Montag, 23. September 2013
Das Hofbauer-Kommando – die Männer mit den goldenen Pinseln
schwanenmeister, 12:10h
Der 11. außerordentliche Filmkongress des Hofbauer-Kommandos fand vom 13. bis 16. September statt. Eingeladen war die Crème de la Crème der deutschen Cineasten, aber auch jeder, der einfach ein bisschen länger im Kinosaal sitzen blieb. Ein Bericht von Michael Müller
Frits Fronz' unglaublicher Film "Roulette d'amour"
Es ist schon ein großes Glück für die deutsche Filmgeschichte, dass es solch eine cineastische Institution wie das Hofbauer-Kommando gibt. Diese Vereinigung von gleichgesinnten Filmfreunden in Süddeutschland bringt mit nächtlichen Sitzungen bis in die frühen Morgenstunden überwiegend verschollen geglaubte deutsche Genreperlen zurück auf die Leinwand und ins cineastische Bewusstsein. Auf so genannten außerordentlichen Filmkongressen des Hofbauer-Kommandos, das sich stolz nach dem einstmals vielbeschäftigten Wiener Schulmädchen-Report-Regisseur benannt hat, werden zur Abwechslung auch andere große Filmnationen wie Japan, die USA oder Italien gehuldigt, aber der Schwerpunkt liegt doch klar auf der heimischen Filmproduktion der 1960er- und 1970er-Jahre. Diese Genrefilme, für die der Oberbegriff Krautploitation wunderbar passt, sind eigentlich bis heute in der offiziellen Filmgeschichtsschreibung verdrängt und vergessen worden.
Eine ganze Generation von Filmemachern wie Kurt Nachmann, Adrian Hoven, Eberhard Schroeder oder - von mir aus auch - Jürgen Enz wartet darauf, überhaupt einmal wahrgenommen zu werden. Trotz zarter filmwissenschaftlicher Bemühungen in den letzten Jahren, etwa von Tim Bergfelder („International Adventures“) oder Ulrich Mannes („Alpenglühn 2011“), klafft immer noch ein gewaltiges Loch der Unwissenheit zwischen den Weimarer Stummfilmklassikern und dem Neuen Deutschen Film. Gut, da waren die Nazis, deren Filmproduktion in den letzten Jahrzehnten wirklich gründlich auf Ideologiespuren abgeklopft wurde, ohne dabei die ästhetischen Qualitäten zu berücksichtigen. Aber gab es danach nicht abseits von Edgar Wallace, Winnetou und Liebesgrüßen aus der Lederhose etwas zu entdecken? Man möchte im Zusammenhang mit der Programmauswahl der HK-Kongresse am liebsten nur den Replikanten Roy Batty aus „Blade Runner“ zitieren: „Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet!“
Die Auswahl der Filme für den Kongress ergibt sich aus den Vorlieben der Macher, den Verfügbarkeiten von echten 35mm-Kopien, aber etwa auch aus zeitgenössischen Kritiken des katholischen Filmdienstes, der damals vehement von diversen moralisch fragwürdigen Filmen abriet, was das Kommando heute als besondere Empfehlung begreift. Für den ersten Abend war die charmante Katja Bienert als Star des Jess-Franco-Double-Feature „Lolita am Scheideweg“ und „Entfesselte Begierde“ geladen, der es so gut gefiel, dass sie gleich noch den nächsten Kongresstag als Privatperson dranhing. Mit dem Film „Die Sex-Spelunke von Bangkok“ hatte das Hofbauer-Kommando eine echte, wenn auch in ihrer Filmqualität zumindest zweifelhafte Rarität aufgetan, die nicht einmal einen Eintrag in der IMDb-Datenbank besaß. Unbedarftere Zuschauer wurden mit dem gut wegschaubaren Double Feature „Ich lebte wie Eva“ und „Töchter der Sonne“ in die Geheimnisse des Nudistenfilms eingeführt. Und wenn zur vorgerückten Stunde keiner mehr im Stande war, Widerstand zu leisten, wurden die Härtetests ausgepackt: Die von mir halb verdöste Jürgen-Enz-Katastrophe „Das liebestolle Internat“, der spanische, sehr vergnügliche 1980er-Jahre-Softporno „La señora del Oriente Express“ oder der Hardcore-Film „Lass jucken, Kumpel 5“, welcher über dem gesamten Kongress wie ein Damoklesschwert hing, weil er immer wieder auf die Tagesordnung gebracht, aber bis zuletzt aufgeschoben wurde.
