Donnerstag, 10. Januar 2019
Chinesischer Schwerpunkt für Binoche im Berlinale-Wettbewerb
schwanenmeister, 20:53h
Der zweite Ausstoß an Wettbewerbstiteln des Berlinale-Wettbewerbs enttäuscht auf ganzer Linie: keine heißen Auteurs, keine in der Luft liegende Schwergewichte. Cineasten sollten sich auf die chinesischen Kandidaten konzentrieren.
„Who Do You Think I Am“ | © Diaphana Films
Und es hatte doch so verheißungsvoll angefangen: Unter den ersten Wettbewerbstiteln der Berlinale 2019 befanden sich im Dezember Fatih Akins Serienmörder-Portrait „Der Goldene Handschuh“, Francois Ozons Vatikan-Abrechnung „By the Grace of God“ und der neue Angela-Schanelec-Film „Ich war zuhause, aber ..“. Drei Werke also mit Strahlkraft, die auf der eigenen Most-Wanted-Liste vorkamen, die von gestandenen Auteurs gedreht wurden. Gleichzeitig setzten die zahlreichen noch freien Wettbewerbsslots der Fantasie keine Grenzen.
Terrence Malick, Jordan Peele, Harmony Korine, Katrin Gebbe, Pablo Larraín, Pedro Almodóvar, Mia Hansen-Løve, Albert Serra und Roy Andersson schienen möglich. Inzwischen ist Peeles Horrorfilm „Us“ als Eröffnungsfilm des SXSW-Festival in Austin, Texas vermeldet. Und diesen Donnerstag sind weitere elf Berlinale-Wettbewerbsfilme bekannt gegeben worden. Darunter ist kein Film, auf den man hingefiebert hat. Es sind diverse altbekannte Namen wie Agnieszka Holland („Mr. Jones“) und Isabel Coixet („Elisa & Marcela“) dabei, deren letzte Filme furchtbar egal, unausgegoren und zuweilen ärgerlich waren.
Erstes deutsches Debüt seit GrisebachDann sind No Names eingeladen worden wie Teona Strugar Mitevska („God Exists, Her Name is Petrunija“) und die deutsche Regisseurin Nora Fingscheidt („Systemsprenger“), die positiv überraschen könnten, zu denen bisher aber eine Haltung fehlt. Wäre Tom Tykwer wieder Jurypräsident, würde wohl Mitevska bereits als Gewinnerin feststehen. Die Nominierung von Fingscheidt ist indes bemerkenswert. Deutsche Debütfilme im Wettbewerb sind eine Seltenheit. Das letzte Mal unter Kosslick geschah das im Jahr 2006 mit Valeska Grisebachs grandiosem Milieufilm „Sehnsucht“. Davor hatte sie nur den mittellangen Film „Mein Stern“ gedreht gehabt. Auf „Systemspringer“ darf man deshalb gespannt sein. Auch weil der deutsche Shootingstar Albrecht Schuch („Gladbeck“, „Bad Banks“) mitspielt. Es geht um ein 9-jähriges Mädchen, das wegen seiner Energie von Familie zu Familie gereicht wird. Selbst ihre eigentliche Mutter hat Angst vor ihr.
Das vorherrschende Gefühl zu den neuen Wettbewerbstiteln ist aber eine allgemeine Enttäuschung. Kosslick hatte sich selbst als Lame Duck bezeichnet, dem durch das Ausscheiden als Festivaldirektor ein wenig die Macht beim Auswahlprozess fehlen würde. Das unterstreichen jetzt leider diese Filmtitel. 15 Filme sind es nun im Wettbewerb. Es bleibt noch ein bisschen Hoffnung, dass bei den allerletzten Ergänzungen – 20 Titel sind eigentlich immer der Richtwert – noch ein großes Highlight lauert.
