Dienstag, 20. Februar 2018
Berlinale-Doku-Tipp: Full Metal Walaa
schwanenmeister, 22:32h
Aus dem Nahen Osten kommen die spannendsten Filme der 68. Berlinale: Die Dokumentation „What Walaa Wants“ erzählt von einer jungen Palästinenserin, die einem ungewöhnlich schweißtreibenden Traum nachgeht.
Walaa: Ein Offizierin und Gentlewoman | © Christy Garland
„Nur Gewalt in den Medien“, sagt Mutter Latifa, als sie über ihre Nachrichten bei Facebook scrollt. „Die hübschen Märtyrer sterben leider immer – nur die hässlichen überleben“, scherzt ihre Tochter Walaa. Die Familie lebt im palästinensischen Flüchtlingscamp Balata im Westjordanland. Walaas Mutter ist gerade aus dem israelischen Gefängnis freigekommen. Acht Jahre saß sie hinter Gittern, weil sie die Fahrerin eines vereitelten Terroranschlags war. Der 15-jährige Teenager will nicht in die Fußstapfen ihrer Mutter treten. Sie träumt davon, zur Polizei der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) zu gehen. Ein dänisch-kanadisches Kamerateam hat sie dabei über sechs Jahre begleitet. Der sehenswerte Dokumentarfilm heißt „What Walaa Wants“.
Ein geregeltes Einkommen zu haben, ist Walaas Hauptmotivation, PA-Polizistin zu werden. Außerdem will sie nicht hinter dem Herd landen und einem Mann die Sachen nachräumen müssen. Sie ist ein selbstbewusstes Energiebündel – vielleicht ein wenig vorlaut. Aber wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, zieht sie es durch. Im Jahr 2012 beginnt das Filmteam sie auf ihrem Weg zu begleiten. Zu diesem Zeitpunkt kam ihre Mutter aus dem Gefängnis frei, weil es einen Gefangenenaustausch gegeben hatte: Über 1.000 inhaftierte Palästinenser gegen das Leben eines gefangenen israelischen Soldaten. Latifa war eine der Freigetauschten. Die PA macht Probleme bei ihrer Rente, die jedem wegen Terror inhaftierten Palästinenser zusteht. Latifa ist sich aber sicher, dass sie ihr Recht zugesprochen bekommt. Schließlich sei ihre Heimat, das Flüchtlingscamp Balata, eine der größten Märtyrer-Hochburgen. Das Camp ist eine kleine Stadt mit über 20.000 Einwohnern. Die Kamera begleitet Walaa durch die engen Gassen und die baufälligen Straßen, in die Shisha-Bar oder auf den Rücken eines Pferdes.
Exklusive Drehgenehmigung für FilmteamEs ist das erste internationale Filmteam, das mit Aufnahmen die PA-Polizeiausbildung begleiten darf. In diesem Januar hat Regisseurin Christy Garland, die über die Jahre immer wieder in das Westjordanland reiste, noch letzte Szenen gedreht. Nachdem Walaa in die sechsmonatige Ausbildung aufgenommen wurde, entpuppt sich der Traum schnell als schweißtreibender Spießrutenlauf. Erstaunlich, in welchen schwierigen Momenten der Demütigung und des Scheiterns die inzwischen junge Erwachsene dem Filmteam gestattet, dabei zu sein. Ein Großteil der Anwärter sind männlich. Ein gutes Dutzend weiblicher Kadetten ist aber auch dabei. Schonung gibt es da nicht. Das erste, was Walaa und ihren Kameradinnen abgewöhnt wird, ist das Schminken. Es ist für sie eine einsame Zeit, die sie auch körperlich ständig an ihre Grenzen bringt. Immer wieder wird Walaa in das Büro des Vorgesetzten bestellt. Aber der gesamte Stress zahlt sich aus, wenn sie nach Monaten der Ausbildung wegen ihrer deutlich gesteigerten Leistungen eine Kompanie zum Appell antreten lassen darf.
Die Doku „What Walaa Wants“ ist keine Aschenputtelgeschichte, wie sie Hollywood erzählen würde. Der Film zeigt, wie eine junge Frau, die aus schwierigen Verhältnissen kommt und eine höchst problematische Prägung durch ihre Mutter mitbekommen hat, eine Berufung findet. Aber dieser sichere Job, für den sie brennt, führt zu keiner einfacheren Zukunft: Als PA-Polizistin arbeitet Walaa gerade auch in den palästinensischen Flüchtlingscamps. Dann ist sie der Aggressor, der randalierende Palästinenser zur Ordnung rufen muss. Dann wird sie von jungen Palästinensern mit ihren Handys gefilmt werden, so wie sie es selbst als 15-Jährige gemacht hat. Die Videos werden als Beispiele von Polizeiwillkür im Internet geteilt werden. Aber Walaa wird ihren Weg ohne Rücksicht auf Verluste weitergehen – weil sie weiß, dass es das richtige für sie ist. Bei der Vorführung des Films in Berlin am Dienstag ist sie da und beantwortet selbstsicher auf Arabisch die vielen verschiedenen Fragen der Zuschauer. Filmstar zu sein, könnte sie sich bei größerer Bedenkzeit als weitere Berufung sicherlich auch vorstellen. Zumindest eine Doku-Heldin ist sie jetzt bereits.
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