Das Tollste am Kongress aber war, dass die Hofbauer-Kommando-Mitglieder und ihre Entourage in fast allen Fällen ähnlich unwissend in die Filme gerieten wie der große Rest der tapferen Zuschauer. Ich hatte im Vorfeld extra keine Recherchen zur Filmauswahl angestellt und kannte höchstens gelegentlich einen Regisseur. Nur so war es möglich, richtiggehend von den Filmerfahrungen überrollt zu werden. Der Fluch des heutigen Cineasten ist ja seine Informiertheit. In Komödien kennt man die besten Gags meist Monate vorher wegen der Trailer. Cameo-Auftritte können in Zeiten von Twitter und Facebook keine Minute nach einer Filmpremiere geheim gehalten werden. In jedem Filmpodcast braucht es klar abgegrenzte Spoiler-Bereiche. Auf diesen außerordentlichen Kongressen des Hofbauer-Kommandos jedoch weiß man im besten Fall nichts. Und plötzlich entdecke ich hier auf der Leinwand das meisterhafte Frank-Wisbar-Melodram „Barbara – Wild wie das Meer“, gehe in die Knie vor Frits Fronz‘ melancholischer Wiederholungsorgie „Baron Pornos nächtliche Freuden“, werde berauscht von Jess Francos Escher-Gemälde „Lolita am Scheideweg“ und finde in der kleinen, locker aus dem Ärmel geschüttelten Genreperle „Vulkan der höllischen Triebe“ ein veritables Gangster-Meisterwerk der deutschen Filmgeschichte.
Mitentscheidend für den Genuss dieser Perlen sind die Kommando-Mitglieder selbst als treibende Kräfte, wenn es um die passende Kinoatmosphäre geht: Ob jetzt der Bierverschluss im richtigen Moment poppt oder ein geradezu orgiastisches Lachen den Raum erfüllt – Das Kommando liefert den charmanten Retrosound, den es braucht, um die Filme noch mehr zu mögen, als sie es ursprünglich einmal verdient hatten. Man will nicht nur einfach Filme von damals, sondern Filme wie damals zeigen. Thematisch passende Trailer garnieren den Hauptfilm, die von Unglaublichkeiten der Filmgeschichte zeugen, Appetit machen und den Horizont erweitern. Einmal gab es zum Aufwärmen einen imperialistischen Kulturfilm über Südafrika zu sehen, wo sich der deutsche Herrenmensch in die Berge verguckt, die er bei Dr. Arnold Fanck so zu lieben gelernt hatte. Der damals steuerlich begünstigte Kulturfilm gilt unter den Kommando-Mitgliedern als Geheimtipp, da es dort angesichts der bloßen Masse noch praktisch unendlich viele Entdeckungsmöglichkeiten gibt. Die Kongresstage hatten insgesamt eine nette Genremischung, die mit Ausflügen zum Martial-Arts-Film („Der Todesschrei des gelben Panthers“), dem japanischen Neo-Noir („Unersättliche Triebe“) oder dem Interview-Film („Menschen von Morgen“) für Abwechslung sorgten. Denn auch an Brüsten und Hintern kann man sich sattsehen, wie man hier lernt.
