Freitag, 12. Juni 2015
Kinochiwa-Podcast über japanisches Kino bereichert deutschsprachiges Angebot

Schau mir in die Augen, Kleiner! ("Die Steuerfahnderin")
Gerade erst ist die Nippon Connection in Frankfurt am Main zu Ende gegangen, schon werden Freunde der japanischen Filmkunst wieder beschenkt. Memo Jeftic, Regisseur der Mockumentary "Die wirklich wahre Geschichte von 3sat" und ehemals ständiges Mitglied der Celluleute, hat mit seinem Freund Max aus Wien den Kinochiwa-Podcast ins Leben gerufen. Deutschsprachige Podcasts über die Hollywood-Blockbuster der Saison gibt es tendenziell eher zuviel als zu wenig. Die Nische, das Podcast-Format für filmhistorische, abseitigere Entdeckungen zu nutzen, wurde dagegen beinahe noch gar nicht bedient. Warum eigentlich? Kinochiwa zeigt, wie es gehen kann: Keine endlosen Labereien mehr ohne Punkt und Komma, keine viertelstündigen Inhaltsangaben. Stattdessen ein konzentrierter, elegant mit Soundtrackschnipseln angereicherter Blick auf einen einzigen japanischen Film.

In der ersten Episode sprechen die beiden Japano-Liebhaber eine gute halbe Stunde lang anregend über die Jûzô Itami-Komödie "Die Steuerfahnderin". Das ist gerade auch, wenn man, wie in meinem Fall, noch nie von dem Film gehört hat, ein lohnenswerter Ausflug in das japanische Kino der 1980er-Jahre samt seinem gesellschaftlichen Hintergrund. Itami ist westlichen Kinozuschauern vor allem durch den Food Porn-Klassiker "Tampopo" ein Begriff. Der Kinochiwa-Podcast soll wöchentlich erscheinen, es wird bereits über Gäste nachgedacht. Zusätzlich sollen kleine Podcast-Specials zu japanischen Filmen entstehen, die in Deutschland nur schwer aufzutreiben sind. "Die Steuerfahnderin" dagegen gibt es in Deutschland auf DVD inklusive des zweiten Teils günstig einzusammeln. Mein Interesse für dieses Kino drückt sich allein schon dadurch aus, dass die letzten beiden Jahre jeweils ein japanischer Film meine Top Ten anführte ("Forma", "See You Tomorrow, Everyone").

Links: - Kinochiwa #1, - Dt. Filmpodcasts, - Flimmerfreunde

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Samstag, 31. Mai 2014
Die Flimmerfreunde – Der aktuell beste deutschsprachige Filmpodcast

