Montag, 3. Oktober 2011
Den Genretrüffelschweinen auf der Spur
schwanenmeister, 15:14h
So unterscheiden sich heutige Filmkulturen: Als letzten Herbst der deutsche Gangsterfilm "Snowman's Land" in unseren Kinos startete, ging das völlig unter. "Snowman's Land ist eine Kopie, ein Versuch, amerikanische Coolness in den deutschen Film zu bringen; und ist als Kopie zwangsläufig schlechter als die Vorbilder", schrieb Harald Mühlbeyer in der Filmgazette und vergab fünf von zehn Sternen. "Das Drehbuch ist einfach nicht besonders gut", steht da im für Leser meistens entscheidenden ersten Absatz der Manifest-Kritik von Sebastian Moitzheim. Noch so ein tödlicher, typisch deutscher Satz: "Die Hermetik führt hier nicht zu den erwarteten Gefühlsausbrüchen, sondern macht den Film zu einem Kammerspiel der Langeweile." Das schrieb Christian Alt drüben bei Negativ. Die Besucherzahlen waren nicht messbar. Die überregionalen Tageszeitungen schauten weg. Mit Ausnahme von Daniel Kothenschulte, der in der Frankfurter Rundschau hinrichtete: "Er kann uns nicht schnell genug vorbei sein." Und wenn der Film am 8. Oktober auf Arte im TV laufen wird, werden die wenigen Menschen, die drüberzappen, an den Querdaumen in der TV-Spielfilm denken, der sagte: "Will skurril und abgebrüht sein, langweilt aber mit eher unsympathischen Figuren und belanglosem Plot."
Links: - Movies.com, - IFC, - Movieline, - Twitch Film, - HitFix
Der Prophet gilt nichts im eigenen LandSeit jeher werden gute deutsche Genrefilme im Ausland entdeckt. Bei den Aintitcool-News von Harry Knowles las ich das erste Mal von einem Wunderfilm namens "Night of the Living Dorks". Es stellte sich heraus, dass damit der in Deutschland gefloppte und von Kritikern wie eine heiße Kartoffel fallengelassene "Die Nacht der lebenden Loser" gemeint war. Im ersten Jahr des texanischen Fantastic Fest feierte Matthias Dinters Film 2005 seine feucht-fröhliche Wiederauferstehung. Und ich hatte seitdem mein Genre-Mekka gefunden. Wer mir solche absolute Lieblingsfilme bescherte, verdiente mein Vertrauen. Und wenn jetzt "Snowman's Land" im Fernsehen läuft, weiß ich, dass der Film auf Platz eins der Fantastic Fest-Entdeckungen von Movies.com war und Jacob S. Hall schrieb: "A strange, violent, existential black comedy filled with endearing and terrifying characters, left field twists and beautiful cinematography that takes perfect advantage of the terrifying wilderness the characters find themselves stranded in." Letztes Jahr entdeckte das Festival für mich Filme wie "Rammbock" und "Transfer". Und weil dort die geschmacksichersten Filmgeeks des Planeten das Programm zusammenstellen, ist es immer ein riesiges Vergnügen, auch den am stärksten gepushten internationalen Kandidaten nachzustöbern.
Tim League ist der Gilles Jacob der GenrefansDas Schöne ist, dass Tim League, der Fantastic Fest-Chef, eine ähnliche treue Seele ist wie Gilles Jacob in Cannes. Beide glauben an die Autorentheorie. Und beide laden ihre Lieblingsregisseure immer wieder ein. Wurde Adam Wingard letztes Jahr mit seinem "A Horrible Way to Die" gefeiert und mit drei Preisen ausgezeichnet, war er dieses Mal wieder da, präsentierte seinen neuen Film "You're Next", der prompt in der prestigeträchtigen Kategorie 'bester Horror' gewann. Auf die ausgezeichneten Filme gilt es in jedem Jahrgang gesondert zu achten. Den Publikumspreis gewann etwa der Zeitreise-Traum "A Boy and His Samurai" von Yoshihiro Nakamura. Der 41-jährige Japaner ist ein spezieller Liebling in Austin. So liefen bereits seine anderen beiden Filme, "Fish Story" und "Golden Slumber", im Programm. Er gilt dort allgemeinhin als größte kleine Entdeckung des Festivals und insgeheim als einer der besten Regisseure der Welt. In Deutschland ist keiner seiner Filme auch nur auf DVD erschienen. Neben "You're Next" und "A Boy and His Samurai" gehören zu den größten Entdeckungen wohl die dänische Anarcho-Komödie "Klovn: The Movie", der belgische Debütfilm "Bullhead", der die Dardenne-Gebrüder aus dem Oscarrennen kloppte, der norwegische Jo-Nesbø-Heist-Thriller "Headhunters", der erste kubanische Zombiefilm "Juan of the Dead" und die französische Adrenalinpumpe "Sleepless Night". Und weil sich die Macher des Fantastic Fest nicht um Weltpremieren scheren, sondern nur nach Qualität fahnden, können einige dieser Empfehlungen direkt von mir überprüft werden.
Den Stier bei den Eiern packenIm Gleichklang schwärmten Drew McWeeny, Eric Vespe, Devin Faraci, Scott Weinberg, Harry Knowles und James Rocchi über Twitter. Zum Beispiel von "Bullhead", einem todtraurigen belgischen Gangsterfilm, der im Milieu der Hormon-Mafia spielt und indirekt das Staatentrauma zwischen Wallonen und Flamen verarbeitet. Im Kern steht aber die eigenartige Figur der Schauspielerentdeckung Matthias Schoenaerts: Ein von Steroiden vollgepumpter Bulle von einem Mann, der ein dunkles Geheimnis mit sich herumträgt. Seine tragische Coming-of-Age-Geschichte macht "Bullhead", der im Original schönerweise "Rundskop" heißt, zu etwas Außergewöhnlichem. Außerdem toll ist der koreanische Superheldenfilm "Haunters", der wie ein dreistes "Unbreakable"-Ripoff daherkommt, wenn sich zwei junge Männer bis zum bitteren Tod auf hyperrealistische Weise mit ihren Superkräften bekriegen, dabei aber kreativ abkupfert und klug weiterentwickelt. Noch besser gefallen hat mir "Klovn: The Movie". Wenn man so will, die dänische Antwort auf die Larry David-Kultserie "Curb Your Enthusiasm". Zwei Männer machen sich mit einem Jungen auf einen Kanutrip. Der eine muss seiner Frau beweisen, dass er als Vater taugt, der andere will sich nur mal wieder ordentlich durch die Gegend vögeln. Wie das zur mit Abstand besten Komödie des Jahres reicht, muss man selbst herausfinden. Am aller schönsten ist aber "A Boy and His Samurai", eine unendlich charmante, capraeske Zeitreise-Samurai-Torten-Schnabulei, die von einer alleinerziehenden Mutter mit ihrem Sohnemann und einem aus der feudalen Epoche gefallenen Krieger erzählt, der der überforderten Familie unter die Arme greift. Der Film war in Japan ein Flop. Nicht einmal Asienexperte Mark Schilling verteidigte ihn. Es ist Tim League und seiner Truppe zu verdanken, diese süchtigmachende Perle noch mal ausgegraben zu haben.
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