend der letzten Jahre, im aktuellen Kinojahrgang verdammt bequem geworden zu sein. Er wird in seinem Heimkino zwanzig bis dreißig Screeners eingelegt haben, um geradeso noch das kritische Mindestmaß an Auswahl zu erfüllen. Der Ehrgeiz, originell zu sein, hat ihn schon länger verlassen. In den letzten Jahren ging es ihm vornehmlich um die Bauchpinselei der US-Konkurrenz.

Aber was seinen Filmgeschmack angeht, hat Tarantino teilweise alte Instinkte bewiesen. Denn dass er den neuen, sehr guten Linklater-Film "Before Midnight" mögen würde, ist nun keine Überraschung. Und dass der am besten besprochene Woody Allen der letzten Jahrzehnte ("Blue Jasmine") bei ihm dabei ist, nachdem er "Midnight in Paris" schon mal auf Platz eins hatte, ist nur schlüssig. Aber dass er etwa die ganz wunderbaren Qualitäten des Horrorfilms "The Conjuring" bemerkt und sich wie der Rest der cineastischen Welt in Greta Gerwigs "Frances Ha" verguckt hat oder Alfonso Cuaróns virtuosem Weltraum-Thriller "Gravity" huldigt, war nicht unbedingt abzusehen. Richtiggehende Überraschungen für mich waren der katastrophal gefloppte, doch von einigen Kritikern sehr geschätzte "The Lone Ranger" und "Kick Ass 2", dessen Vorgänger Tarantino damals unter den Runners-Up hatte, der aber als Fortsetzung von den Kritikern ziemlich abgewatscht wurde. Die Nennung von "Afternoon Delight" verbuche ich dagegen unter Freundschaftsdienst, da Josh Radnor eine der Hauptrollen spielt, der bekanntlich der Erfinder von "How I Met Your Mother" ist, einer Serie, der Tarantino auch schon mal auf MTV entgegenkam, als er sie als sein heimliches Guilty Pleasure lobte. "This Is the End" ist dafür in der Tat unterhaltsam, und auf "Drinking Buddies" hatte ich sogar einmal ursprünglich Bock, weil Joe Swanbergs "V/H/S"-Episode so toll war.

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Unter dem Oscaraspekt, den Tarantino in den letzten Jahren auch immer beim Posten seiner Liste im Blick hatte, sind seine wiederholten Push-Versuche eigentlich regelmäßig ziemlich schief gegangen. Für die Filme "Gravity", "Blue Jasmine" und "Before Midnight" sind das also keine allzu guten Omen, was den Triumph als 'bester Film' angeht. Weder konnte Tarantino "Star Trek" oder "Rise of the Planet of the Apes" zur Nominierung führen, noch konnte er "Toy Story 3", "The Social Network" oder "Midnight in Paris" zum ganz großen Triumph pushen. Wenn man sich aber seine Lieblinge in den letzten Jahren anschaut, könnte die Sympathie für den Versuch nicht viel größer sein, gerade angesichts tatsächlicher Gewinner wie "The King's Speech" oder "The Artist".

Nachtrag (10.10.): Mein Text basierte auf der Liste, die die Website The Quentin Tarantino Archives veröffentlicht hatte. Wie sich aber jetzt herausgestellt hat, war Tarantinos Top Ten tatsächlich nur aus der französischen Filmzeitschrift Les inRocKuptibles abgeschrieben - und zwar auch noch schlecht. "Gravity" als Nennung ist schlicht erfunden. Der Sundance-Darling "Fruitvale Station" dagegen findet sich auf der Liste der Franzosen wieder. Für das längere Exklusiv-Interview ließ sich Quentin entspannt auf einigen seiner wertvollen 35mm-Filmkopien ablichten und schwatzte über seiner Liebe zum französischen Kino der 1970er-Jahre (Rohmer, Lelouch, Chabrol) und dass seine aktuellen US-Lieblingskritiker Mick LaSalle (San Francisco Chronicle), Stephanie Zacharek (Village Voice) und Scott Foundas (Variety) heißen. Ein neues Projekt sei dagegen noch nicht in Sicht, da er sich immer noch vom Mount Everest "Django Unchained" erholen müsse, erzählte Tarantino. Anlass für das im September geführte Interview war der fünfte Lumière-Ehrenpreis, der ihm am 18. Oktober von Cannes-Chef Thierry Frémaux und der Regielegende Bertrand Tavernier auf dem Filmfestival von Lyon für sein Lebenswerk und den Kampf gegen die rein digitale Filmprojektion verliehen werden wird.

Links: - 2011, - 2010, - 2009

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