Der George-Eastman-Ehrenlöwe geht an: Die Flimmerfreunde
Zuerst denkt man, der will mich jetzt verarschen. So redet ja kein Mensch, der verstellt doch seine Stimme. Aber Bernd Begemann meint es ernst. Der 51-jährige Musiker, der Ende letzten Jahres mit seinem Buddy Olli Schulz den halbironisch gemeinten Malle-Hit „Du bist verhaftet wegen sexy“ landete, spricht so wie er singt. Das mag im ersten Moment etwas affektiert und ein bisschen geknödelt klingen, aber es macht Sinn. Denn wenn Begemann im Filmpodcast „Flimmerfreunde“, der früher einmal „Ohrensessel“ hieß, als die Universal Pictures Germany noch mit im Boot war, zu einem seiner zahlreichen Vorträge ansetzt, versteht man, dass das keine Maskerade ist. Da scheint jemand schon sehr lange seinen inneren Groove gefunden zu haben, der für Außenstehende gewöhnungsbedürftig ist, dessen Singsang mit der Zeit jedoch süchtig macht.
Es ist überhaupt ein sehr angenehmer Ton, den die Flimmerfreunde Begemann, Kay Otto und Ben Shadow im Podcast gefunden haben: weit jenseits der schrillen amerikanischen Extreme von vorschnellen Verbeugungen, die eigentlich nur den Hintergedanken haben, vielleicht beim nächsten Kickstarter-Projekt finanzielle Unterstützung einzuheimsen und den scheinheiligen Cine-Hipstern, die sich über jeden Blockbuster lustig machen müssen, als Fixstern aber insgeheim nicht Antonioni oder Tarkowski, sondern „Ghostbusters“ angeben.
Superhelden der Filmkritik
Die drei Flimmerfreunde haben untereinander eine virtuose Dynamik der Entschleunigung entwickelt, die einfach gute Laune verbreitet. Nicht zufällig ist die offizielle Droge der Wahl eigentlich immer eine Tee-Sorte aus dem nächstgelegenen Supermarkt. Bernd Begemann hat den größten Redeanteil, was sich aber auch mit seinem Gefühl deckt, wer am meisten zu erzählen hat. Er wirkt in seinem Mitteilungsdrang und den breitgefächerten Referenzen aus Popkultur, Geschichte und Philosophie wie die kauzigen Endlos-Studenten, die eine Wortmeldung im Seminar meistens zu einem gesellschaftlichen Rundumschlag nutzen, der dann die Sitzung in seiner Länge auch abschließt. Mit dem feinen Unterschied, dass man Begemanns Ausführungen und Interpretationen verdammt gerne lauscht. Sein Enthusiasmus für abseitigere Geschmacksurteile ist ansteckend. Kay Otto bringt seine Expertise als Filmemacher in technischen Details zum Ausdruck, überzeugt aber noch mehr, wenn er die ungeschriebenen Filmgeschichtsbücher des Exploitationkinos und die Gossip-Magazine der Bahnhofskioske plündert.
Die beiden sind ein unschlagbares Team, das sich die Bälle nur so zuspielt. Superhelden der Filmkritik, deren Superkraft es ist, aus dem langweilig klingendsten Thema eine traumhaft unterhaltsame, knappe Stunde Podcast zu kredenzen. Wie ich über die Jahre und unzählige andere Filmpodcasts festgestellt habe, ist die Lauflänge mit vierzig bis fünfzig Minuten für die Aufmerksamkeitsspanne optimal gewählt. Als Dritter im Bunde darf natürlich nicht Ben Shadow vergessen werden. Die gute, meist wortkarge Seele der Flimmerfreunde, die genau weiß, wie gerne die anderen beiden reden und rumspinnen, so dass er nur zu gerne brüderlich in den Hintergrund zurücktritt. Ganz entfernt und verquer erinnert die Konstellation der drei so manchmal an den Pfandleiher Maynard, seinen Freund Zed und the Gimp aus „Pulp Fiction“, die als Spinnen glauben, mit dem aktuellen Hollywood-Blockbuster oder der nächsten Schweighöfer-Komödie wieder reichlich Beute gemacht zu haben.
Sowohl "The Sea Hawk" als auch "Fluch der Karibik"
Was die Flimmerfreunde aus dem Einheitsbrei der Filmpodcasts heraushebt, ist neben dem schön abseitigen Humor zuallererst aber die filmgeschichtliche Tiefe, die die Diskussionen erreichen können. Da wird beim Thema Frauenfilme schon mal der so schöne wie meist verdrängte deutsche Peter-Pewas-Filmklassiker „Der verzauberte Tag“ ausgegraben. Bei Kriegsfilmen hören die Assoziationen nicht bei „Der Soldat James Ryan“ auf, sondern reichen bis Raoul Walshs „The Naked and the Dead“. Episoden sind dem Mantel- und Degengenre oder Filmen, die am Südpol spielen, gewidmet. Die Piratenfilm-Historie beginnt bei den Flimmerfreunden nicht erst bei „Fluch der Karibik“, sondern mit „The Sea Hawk“ aus dem Jahr 1924. Teilweise gehen die Drei bis zu den Anfängen zurück und blicken gewinnbringend auf die ersten Stummfilm-Experimente.
Die Flimmerfreunde vereinen beides: Die geekig-süffige Unterhaltungsqualität der besten aktuellen Filmpodcasts, die sich aus Superheldenverfilmungen und HBO-Serien (behandelte Themen u.a. „Girls“, „Game of Thrones“, „Louie“) speisen, aber auch das Bewusstsein für eine unheimlich reichhaltige Vergangenheit, aus der die Gegenwart nur lernen kann. Und es hilft, dass Begemann in seinem für Filmpodcasts geradezu biblischen Alter schon in den 1970er-Jahren eifriger Kinogänger war. Umso erstaunlicher ist es, dass der Flimmerfreund, der eigentlich schon alles gesehen hat, den größten Enthusiasmus an den Tag legt. Man müsste mit der Lupe suchen, um in den Jahren eine Handvoll Filme zu finden, die ihm nicht gefallen hätten. Begemann ist kein Filmfan, denn Filmfans lieben nur die Filme, die sie lieben. Begemann ist ein Cineast: Er liebt Film.

