Freitag, 20. Mai 2011
Cannes-Ticker: 20. Mai
"Drive" (Nicolas Winding Refn) ****½

Ein Twitter-Sturm tobt unter der so cool wie hip sein wollenden jüngeren Kritikergeneration aus Cannes. James Rocchi (The Playlist) twittert: "That imaginary universe where Michael Mann directs '80s adaptations of '60s Richard Stark novels? I was just there. It's called DRIVE." Wesley Morris (Boston Globe) twittert: "Well I think we all bonded tonight during DRIVE. It's Michael Mann doing John Hughes in LA. Pink titles card! Yes, it's crime-flickness exploits the limited French idea of American movies. But who cares? It's nasty and beautiful." Mark Adams (Screen Daily) twittert: "Holy moly...Nicolas Winding Refn's Cannes film DRIVE is super cool and super violent. Albert Brooks for an Oscar - you heard it hear." Der kühle Brite Nick James (Sight & Sound) twittert: "Ryan Gosling is cool at the wheel but lethal to know in Nicholas Winding Refn's grisly noir DRIVE." Der Heißsporn-Brite Guy Lodge (InContention) twittert in Ekstase: "DRIVE (A-) I won’t lie to you: I pretty much want to have sex with this movie. Hot, clipped, nasty, beautiful. Best thing in Competition." Damon Wise (Empire) twittert: "Nicolas Winding Refn's most commercial movie yet: slick, violent, dedicated to Jodorowsky and with music by Riz Ortolani!" Es ist schwer in der heutigen Zeit einen coolen Film zu machen, der auf eine Weise nicht auf Tarantino zurückgeht, aber Riz Ortolani klingt doch sehr nach QT. Muss ja trotzdem kein "Kick-Ass" sein. There you go: Peter Debruge (Variety) schreibt: "Like Quentin Tarantino, Refn is an exploitation-movie junkie, so his cinematic references mirror '70s and '80s cult faves like TO LIVE AND DIE IN L.A. more than the spare, unforgiving noir novels and films Sallis had in mind. Such questionable influences can be felt from the neon-bright opening credits to Refn's retro music choices -- a mix of tension-ratcheting synthesizer tones and catchy club anthems -- that collectively give the film its consistent tone." Die Mischung aus John Hughes und 70's & 80's Crime Movies klingt trotzdem sehr anziehend, vor allem wenn Refn wirklich die großen italienischen Meister wie Riz Ortolani druntergelegt haben sollte. Alan Jones (FrightFest) ist befangen, sah er den Film dank freundschaftlicher Verknüpfungen bereits eine Woche vor dem Rest der Welt. Aber es wäre eine Verschwendung, einen solchen Genre-Aficionado in diesem Fall nicht zu zitieren: "How a Michael Myers mask, the love theme from Jacopetti and Prosperi’s GOODBYE UNCLE TOM and One-Eye from VALHALLA RISING fit in you’ll have to find out for yourself in not just the best movie at Cannes but easily the best this year." Sogar Todd McCarthy (THR) lässt sich etwas hinter dem Ofen vorlocken: "So it’s a fun, if not exhilarating, ride, one sped along with the help of a wonderfully assembled cast. Gosling here makes a bid to enter the iconic ranks of tough, self-possessed American screen actors -- Steve McQueen, Clint Eastwood, Lee Marvin -- who express themselves through actions rather than words." Geoff Andrew (Sight & Sound) twittert: "Utterly derivative LA neo-noir. Think Walter Hill and Michael Mann, but not as good."

Fazit-Zeit: Michael Sennhauser (SRF) im knapp halbstündigen Bilanz-Gespräch mit Anke Leweke (D-Radio Kultur) & Katja Nicodemus (Zeit). Sehr hörenswert. Es geht unter anderem um "Melancholia", "The Tree of Life", "Hanezu no tsuki" und "We Need to Talk About Kevin". Der Guardian präsentiert einen zusammenfassenden Roundtable mit Peter Bradshaw, der "The Artist" unterstützt, Xan Brooks und Leslie Felperin. Separat noch mal Peter Bradshaw und seine drei Favoriten "The Artist", "The Tree of Life" und "Le Havre". Jay Hoberman (Village Voice) hält Gericht über den diesjährigen Jahrgang und kommt zum Schluss, dass er seit 2006 nicht mehr so viele gute Filme an der Croisette gesehen hat. Zur Erinnerung: 2006 war das Jahr von "The Wind That Shakes the Barley". Es liefen "Pan's Labyrinth", "Marie Antoinette", "Red Road", "Southland Tales" und "Volver". Aber die meinte Hoberman zum großen Teil wahrscheinlich gar nicht. Kris Tapley resp. InContention hat einen schönen, fast einstündigen Fazit-Podcast mit Guy Lodge und Anne Thompson organisiert, der nur leichte Ton- und Verständigungsprobleme hat.