Die Kommando-Mitglieder haben interessanterweise über die Zeit ihre eigene Sprache entwickelt. Filme sind trüb, werden als Schmier oder Ultrakunst bezeichnet. Das hat leicht autistische Züge, weil Nicht-Eingeweihte zuerst fragend in die Runde starren. Darin drückt sich aber die Liebe zu einem Medium aus, das in erster Linie visuell wirkt und bei dem selbst die besten Texte im Vergleich dazu mickrig ausfallen. Da scheint es nur konsequent zu sein, nach neuen Vokabeln zu fahnden. Außerdem ist zur Aufklärung schon länger ein Hofbauer-Kommando-Wörterbuch auf der Website Eskalierende Träume angekündigt. Sie sind die interessanteste cineastische Erscheinung, die mir im deutschsprachigen Raum bislang begegnet ist. Bei der Eroberung des immer noch dichten Dschungels der deutschen Filmgeschichte braucht es mutige Menschen, die mit ihren Macheten angstfrei voranschreiten und eine Schneise schlagen. Institutionen zur Orientierung, von denen man sich inspirieren lassen oder auch distanzieren kann, sind elementar für die Wiederentdeckung deutscher Genreschätze. Ohne Joe Hembus gäbe es keinen Christian Keßler, ohne die Zeitschrift Filmkritik keinen Buio Omega Filmclub. Wenn man bedenkt, dass das Hofbauer-Kommando seit seiner Gründung im Sommer 2010 bereits elf Kongresse abgehalten hat, wird einem gar nicht bange um die Zukunft des deutschen Genrefilms, jedenfalls was seine Vergangenheit angeht.
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Das Programm des 11. Filmkongresses des Hofbauer-Kommandos:
(13.-16. September)
Fr.
Lolita am Scheideweg (Jess Franco, 1980)
Entfesselte Begierde (Jess Franco, 1968)
Geschäftliche Reise zur Erholung in Afrika (Vernon Whitten, 1960)
Die Sex-Spelunke von Bangkok (Erwin C. Dietrich & Peter Grau, 1974)
Sa.
Barbara – Wild wie das Meer (Frank Wisbar, 1961)
Menschen von Morgen (Kees Brusse, 1964)
Venusberg (Rolf Thiele, 1963)
Baron Pornos nächtliche Freuden (Frits Fronz, 1969)
Das liebestolle Internat (Jürgen Enz, 1982)
So.
Where the Boys Are (Henry Levin, 1960)
Ich lebte wie Eva (Zygmunt Sulistrowski, 1963)
Töchter der Sonne (Alexander Swiagenin, 1964)
Unersättliche Triebe (Kan Mukai, 1966)
Der Todesschrei des gelben Panthers (Joseph Velasco, 1972)
La señora del Oriente Express (Franco Lo Cascio, 1989)
Mo.
Vulkan der höllischen Triebe (Peter Häuser, 1968)
Porco mondo (Sergio Bergonzelli, 1978)
Der Liebesschüler (Sigi Rothemund, 1974)
Lass jucken, Kumpel 5 (Franz Marischka, 1974)
Links: - Eskalierende Träume, - Hypnosemaschinen, - Filmtagebuch, - Dirty Laundry, - Funkhundd
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hordak drummond,
Samstag, 12. Oktober 2013, 18:38
I remember... =)
"Gigantische Schiffe, die brannten, draußen vor der Schulter des Orion. Und ich habe C-Beams gesehen, glitzernd im Dunkeln, nahe dem Tannhäuser Tor."
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schwanenmeister,
Dienstag, 15. Oktober 2013, 03:58
Schön!!! Es wird doch mit dir und dem Blade Runner. ;) Habe den Film übrigens auch erst neulich in "Pacific Rim" entdeckt. Jedenfalls hat mich der Organ-Schwarzmarkt in Hongkong extrem daran erinnert. So etwas passiert nur Klassikern - von den Großen zitiert und geplündert zu werden!
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