Donnerstag, 17. Januar 2019
Berlinale-Wettbewerb: Das Beste aus der Situation machen
schwanenmeister, 23:32h
Die letzten Wettbewerbszugänge der Berlinale sind etwas für cineastische Feinschmecker – nicht für Hollywoodjünger. Sie versöhnen etwas für die verpassten Schwergewichte, bei denen wohl Cannes den Zuschlag bekam.
„Synonymes“ | © Guy Ferrandis / SBS Films
Die Berlinale hat am Donnerstag die letzten fünf Wettbewerbsfilme ergänzt. Damit ist klar, dass die attraktiven Schwergewichte Malick, Korine und Almodóvar nach Cannes wandern werden. Thierry Frémaux braucht im Kampf mit Venedig jeden Regiestar, den er kriegen kann. [Nachtrag 18.01.: Korines „The Beach Bum“ geht wie schon Peeles „Us“ zum SXSW-Festival] Es bedeutet jetzt aber auch, dass man sich auf das konzentrieren kann, was wirklich in Berlin läuft. Dahingehend sind die finalen Zugänge nämlich recht schmackhaft und spannend. Negative Space hatte zum Beispiel insgeheim die ganze Zeit auf den israelischen Auteur Nadav Lapid gehofft gehabt.
Der Tel Aviver ist der Ausnahmeregisseur seiner Generation. Abonniert auf die Un Certain-Regard-Reihe in Cannes war er eigentlich dafür vorgesehen, in den Wettbewerb des wichtigsten Festivals der Welt aufzusteigen. Aber plötzlich ist er in der Berliner Konkurrenz. Lapid dreht selten. Zwei Filme reichten für seinen Weltruhm: die unter die Haut gehende Männlichkeitsstudie „Policeman“ und „The Kindergarten Teacher“. Bis heute sind das Geheimtipps unter Cineasten.
Sein neuer Film „Synonymes“ soll stark autobiografisch gefärbt sein. Die ersten Film Stills haben eine farbenfrohe Strenge und Konzentriertheit. Sie besitzen etwas Musicalhaftes wie von Jacques Demy und deuten auf eine Beziehungsgeschichte hin. Ein junger Israeli will in Paris den Wahnsinn seiner Heimat vergessen. Komplizen Film ist Co-Produzent. Das ist einer der wenigen Wunschfilme, die Berlinale-Direktor Dieter Kosslick wahr machen konnte.
Die hochbegabte Léa MysiusDer Über-Cineast Cédric Succivalli hatte ja bereits den chinesischen Regisseur Zhang Yimou („One Second“) für den Wettbewerb vorhergesagt. Das könnten wirklich asiatische Festspiele werden. Die Bilder aller drei chinesischen Wettbewerbsfilme sind imposant und gewaltig. Auch sehr schön ist die Rückkehr des französischen Altmeisters André Téchiné in den Wettbewerb. Nach „Being 17“ läuft jetzt außer Konkurrenz „Farewell to the Night“ mit Catherine Deneuve und Kacey Mottet Klein. Die hochbegabte Léa Mysius („Ava“) hat am Drehbuch mitgeschrieben. Es geht um französische Jugendliche, die sich im Ausland radikalisieren und in ihre Heimat zurückkehren.
Der Wettbewerb 2019 bietet Highlights wie „Der Goldene Handschuh“, „By the Grace of God“, „Ich war zuhause, aber ...“, „Synonymes“ und „Varda by Agnès“. Er fährt Verheißungsvolles auf wie die drei chinesischen Filme „So Long, My Son“, „Öndög“ und „One Second“ sowie „Out Stealing Horses“, „Systemsprenger“, „Ghost Town Anthology“, „The Operative“, „A Tale of Three Sisters“, „The Kindness of Strangers“ und „Farewell to the Night“. Hüten werde ich mich vor Agnieszka Holland, eventuell auch vor Isabel Coixet, wenn nicht die masochistische Ader obsiegt.
Der Glamourfaktor beträgt null, der Hollywoodfaktor 0,5. Mit dem richtigen Geschmack und einem glücklichen Händchen können es trotzdem erinnerungswürdige Festspiele werden. Vielleicht gibt es sogar frühlingshafte Temperaturen. Machen wir das Beste aus Kosslicks Abschiedsshow, betrauern wir ein bisschen den Weggang des Mannes, der mehr als 18 Jahre die Geschicke des wichtigsten deutschen Filmfestivals geleitet hat. Freuen wir uns aber auch schon auf seinen Nachfolger Carlo Chatrian.
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