Anmerkung: Der George-Eastman-Löwe in Gold wird in unregelmäßigen Abständen an den deutschsprachigen Filmpodcast verliehen, der Movies & Sports aktuell am besten unterhält. Wäre der Preis keine spontane Erfindung, würden zu seinen bisherigen Preisträgern der Plauschangriff, die Celluleute und der Wollmilchcast zählen.

Link: - Flimmerfreunde

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Montag, 24. Februar 2014
Der heiße deutsche Filmpodcast-Report - Was Eltern wirklich wissen sollten

Auch Barry Bostwick ("Megaforce") gibt ein Kussdaumenhoch
Ich bin riesiger Podcast-Fan und halte sie ernsthaft für die intravenöse Unterhaltungskunst unserer Zeit. Meine Generation wuchs noch mit den alten „Hui Buh“-Schallplatten der älteren Geschwister auf und besaß dann schon selbst eine unüberschaubare Anzahl von Hörspielkassetten. Populäre Reihen wie „Jan Tenner“, „Masters of the Universe“ oder „Bibi Blocksberg“ schulten unsere Ohren. Aber für dieses auditive Bedürfnis gab es leider lange keine neue Nahrung. Aus dem Kassettenzeitalter entwuchs man – nur die Prägung blieb. Erst jetzt, im fortgeschrittenen Internetzeitalter, entwickelte sich mit den Podcast eine Unterhaltungsform, die ein Äquivalent zu den Lagerfeuererfahrungen von damals schafft.

Podcasten bedeutet Reduktion auf das Wesentliche. Es gibt keine Ablenkung durch Oberflächenreize. Hier zählen nur Fachwissen, Meinung, Argumentation und Überzeugungskraft. Außerdem ist es heute beinahe für jeden Menschen mit Computer ohne großen technischen Aufwand machbar. Als Cineast interessieren mich dabei immer schon vorrangig die Filmpodcasts. Fündig wurde ich in den USA. Zuerst gab es, von einigen kurzlebigen Experimenten abgesehen, hauptsächlich online gestellte Radioshows wie etwa die The Treatment-Sendung des ehemaligen New York Times-Kritikers Elvis Mitchell. Den ersten allwöchentlichen Filmpodcast in Reinkultur, wie man sie heute kennt und schätzt, entdeckte ich dank eines Tipps des Giga-Forum-Users Hase zum „Indiana Jones 4“-Kinostart. Der Slashfilmcast war im Grunde genommen meine damalige Idealvorstellung eines geekigen Endlos-Talks, den man während des Sports, beim Essen oder auf Reisen anstellen konnte. Der Unterhaltungswert der Gespräche stieg interessanterweise mit der Abnahme der filmischen Qualität. Cineastische Dürreperioden, wie etwa die Sommerblockbuster-Jahreszeit, wurden so stark aufgewertet.

Das war im Jahr 2008. Schnell schafften sich, dem Vorbild folgend, auch viele andere amerikanische Filmblogs ihre Nerd-Special-Force an, die kompensierte, was die Blogbetreiber bis dahin vermissen ließen. Eine Inflation des gesprochenen Wortes über Superheldenverfilmungen und HBO-Serien setzte ein. Und nach all den Jahren sind heute gewisse Abnutzungserscheinungen nicht von der Hand zu weisen: Podcast-Mitglieder wurden wegen sozialer Verpflichtungen ein- oder ausgewechselt und Aversionen zwischen Teilnehmern geprägt und weiterentwickelt. Podcasts wie The Film Talk wurden wegen schwerer Erkrankung vorübergehend auf Eis gelegt. Es gab Urheber-Kleinkriege zwischen den Machern und Blogbetreibern wie im Falle von Operation Kino, der neugegründet jetzt Fighting in the War Room heißt. Im Falle des aufgelösten IFC-News-Podcasts verloren die Moderatoren Matt Singer und Alison Willmore gleich ganz ihre Arbeitsplätze und dürfen heute nur noch über Video on Demand-Veröffentlichungen bei Filmspotting SVU parlieren.

