Samstag, 4. September 2010
Venedig-Ticker: 4. September
Sehr viel wird weiterhin über Sofia Coppolas Ennui-Studie (Danke, Cristina Nord!) "Somewhere" geschrieben. Tobias Kniebe will in der Süddeutschen Coppolas zweites großes Meisterwerk ausgemacht haben: "Als jemand, der diesem Zirkus zwar nicht wirklich nahe ist, dann aber eben doch näher als etwa 99 Prozent der restlichen Menschheit, kann dieser Filmreporter bezeugen: Alles, was wir da sehen, ist wahr." Todd McCarthy spekuliert lieber darüber, ob dieser emotional verkrüppelte Film besser hätte sein können: "The film might have been much more interesting had it taken the child’s point of view on rampant adult immaturity rather than adopting the more familiar and less revealing cool hipster stance." Susanne Ostwald (Neue Zürcher Zeitung) ist ganz bei Kniebe: "Ein wunderbarer Film." Und um so länger man Michael Althens FAZ-Text liest, umso mehr gewinnt man den Eindruck, es handele sich um eine dreiste Kinoverfilmung der TV-Serie "Californication" mit David Duchovny: "Wenn man auf Sofia Coppolas Seite ist, kann man sagen, dass das bei Antonioni oft auch so war. Was die Coolness angeht, kann man die beiden durchaus miteinander vergleichen." Und so geht es weiter, wenn auch kritischer: Total Film, Empire und Guardian. Im Daily Telegraph weist etwa David Gritten darauf hin, dass alle bisherigen Sofia Coppola-Filme in ihrer Zweitheimat Italien Zuschauerhits waren und deswegen die Italiener weltweit die Ersten sein werden, die die Kritikerurteile überprüfen dürfen.

Hier gibt es die unglaubliche Danny Trejo-holt-Zigis-Geschichte von Filmstarts-Chef Björn Becher zu bestaunen.

Man müsste einmal ausführlich zusammentragen, was bisher über die ghettoisierten italienischen Wettbewerbsbeiträge geschrieben wurde. Auf der Berlinale regt man sich über das stiefmütterliche Desinteresse der ausländischen Journalisten am deutschen Film auf. In Venedig läuft es andersherum jedoch genauso. Wenigstens jenseits von Hollywood Film Business Asia-Chefkritiker Derek Elley unterbringen, der John Woos co-gefilmten "Reign of Assassins" sehr lobt. Seit "Ip Man 2" bin ich etwas vorsichtiger geworden, was Martial Arts-Empfehlungen von Elley angeht, aber klingt doch ziemlich schmackhaft. Irgendwo stand auch 'der asiatische Mr. & Mrs. Smith'. Und Michelle Yeoh spielt eine der Hauptrollen.

Wer wie ich angesichts des ja überwiegend positiven Feedbacks für "Somewhere" vielleicht kurz ins Zweifeln gekommen ist, ob er oder sie dem neuen Sofia Coppola-Film doch eine Chance geben soll, der lese als Medizin ganz schnell die letzten zwei Absätze auf Kino-Zeit.

Most-Wanted: "Old Joy" und "Wendy & Lucy" waren die mit größten Hoffnungsbringer der letzten Jahre amerikanischen Indie-Kinos. Kelly Reichardts neuer Film "Meek's Cutoff" soll wiederum neue Wege bestreiten: "Slow, mysterious ride on pilgrim trail. Transfixing & rich with ideas on trust/prejudice", twittert David Jenkins (Time Out London) und vergibt vier von fünf Sternen. Da nimmt man dann auch wissbegierig die Höchstwertung von Guy Lodge (InContention) und das 'Groß' von Björn Becher (Filmstarts) mit. "Hey, at least one Terrence Malick film has seen the light of day in 2010. Essential. Distributor, please", schreibt Lodge. Das letzte Mal verglichen wurde Terrence Malick ja mit dem überhypten "Monsters". Die Filmdienst-Kritikerin Felicitas Kleiner hat zumindest ungefähr die gleiche Stoßrichtung: Kelly Reichardt liefere ein weiteres Beispiel dafür, dass der Western zu einem der interessantesten Genre-Felder amerikanischer 'auteurs' geworden sei.

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