Samstag, 23. September 2017
Geheimtipps für das Filmfest Hamburg
„People Power Bombshell: The Diary of Vietnam Rose“ | © Peliculas Los Otros
Von wieder ausgegrabenen philippinischen Erotikklassikern und russischen Endlos-Titeln als Empfehlung: Michael Müller stellt seine fünf Geheimtipps für das Filmfest Hamburg (5.-14.10.) vor.

Das ist ein Beitrag, der sich an den cineastischen Gourmet unter den Filmfans richtet. Es gibt natürlich offensichtliche Kandidaten, die ins Auge springen, wenn man das Filmfest Hamburg im Oktober besucht. Hier soll es aber nicht um Hollywood und potenzielle Oscarkandidaten wie „Battle of the Sexes“, Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ oder „The Florida Project“ gehen. Die hat man sowieso auf der Liste, wenn man sich für das aktuelle Kino interessiert. Es geht auch nicht um die bereits sehr geschätzten Auteurs wie Yorgos Lanthimos, François Ozon oder Tom Tykwer. Hier soll es um eine Handvoll Geheimtipps für das Festival in der Hansestadt gehen, die nach einem ersten intensiveren Studiums des Programms hängen geblieben sind.

„Cocote“
(Nelson Carlo de los Santos Arias)

In der aktuellen Oktober-Ausgabe des britischen Sight & Sound-Magazins hat der Kritiker Kieron Corless einen Rückblick auf das Festival von Locarno gewagt. Darin schwärmt er in den schillerndsten Farben von „Cocote“. Die westernartige Rachegeschichte aus der Dominikanischen Republik war sein Lieblingsfilm. Es geht um den evangelikalen Gärtner Alberto, der in seine Heimatstadt Santo Domingo zurückkehrt, weil sein Vater ermordet wurde. Corless schreibt: „Ein Film, der Moral und Gewalt, religiöse Rivalitäten und Rituale, Sprache und Identität untersucht. Mit seiner thematischen Fülle überwältigt er den Zuschauer durch seine kraftvolle, ursprüngliche und körperliche Erzählkraft.“

„People Power Bombshell: The Diary of Vietnam Rose“
(John Torres)

Ein echtes Kuriosum des Programms: Es gab das unvollendete philippinisches Erotikdrama „The Diary of a Vietnam Rose“ aus dem Jahre 1986. Dann brach der Aufstand gegen die Marcos-Diktatur aus und das Filmmaterial verschwand. 30 Jahre später fand es der philippinische Independent-Regisseur John Torres wieder und drehte den Film fertig. Allein die Art und Weise, wie Torres das mit Interviewschnipseln der alten Darsteller und neu gedrehten Szenen gemacht hat, klingt bereits atemberaubend. Über den logistischen Akt hinaus schaut „People Power Bombshell“ aber auch wie einer der quintessentiellen Filme unserer retrogerichteten Zeit aus.

„What Will People Say“
(Iram Haq)

Auf den ersten Blick erscheint die Geschichte von „What Will People Say“ altbekannt: Eine junge pakistanischstämmige Frau lebt in Norwegen in zwei Welten, konservativ in der Familie, liberal unter ihren Freunden. Das führt zu einem unvermeidlichen Konflikt. Aber Kritiker wie indieWIREs Eric Kohn, die dem Film in Toronto eine Chance gegeben haben, waren begeistert. Der Trailer sieht danach aus, als ob Regisseurin Iram Haq sehr genau wusste, was sie da macht. Außerdem soll Hauptdarstellerin Maria Mozhdah fantastisch sein.

„How Viktor 'the Garlic' Took Alexey 'the Stud' to the Nursing Home“
(Alexander Hant)

Manche Filme müssen aufgrund ihrer Titel gesehen werden, um die Originalität oder den Größenwahn zu überprüfen, welcher die Regisseure bei der Produktion befeuerte. Dieses überdreht klingende russische Roadmovie über eine Familienzusammenführung der gröberen Art hat zusätzlich den Großen Preis der Jury in Karlovy Vary gewonnen. Das tschechische Karlovy Vary, auch bekannt als Karlsbad, ist für mich sowieso ein ganz eigener Mythos. Das Festival sollte ursprünglich hinter Venedig und Cannes das große europäische A-Festival werden, bevor die Berlinale dazwischen grätschte. Der serbische Gewinner des Spezialpreises der Jury in Karlovy Vary, „Men Don't Cry“, läuft auch in Hamburg.

„Love Birds“
(Dover Kosashvili)

Wenn es um israelische Filme auf dem Filmfest Hamburg geht, wäre „The Cakemaker“ die naheliegendere Option, weil der bereits ein Crowdpleaser auf Festivals war. Den will ich auch sehen, weil ich eine Schwäche für das israelische Kino entwickelt habe. Aber noch etwas spannender finde ich „Love Birds“ von Dover Kosashvili, der ein länger verheiratetes Paar zeigt, bei dem die Liebestraditionen nicht mehr so recht funktionieren wollen. Das Filmfest Hamburg schreibt von einem Film mit „sinnlicher Stimmung und von seltener Intimität“.

Der Filmblog Negative Space wird das Filmfest Hamburg berichtend begleiten. Das Filmfest zeigt vom 5. bis 14. Oktober in seinem 25. Jubiläumsjahr 130 Filme in elf Sektionen aus 59 Ländern.

Link: - Filmfestprogramm komplett, - Lido-Weltpremieren

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