Angelsächsischer Bombeneinschlag: Der erfahrene und bisweilen fast zu lakonische Brite Nick James (Sight & Sound) spekuliert in seinem bisher längsten Text von der Croisette über den möglichen Gewinner der Goldenen Palme. Interessanterweise schließt er so gut wie alle üblichen Verdächtigen aus. Es brodelt ganz gewaltig in Cannes. Und man erzählt sich, dass der Hauptpreis an den Außenseiter Michel Hazanavicius und seinen "The Artist" gehen könnte. Der für mich bisher einleuchtendste Argumentationsstein: Jurypräsident Robert De Niro und Harvey Weinstein, der amerikanische Verleiher von "The Artist", sind alte Freunde. Noch etwas überraschender ist nur noch Nick James' Einverständnis mit dieser Möglichkeit. Im Gegensatz zu James glaube ich aber, dass das nicht das Ende, sondern der Anfang der Oscarkarriere des Films wäre.

Most-Wanted: Cannes 2011
(so far)
:
01. THE ARTIST - Michel Hazanavicius
02. MISS BALA - Gerardo Naranjo
03. DRIVE - Nicolas Winding Refn
04. CODE BLUE - Urszula Antoniak
05. WU XIA - Peter Chan
06. L'APOLLONIDE - Bertrand Bonello
07. MIDNIGHT IN PARIS - Woody Allen
08. BONSÁI - Christián Jiménez
09. MELANCHOLIA - Lars von Trier
10. SLEEPING BEAUTY - Julia Leigh
Runners-Up: The Tree of Life, The Skin I Live In, Guilty of Romance, Faces in the Crowd

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Hat Lars nicht die beste Öffentlichkeitsarbeit für das Cannes-Festival gemacht? ;-)

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Und wenn nicht unbedingt für Cannes, dann auf jeden Fall für sich und seinen Film. Bei mir ist auch das Pendel ins totale Gegenteil umgeschlagen. Anstatt gelangweilt zu sein, habe ich mich nach dem PR-Stunt richtiggehend gefreut, als Lars von Trier in der Tagesschau auftauchte. Die PK war ganz großes Entertainment. Und mit Karina Longworth und Michel Ciment hat der Film inzwischen auch so gewichtige Fürsprecher gewonnen, dass man nicht umhin kommt, einen eigenen Blick zu riskieren. Ein Glück, dass wir nicht in Argentinien leben!

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Meinst Du dort hätte sich niemand über so eine Aussage echauffiert? ;-)

Ich bin ein bisschen zwiegespalten........ich denke einige werden sich den Film jetzt gerade wegen diesem PR-Stunt anschauen und hoffentlich wird das dann nicht zum automatismus.

Kevin Smith hat nach seinem PR-Stunt @sundance für mich immer noch so einen bitteren Beigeschmack.


Übrigens, da war doch auch was mit QT und seinem Lob an Leni Riefenstahl, vor Jahre (pre Inglourious Basterds) in den Medien?!

PS: oh man, hoffentlich kommen meine äusserungen jetzt nicht falsch rüber!! ;-))))

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Nein, noch bevor von Trier zur Persona non grata erklärt wurde, zog der argentinische Verleih, der die Rechte an "Melancholia" gekauft hatte, sein Angebot zurück. Wegen der Nazi-Emigranten-Historie ist man dort wohl noch empfindlicher als in Frankreich, Deutschland oder den USA.

So ist es. "Melancholia" wird wohl von Triers erfolgreichster Film der letzten Jahre werden, was ehrlich gesagt nicht so schwer ist. Weil der Skandal im Film fehlte, sprudelte es auf der PK eben noch etwas unüberlegter und grober als sonst aus ihm heraus. Der Witz ist doch: Jeder, der das Theater gesehen hat, wusste, wie es gemeint war. Von Trier erzählte auch, dass er demnächst einen dreistündigen Pornofilm mit Kirsten Dunst drehen will. Komisch, dass das keiner für bare Münze genommen hat. Hätte wohl Naziploitation sein müssen, damit Bild und Spiegel darauf angesprungen wären. Dabei ging es bei der PK-Frage im Kern um eine gar nicht so uninteressante Thematik, die mir völlig neu war, weil ich mich nie intensiver mit von Triers Biografie beschäftigt habe, nämlich dass er erst spät im Leben von der wahren Identität seines Vaters (einem Deutschen im Dritten Reich) erfahren hatte.

Der Unterschied zwischen Smith und von Trier ist aber größer, oder? Kevin Smith war als Filmemacher schon davor abgemeldet, und von Trier ist es nach diesem "Skandal" keineswegs. Und jep, Tarantino bezeichnete Riefenstahl als seine Lieblingsregisseurin, was damals aber nur die aufregte, die sich darüber aufregen wollten, indem sie verkürzte oder falsche Aussagen des Regisseurs zitierten.

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Full ack!
Von Trier wirkte in der PK ein bisschen zerstreut (keine Ahnung ob er immer so ist) und er hat auch sofort gemerkt was er da vom Stapel gelassen hat.
Das eigentlich genial war die Reaktion von K. Dunst. :-)

Clerks war K.Smiths filmischer Höhepunkt, danach fand ich ihn (nur noch) wegen "An Evening with..." klasse, dass ganze wurde dann aber meiner Meinung nach zum Bummerang.
In Smodcast und seinen Twitts ging es mir dann zu sehr um die böse Southwest Airlines und den armen Kevin.

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"That was intense, Lars!" (Kirsten Dunst)

Der Filmkritiker Matt Singer fasste es auch ganz gut zusammen: "To paraphrase Jerry Seinfeld, Lars von Trier's comments don't offend me as a Jew. They offend me as a comedian."

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