Freitag, 3. September 2010
Venedig-Ticker: 3. September
Seit "Michael Clayton" ist bei mir die Luft raus, was Thriller mit George Clooney oder Matt Damon betrifft, die sich auf Alan Pakulas Paranoia-Trilogie aus den 1970er-Jahren beziehen. Umso witziger finde ich es, Kirk Honeycutts folgenden Review-Teaser zu lesen: "Back in the 1970s, a film like 'The American' would be labeled existential. Today it feels merely pointless." Auch sehr schön die Bottom Line: "What did George Clooney see in this script?" Daneben schaut der gute George auf einem Bild entgeistert an seinem Zielfernrohr vorbei in die Ferne.

Wenn schon Kritiker mit dem Satz beginnen "The thing I most liked about ...", dann befinden wir uns mitten im Festivaldschungel, und es gibt überwiegend laue Texte zu Filmen, die mich nie oder schlagartig weniger interessieren. Wer lernen will, wie man Filme positiv bespricht, die man gar nicht mochte, der lese beispielsweise den fröhlichen Briten Damon Wise (Empire) zu "Machete". Auch ein sehr guter Versuch im Launeversauen ist Guy Lodge zu Julian Schnabels "Miral". Exotischer ist da Standard-Kritikerin Isabella Reicher, zumindest wenn es um die Filmauswahl geht: sie bespricht unter anderem Catherine Breillats neuen Film "La belle endormie".

Felicitas Kleiner bloggt für den Filmdienst von der Mostra. Hatte ich ganz übersehen bei meiner vergeblichen Suche nach Kritikergrößen wie Rüdiger Suchsland, Wesley Morris und Neil Young. Erschreckend und erwartet zugleich, wie sehr die Amis Venedig fallen gelassen haben. Na ja, Toronto und Telluride vor der Tür und die Zeitungskrise im Nacken. Das ist nachvollziehbar.

IndieWIREs Todd McCarthy verabschiedet sich nach Telluride, wobei zu bezweifeln ist, obwohl er die Filme "Black Swan" und "The American" besprach, ob er überhaupt in Venedig vor Ort war. Damit bleibt nach meinen Notizen einzig und allein Bloggerin Anne Thompson übrig, die die amerikanische Flagge neben der Trade Press hochhält. Die Stellung halten die Deutschen und Briten.

Daily Telegraphs David Gritten schreibt von einem starken Jahrgang, aber verreißt mehr oder weniger im gleichen Atemzug gleich drei Filme: "Miral", "Machete" und "Norwegian Wood". Total Film-Kritiker James Mottram ist auch fleißig, fand "Miral" enttäuschend und schreibt das ebenso in seinem ersten wie letzten Satz zum Film. Sehr praktisch. Außerdem behauptet er, der Film "Incendies" des in Kanada geborenen Regisseurs Denis Villeneuve wäre genau das, was Julian Schnabel erreichen wollte.

Eine der allerersten Kritiken zu Sofia Coppolas Comeback-Versuch "Somewhere" hat David Jenkins von Time Out London geschrieben. Drei von fünf Sternen gibt er und verortet den Film irgendwo zwischen "La dolce vita" und "Entourage": "Formally, this is probably Coppola’s riskiest, artiest movie to date." Mark Adams, der zu Diensten von Sreen Daily als Chefkritiker unterwegs ist, klingt positiver: "Return to form and nearer 'Lost in Translation'. Elle Fanning is great..."

Und noch einen Neuling aufgetan: Kritiker Patrick Wellinski schreibt für Kino-Zeit, zum Beispiel recht wohlwollend über "Miral" und "Black Swan". Einen Twitter-Account hat er auch.

Bisher glänzte die britische Zeitung The Guardian ausschließlich durch Pressekonferenz-Zusammenfassungen. Jetzt ist auch endlich Peter Bradshaw, dessen relaxte Berlinale-Berichterstattung mir sehr gut gefallen hat, back in action. Er wiederum verlinkt auf die italienische Presse, die sich über Tarantinos angestrebte Neutralität lustig macht. Dazu fand er "Black Swan" als Eröffnungsfilm einen sexy Start und macht sich weiterhin lustig über die Formulierungen der einstmaligen Branchenbibel Variety.

Wichtiger als jede Kritik zu Coppolas "Somewhere": Die Track List des Soundtracks. "Marie Antoinette" und "Lost in Translation" habe ich fast vergessen, aber die Musik klingt bis heute nach. Im Film zu hören sein werden unter anderem Phoenix, The Police, Foo Fighters, T.Rex, Gwen Stefanie, natürlich The Strokes und Bryan Ferry.

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