„So Long, My Son“ | © Li Tienan / Dongchun
Agnès-Varda-Festspiele in BerlinDas Aufgebot dürfte den Rekord für die meisten Regisseurinnen in einem Berlinale-Wettbewerb eingestellt haben. Ein Lichtblick ist der Name Agnès Varda. Die französische Regielegende wird spätestens seit ihrem Dokumentarfilm „Faces Places“ allgemeinhin wie eine Schutzheilige und als Cine-Maskottchen verehrt. Ihre neue Doku heißt „Varda by Agnès“ und läuft außer Konkurrenz. Eine weitere positive Facette der ergänzten Wettbewerbsfilme ist der hohe Anteil chinesischer Werke. Der Über-Cineast Cédric Succivalli schrieb ein paar Stunden vor der Pressemitteilung der Berlinale auf Twitter: „Die 69. Berlinale wird ein chinesisches Fest! Drei Filme im Wettbewerb: Wang Quan'an, Wang Xiaoshuai und Zhang Yimou plus neun weitere Filme im Panorama, der Generation und im Forum, einer davon ist Lou Ye.“
Zhang Yimous Neuer war noch nicht unter den Titeln zu finden. Vielleicht kommt der noch dazu. Aber die anderen beiden Regisseure stimmten. Wang Xiaoshuais „So Long, My Son“ und Wang Quan'ans „Öndög“ sind für die Cineasten Pflicht. China und Asien zu entdecken, erscheint eine gute Möglichkeit, die ganzen tollen verpassten Auteurs zu verkraften. Und liefe Lou Ye mit dem Agentenfilm „Saturday Fiction“ wirklich im Panorama, würde das Negative Space feiern. Gong Li spielt darin eine Schauspielerin im Shanghai der 1940er-Jahre, die für die Alliierten spioniert und die Angriffspläne auf Pearl Harbor in die Hände bekommt.
„Öndög“ | © Wang Quan’an
Wenn schon nicht der Hollywood-Glamour und die angesagten Auteurs kommen, dann soll es wenigstens die Option geben, vernachlässigte Filmländer und neue Regisseure in den Nebensektionen entdecken zu können. Schließlich hatte Negative Space mit „An Elephant Sitting Still“, „Red Cow“ und „Luz“ drei Berliner Entdeckungen aus den kleineren Reihen in der Jahres-Top-Ten. Der Gewinner des Goldenen Bären 2014, Yi’nan Diao („Black Coal, Thin Ice“), wird mit seinem neuen vielversprechenden Film „Wild Goose Lake“ dann wohl – wie schon zuvor Asghar Farhadi – nach Cannes abwandern.
Der Netflix-Film „Elisa & Marcela“Ein wenig bizarr ist, dass die Berlinale Coixets spanischen Netflix-Film „Elisa & Marcela“ in den Wettbewerb eingeladen hat. Festivaldirektor Kosslick hatte das im Vorfeld eigentlich ausgeschlossen. Aber vielleicht hat der Film um das erste getraute lesbische Paar in der spanischen Geschichte auch eine reguläre Kinoauswertung, bevor er gestreamt wird. Negative Space freut sich jedenfalls ein bisschen auf den Film.
Auch der israelische Agentenfilm „The Operative“ von Yuval Adler und der neue Hans-Petter-Moland-Film „Out Stealing Horses“ sind gesetzt. Adler („Bethlehem“) schickt Diane Kruger als Mossad-Agentin in den Iran. Martin Freeman soll sie wieder zurückholen. „Who You Think I Am“ mit der Jurypräsidentin Juliette Binoche in der Special-Sektion um eine reife Frau, die sich auf Datingseiten als Zwanzigjährige ausgibt, sieht auch interessant aus. Eines der absoluten Highlights wird aber der schwedische Film „Die jungen Sünder“ mit Liv Ullman sein. Das Werk aus dem Jahr 1959 läuft als restaurierte Fassung in der Classics-Sektion.
Link: - Der Netflix-Fall „Elisa & Marcela“
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