Donnerstag, 12. April 2018
Was 2018 alles nicht in Cannes läuft

© Flore Maquin / Georges Pierre
Aktuell scheint es fast noch spannender, über die Filme und Regiegrößen zu sprechen, die Cannes nicht am Donnerstag im offiziellen Programm verkündet hat. Der bislang noch graue Wettbewerb bietet zumindest Entdeckungschancen.

Erst legte sich Festivaldirektor Thierry Frémaux mit den Filmkritikern an, indem er die Pressevorführungen zeitlich mit den Galapremieren synchronisierte. Dann setzte er ein Ausrufezeichen gegenüber dem Streaming-Riesen Netflix: Keine Wettbewerbs-Slots für Filme, die nicht regulär in den französischen Kinos ausgewertet werden. Die Folge: Neue Filme von Alfonso Cuaron („Roma“), Paul Greengrass („Norway“) und Jeremy Saulnier („Hold the Dark“) laufen nicht in Cannes. Auch das spannende Orson-Welles-Projekt „The Other Side of the Wind“ wird nicht gezeigt.

Bei der Präsentation des vorläufigen Programmes am Donnerstag fehlten vor allem viele im Vorfeld als sicher eingestufte Namen. Die Gelegenheit der Ergänzung besteht natürlich noch. Der Gewinner der Goldenen Palme 2017, „The Square“, war auch ein spätberufener Film. Aber es erstaunt doch, dass cineastische Schwergewichte wie Lars von Trier („The House That Jack Built“), Harmony Korine („The Beach Bum“), Terrence Malick („Radegund“), Mia Hansen-Løve („Maya“), Gaspar Noé („Psyché“), Yorgos Lanthimos („The Favourite“) Olivier Assayas („E-Book“), Jacques Audiard („The Sisters Brothers“) Claire Denis („High Life“) und László Nemes („Sunset“) bislang nicht auftauchen. Venedig und die Herbstfestivals wird es freuen.
Christophe Honorés Comeback
Die französischen Beiträge sind für gewöhnlich die qualitativ größten positiven Überraschungen. Wahrscheinlich erklären sie zumindest das Fehlen einiger der Regiegrößen. Der Filmemacher Christophe Honoré ist natürlich auch kein Unbekannter in Cannes: Mit dem wahnsinnig tollen Musical „Les chansons d'amour“ und dem auch noch sehr schönen Musikfilm „Les bien-aimés“ ist sein Comeback nach einem Jahrzehnt Abstinenz ein Geheimtipp. Sein Wettbewerbskandidat heißt „Sorry Angel“. Frémaux setzt ansonsten auf die junge Regisseurin Eva Husson mit „Girls of the Sun“, das alte Schlachtross Jean-Luc Godard („Le livre d'image“) und Stephané Brizé („At War“).

Der Festivaldirektor und frühere Filmkritiker kündigte eine neue Generation von Regisseuren an, deren Namen unter den Cineasten noch unbekannt seien. Diverse Debütfilme laufen in der wichtigsten Nebenreihe Un certain regard. Der Ägypter A. B. Shawky ist mit „Yomeddine“ der einzige Debütant im Wettbewerb. Tatsächlich sprach Frémaux auch darüber, dass der Mai-Termin für großbudgetierte Hollywoodfilme nachteilig sei und es auch Filmemacher gab, die wegen der Awards-Saison im Herbst lieber später im Jahr starten wollen. Explizit nannte er dabei Xavier Dolan und seinen neuen Film „The Death and Life of John F. Donovan“ mit Natalie Portman und Kit Harrington.
Berlinale stützt Auswahl
Cannes setzt auf zwei Iraner, die mit ihren vorangegangenen Filmen jeweils den Goldenen Bären in Berlin gewonnen haben: Jafar Panahis „Three Faces“ und Asghar Farhadis „Everbody Knows“. Für die deutschen Medien müssen Ulrich Köhler („In My Room“) im Berliner-Schule-Slot der Un certain regard und Wim Wenders' Doku „Pope Francis - A Man of His Word“ die Kohlen aus dem Feuer holen.

Eine schöne Karriere macht der Amerikaner David Robert Mitchell, der mit „It Follows“ 2014 noch in der Critics' Week lief und jetzt mit „Under the Silver Lake“ in den Wettbewerb aufgestiegen ist. Spike Lee war zuletzt im Jahr 1991 mit „Jungle Fever“ in den Wettbewerb eingeladen. Es ist unwahrscheinlich, dass sein „Blackkklansman“ ein Remake von Ted V. Mikels' „The Black Klansman“ von 1966 ist.
Amazon macht es nicht wie Netflix
Dass Amazon auf den selben Konfrontationskurs wie Netflix mit dem Festival ginge, könnte man vielleicht denken, wenn man nur die Abwesenheit von Luca Guadagninos „Suspiria“-Neuinterpretation bemerkt. Der Wettbewerbsbeitrag von Pawel Pawlikowski, „Cold War“, ist aber auch eine Produktion der Amazon Studios. Der bislang noch abwesende Mike-Leigh-Film „Peterloo“ oder der neue Woody-Allen-Film „A Rainy Day in New York“ mit Timothée Chalamet und Elle Fanning kämen auch aus diesem Haus.

Ein starker Fokus des Wettbewerbs liegt auf dem asiatischen Kino: Ryusuke Hamaguchis „Asako 1 & 2“, Jia Zhang-Kes „Ash Is Purest White“, Lee Chang-Dongs „Burning“ und Kore-eda Hirokazus „Shoplifters“. Am spannendsten ist aber vielleicht außerhalb der Konkurrenz der achtstündige Film „Dead Souls“ des Chinesen Wang Bing („Mrs. Fang“), der von den Opfern der Kulturrevolution erzählt.

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