Während in den USA also mehr pflichtschuldig die Gespräche auf Autopilot weiterliefen, schwappte das Podcast-Phänomen auch nach Deutschland rüber. Wie Pilze schossen gerade in den letzten Monaten deutschsprachige Filmpodcasts aus dem Boden. Dabei gilt die alte Faustregel, dass popkulturelle Entwicklungen aus Übersee immer ein paar Jahre brauchen, bis sie in unseren Breitengraden Entsprechungen finden. Bezeichnenderweise stammten die ersten richtig brauchbaren deutschen Filmpodcasts, die es vom Unterhaltungsfaktor ziemlich zeitnahe mit den amerikanischen Pendants locker aufnehmen konnten, aus dem Gaming-Umfeld. Die Hamburger Rocket Beans-Clique, die sich vornehmlich aus ehemaligen Mitarbeitern des Senders Giga speist und unter anderem die TV-Show „Game One“ produziert, waren so gesehen deutsche Pioniere, da deren Plauschangriff bereits seit 2009 hochgeladen wird. Filmthemen waren dort immer wieder gern genommene Ausnahmen von der Regel. Es folgten zahlreiche hörenswerte Spin-off-Projekte wie das Audiokommentar-Projekt Audioflick, die Podcast-taugliche Studiosendung Almost Daily oder filmaffine Solo-Projekte wie der Gedankensprung oder die Sexy Cripples. Neuerdings haben die Raketenbohnen aber auch wieder – der guten alten Tradition folgend – mit Kino+ ein eigenes Filmmagazin am Start.

Daran anknüpfend gründeten User des Maniac-Forums 2010 die Celluleute. Mit der Zeit kristallisierten sich dort vier Stammkräfte heraus, deren Spannungsfeld vor allem von den unterschiedlichen Filmhorizonten der Beteiligten zehrt. Es sind dann auch immer wieder Verweise in den Filmpodcasts selbst, die zu weiteren Podcast-Entdeckungen führen: Man hört zum Beispiel den Wollmilchcast, der eine ganz exzellente Helmut Käutner-Besprechungsreihe sein Eigen nennt. Die Moderatorin Jenny Jecke nimmt zusätzlich mit Freunden den „Community“-Podcast Pillows and Blankets auf. Die daran Beteiligten wiederum tauchen gleichzeitig in Podcasts wie Die Abspanner und Wasting Away auf oder empfehlen nebenbei Bernd Begemanns Filmpodcast-Projekt Die Flimmerfreunde. Auch ein naheliegende Verquickung sind TV-Podcasts, die im Filmressort wildern. Die Serienjunkies bezeichnen sich mittlerweile auch als Filmjunkies und treiben den Anglizismen-Counter in schwindelerregende Höhen. Meistens sind aber die flachen Abstecher in die Filmwelt von Medienpodcasts wie Quotenmeter oder Medienkuh eher zum Vergessen. Mehr erwarte ich mir dahingehend vom Quotenmeter-Ableger Coopers Kaffee, bei dem sich die wertvollsten Mitglieder selbstständig gemacht haben und demnächst durchstarten wollen. Jedenfalls findet man heute, einige Jahre nach der US-Welle, überall, wo man hinklickt, deutsche Podcast-Projekte.

Es kann einfach kein Zufall sein, dass die derzeit beste deutsche Unterhaltungssendung eine Radioshow namens Sanft und Sorgfältig ist, die von den beiden Moderatoren-Supernasen Olli Schulz und Jan Böhmermann wie ein Podcast produziert wird. Die Musik zwischen den Gesprächsblöcken wählt die Redaktion aus, die Moderatoren kümmert sie nicht, weil sie wissen, dass sie später – in der von den Zuhörern bevorzugten Podcastform – wieder herausgeschnitten wird. Und letztlich ist Sanft und Sorgfältig ja auch eine Art Filmpodcast, da die beiden hauptsächlich über die Fernsehbranche ablästern, die in Deutschland nahezu gleichbedeutend mit der hiesigen Kinoindustrie ist. Was mir im Spektrum der deutschsprachigen Filmpodcasts aber noch fehlt, sind Projekte, die sich von der Tagesaktualität und den US-Blockbustern freimachen und sich voll und ganz der Filmgeschichte widmen können. Die Eskalierenden Träumer, die unter anderem die wundervollen Hofbauer-Kommando-Kongresse organisieren, scheinen dafür geradezu prädestiniert zu sein. Haben sie doch eine regelmäßig stattfindende Veranstaltung, von der aus sie per Podcast noch viel besser neu entdeckte oder wieder ausgegrabene Filmperlen propagieren könnten.

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